Leute, die von Motorradrennen überhaupt nichts verstehen, behaupten gern, dass wir Fans zu den Rennen gehen, um Stürze zu sehen. Das ist natürlich Quatsch! Trotzdem müssen wir zugeben, dass eine gewisse Faszination davon ausgeht, die besten Fahrer zu beobachten, wie sie das Limit diesen einen Tick überstrapazieren und zu Boden gehen. Grausame Stürze selbstverständlich ausgenommen! Es ist der schmale Grat zwischen Hui und Pfui, der die MotoGP zu dem macht, was sie ist. Würde jemals jemand herausfinden, wie man Stürze vollkommen vermeidet, wäre Motorrad-Racing mit einem Schlag ein ganz anderer Sport.
In der vergangenen Saison gab es 863 Stürze in allen drei GP-Klassen. Das ist der niedrigste Wert seit 2010 – bedeutet aber immer noch höllisch viele Schmerzen und zertrümmertes Karbon. Fast ein Fünftel der Unfällie im MotoGP konzentrierte sich auf nur zehn Kurven, bei insgesamt 272 Kurven. Das zeigt, wie fies die zehn härtesten Kurven in diesem Sport sein können.
Stürze hängen oft mit kalten Reifen zusammen
Und wie kommen diese Zahlen zustande? Die Analyse ergibt, dass Stürze mit kalten Reifen in allen drei Klassen ein ganz großes Thema sind, speziell auf „asymmetrischen“ Strecken. Dort ist es nämlich sehr schwer, die Hitze auf den weniger genutzten Flanken der Reifen zu halten. Die Statistik sagt außerdem, dass die durchschnittliche Wochenend-Crash-Rate in der Moto3- und Moto2-Klasse minimal geringer war als 2012. Um 0,4 Prozent in der Moto2 mit genau 20,2 Stürzen pro Wochenende und satte zwei Prozent und 18,4 Stürze in der Moto3. Vermutlich nur, weil es 2013 weniger Regenrennen gab als im Jahr davor. Im MotoGP dagegen ging die Zahl nach oben. Ein Plus von 1,1 Prozent auf 11,4 Stürze – wohl wegen der höheren Starterzahl besonders der CRT.
Des Weiteren können wir der Statistik entnehmen, dass die Marshalls während der MotoGP-Rennen besonders an zwei Rennstrecken viel Arbeit hatten. Nein, nicht am Sachsenring, sondern in Brünn und Barcelona, wo gleich sechs Fahrer aus dem Kies gefischt werden mussten. Auf vier Strecken gab es keinen einzigen Rennsturz: Assen, Austin, Jerez und Phillip Island. Insgesamt hilft die Traktionskontrolle, das Sturzrisiko zu minimieren, allerdings nur im MotoGP – in den anderen Klassen ist so etwas verboten.
Die meisten Stürze passieren übers Vorderrad
Ein Detail aber geben die Statistiken nicht wieder: Warum und wo genau die Fahrer der MotoGP gestürzt sind – Kurveneingang oder –ausgang? Unsere Beobachtungen besagen jedoch, dass die meisten Stürze heute übers Vorderrad passieren, wie auch unser Sturz-Guide Colin Edwards erklärt. „Es ist nicht so schwer, es hinten doch noch zu fangen, wenn es da wegschmiert. Das passiert sogar um die zehn Mal pro Runde“, sagt der 40-jährige GP-Veteran. „Rutscht das Vorderrad, ist es erheblich schwerer, das noch einmal auszubügeln, denn das ganze Gewicht lastet auf einem winzigen Stück Gummi, das weit vor dir liegt. Das heißt, du selbst kommst auch noch hinterher, was es fast unmöglich macht, diese Art von Stürzen abzufangen.“
Zum Schluss sollten wir eigentlich einen besonderen Preis ausloben – vielleicht ein zerborstenes Stück Karbon-Verkleidung an einem kleinen goldenen Stäbchen, das aus einem zerschmirgelten Stück Motordeckel herausragt. And the winner is: Moto2-Fahrer Steven Odendaal. Er hat es 2013 als Einziger geschafft, an einem Wochenende gleich dreimal kapital in ein und derselben Kurve abzufliegen – in Catalunyas berüchtigter Kurve 10.
Platz 10: Valencia Kurve 4

Hier geht es um kalte Reifen: Das letzte Mal, dass die rechte Reifenseite mit viel Druck die Strecke berührt hat, ist ganz schön lange her. So ziemlich jeder ist hier schon mal auf der Nase gelegen, aber – Wunder, oh, Wunder – 2013 war kein einziger Moto2-Fahrer dabei. Waren die Dunlops dort perfekt?
Stürze:
MotoGP: Crutchlow, Hernandez
Moto2: -
Moto3: Amato, Azmi, Baldassarri, Binder, Oliveira, Sucipto, Techer
Platz 9: Misano, Kurve 4 (Rio)

Kurve 4 ist diese furchtbar langsame Links, die auf die erste Kurvenkombination Rechts-Links-Rechts folgt, wo schon etliche heiße Duelle geführt wurden. Nur ein MotoGP-Fahrer ist dort heruntergepurzelt, was zeigt, dass die erfahrenen Piloten wissen, dass man sich spätestens in der Rio wieder etwas beruhigen sollte. Zehn Fahrer stürzten übrigens auch in der hängenden Kurve 8 (Quercha).
Stürze:
MotoGP: Pedrosa
Moto2: de Angelis, Pasini, Rabat, Sucipto
Moto3: Folger, Granado, Masbou, Miller, Tonucci
Platz 8: Austin, Kurve 1

