Was den Kids heute Play Station und Computer sind, waren in den 60ern und 70ern den Jugendlichen ihre Kleinkrafträder. Fahren um jeden Preis war angesagt, meist gegen den Widerstand der Eltern. Zahlreiche namhafte Hersteller standen in hartem Wettbewerb zueinander und pushten sich gegenseitig mit immer neuen Modellen hoch. Bei diesem Wettlauf kletterten sie munter die PS-Leiter hinauf, denn der Gesetzgeber hatte zwar den Hubraum auf 50 cm³ beschränkt, anders als heute waren aber weder die Leistung noch die Höchstgeschwindigkeit reglementiert. Von 4,5 über 5,2 bis über 6 wuchsen die PS kontinuierlich.
Selbst auf der Ifma warteten die Firmen bis zum letzten Moment mit ihren Plakaten, um von der Konkurrenz nicht mit einer höheren Leistungsangabe überrumpelt zu werden. Die Leistung stieg und stieg, bis die Hersteller kalte Füße bekamen und Restriktionen des Gesetzgebers befürchteten. 1969 setzt sich die Industrie an den runden Tisch und beschloss, dem Gesetzgeber zuvorzukommen. Für die Saison 1970 vereinbarte das Gremium eine freiwillige Selbstbeschränkung auf 6,25 PS. Ab sofort verzichtete die Werbung auf Angaben von Leistung und Höchstgeschwindigkeit.
Ob weise Voraussicht oder vorauseilender Gehorsam die Beweggründe waren, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, doch die Jugend zeigte sich tief erschüttert, zumal der Blick über die Grenzen mehr Mut zur Lücke zeigte. In Bella Italia sahen es die Hersteller viel gelassener, und Guazzoni beispielsweise attestierte seiner Matta stramme 8 PS. Doch gerade die selbst auferlegte Beschränkung schuf in den folgenden Jahren Nahrung für wilde Spekulationen. Die Jugendlichen mutmaßten, dass die Industrie die Motoren weiterentwickelte und ihnen mehr Leistung einhauchte als die propagierten 6,3 PS.
Ob der Wunsch der Vater des Gedankens war, ein gewisser Zweckoptimismus diese Hoffnung schürte, die Jungs sich auf ihren 50ern einfach nur verdammt schnell vorkamen oder der psychologische Effekt des Schnelleren aus zahllosen Duellen ein ungeheuerer war, ließ sich nicht überprüfen: Selbst die Presse, also MOTORRAD, leistete – vermutlich aus politischen Gründen – nie Aufklärungsarbeit in Form einer Prüfstandsmessung.
1981 erlaubte der Gesetzgeber dann eine Hubraumaufstockung auf 80 cm³ und beendete damit die Diskussion, die freiwillige Selbstbeschränkung auf 6,3 PS entfi el. Bereits kurz vorher waren einzelne Hersteller vorgeprescht und hatten die Leistung bis auf 6,8 PS nach oben korrigiert. Doch das Rätselraten um die Frage nach dem Wieviel blieb lebendig – bis heute.
Nicht, um die Geschichtsschreibung neu zuerfinden, sondern um endlich Licht ins Dunkel der damaligen jugendlichen Leistungsgesellschaft zu bringen, machte MOTORRAD CLASSIC die Probe aufs Exempel und stellte zwei Spezies der Gattung "Schnelle 50er" auf den Prüfstand: Eine Hercules K 50 SE von 1974 und eine Kreidler RS von 1977, beide in absolutem Originalzustand, sollten ihre Potenz messbar unter Beweis stellen. Der Motor der Kreidler ist aus neuen Originalteilen aufgebaut und frisch eingefahren, während die Hercules als gut abgehangen und besonders gut eingefahren gelten darf: Das unrestaurierte Original hat 30000 Kilometer auf dem Buckel.
Leistungsmessung, Fahreindrücke

Also auf die Rolle mit den Kandidaten: Die Messreihen ergaben ein sauber reproduzierbares Resultat, das allerdings für einige Überraschungen sorgte: Tatsächlich zeigen die Kurven nicht nur eine Tendenz, sondern ein eindeutiges Ergebnis. Die Leistungen beider Maschinen liegen klar über dem Limit von 6,3 PS, und das sogar bei einer Nenndrehzahl deutlich unter der Herstellerangabe. Kreidler-Besitzer Ralf Schneider kann sich über stramme 7,3 PS bei 8100/min freuen, während Werner Link, der Eigner der Hercules, angesichts der 6,5 PS bei 7200/min – auch mit Seitenblick auf die Kreidler – eher enttäuscht wirkt.
Erstaunlicherweise verlaufen die Kurven sehr unterschiedlich: Die Kreidler hat die eindeutig sportlichere, wenngleich spitzere Charakteristik. Bis über 8000/min steigt die Kurve steil an, um danach ebenso steil wieder abzukippen. Die Hercules liegt im Drehzahlbereich bis 7000/min sogar darüber und verharrt dann bis 8500/min auf einem Plateau, hat also eher touristischen Charakter.

