Gerd Riss mag weder Süßholzraspeln noch Dünnbrettbohren. Stattdessen klopft der ruhige Zimmerermeister auf den Bahn-Ovalen dicke Nägel ein.
Gerd Riss mag weder Süßholzraspeln noch Dünnbrettbohren. Stattdessen klopft der ruhige Zimmerermeister auf den Bahn-Ovalen dicke Nägel ein.
Die Charakterzüge eines Schwaben reduzieren sich für Zeitgenossen außerhalb des Spätzle-Protektorats in der Regel auf zwei Eigenschaften. Erstens: net viel schwätze. Zweitens: schaffe. Dumme Frage, was demnach wohl einen Oberschwaben kennzeichnen mag.
Gerd Riss aus dem 800-Seelen-Dorf Seibranz, etwa 60 Kilometer südlich von Ulm, ist Oberschwabe. Rein geographisch und im vorher vermuteten Sinne. Nur dadurch mag zu erklären sein, daß der 31jährige, anstatt sich über seine sportlichen Lorbeeren zu freuen und sich - wenigstens manchmal - darauf auszuruhen, tagtäglich im elterlichen Zimmerergeschäft Holzbalken aller Dimensionen schleppt, sägt, bohrt und hobelt.
Dabei hätte der Mann im schwarzen Cord der Zimmermanns-Zunft allen Grund, sich in Sachen Sprüche nicht nur mit dem gelegentlichen Richtspruch zu begnügen. Denn Gerd Riss ist frischgebackener Langbahn-Weltmeister. Und nicht nur das. 1996 gelang dem zurückhaltenden Schwaben der bahnsportliche Rundumschlag - deutscher Speedwaymeister auf der 400-Meter-Bahn, deutscher Langbahnmeister auf dem 1000-Meter-Oval und mit dem MSC Diedenbergen räumte er letztlich auch noch den nationalen Speedway-Mannschaftstitel ab.
Wie gesagt, eigentlich kein Grund zum verbalen Dünnbrettbohren. Doch so hat es Zimmerermeister Riss schon seit seinen Kindertagen gehalten, als er Herrn Papa, in seiner Freizeit Hobby-Autorennfahrer, zu den Bergrennen der Region begleitete. Wobei Klein-Gerd vier Räder schon immer als deren zwei zuviel erachtete. Mit neun Lenzen trieb er bereits die erste Honda-Monkey über die Wiesen hinter der Zimmerei. Mit 14 Jahren schleppte er einen Freund bei den im Alpenvorland so populären Skijörings in der Schneefontäne seines 125er Crossers. Und weil die Talentsucher der nahen Bahnsportclubs der Meinung waren, daß, einer, der mit 100 Prozent Personalüberhang auf Schnee gut driften kann, dies auf Sand und ohne Passagier wohl um so besser können müsse, wurde der Teenager auf Anhieb vom benachbarten MSC in Krumbach für eine Sandbahn-Premiere animiert und engagiert. Alles weitere (Resultate siehe Vita) ist Geschichte.
Wobei der erste Eindruck vom schweigsamen Oberschwaben nicht nur über dessen sportliche Fähigkeiten hinwegtäuscht. Auch in Sachen Technik bewegt sich der eher konservativ scheinende Allgäuer in der Avantgarde. Schließlich war es er, der beim WM-Finale im tschechischen Marienbad vor fünf Jahren auf der Langbahn als einziger Pilot das Risiko wagte, mit einem Motor mit liegendem Zylinder anzutreten - und damit Weltmeister wurde. Seitdem hat sich dieses Konzept im Bahnsport weltweit durchgesetzt. Auch seinen aktuellen Titelgewinn in Herxheim bereitete Riss wieder mit einem psychologischen Tiefschlag für die Konkurrenz vor. Anstatt auf herkömmliche Rohrrahmen setzte er in der Pfalz auf einen brandneuen steifen Brückenrahmen aus Aluminium.
Was den Familienvater allerdings beileibe nicht zum Innovations-versessenen Technik-Freak hat werden lassen. Trotz einer aktuellen Werksvertrags-Offerte von Marktführer Jawa setzt der treue Drifter nach wie vor als einer der wenigen Bahnfahrer italienische GM-Motoren ein. »Weil Konstrukteur Marzotto und ich schon lange befreundet sind«, lautet die einfache Erklärung. Um so erstaunlicher, weil Riss von Jawa das Material gratis erhalten könnte, bei GM jedoch bezahlen muß. Neben dem Preis für jährlich vier Motoren zu je 5000 Mark kommen noch Tuning- und Ersatzteilkosten von etwa 30 000 Mark pro Saison hinzu.Dennoch: Mit über 40 Veranstaltungen im Jahr - geschätztes Antrittsgeld mindestens 3000 Mark pro Rennen - könnte Riss locker von seinem zugegebenermaßen intensiv betriebenem Hobby leben. Was er aber noch nie wollte. Auftritte in der hochgeschätzten englischen Speedway-Liga oder Angebote aus dem derzeitigen Bahnsport-Eldorado Polen scheiterten früher und heute an der Stechuhr des Zimmergeschäfts. Denn wenn´s ans Schaffe geht, hört der Sport auf. In Schwaben und erst recht in Oberschwaben.
31 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, Hobby: Trial
Autogrammadresse: Sonnentaustraße 29, 88410 Bad Wurzach
1974 Erstes Motorrad (Honda Monkey)
1979 Skijöring-Rennen
1981 Erstes Bahnrennen
1983 OMK-Pokal-Sieger auf der Langbahn
1984 Sechster Platz im Langbahn-Weltfinale
1986 Deutscher Speedwaymeister
1991 Langbahn-Weltmeister
1996 Langbahn-Weltmeister
Bis dato insgesamt 11 DM-Titel (4 x Langbahn, 4 x Speedway, 5 x Mannschaftsmeister im Speedway)