Zweiradschätze der Redaktion: Triumph Street Triple
Neue Streety, alter Scheinwerfer

Gefahr im Verzug: Ein Spurwechsel, ein Sturz, und das Lieblingsgefährt ist plötzlich schlachtreif. Eine neue Street Triple wäre schnell besorgt, doch dann blieben die wunderbaren Rundscheinwerfer und das klassische Triumph-Logo auf der Strecke. Gut, dass es für solche Fälle kreative Händler gibt.

Neue Streety, alter Scheinwerfer
Foto: Jahn

Der letzte Tag der Triumph Street Triple beginnt mit einem Bilderbuchstart. Ein goldener Oktobermorgen, die Luft ist leicht geeist, aber klar. Tochter Johanna blickt kurz aus dem Fenster, steckt prüfend die Nase aus der Tür, um sich dann an der Garderobe für ihr rot-schwarzes Lieblingsfleece von der Isle of Man zu entscheiden. Damit ist klar, was als Nächstes kommt: "Papa, bringst du mich heute mit Mamas Motorrad in den Kindergarten?" Die Frageform ist eigentlich überflüssig, das Ganze mehr als Anweisung zu verstehen.

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Wir schieben die Triumph aus der Garage. Die Gabel strahlt mit dem herbstlichen Laub in der Einfahrt um die Wette, das Sonnenlicht funkelt in den verchromten Rundscheinwerfern. "Visier auf oder zu?", frage ich der Vollständigkeit halber, obwohl auch hier die Antwort klar ist: "Auflassen, damit ich besser hören kann." Das Gefühl für Geräusche muss mittlerweile wohl auch irgendwo im Genpool abgelegt sein. Mich selbst wirft jeder Druck auf den Startknopf eine kleine Ewigkeit zurück: die Fahrt auf der ersten Speed Triple vor fast zwei Jahrzehnten, damals als blutjunger Praktikant. Ein absolut verregnetes, aber geniales Wochenende auf kleinen Eifel-Straßen. Dieser unnachahmliche Triumph-Sound war damals in der Szene noch ganz frisch, hat aber über die ganzen Jahre nichts an seiner Mächtigkeit verloren. Es ist, als wenn morgens beim ersten Kaffee der Lieblingssong im Radio liefe. Er beruhigt und törnt an zugleich. Die Street Triple setzt das persönliche Empfinden gekonnt fort. Weiterhin mit betörender Klangkulisse, gepaart mit wunderbar leichtem Handling und stimmiger Linienführung.

Die junge Sozia wirft den Triple an, rutscht auf der Bank nach hinten durch und stellt die Stiefel trittsicher auf die Rasten. Der Triple zwitschert mit Tempo 30 durch das Wohngebiet. Hinter mir brabbelt Johanna mit den Auspufftüten um die Wette. Drei Minuten später rollen wir schon vorm Kindergarten aus. Natürlich auch klar, welcher Kommentar von hinten kommt: "Das war viel zu kurz", konstatiert die Sechsjährige verdammt trocken und lässt ein "Morgen noch mal!" folgen.

Eine Stunde später hat sich der Kinderwunsch erledigt. Langsam schiebt sich die Stuttgarter Rushhour an der Street Triple vorbei. Erbarmungslos leuchtet die Herbstsonne jedes grausame Detail aus: Wie abgeknickte Blüten baumeln die Scheinwerfer an der Zuleitung, das Tachogehäuse aufgesprengt, der Lenker verbogen, aus der aufgerissenen Sitzbank quillt der Schaumstoff. Gut, dass Kollege Froberg bereits auf den Notruf reagiert und den Redaktions-Sprinter auf der Verkehrsinsel in Stellung gebracht hat, um die waidwund geschlagene Triumph zu bergen. Desillusioniert sitze ich in Büßerhaltung auf einem der baumstammdicken, roten Quader, die ein Künstler scheinbar willenlos auf den Grünflächen der Stuttgarter Hauptverkehrsschlagader verstreut hat. Um mich herum flackerndes Blaulicht diverser Einsatzwagen und eine in Tränen aufgelöste Endvierzigerin, die mit einem Spurwechsel direkt vor meiner Nase den Handstand-Überschlag mit der Streety ausgelöst hat.

Das Unfallprotokoll will eine gefühlte Schadensumme wissen. Rainer und ich taxieren grob: Motor läuft, Rahmen unbeschädigt, Tank nicht eingedellt. "Könnte auf 3000 Euro hinauslaufen", höre ich mich sagen. Der seelische Schaden nicht eingerechnet - schließlich war der Ankauf ein runder Geburtstagswunsch der besten Hälfte und sollte zugleich über den Verlust der Honda XBR 500 S hinwegtrösten, die per Handschlag an den Kollegen Robert Glück von der Schwesterzeitschrift PS weitergereicht wurde.

Der Gutachter kalkuliert das Unfallgeschehen allerdings etwas anders zusammen, weiß natürlich um die korrekten Preise (1000 Euro allein für die Cockpiteinheit) und zieht den Schlussstrich exakt 50 Euro über dem einstigen Neupreis des 2008er-Modells. Das lässt einen kräftig schlucken. Das Versicherungsdeutsch kennt für solche Fälle den Begriff des Integritätsinteresses: Das hieße, dass man die in der Familie schwer geschätzte Street Triple wieder aufbauen könnte - wie neu!

Andererseits bliebe sie für alle Zeiten mit dem Makel als Unfallmotorrad behaftet. "Wo ist das Problem?", dröhnt die kernige Stimme des Leib-und-Magen-Händlers Ingo Heller aus St. Michaelisdonn durchs Telefon. "Zufällig habe ich hier einen 2012er-Vorführer stehen. In Weiß. Damit würdest du auch bei deiner Frau wieder besser dastehen!" Mein Einwand der falschen Scheinwerferkonstellation ("die sind eckig und aus Plastik") wird 785 Kilometer weiter im Norden sofort abgebürstet: "Zufällig habe ich hier noch einen Scheinwerfersatz in rund verchromt von einer 2011er rumliegen. Die müssten vom Halter her passen. Warte mal …" Es raschelt und knarzt durch die Leitung: "Einwandfrei. Ist so gut wie drangeschraubt!" Ein zentraler Einwand kommt aber noch: "Ingo, der neue Schriftzug auf dem Tank geht gar nicht. Ich will das alte Triumph-Logo, mit dem klassischen Unterzug!" - "Zufällig liegt bei mir im Regal noch ein kompletter Lacksatz. Mit Unterschwung und in Weiß. Hat mal ein Kunde als Ersatz für seine grüne Street Triple bestellt. Jetzt fährt er Harley."

Der Kausalzusammenhang erschließt sich zwar nicht, dafür klingt alles andere schlüssig. Ein Jahr später stelle ich die "alte" Street Triple fürs Foto wieder mitten auf dem Pragsattel ab. Wieder blitzt Blaulicht auf: "Ach, ihr macht nur ein Foto? Das sieht gut aus!" Morgen soll es sonnig werden. Ich glaube, Johanna will wieder gebracht werden...

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Erscheinungsdatum 26.05.2023