200000 Kilometer mit einer BMW R 100 GS

200000 Kilometer mit einer BMW R 100 GS Beziehungskiste

200000 Kilometer, die meisten davon in Afrika. Und zwei, die auf ihre GS schwören. Seit elf Jahren. Eine Trennung kommt da vermutlich nicht mehr in Frage.

Irgendwo auf einer Piste in Afrika. Eine Staubfahne fern am Horizont. Dann die Silhouette eines Motorrads, das langsam näher kommt. Ein Boxer, ganz klar. Aber damit ist’s vorbei mit allem Vertrauten. Das Ding ist breit und beladen wie ein Lastzug. Und drauf hocken zwei, unter denen selbst die wuchtige BMW R100 GS mit dem 65-Liter-Tank wie ein Mofa wirkt. Dass sich so Motorrad fahren lässt. Unglaublich.
Eine Begegnung, die auch in Detmold hätte stattfinden können. Weil die beiden eigentlich immer so unterwegs sind. Ein Leben ohne ihre GS können sich Petra und Rainer kaum noch vorstellen. »Schau uns an!« Die beiden lachen. Er misst zweikommadrei Meter; sie ist einsdreiundneunzig groß. Ausreichend Platz für die beiden bot vor elf Jahren nur die BMW R 100 GS. Und genügend Dampf, um einigermaßen souverän über die Straßen und Pisten dieser Welt zu rauschen. Nur die Sitzbank, die musste um zehn Zentimeter aufgepolstert werden. Weil Rainer und Petra bis heute kein Auto haben, sind sie praktisch täglich mit ihrem Boxer unterwegs. Zur Arbeit und zum Einkaufen, zum nächsten Treffen oder einfach nur so aus Spaß. Wind und Wetter spielen dabei keine Rolle. 200000 Kilometer in guten zehn. Macht 20000 im Jahr. Nicht schlecht.
Afrika. Immer wieder Afrika. Der schwarze Kontinent macht süchtig. So sehr, dass die beiden spätens alle zwei Jahre für mindestens zwei Monate dorthin verschinden. Bei Rainer ist auf dem Bau im Winter ohnehin nicht viel los. Und Petra, Köchin in einem Altersheim, lässt so lange von einer pensionierten Kollegin vertreten. Die sich immer schon auf die Geschichten freut, die die Globetrotter nach ihrer Rückkehr zu erzählen haben. Zum Beispiel die von dem Zöllner aus Guinea, der berichtete, der Tourismus in seinem Land boome. Erst vor vier wochen sei ein Belgier mit Unimog durchgekommen. Und anschließend Rainer in seine Rundhütte bat, um ihm hilfesuchend sein schmerzendes Geschlecht zu präsentieren. Wer so ein Mega-Motorrad fährt, muss übermenschliche Kräfte besitzen. Mangels medizinischer Kenntnisse empfahl Rainer strikte Enthaltsamkeit.
Unter Motorradfahrern geht’s um andere Themen. Um Tankvolumen, Federwege und Grobstolliges zum Beispiel. Um in Afrika zu bestehen, montiert Rainer vor der ersten großen Tour einen 45 Liter fassenden Alu-Tank und Michelin Desert-Reifen. Und besorgt stärkere Gabelfedern, weil die Fuhre mit Mann und Maus über 500 Kilogramm wiegt. Nach dem Trip von Dakar im Senegal via Guinea, Mali, Niger, Algerien und Tunesien zurück nach Deutschland kennt die GS-Besatzung die Schwachstellen ihres Untersatzes. Das hintere Federbein ist völlig überfordert. Ebenso der Kardan, der kurz nach der Reise seinen Dienst quittiert. Beides wird ausgetauscht. Und eine Doppelzündung muss her. Weil der Boxer afrikanischen Sprit nur widerwillig schluckt.
Was ihn im Sand aber vom Sand nicht abhält. 1991 geht´s nach Libyen, und damit´s überhaupt vorangeht, muss Rainer mächtig am Quirl drehen. Über eine halbe Tonne bringen selbst den Bayern-Boxer an seine Grenzen. Weil zwölf Liter aber trotzdem einfach zu viel des Guten sind, besorgt Rainer nach der Tour die 32er-Vergaser einer R 80 GS. Das Resultat: zwei Liter weniger und etwas mehr Power im unteren Drehzahlbereich. Und weil das Motorrad gerade in der Garage steht, überholt Rainer nach 55000 Kilometern auch gleich noch Motor und Getriebe. Zur Krönung spendiert er der GS noch eine neue Cockpitverkleidung aus dem Hause HPN. Die mit dem K 100-Scheinwerfer, der mit einer 100-Watt-Lampe zu vollem Glanz erstrahlt. Die hat zwar keinen TÜV, aber das interessiert in Afrika niemanden.
Vielmehr interessiert man sich dort für Klaus Kinski. Bei ihrer Tour durch den Senegal, Guinea, die Elfenbeinküste, Burkina Faso kommen sie auch durch Ghana. Dort werden die beiden Deutschen immer wieder gefragt, ob sie den blonden Star kennen. Er muss während der Dreharbeiten zu »Cobra Verde« in Ghana einen großen Eindruck hinterlassen haben. Besonders bei den Frauen. »He´s a very crazy person.« Und das Motorrad? Das läuft.
