Tuning-Spezial - Auspuffanlagen

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Neue Töne

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Veröffentlicht am 16.06.2016

So manche Industrievertreter zeigen sich von den neuen Regularien wenig begeistert. Da scheint mitunter Not am Mann zu sein, was das eine oder andere zackig geführte Telefonat belegt. TÜV und Ämter sprechen mit uns eher gelassen über das vermeintliche Schreckgespenst und zeigen sich weniger emotional. So viel sei schließlich gar nicht anders. Denn Euro 4 hin oder her, ein Zubehörauspuff darf nicht lauter sein als das Originalteil, und die Leistung muss sich in einem Fenster zwischen plus und minus fünf Prozent gegenüber der Serie bewegen. Basta.

Spätestens seit der Vorstellung der neuen Ducati 959 Panigale mit ihrem voluminösen, seitlich geführten Originalauspuff weiß aber jeder, dass Euro 4 sehr wohl Einschnitte bedeutet – vor allem optisch. Wäre Ducati nicht gesetzlich zu einer Veränderung gezwungen gewesen, hätten sie den von Fans fantasievoll „Bulleneier“ genannten Endtopf, wie ihn bis jetzt die komplette Panigale-Baureihe trug, ganz bestimmt nicht der Kastration zugeführt. Jedenfalls hört sich der Serienauspuff der 959 Panigale recht zurückhaltend an. Selbst die Akrapovic-Tüte aus dem Zubehör, welche die Form des neuen Serienschalldämpfers grob imitiert, klingt nachbarschaftstauglich. Wegen der mittlerweile vorschriftsmäßig fest eingeschweißten dB-Killer werden Manipulationen schwierig.

Brülltüten haben’s schwer

Verantwortlich für all das ist die EU-Verordnung 168/2013, besser bekannt unter der Bezeichnung Euro 4. In dieser werden unter anderem die Abgasgrenzwerte für neu homologierte Motorräder mit einem Hubraum von über 150 cm³ strenger definiert. Konkret: Pro Kilometer dürfen anstatt zwei Gramm Kohlenmonoxid noch 1,14 Gramm, statt 0,33 Gramm unverbrannter Kohlenwasserstoffe noch 0,17 Gramm und statt 0,22 Gramm noch 0,09 Gramm Stickoxide ausgestoßen werden.

Weiterhin schreibt die Richtlinie das Vorhandensein eines OBD-Steckers bei Neumaschinen (Onboard-Diagnose) vor und stellt eine Dauerhaltbarkeitsanforderung von 35.000 Kilometern (wird auf dem Prüfstand simuliert) an abgasrelevante Bauteile, die auch für Zubehöranlagen gilt. Alle Motorräder müssen zudem mit einem Aktivkohlefilter ausgerüstet sein, der die Benzindämpfe bei laufendem Motor wieder der Verbrennung zuführt.

Ducati

Den fest eingeschweißten dB-Killer für Zubehöranlagen haben wir anhand des Panigale-Akras bereits erwähnt, doch jetzt wird es interessant: Übrig bleiben nämlich noch die neuen Geräuschvorschriften mit völlig anderen Messmethoden als bisher. Nach den Bestimmungen von Euro 3 wurde im zweiten und dritten Gang gemessen. Einmal bei Vorbeifahrt mit Tempo 50 und einmal beim Vollgasgeben auf Höhe der Messanlage, wobei 80 dB nicht überschritten werden durften.

Euro 4 arbeitet mit einem komplexeren Messverfahren, nach welchem die zulässige Lautstärke maximal 77 dB beträgt. Ermittelt wird der Geräuschwert in mehreren Gängen in einem Bereich zwischen 20 und 80 km/h. Wetterverhältnisse und Asphaltbeschaffenheit sind für die Messungen genau vorgegeben. Somit lässt das Verfahren selbst intelligent programmierten Abgasanlagen mit Klappensteuerung wenig Spielraum für eine „freiere Interpretation“ der einzuhaltenden Maximalwerte.

Komplexere Messverfahren erschweren Tricksereien

Als mögliche Folgen drängen sich zwei Extrembeispiele für Originalanlagen auf. Die aktuelle MV Agusta Brutale 800 besitzt wieder einen filigranen, wunderschönen Flötenauspuff, verfügt dafür aber über deutlich weniger Spitzenleistung als das Vorgängermodell. Suzukis mit Spannung erwartete neue GSX-R 1000 wird wahrscheinlich mit richtig Power aufwarten, dafür ein riesiges Ofenrohr an der Seite tragen.

Leistung und Optik unter einen Hut zu bringen heißt die Herausforderung. Sound ist noch mal ein ganz anderes Thema. Ein Hersteller wie Akrapovic verfügt über das nötige Know-how und die Ressourcen, um praktisch sofort Euro-4-Zubehöranlagen für die neuen Modelle anbieten zu können.

Überstunden in den Testlabors der Auspuffentwickler

Die Slowenen nehmen Euro 4 sehr ernst. Im Ausland wären die Kosten günstiger und der Umgang mit den gesetzlichen Bestimmungen den Recherchen nach laxer. Es ist ein Qualitätsmerkmal, dass Akrapovic als bislang einziger Hersteller in Deutschland zertifizieren lässt. Um die EU-Regularien einhalten zu können, arbeiten die Slowenen an neuen, aufwendigen Kammersystemen. Grob gesagt werden dabei die Techniken aus Reflexions- und Absorbtionsdämpfern miteinander kombiniert. Die Anlagen mit den jetzt viel größeren Katalysatoren zum Funktionieren zu bringen bedeutet einen enormen Mehraufwand in der Entwicklung.

„Wir müssen deutlich mehr testen und ausprobieren, um am Ende ein Leistungsplus zu erzielen“, sagt Jaka Klemenc, Research & Testing-Manager bei Akrapovic. Durch die vielen restriktiven Faktoren wird es natürlich auch schwieriger, einen markanten Klang zu designen. Kleinere Hersteller tun sich mit der aufwendigen Entwicklung noch schwerer, was die Zertifizierung außerhalb Deutschlands erklärt und sich dennoch im Verkaufspreis widerspiegeln wird. Zum 1. Januar 2020 wiederholt sich das Spielchen erneut, dann gilt nämlich Euro 5.