Claus Clausen steht auf Kino. Vielleicht auch naheliegend, wenn man, wie er als Filmproduzent, schon Oscar-nominierten Hollywood-Streifen zum Erfolg verholfen hat. Kommunizieren, Geld auftreiben, produzieren. Das wäre mal, ganz vereinfacht dargestellt, das grundlegende Geschäft eines Produzenten.
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Vintage-Motorradrennen 'Grab the Flag' 2014
Der aufregendste Teil des letzten Jahrhunderts
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Da schlägt allerdings auch noch das Herz des Regisseurs in seiner Brust. Und bei Regisseuren – das glauben wir doch alle zu wissen – steht doch permanent der Aufnahmeknopf auf „On“. Sich komplett in eine Sache vertiefen, das Eintauchen in eine ganz besondere Welt, das Hineingleiten in den Gedankentunnel, die Chance auf den einzig echten Moment... Schnitt! Und Szenenwechsel. Bevor wir jetzt versuchen, uns in das „Kopfkino“ des Klassik-Rennfahrers Clausen hineinzuschmuggeln, lassen wir ihn später lieber selbst zu Wort kommen. Und schlendern währenddessen erst mal durch das Fahrerlager des ungarischen Pannonia-Rings.
Wer jemals eine größere Klassik-Rennveranstaltung mit den eigenen Ohren belauschen durfte, kann es leicht nachvollziehen: Je nach Ort und Widerhall schwebt man auf eindrucksvollen Klangteppichen, die permanent frisch geknüpft werden. Kreischend-sägende Zweitakter vermengen sich mit dem dumpfen Grollen eines Boxermotors, garniert vom metallisch-schnatterigen Gegröhle eines Einzylinders. Luftgekühlte Motoren, offene Megafone, gierig schlürfende Ansaugtrichter – das sind die Virtuosen dieses ingenieurserdachten Zufallsorchesters. Gerade bei den „Grab the Flag“-Rennen sind die Variationsmöglichkeiten beinahe unendlich. „Grab the Flag“, was sich in etwa als „Schnapp die Flagge“ übersetzen lässt, bildet mit seinen vielen Rennklassen nahezu komplett den aufregenden Teil des letzten Jahrhunderts ab.
Vintage, Postvintage, Senior-Klasse, Junior- und Königsklasse
Die ältesten Schätzchen bis Baujahr 1930, mit Handschaltung und Dreiganggetriebe, balgen sich in der Vintage-Klasse. In der „Postvintage“ kommen die Vorkriegsmaschinen von BMW, Triumph oder Norton zum Einsatz. Danach die Senior-Klasse bis Baujahr 1958 und maximal 500 cm³. Es folgen die Junior- und Königsklasse aus den 1960er-Jahren mit jeweils 350 und 500 cm³. Da spannt sich das Feld von Aermacchi über Ducati, den Seeleys bis hin zu den Kaczor-BMW.
Kurze Theorie-Verschnaufpause – jetzt geht es um die Authentizität. Manchmal möchte man gar nicht hinschauen, wenn da so ein alter Schleifer kratzend und hoppelnd über einen modernen Rundkurs fetzt. Um Federung und Dämpfung kümmern sich bei den Vorkriegs-Krädern der Sattel und die Bandscheiben des Fahrers. Was den Piloten fahrdynamische Grenzerlebnisse weit unterhalb heutiger Geschwindigkeitsrekorde beschert, die ohne das alberne Zug- und Druckstufengeschwafel aber umso mehr Spaß machen.
Slicks, Reifenwärmer, Radialpumpen und weiterer Schnickschnack, der nicht in die damalige Zeit passt, sind nicht erlaubt – und sowieso nur Hilfskrücken heutiger Milchbubis. Apropos Milchbubis: Auf der Strecke geht es fair zu. Und das soll es nach dem Willen von „Grab the Flag“-Chefin Irmgard Kronester auch bleiben. Die Zweiradmechaniker-Meisterin, die sich in ihrer eigenen Werkstatt „Rockerbox“ hauptsächlich um Youngtimer und alte Engländer kümmert, glaubt an die „heilende Wirkung“ des Rennstreckenfahrens. Deswegen sind ihre Veranstaltungen auch nichts für erbsenzählende Pokalsammler. Pro Veranstaltung gibt es nämlich „nur“ ein schick gestaltetes T-Shirt für alle, Pokale dagegen nur am Jahresende für die insgesamt drei Events am Pannonia-Ring, Slovakia-Ring und in Rijeka.
Nur noch Sake auf dem Siegerpodest
Von der Vorkriegs-Klasse bis zu den röhrenden 60er-Jahren dominieren die Europäer, dann schleichen sich langsam immer mehr Japaner in die Startaufstellung. Beispielsweise in der Classic 500, einer spannenden, prall besetzten Klasse mit lauter Yamaha SR 500. Oder in der Classic 350, wo sich ebenfalls viel Japanisches tummelt. Bei Sportsmen, Classic 750 und Classic BoT bäumen sich die Europäer nochmals auf, doch ganz oben auf der Leistungsskala, bei den ziemlich modern anmutenden, dicken Vierzylindern, gibt es nur noch Sake auf dem Siegerpodest.
Am Abend des ersten Trainingstages genießen wir die Ruhe und reflektieren über das Klassik-Happening. Ist es nicht Frevel, mit historischem Material über Rennpisten zu bügeln? Kann da nicht viel kaputtgehen? Nun, das ist in der Tat ein leidiges Thema. Aber dazu kann vielleicht Claus Clausen mehr erzählen. Der hatte an diesem Tag nämlich weniger Glück. Und dies, obwohl er der chinesischen Numerologie vertraut und sich deren Glückszahl, die Acht, gleich doppelt auf das Moped klebt. Dennoch, die Ventile seines frisch aufgebauten Norton-Motors hielten sich nicht an die Abmachung mit den Glückszahlen, sorgten stattdessen bei der ungeplanten Flucht für gewaltigen Metallsalat.
Doch der Rennfahrer Clausen trägt es mit Fassung. „Im Straßenverkehr bin ich drei Mal von blonden Frauen von meinen Mopeds runtergefahren worden, habe wilde Zeiten mit einer 50er erlebt, war Skirennläufer, Autorennfahrer und wollte unbedingt auch einmal die Paris-Dakar fahren. Als ich vor sieben Jahren eher zufällig über Karsten Johne und die Münchner Engländer-Szene wieder Kontakt zum Motorrad bekam, habe ich mich direkt zum Klassik-Rennsport überreden lassen. Obwohl ich vor dem ersten Rennen kaum schlafen konnte, hat sich die Rennerei für mich ausgezahlt, mein Leben ist jetzt viel bunter. Schon früh habe ich dabei Sebastian Gutsch und die BMW-Truppe kennengelernt. Mit denen bin ich häufig unterwegs, manchmal fühle ich mich fast schon wie ein weiß-blauer Werksfahrer“, meint er schmunzelnd. Nur übers Budget für die Reparaturen will niemand wirklich reden. Betriebsgeheimnis. Vielleicht sollte Claus Clausen mal einen Film übers Klassik-Racing machen. Über diesen süchtig machenden Moment, ganz oben auf der Welle.