Hubraumstarke Vierzylinder und gar die ersten Sechszylinder waren 1978 auf dem Vormarsch, da betrat die Benelli 254 als kleinster serienmäßiger Vierzylinder die Kleinkunstbühne. Ein Titel, den der Drehwurm bis heute innehat.
Hubraumstarke Vierzylinder und gar die ersten Sechszylinder waren 1978 auf dem Vormarsch, da betrat die Benelli 254 als kleinster serienmäßiger Vierzylinder die Kleinkunstbühne. Ein Titel, den der Drehwurm bis heute innehat.
Auf den ersten Blick wirkte es wie kühne Unvernunft, 231 cm³ auf vier Zylinder zu verteilen. Doch auf den zweiten Blick schien es fast logisch – zumindest aus Sicht von Benelli. Denn in den 1960er-Jahren heimste Benelli mit seinen 250er-Rennmaschinen GP-Siege und Meisterschaften ein. Und diese Maschinen verteilten ihren Hubraum auf eben vier Zylinder. Was lag da also näher, als einen Serienableger zu bauen, der diesen Glanz, spät zwar, auf die Straße transportieren sollte?
Was dann erstmals 1978 das Werk in Pesaro verließ, war feinste Kleinmechanik, eingepackt allerdings in ein etwas eigenwilliges Gewand. Die ab 1981 gebaute zweite Version, aus der auch unser Exemplar stammt, wirkte bereits etwas gefälliger. Ursprünglich trug sie eine eckige Lenkerverkleidung, die der Besitzer der von uns gefahrenen Maschine, Rainer Pietzsch, gegen eine Halbschale der Guzzi Le Mans I getauscht hat. Die darf getrost unter zeitgenössischem Zubehör verbucht werden. Zumal sie der kleinen Benelli ausgezeichnet passt.
Im Mittelpunkt des Geschehens stand aber ohnehin der faszinierende Vierzylinder – bis heute der kleinste serienmäßige Vierling überhaupt. Mit seinen feinen Kühlrippen und den vier daumendicken Krümmern ist er eine richtig adrette Erscheinung. Nicht nur optisch zeigt er Nähe zu den kleinen Honda-Fours der Siebziger, sondern auch vom mechanischen Aufbau her. Steuerkette zwischen zweitem und drittem Zylinder, Primärantrieb über Zahnkette, das trugen auch die japanischen Fours. Aber eben nicht so kleine Zylindereinheiten. Aus den vier 57,8 cm³ Einzelhubräumchen presste sich der Benelli-Motor stolze 26 PS bei 10 500/min, dort beginnt auch der gelbe Bereich des Drehzahlmessers, Rot sieht er bei sagenhaften 12 000 Touren. Was materialmordend klingt, ist in Wirklichkeit nur halb so wild, denn bei Nenndrehzahl beträgt die mittlere Kolbengeschwindigkeit aufgrund des kleinen Hubs von 38 Millimetern unbedenkliche 13,3 m/s. Das Starten des Motors beginnt mit einer artigen Verbeugung nach links und nach rechts, denn es sind zwei Benzinhähne zu öffnen. Lange muss sich der Anlasser nicht mühen, dann ist der Vierer mit vorlautem Knurren da, brabbelt tatendurstig vor sich hin.
Die Sorge, wie sich 1,85 Meter Körperlänge auf dem Winzling verstauen lassen, währt nur kurz. Sie lassen sich überraschend gut unterbringen, obwohl die Benelli kaum größer als ein Kleinkraftrad wirkt. Gut, die Beine müssen schon kräftig gefaltet werden, aber das Platzangebot ist längst nicht so knapp wie befürchtet und die Lenkerposition verlangt keinen ungebührlich tiefen Bückling vom Piloten. Bereits das Rangieren mit dem 124 Kilo leichten Floh fördert zwei Erkenntnisse zutage. Erstens: Beim Wenden sind die Daumen zwischen M-Lenker und Tank stark einklemmgefährdet. Und zweitens: Sollte man mal liegenbleiben, könnte man sich die Benelli sicher problemlos unter den Arm klemmen und heimtragen.
Die ersten vorsichtigen Kilometer durch die Stadt sind ein willkommener Anlass, die 2,5 Liter Motoröl anzuwärmen. Denn hohe Drehzahlen bei kaltem Motor, das behagte den filigranen Kipphebeln ganz und gar nicht, die solche Behandlung gerne mit abgeplatzten Laufflächen quittierten. Bei der Gelegenheit legt der Vierzylinder beachtliche Manieren an den Tag, denn er lässt sich durchaus drehzahlsparend warm fahren. Mit rund 4000/min kann man im fünften Gang geruhsam durch die Stadt schnurren. Beim Öffnen der Schieber der vier 18er-Dellorto-Vergaser würgt er dann nicht etwa angewidert am verabreichten Sprit, sondern legt stetig an Tempo zu. Donnerwetter.