Doch es gab auch Tage, an denen hätten die beiden ihre GS am liebsten einfach irgendwo stehen gelassen. In Libyen zum Beispiel. Im Winter ’93. An der Vorbereitung hat´s nicht gelegen. Der 65-Liter-Tank war nicht das Problem. Schließlich ist Reichweite in der Wüste durch fast nichts zu ersetzen. Auch der neue R 80 GS-Hinterachsantrieb, der lange fünfte Gang und die nun mit Hülsen vorgespannten Federn funktionierten prima. Was aber, wenn der Rahmen bricht? Oder die Lichtmaschine kollabiert?
Zwei Jahre später in Algerien bricht der Rahmen gleich zweimal, die Elektrik spielt verrückt, das Federbein schwächelt, und nicht nur aus einer defekten Zylinderkopfdichtung fließt das Öl. Auf dem Weg nach Tunesien hängen Rainer und Petra notgedrungen im Schlepptau einer anderen GS – und denken wehmütig an die Tour durch das südliche Afrika im Jahr zuvor. Was für eine Spazierfahrt. Dort fiel nur der Tacho aus. Und jetzt? Neun Tage im tunesischen Tozeur warten. Auf die Dichtung. Doch die kann das Triebwerk auch nicht mehr retten. Es wird nach über 100000 Kilometern gegen ein neues ausgetauscht. Und auch der Rahmen fliegt endgültig in die Tonne. Nach dem ersten Bruch konnte Rainer die grobe afrikanische Schweißnaht noch vor dem TÜV verbergen. Er bastelte einfach längere Seitendeckel. Aber man soll sein Glück nicht herausfordern. Jetzt hält ein Rahmen von HPN das Motorrad zusammen. Gebaut für die Ewigkeit.
Kurz nach Weihnachten 1996 fahren die beiden in der Schweiz über verschneite Autobahnen, erreichen an Silvester Hammamet und sind ein paar Tage später auf der Fähre von Ägypten in den Sudan unterwegs. Von dort geht’s nach Eritrea. In ein Land, in dem die Spuren des Kriegs noch deutlich zu sehen sind. Aber Rainer und Petra spüren die gewaltige Aufbruchstimmung, die dort herrscht. Jeder glaubt an die neu gewonnene Unabhängigkeit. Die Kraft der Menschen, die eigentlich alles verloren haben, macht die beiden sprachlos. Weiter durch Äthiopien, Kenia und Uganda. Die BMW läuft wie ein Uhrwerk. Aber sie fällt auf. Besonders dort, wo nur wenige auf die gleiche Art reisen. Ruhige Momente sind daher selten. Immer unzählige Augen, die jeden Handgriff und jede regung beobachten. Beim Tanken, beim Essen, bei der Zigarettenpause. Aber auch das ist Afrika. Wer hier reisen will, muss lernen, die Ruhe zu bewahren.
Doch es gibt etwas, das Rainer richtig wütend macht. Der Kardan. In seinen Augen eine absolute Fehlkonstruktion. Achtmal hat er das Teil bis heute wechseln müssen. Einmal war´s vermutlich ein Wasserschaden, der dem Antrieb den Garaus gemacht hat. Die beiden waren auf den Weg von Simbabwe via Mosambik und Malawi nach Sambia. Dann kam der Regen. Unaufhörlich. Fluss oder Straße? Man konnte nur noch raten. Nichts ging mehr. Alles verreckte im Dreck. Auch der Kardan, den Rainer vor der Reise vorsichtshalber neu eingebaut hatte. Es war bereits der sechste. Nummer sieben nahm er in Simbabwe bei DHL in Empfang. Und weil Petra im Schlamm immer die Füße von den Rasten rutschten, gab´s endlich die längst überfälligen tiefergelegten und verzahnten Version.
Längst hat jeder Kratzer, jede Beule, jede Schraube der GS ihre Geschichte. Von so etwas trennt man sich nicht. Rainer investiert noch einmal viel Zeit und viele Teile in Motor und Getriebe. Keine mühevolle Arbeit, sondern ein Freundschaftsdienst, erklärt Rainer. In Liebe treu. Sie wollen noch einmal nach Afrika. Noch einmal nach Libyen. Aber weil auf der Anreise die Maschine ihres Begleiters bereits in Italien liegen bleibt, verbringen Petra und Rainer ihren Urlaub in Tunesien. Wer so oft in Afrika war, kennt die Risiken. Allein durch die Wüste, das war den beiden trotz aller Erfahrung doch zu riskant.
Plötzlich eine neue Idee. Mexiko. Zentralamerika. Fernweh ist eine schlimme Krankheit. Unheilbar. Die GS erhält die achte Kardanwelle. Zur Sicherheit. Und zieht jetzt gerade vermutlich eine lange Staubfahne hinter sich her. Dass es ein Boxer ist, kann man aus der Ferne erkennen. Aber was für einer, dass muss man sich von Petra und Rainer erzählen lassen.

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