50 Jahre Honda: die Firma
Der Best-Seller

Die Motorradfahrer dieser Welt hatten Glück: Soichiro Honda, einer der außergewöhnlichsten Menschen unseres Jahrhunderts, war vernarrt in Maschinen. In schnelle Maschinen.

Komyo, in der japanischen Präfektur Shizuoka, vor rund 90 Jahren: 180 Kilometer von der Hauptstadt Tokio entfernt döst der kleine Flecken sein traditionelles ländliches Leben. Die meisten Bewohner sind Bauern, gänzlich unbetroffen von der ehrgeizigen Industrialisierungs- und Moderisierungspolitik, mit welcher der Meijin-Tenno sein Inselreich an führende Nationen heranführen möchte. Die Familien sind patriarchalisch strukturiert, in die des örtlichen Schmieds wird im November 1906 Soichiro Honda hineingeboren. Der Vater gibt ihm die Begeisterung fürs Handwerk mit, und der Großvater lehrt ihn die alten japanischen Kriegersagen.
Doch als spannendstes Rätsel in Soichiros Kindheit entpuppen sich schon bald die Maschinen: Tagelang steigt aus einem Nachbardorf eine feine blaue Rauchsäule auf. Schließlich hält es der kecke Knirps nicht mehr aus, rennt los, bewundert die riesige Dreschmaschine, fliegt auf dem Rückweg in ein geflutetes Reisfeld - und hat Glück: Die Strafe des Vaters fällt milde aus, dann fragt er: »Und, wie war sie, die Maschine?« Als das erste Auto durch Komyo schnauft, ist Soichiro der Neugierigste unter allen Neugierigen, verliebt sich für den Rest seines Lebens in der Geruch verbrannten Öls, und irgendwann hat sein Vater ein Einsehen. Er schickt ihn nach Tokio zu einem Mechaniker in die Lehre.
Was danach beginnt, liest sich ebenso spannend oder auch langweilig wie jede andere Industriellen-Karriere: erste Chance als Geschäftspartner seines Lehrherrn, gemeinsamer Bau eines Rennautos, erste eigene Firma in Hamamatsu, nahe seinem Heimatdorf. Aber bei Honda gibt es immer eine zweite Ebene. Neben jener des Machers, Erfinders und Lenkers die des Denkers und Ästheten. Er ist ein äußerst empfindsamer Mensch, ein großer Optimist obendrein, doch als er nach dem Zweiten Weltkrieg sein am Boden zerstörtes Land betrachtet, verläßt ihn jeder Mut. Von tiefen Selbstzweifeln geplagt, verkauft er seine Fabrik, in der vor allem Kolbenringe für japanische Kriegsflugzeuge entstanden waren, an Toyota und begibt sich auf Wanderschaft. Schaut den Leuten zu, hört ihre Geschichten, sucht jenseits von Profit und Machtstreben neue Werte.
Typ A, Typ D, Typ E: Heute läßt sich nicht mehr klären, ob Soichiro Honda eine Berufung darin sah, die Japaner zu motorisieren. Auf jeden Fall macht er sich 1947 wieder ans Konstruieren, bringt ein motorisiertes Fahrrad mit 50-cm³-Zweitakter auf den Markt. Typ A. Im Jahr darauf gründet er mit rund 15000 Mark Eigenkapital die Honda Motor Company. 34 Mitarbeiter werkeln an total veralteten Maschinen in einer notdürftig reparierten Ruine, aber sie sind wild entschlossen, den japanischen Martk zu erobern. Die Dream, der Typ D, bringt sie 1949 ein gutes Stück weiter: Das erste komplett eigene Motorrad des Soichiro Honda verfügt über einen 90- cm³-Zweitakter und gerät zum veritablen Verkaufserfolg.