Ist der Motor warm und die Stadt im Rückspiegel entschwunden, beginnt der Spaß. Inzwischen hat man sich ganz und gar an die sportive Sitzposition gewöhnt, der Motor verlangt die Sporen und bekommt sie. Denn wenn es vorangehen soll, darf man keine Scheu vor hohen Drehzahlen haben. Der Vierzylinder hat sie schließlich auch nicht.
Seine Laufkultur ist ausgezeichnet, er gestattet sich nur leichte Vibrationen, wenn er die obere Hälfte des Drehzahlbandes entert. Ab 6000/min beginnt sein Wohlfühlbereich. Dann heißt es die Drehzahl immer schön oben halten, nur keinen Schwung verlieren. Da kommt richtig Rennatmosphäre auf, wenn der Vierling heiser brüllend in den fünfstelligen Bereich jagt und dabei beileibe nicht wie eine 250er klingt. Das ist Sound, Klang, Musik. Dank nachgerüsteter elektronischer Zündanlage, die auch gleich den unzuverlässigen mechanischen Fliehkraftregler ersetzt, dreht der Vierzylinder lochfrei und begeistert in die Höhe. Die Kupplung geht butterweich und perfekt dosierbar, sauber lässt sich Gang an Gang reihen. Dennoch sind hohe Dauerdrehzahlen mit etwas Vorsicht zu genießen. Denn im Gegensatz zu den Honda-Vierzylindern ist die Kurbelwelle nur dreifach gleitgelagert, was bei längeren Drehzahlorgien Biegeschwin-
gungen und damit Verschleiß begünstigt.
Allerdings ist es gar nicht so leicht, beim flotten Kurvenschwingen den Drehzahlmesser im Auge zu behalten. Die Instrumente sind in einer Konsole in der Tankverkleidung untergebracht, die der Pilot in gebückter Haltung direkt vor der Brust hat. Dabei empfiehlt es sich, nicht zu lange nach dem Drehzahlmesser – der übrigens entgegen älteren Testberichten wie der Tacho auch ruhig und genau anzeigt – zu suchen, sondern mehr Aufmerksamkeit dem Streckenverlauf zu widmen. Denn zu spät sollte man nicht auf der Bremse sein. Die ist nun wirklich so zahnlos, wie in früheren Tests beschrieben. Nur mit gehöriger Handkraft lässt sich halbwegs akzeptable Verzögerung aus ihr herauspressen. Kuriosität am Rande: Beim Original-Bremssattel bestanden Bremskolben und Bremsbelag aus einem Teil, weshalb Rainer Pietzsch den Brembo-Sattel gegen ein Nachbauteil getauscht hat. So kann mit verschiedenen Belägen experimentiert werden. Doch für die überschaubare Bremsleistung ist auch eine weitere Schrulligkeit der Benelli verantwortlich. So sitzt der Handbremszylinder unter dem Tank und wird vom Bremshebel über einen Seilzug betätigt. Eine Anordnung, die auch bei der BMW R 90 S nicht gerade für berauschende Dosierbarkeit gesorgt hat.
Bei alledem haben es die Techniker aber verstanden, dem Rennfloh ein Fahrwerk anzuschneidern, das seinen sportlichen Ambitionen mehr als gerecht wird. Dass die Benelli Haken wie ein Hase schlagen kann, überrascht angesichts des geringen Gewichts und der selbst für diese Hubraumkategorie schmalen 18-Zoll-Räder nicht wirklich. Die Stabilität des Fahrwerks und des unten offenen Rahmens in schnellen Kurven dagegen schon. Die gut ansprechende Gabel arbeitet besser als manches Billigteil heutiger China-Importe. Und die Federbeine sorgen hinten für entsprechende Stabilität. Mit viel Komfort können sie allerdings bei lediglich 70 Millimeter Federweg nicht aufwarten. So ist das Kurvenschwingen mit der kleinen Benelli eine durchweg vergnügliche Angelegenheit, wobei jedoch Tankstellen nicht allzu weit entfernt sein sollten. Im Verbrauch gibt sich das 250er-Motörchen mit knapp fünf Litern durchaus genügsam, aber gerade mal 8,5 Liter Tankinhalt lassen eben nur einen begrenzten Aktionsradius zu.
Immerhin geben die Tankstopps immer wieder Gelegenheit, die hübsche 254 ausgiebig zu betrachten. Auch wenn ihr bereits bei ihrem Erscheinen nicht mehr als ein Exotenstatus zuteil wurde und die Leistungsgigantonamie bereits in vollem Gange war, ist es schön, dass damals bei Benelli die pure Unvernunft siegte. Denn hin und wieder ist es erfrischend und macht unglaublichen Spaß, unvernünftig zu sein.