Wenn jemand das Ding fotografiert, nimmst du ihm entweder die Kamera weg oder erschießt ihn!" Bei dem Ding handelte es sich um eine noch streng geheime BMW-Vorserienmaschine; und die Ansage des Industrie-Vertreters erfolgte anlässlich einer bevorstehenden Afrika-Tour, rund anderthalb Jahre vor Markteinführung. Angesprochen war Herbert Schwarz, Gründer von Touratech, DEM deutschen Ausrüster reisewütiger (BMW-)Motorradfahrer. Herbert ist anerkannter Kriegsdienstverweigerer und favorisierte verständlicherweise die Kamera-Lösung. Die Sache ging auch ohne Kamera-Sicherstellung gut aus, die F 800 GS blieb unentdeckt. Die Anekdote illustriert ganz gut, in welcher Liga das in Niedereschach am Ostrand des Schwarzwaldes ansässige Unternehmen mittlerweile spielt. Rund vier bis fünf Jahre vor Serienanlauf führen die Touratech-Verantwortlichen erste Gespräche mit dem Motorradhersteller, um schon während der Fahrzeugentwicklung passendes (Original-)Zubehör mitzuentwickeln.
Absolute Verschwiegenheit und sehr professionelles Arbeiten sind notwendig, um in eine solche Vertrauensposition zu kommen. Seit gut sechs Jahren funktioniert diese enge Zusammenarbeit mit BMW, die ersten Kontakte waren allerdings alles andere als harmonisch. Touratech galt im Zubehörbereich als BMW-Wettbewerber. Die Bayern ließen sehr weit weg produzieren und machten Touratech das Leben schwer. Erst als der (Qualitäts-)Leidensdruck zu groß wurde, bekamen Herbert Schwarz und sein Kompagnon Jochen Schanz einen Einwicklungsauftrag für Motorradkoffer. "30 Stück konnten wir pro Tag schaffen - aber BMW wollte 100 Stück", erinnert sich Herbert. Touratech wolte den Auftrag, stellte neue Leute ein und vernachlässigte das eigene Programm.
Lieferverzögerungen und viel Ärger waren das Ergebnis. Doch gemeinsam mit der BMW-Abteilung "Lieferantenentwicklung" bekam man die Probleme innerhalb von drei Monaten in den Griff - heute schaffen die rund 180 Touratech-Mitarbeiter 200 Koffer am Tag. Mit 40000 Stück pro Jahr ist der Alukoffer das erfolgreichste Touratech-Produkt. Aber auch andere Touratech-Produkte wie zum Beispiel der große Motorschutz, Handschutzbügel und Kofferträger sind in den BMW-Preislisten als Originalteile zu finden.

BMW und BMW-Fahrer sorgen für rund 60 Prozent des Geschäfts, doch der erste Großkunde war 1996 KTM. Angefangen hat alles noch viel früher: Berufs-Elektroniker und Hobby-Weltreisender Herbert Schwarz macht Mitte der 1980er Jahre einen Fahrradtacho motorradtauglich, baut seine ersten Alukoffer und entwickelt 1990 einen Motorradcomputer (den es in nur leicht überarbeiteter Form immer noch gibt). Einer der ersten Kunden der 1990 gegründeten Firma ist der Techniker Jochen Schanz. Der Kunde wird erst Herberts Reise- und dann sein Geschäftspartner. 1995/96 steigen beide hauptberuflich ins Reisezubehör-Geschäft ein und stellen 1997 die ersten Mitarbeiter ein. Wann was wie entwickelt wurde, ist auf www.touratech.de in epischer Breite nachzulesen.
Doch noch viel spannender als die Firmenhistorie ist der heutige Blick hinter die Touratech-Kulissen. Drei Dinge sind es, die überraschen: die beiden sehr unterschiedlichen Typen Schwarz und Schanz, die extrem große Fertigungstiefe und die außergewöhnliche Unternehmenskultur. Der für Vertrieb und Marketing zuständige Herbert Schwarz ist Vegetarier und Abenteurer, ein Typ, der sich nichts aus Luxus und Motorsport macht, der chinesische Produkte aus politischen Gründen (Menschenrechte, politische Einflussnahme) nicht im Programm haben möchte und nichts für den militärischen Bereich fertigt ("Es gab diverse Anfragen nach unserer GPS-Technik"). Das klingt nach militantem Gutmenschen, doch mit Berufsbetroffenheit und Sendungsbewusstsein hat Herbert nichts am Hut. Im Gegenteil, einige seiner oft sehr witzigen und ironischen Aussagen sind alles andere als politisch korrekt. Herbert zum Thema Zielgruppe: "Zubehör für Cruiser oder Chopper würde unser Marken-Image schädigen.
Ich kann meinen Mitarbeitern auch nicht zumuten, dass ich ihnen mein Frühstück vor die Füße kotze." Jochen Schanz ist eher der sicherheitsorientierte schwäbische Fleischfresser mit Hang zu ökologisch höchst bedenklichen Motorradrennen. Seine ruhige, nette, dabei aber sehr bestimmte Art passt perfekt zum Entwicklungs- und Produktionsbereich, den er betreut. Und der hat es in sich: Die Fertigungstiefe liegt bei rund 80 Prozent, bei Alukoffern sogar bei fast 100 Prozent. Zum Touratech-Maschinenpark gehören hochmoderne Laserschneidemaschinen und Schweißroboter, und man gönnt sich den Luxus einer eigenen Galvanik. Neben Hightech kommen aber auch ältere Maschinen aus den 1960er Jahren zum Einsatz - günstig gebraucht gekauft ("zehn Euro für einen Entgrat-Automaten") und für die eigenen Zwecke passend gemacht.

Passend machen, professionell improvisieren, unkonventionelle, menschenfreundliche Lösungen finden - das beschreibt die Touratech-Unternehmenskultur am besten. Beispiele gefällig? Als der benachbarte Tennisclub vor dem Aus stand, übernahm Touratech kurzerhand die 3000-m²-Halle und machte daraus eine geniale Kombination aus Vertrieb, Lager, Versand und Shop (Shopfläche 800 m?). Um die Verflegung der Mitarbeiter und Kunden kümmert sich der örtliche Italiener, aus der Ortsmitte weggelockt und als Wirt des Tennishallen-Lokals "Travel Inn" installiert.
Zukunfts-Sorgen? Keine, Touratech wächst auch in der Krise. Dazu Herbert Schwarz: "Wir produzieren hier nicht teurer als im Ausland und haben schon Ausschreibungen gegen China gewonnen." Ging denn nie etwas schief? Oh doch! Der größte Touratech-Flop ist ein schwer verbaubarer, schlecht befüllbarer, unverkäuflicher GS-Zusatztank. Entwicklungskosten? "Zirka fünf R 1200 GS." Nobody is perfect. Auch Touratech nicht.
Touratech live

Das Internet-Geschäft macht bei Touratech mittlerweile 50 Prozent aus, wer aber Zeit hat, sollte sich auf alle Fälle den Shop in Niedereschach live gönnen. Während der Motorradsaison gibt es jeden Samstag von 9 bis 12.30 Uhr im "Travel Inn" für fünf Euro ein Biker-Frühstück, der perfekte Start fürs Power-Shopping und/oder eine Schwarzwald-Tour. Ob Internet oder live, der Touratech-Katalog (1092 Seiten!) ist für reiselustige Endurofahrer Pflichtlektüre. Für Straßenmaschinen ist der Streetline-Katalog zuständig (324 S.), für ältere Enduros den Timeless-Katalog (196 S.).