Die Honda-Leute schaffen 100 Stück pro Monat. Sie zu verkaufen ist kein Problem. Von den Händlern das Geld einzutreiben schon eher. Deshalb muß als Glücksfall für Honda und die gesamte Motorradwelt betrachtet werden, daß 1949 mit Takeo Fujisawa ein äußerst gewiefter Marketing-Experte in die Firma eintritt und Soichiro für die nächsten fast 35 Jahre den Rücken freihält. Honda arbeitet zielstrebig an immer neuen Produkten, Fujisawa entwickelt hartnäckig immer neue Verkaufsstrategien. Sein erster Coup: Er vervielfacht das japanische Händlernetz und predigt den Service-Gedanken, als die acht oder neun Mitbewerber Hondas noch ausschließlich ans Verkaufen denken.
Einer Wirtschaftskrise zum Trotz erhöht sich die Dream-Produktion auf monatlich 300 Einheiten; die Konkurrenz bringt es damals - im ganzen Jahr - auf runde 1600 Stück. Solche Zahlen machen Mut für einen wirklichen Traum: ein Viertakt-Motorrad. Längst nämlich wissen Hondas Händler zu berichten, daß die Dream zwar sehr zuverlässig laufe, ihre Benutzer aber mit dem lästigen Geknatter und Gestank ein wenig nerve. Die Arbeiten von Honda und seinem Konstrukteur Kiyochi Kawashima stehen unter dem Motto »Erfolg = Viertaktmotor plus neuartiger technischer Trumpf«, und als Trumpfas ziehen sie eine obenliegende Nockenwelle aus dem Ärmel. Typ E mit 150-cm³-Einzylinder wird 1951 geboren, läuft zwei Jahre später bereits 36000mal vom Band.
Ob es Honda gefällt oder nicht - schon wieder verursacht ein Krieg - der in Korea - einen japanischen Wirtschaftsboom. Wenn er die Nachfrage befriedigen will, muß er modernisieren. Erstmals kann er seinen Perfektionismus ausleben: Nur die besten europäischen und amerikanischen Maschinen sind gut genug. Doch als der Boom stockt, drohen auch Hondas Kreditzahlungen zu stocken. Obendrein floppt der Roller Juno und - viel schlimmer noch - verärgert seinen Erbauer mit technischen Mängeln. Die just erblühende Marke Honda steht vor dem Aus.
»Zum ersten Mal gab es unzufriedene Kunden. Und sie hatten recht«, gesteht Soichiro Honda später reumütig. Das soll ihm so schnell nicht mehr passieren, und weil es gelingt, die Banken vom Potential seiner Firma zu überzeugen, krempelt er wieder die Ärmel hoch. Als erstes ist das Erfolgsmodell Cub zu ersetzen. Die Leute wollen keinen Motor mehr in einem Fahrradrahmen. Als zweites sind neue Märkte zu erobern, und dafür muß man drittens internationale Sporterfolge vorzeigen.
Das neue Modell soll respektable Fahrleistungen mit einfacher Handhabung vereinen und obendrein von vorn bis hinten praktisch sein. Nur so kann es in Japan und benachbarten Ländern, wo an eine Massenmotorisierung mit Autos noch lange nicht zu denken ist, das Volk motorisieren. Nach der bis dahin längsten Entwicklungszeit für eines seiner Motorräder zeigt Honda im Juli 1958 die Super Cub. Das mittlerweile mit weit über 20 Millionen verkauften Einheiten erfolgreichste Motorrad der Welt. Ein wahres Wunderding: Je nach Absatzmarkt trägt es einen Viertakt-Einzylinder mit 50, 60, 75, 90, 100 oder 110 Kubikzentimetern.
Der Honda-Shop in Tokio kann am 1. August, dem Verkaufsstart der Super Cub, Bestellungen im Wert von 140000 Mark entgegennehmen, 1959, im ersten kompletten Verkaufsjahr, produziert Honda 167443 Stück. Einrohrrahmen, Kurzschwinge, Kettenkasten - ziemlich viele bescheidene Accessoires für das epochalste Motorrad überhaupt. Aber Soichiro ist sicher, daß dieses Bike weltweit Freunde findet: Er gründet im Juni 1959 die Honda American Motor Company. Dieses Mal betätigten sich Honda und Fujisawa als Visionäre: Obwohl damals in den USA kaum mehr als 6000 Motorräder verkauft werden, schätzen sie das Potential auf mindestens 80000. »Die amerikanischen Verkäufer hielten uns für freundliche Clowns«, berichtet Honda später und lächelt weise. Die Geschichte hat seine Vision längst überholt.