Zweifellos der beste Platz, um auf dem neuen Kurs „Circuits of the Americas“ zu stürzen. Es handelt sich um die langsamste „Problemzone“ im GP-Kalender. Eine Spitzkehre im ersten Gang mit blindem Eingang bergauf am Ende der Vmax-260-km/h-Zielgeraden. Diese Kurve ist eine ungewöhnliche und schwierige Ecke, offensichtlich speziell für Moto3-Fahrer, wie die Statistik von 2013 belegt.
Stürze:
MotoGP: Barnes
Moto2: Elias
Moto3: Alt, Antonelli, Marquez, Salom, Tonucci, Vinales, Watanabe (2)
Platz 7: Jerez, Kurve 2 (Michelin)

Auf den ersten Blick sieht Michelin ziemlich unaufgeregt aus: eine nette 180-Grad-Rechts-Haarnadel, keine hundert Meter von der ersten Kurve, die auch rechts rum geht. Die Reifen sind also warm. Trotzdem hat es elf Fahrer dort übers Wochenende erwischt – Edwards eingeschlossen.
Stürze:
MotoGP: Barbera, Edwards, Hernandez, Staring
Moto2: Pons, Rivas (2), Rossi, Sucipto
Moto3: Ajo, Techer
Platz 6: Silverstone, Kurve 12 (Farm)

Farm ist die schnellste der verruchten GP-Kurven – eine schnelle Links vor dem langsamsten Stück des Kurses. In der Moto3 geht diese Stelle Vollgas, weshalb keiner aus der kleinsten Klasse dort stürzte.
Stürze:
MotoGP: Dovizioso, Hayden, Hernandez, Laverty, Pesek, Staring
Moto2: Cortese, Espargaro, Kent, Rea, Torres, West, Zarco
Moto3: -
Platz 5: Phillip Island, Kurve 6 (Siberia)

Auch Phillip Island ist einer dieser asymmetrischen Kurse gegen den Uhrzeigersinn. Trotzdem ist die schwierigste Kurve keine Rechts. Siberia ist die Links nach Honda-Hairpin, von wo die Fahrer auf die Lukey Heights zufahren. Ein gelungener Kurvenausgang ist hier also wichtig.
Stürze:
MotoGP: Barbera, Iannone
Moto2: Rabat, Simeon (2), Zarco
Moto3: Ajo, Ferrari, Oliveira, Rossi, Schrötter (2), Techer
Platz 4: Sepang, Kurve 15

Turn 15 ist die enge Links-Spitzkehre, die Sepangs lange Gegengerade mit der langen Start/Ziel-Geraden verbindet, und damit auch die letzte Kurve. Logisch, dass so etwas ein „Unfallschwerpunkt“ ist, besonders bei den jungen Heißspornen in der Moto2 und Moto3.
Stürze:
MotoGP: Laverty
Moto2: Cortese, Marinelarena, Nakagami (2), Shah, Zaidi
Moto3: Azmi, Granado, Iwema, McPhee, Sissis, Techer
Platz 3: Sachsenring, Kurve 3

Der Sachsenring ist mit zehn Links- aber nur drei Rechts-kurven die asymmetrischste Strecke der Saison. Die rechte Reifenflanke auf Temperatur zu bringen ist sehr schwer. Schon Kurve 1 ist brutal, dort gab es auch 14 Stürze inklusive Pedrosas Crash, der ihn die WM-Führung kostete.
Stürze:
MotoGP: Bradl, Hayden, Hernandez, Pirro, Staring (2)
Moto2: de Meglio, Smith
Moto3: Ajo (2), Ferrari, Granado, Kornfeil, Vazquez
Platz 2: Le Mans, Kurve 7 (Le Mussee)

Hauptgrund für Stürze? Grip-Verlust! Hauptgrund dafür? Regen. 2013 war Le Mans der nasseste GP, weshalb es dort mehr Stürze als bei jedem anderen Rennen gab. Kurve 7, eine Links auf diesem im Uhrzeigersinn gefahrenen Kurs, war der reinste Bike-Friedhof. Hier stürzten allein im Moto2-Rennen zwölf Fahrer. In Kurve 2, wieder eine Links, waren es insgesamt 18 Stürze.
Stürze:
MotoGP: Staring
Moto2: Elias, Espargaro, Lüthi, Nakagami, Odendaal, Pons, Rabat, Redding, Simeon, Smith, Sucipto, Syahrin, Torel, Wilairot
Moto3: Arciero, Binder, Webb
Platz 1: Catalunya, Kurve 10 (La Caixa)

Die Kurve ist eine langsame Links am Ende der Gegengeraden. Die letzte echte Chance, vor der Zielflagge noch zu überholen (außer es ist 2009 und man heißt Rossi). Das ist ein Grund, warum es an einem trockenen Wochenende dort satte 28 Stürze gab.
Stürze:
MotoGP: Bradl, Barbera, Bautista, Hayden, Iannone, Iwema, Laverty, Pesek
Moto2: Cardus, de Angelis (2), Odendaal (3), Rossi, Simeon, Smith (2), Sucipto, Wilairot, Zarco
Moto3: Ajo (2), Antonelli, Baldassarri, Finsterbusch, Schrötter, Vinales