Auch konstruktive Merkmale wie die langhubige Auslegung und der kleinere Vergaser des Sachs-Motors der Hercules deuten in diese Richtung. Selbstverständlich spielen weitere technische Merkmale wie Steuerzeiten und Auspuffanlage eine entscheidende Rolle. Doch im Endergebnis liegen die beiden dichter beieinander, als es die reine Leistungsmessung vermuten lässt: Die Kreidler hat mit einer höheren Verlustleistung zu kämpfen als die Hercules. Während bei der Hercules bei der Maximalleistung 0,8 PS in der Kraftübertragung hängen bleiben, sind es bei der Kreidler immerhin 1,3. Ergo müssten im Fahrbetrieb beide 50er ungefähr auf gleichem Niveau liegen, zumal die Gesamtübersetzung und die einzelnen Gangstufen fast identisch sind.
Wie einst im Mai galt es also, die beiden im direkten Duell auf der Straße zu vergleichen, auch wenn die Fahrer im Gegensatz zu den Kleinkrafträdern im Lauf der Jahre an Gewicht und Stirnfläche zugelegt haben. Bereits an der ersten Ampel nimmt der Hercules-Treiber dem Kreidler-Fahrer in den ersten zwei Gängen einige Meter ab, sehr zu dessen Erstaunen. Dann rückt die Kreidler aber auf und übernimmt die Führung. Dabei arbeitet das ziehkeilgeschaltete Getriebe der Hercules erstaunlicherweise keinesfalls schlechter als das klauengeschaltete Pendant der Kreidler. Der Wunsch nach umgedrehter Schaltung, ja nach einem Schaltautomaten kommt auf, denn damit ließen sich im Sprint noch ein, zwei Meter gut machen.
Solche überflüssigen Gedanken entstehen, weil die heißen 50er damals niemanden kalt ließen, heute selbst Mittel alternde in ihren Bann ziehen und um Jahrzehnte zurückversetzen. Die Frisierkünste mit höchst wechselnden Erfolgen tauchen im Hinterkopf plötzlich wieder auf. Paradoxerweise zeigt sich, dass die Kreidler bei der größeren Spreizung in den unteren Gängen Boden verliert, wenn der Fahrer sie bis zum Drehzahllimit ausquetscht, weil die Leistung über 9500/min in den Keller fällt.
Die Hercules hat in diesem Bereich immer noch einiges zu bieten – also her mit einem programmierbaren Schaltblitz. Bei höheren Drehzahlen kann sich die Kreidler leicht absetzen, während in der Spitze das Duell trotz dem Leistungsplus der Kreidler unentschieden ausgeht. Leistungs- und Gangdiagramm bestätigen den subjektiven Eindruck: Die Hercules nutzt ihr Potenzial optimal, die Kreidler könnte eine längere Übersetzung vertragen, ihre Maximalleistung liegt bereits unter 80 km/h an. Dieser Tuningschritt war seinerzeit sogar hochoffiziell möglich, da die Kornwestheimer Kettenräder mit 33, 34 und 35 Zähnen anboten.
Schon wieder haben wir uns beim gedanklichen Tuning ertappt, und Ralf Schneider hat nicht nur verschiedene Kettenräder besorgt, sondern macht sich auch ernsthafte Gedanken, warum bei seiner Kreidler mehr Verlustleistung auftritt als bei der Hercules. Jugend forschte einst, und in gesetztem Alter helfen forsche 50er, jugendlich zu bleiben. Es steht die Erkenntnis, dass die Firmen die Motoren tatsächlich auch nach der freiwilligen Selbstbeschränkung weiterentwickelten, um den Anschluss an die Konkurrenz nicht zu verlieren und an die obere Toleranzgrenze gingen – manchmal auch darüber.
Technische Daten

Hercules K 50 SE
Motor: Luftgekühlter Einzylinder-Zweitaktmotor, Bohrung x Hub 38 x 44 mm, 49 cm³, Verdichtung 11,3:1, Leistung 6,25 PS bei 8000/min, Rundschiebervergaser, Ø 19 mm, Kickstarter
Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, ziehkeilgeschaltetes Fünfganggetriebe, Kette
Fahrwerk: Zentralrohrrahmen mit Unterzügen, geschobene Langschwinge vorn, Zweiarmschwinge hinten, zwei Federbeine, Drahtspeichenräder, Reifen 2.75 x 17 vorn und hinten, Simplex- Trommelbremsen, Ø 140 mm vorn und hinten
Gewicht: vollgetankt 85 kg
Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 85 km/h
Preis: 2425 Mark (1976)
Hersteller: Nürnberger Hercules Werke GmbH, Nürnberg

Kreidler Florett RS
Motor: Luftgekühlter Einzylinder-Zweitaktmotor, Bohrung x Hub 40 x 39,7 mm, 50 cm³, Verdichtung 11,3:1, Leistung 6,25 PS bei 8500/min, Rundschiebervergaser, Ø 20 mm, Kickstarter
Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, klauengeschaltetes Fünfganggetriebe, Kette
Fahrwerk: Pressstahlrahmen, Telegabel vorn, Zweiarmschwinge hinten, zwei Federbeine, Drahtspeichenräder, Reifen 2,75 x 17 vorn und hinten, Simplex-Trommelbremsen, Ø 160 mm vorn und hinten
Gewicht: vollgetankt 83 kg
Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 85 km/h
Preis: 2605 Mark (1976)
Hersteller: Kreidler-Werke GmbH, Kornwestheim
Kleinanzeigen gebrauchter Hercules und Kreidler

Fahrzeuge von Kreidler oder Hercules gelten inzwischen als Raritäten und tauchen in den Kleinanzeigen nur mehr sehr selten auf. Somit haben sie einen gewissen Sammlerwert und sind Liebhabern sehr viel wert. Einen aktuellen Überblick über gebrauchte Hercules und Kreidler Motorräder und Mopeds gibt es hier: gebrauchte Kreidler und Herkules Motorräder.