Schon bereitet er den Sprung nach Europa vor: Ebenfalls 1959 enthüllt sich den staunenden Zuschauern auf der Amsterdamer Zweirad-Ausstellung die 250er Dream. Kantige Scheinwerfer und Federbeinhülsen prägen ihr ansonsten sehr konventionelles Äußeres. Anders gesagt: Ihr Outfit im Stil einer Adler oder NSU ist durchaus geeignet, die selbstbewußten Briten oder auch BMW und Moto Guzzi vom Motor abzulenken. Denn eben der bedeutet Gefahr. Nirgends in Europa existiert ein so modernes, leistungsstarkes und gleichzeitig kompaktes Triebwerk wie dieser ohc-Twin.
Die Amis stehen sofort auf die Dream, die Europäer zittern eher wegen der spektakulären Sporterfolge (siehe Seite 122): »Wartet nur, bis Honda kommt.« 1961 sind sie da. Die European Honda Motor Company bezieht ein bescheidenes Quartier in Hamburg und startet mit dem Import von ............... Wer jetzt noch spöttelt, ist selber schuld, denn bereits seit 1960 betreibt Honda die mit Abstand größte Motorradfabrik der Welt in Suzuka. Der Sport ist die beste Werbung - und das den jeweiligen Märkten angepaßte Marketing von angsteinflößender Stringenz. Honda, der Riese, ist aufgestanden.
Er ist ein rastloser Riese: Während die Europäer noch über seine Erfolgschancen als Motorradlieferant diskutieren, animieren die berauschenden Erfolge in Japan und den USA Soichiro bereits zum Automobilbau. Doch gerade freundet er sich damit so richtig an, da verkündet die japanische Regierung, die Kräfte seien - wie in den USA - zu bündeln und auf die existierenden drei Autohersteller zu konzentrieren. Honda schäumt, zettelt eine Kampagne an, in der er seiner Regierung vorwirft, undemokratisch zu handeln, indem sie ihm das Autobauen verbiete. Dann landet er wieder mal einen Coup: Auf der Tokyo Motor Show stehen zwei eher bescheidene Honda-Wägelchen, über deren Marktchancen noch längst nicht entschieden ist. Aber auf die Frage eines deutschen Journalisten, ob er deren Welterfolg wie bei den Motorrädern mit Sportengagement stützen wolle, verkündet Honda knapp: »Natürlich gehen wir demnächst in die Formel I.« Honda San als Pokerface - er weiß gerade mal, wie ein Formel I-Renner aussieht.
Von da an rast die Zeit. Jack Brabham, der Weltmeister von 1959 und 1960, assistiert als Berater, die fähigsten Ingenieure bringen zunächst einen Zwölfzylinder zum Laufen und beim 1964er Nürburgring-Grand Prix schließlich den ganzen Renner. Es folgt ein munteres Auf und Ab von kleinen Erfolgen und großen Enttäuschungen, trotz eines Grand Prix-Sieges in Mexiko 1965, trotz der Verpflichtung von John Surtees und dessen passabler Saison 1967 lernen die Honda-Leute wieder mal Grenzen kennen: Die Autoszene läßt sich nicht im Sturm nehmen.
Auch der kommerzielle Markt kommt zäh in Gang: Zwar ernten das flotte Coupés S 600 - es kommt 1965 in den Export - und S 800 viel Lob unter Fans, fristen aber eher ein Nischendasein. Erst als Honda sich 1968 vorübergehend komplett aus dem Motorsport zurückzieht und alle Kräfte auf zivile Entwicklungen konzentriert, gelingt mit dem CVCC-Motor wieder ein Geniestreich, der die Käufer gleich in Scharen anlockt. Der sogenannte Schichtladermotor debütiert 1972 im Civic, er ist der bis dahin einzige Motor, der den Bestimmungen des amerikanischen Clean Air Acts entspricht. Als diese Direktive zur Reinhaltung der Luft 1975 in Kraft tritt, hätte eigentlich nur noch der Honda Civic in den USA verkauft werden dürfen. Die Ami-Bürokraten erfinden natürlich Restriktionen, um das zu verhindern. Trotzdem kommt der Honda-Kompaktwagen ganz groß raus, ebnet das Terrain für alles, was Accord oder Legend oder NSX heißt.
Für die Biker dieser Welt versüßt man das Ende der Rennerei mit der CB 750 (siehe Seite ...). Gleichzeitig Traum und finaler Beweis für den erklärten Willen, daß unter allen Motorrädern stets eine Honda die erste Geige spielen soll. Daran hat sich, mal abgesehen von kurzzeitigen Führungsschwächen, nie mehr allzu viel geändert. Und deshalb versinkt die Geschichte Hondas von damals an in immer neuen Superlativen. Langweilig, sie alle aufzuzählen. Die Marke produziert mittlerweile in .. Ländern, verkauft jährlich ........ Autos. Ist mit jährlich und weltweit ........ verkauften Motorräder unangefochtener Marktführer. Ist obendrein größter Motorenhersteller der Welt, denn neben Zwei- und Vierrädern treiben die Nachkommen der Typ E-Maschine noch Stromaggregate, Einachsschlepper, Rasenmäher, Pumpen, Bootsschrauben und und und.
Honda San selber war dieser Erfolge wohl müde. Mit nicht mal 67 Jahren zieht er sich 1973, gemeinsam mit Takeo Fujisawa, aus der aktiven Geschäftspolitik zurück. Fortan nennt er sich Supreme Advisor, was keinesfalls Frühstücksdirektor meint, sondern wichtige Aufgaben als Berater benennt. Jemand muß dafür bürgen, daß die Firma im alten Geist weiterarbeitet. Und weil Honda ahnt, daß seine eigene, beinahe spielerische Freude an immer neuen Maschinen zwingend zum Erfolgsrezept gehört, ernennt er mit Kiyochi Kawashima einen Ingenieur zu seinem Nachfolger. Damit die Freude an neuen Produkten schon beim Entwickeln beginnt und nicht erst, wenn die Kassen klingeln.
»Nichts ist wichtig, geh’ deinen Weg weiter.« Honda ist kein religiöser Mensch, aber ein passionierter Mystiker. Und dieser Satz Buddhas hat ihn fast sein Leben lang begleitet. Für ihn gibt es keine Rückschläge, die nicht auszubügeln, keine Herausforderungen, die zu groß wären. Und er entwickelt Prinzipien, die er mit ganzer Kraft in seinem Unternehmen verankert. Im festen Glauben, daß nicht die Firma ihm, sondern er der Firma zu dienen habe, ist sein Berufsleben verlaufen. Das verlangt er von allen Mitarbeitern. Alle Anekdoten, die über diesen Mann in die weite Welt dringen, bezeugen seinen tiefen Respekt vor dem anderen. Das verlangt er auch. Und er bewahrt sich bis zu seinem Tod im Jahr 1991 eine unglaubliche geistige Frische. Das verlangt er ebenfalls. »Handeln Sie stets mit Ehrgeiz und jugendlichem Elan«, fordert seine Firmen-Philosophie - und prangt an den Wänden aller Büros und aller Montagehallen.
Honda war kein Technokrat. Wußte sehr wohl, daß seine Maschinen Segen und Fluch in sich vereinten. Er sagte: »Als Konstrukteur von Autos und Motorrädern bin ich mir darüber im klaren, daß ich einer der größten Umweltverbrecher bin.« Um den Widerspruch von Mobilität und Umweltbelastungen zu mindern, gründete er eine Stiftung, die sich in jeder denkbaren Hinsicht mit Ökologie beschäftigt. Der heutige Präsident von Honda und geistige Vater des Wunderautos NSX, Nabuhiko Kawamoto, fühlt sich diesen Gedanken verpflichtet, wenn er verkündet, mittelfristig werde Honda auch aus Umweltgründen nur noch Viertaktmotoren anbieten. Und als leise Hommage an den Gründer darf gedeutet werden, daß die VFR im Jahre 1998 endlich mit Einspritzung und Kat nach Deutschland kommt. Ob Soichiro so lange gewartet hätte?

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