Fahren und sparen. Mit der nur knapp über 7000 Euro teuren XJ6 Diversion bereichert Yamaha die preisaggressive Klasse der 600er-Allrounder. 30000 Kilometer hat der Vierzylinder im MOTORRAD-Dauertest schon abgespult - und sich gut geschlagen.
Fahren und sparen. Mit der nur knapp über 7000 Euro teuren XJ6 Diversion bereichert Yamaha die preisaggressive Klasse der 600er-Allrounder. 30000 Kilometer hat der Vierzylinder im MOTORRAD-Dauertest schon abgespult - und sich gut geschlagen.
Juni 2009, die Yamaha XJ6 Diversion hat es geschafft: Sie steht im Finale des in den Dolomiten ausgefahrenen MOTORRAD-Alpenmasters. Gemeinsam mit der Honda CB 1300, der F 800 GS und K 1300 GT von BMW und dem Vorzeige-Supersportler von Yamaha, der R1. Dass der Großteil der Konkurrenz dabei deutlich teurer und stärker daherkommt, wirft ein bezeichnendes Licht auf die XJ6. Viel Fahrspaß, ein breites Einsatzspektrum und all das zum günstigen Preis. Um genau zu sein: 7095 Euro plus 170 Euro Nebenkosten, das serienmäßige ABS inklusive.
Diese Kombination überzeugte nicht nur die internationale Jury beim Alpenmasters sondern auch die Kunden. Auf Anhieb reichten die kombinierten Absatzzahlen der XJ6 Diversion und ihrer unverkleideten Schwester, der XJ6, in der Verkaufshitliste des Jahres 2009 für Rang fünf.
Auch in der Redaktion fand der Neuzugang im Dauertest-Fuhrpark schnell Freunde. Manuel Fuchs, Redakteur der MOTORRAD-Schwesterzeitschrift PS, der im Mai 2009 die Jungfernfahrt der XJ absolvierte, brachte es auf den Punkt: "Netter Schwingschleifer", notierte er wortspielerisch ins Fahrtenbuch. Viele verbale Streicheleinheiten diverser Kollegen sollten noch folgen. Vor allem lobt man bei dem Baby-Allrounder den ordentlichen Antritt aus dem Drehzahlkeller. Bereits ab 4000 Umdrehungen schiebt das Aggregat mit dezidiertem Druck voran, wischt damit die Ängste vor der Durchzugsschwäche kleiner Vierzylindermotoren, wie beispielsweise bei der etwas lieblos auf 78 PS gedrosselten Schwester FZ6, sofort beiseite. Die im Vergleich zur FZ6 kleineren Drosselklappenquerschnitte (32 statt 36 Millimeter), zahmere Steuerzeiten, der geänderte Luftfilterkasten und ein angepasstes Mapping zeigen positive Auswirkungen.
Doch wie es in Liebesdingen eben so geht, wich die anfängliche Euphorie gelegentlich doch kühlem Realismus. Der geschäftsführende Redakteur von MOTORRAD, Harald Humke, monierte, dass "der Yamaha-Motor gegen das Aggregat der Suzuki Gladius eine Luftpumpe" sei. Herbe Kritik, die zeigt, dass die sanft laufenden Vierzylinder im Vergleich zu den V2-Motoren dieser Hubraumklasse trotz kaum schlechterer Fahrleistungen subjektiv als zahmer empfunden werden.
Letztlich ist es ihre Unkompliziertheit, mit der sich die XJ Freunde macht. Die mit 79 Zentimetern niedrige Sitzhöhe und der schlanke Knieschluss nehmen auch Leichtgewichtigen oder Kurzgewachsenen den Respekt vor der vollgetankt immerhin 220 Kilogramm schweren Maschine. Der schlägt dann durch ihr spielerisches Handling und höchst präzises Lenkverhalten schnell in freudige Begeisterung um.
Dementsprechend beliebt war die Yamsel unterm Redaktionsvolk. Nachdem Topcase und Koffer von Hepco & Becker und der Variotouringscreen von MRA installiert waren, schaute die XJ nur noch zu Inspektionen und Reifenwechseln in der Redaktion vorbei.
Apropos Koffer: Yamaha bietet für die XJ6 im Zubehörprogramm nur ein Topcase an. Begründung: eine nicht explizit bezifferte Begrenzung der maximalen Belastung des Rahmenhecks. Gepäcksystem-Anbieter wie Hepco & Becker sehen das anders. Offensichtlich zu Recht. Die öfter ausgenutzte Maximalzuladung (zehn Kilogramm je Koffer, fünf Kilo im Topcase) überstand der Hilfsrahmen bislang schadlos. Die 10000-Kilometer-Durchsicht schlug mit Ölwechsel und Arbeitszeit mit 268,13 Euro zu Buche.
Festzustellen bleibt die thermische Empfindlichkeit. Nicht nur Kollege Humke sorgte sich auf Alpenpässen über eine Wassertemperatur von 100 Grad und darüber. Ein Check im Rahmen der 20000-Kilometer-Inspektion ergab jedoch keine Auffälligkeiten. Zu hohen Motortemperaturen im Gebirge neigt die XJ jedoch bis heute. Ansonsten fielen für die Durchsicht (Material: Luftfilter, Zündkerzen, Öl, Rücklichtbirne) 421,48 Euro an. Der neue Kettensatz (119,95 Euro) stammte aus dem Zubehörhandel und wurde in der Testwerkstatt von MOTORRAD montiert. Genauso wie der neue Satz Metzeler Z6 Interact, der den bei Kilometerstand 10100 montierten zweiten Satz Dunlop Roadsmart ersetzte.
Dass die Schaltung zu dieser Zeit bereits immer widerspenstiger hakte, zieht sich wie ein rotes Band durch alle Eintragungen. Ebenso, dass das schwach gedämpfte und nicht einstellbare Federbein im Zwei-Personen-Betrieb deutlich zum Aufschaukeln neigt. Dennoch: Bei der Herbstausfahrt aller Dauertest-Maschinen gehörte die komfortable XJ zu den mit Abstand beliebtesten Untersätzen. Was mit Sicherheit nicht nur den kurz vor dem Start montierten Heizgriffen von Oxford zuzuschreiben war. Auf der Tour zum Gardasee bestätigte die Diversion einmal mehr ihre Sparsamkeit und zeigte sich, abgesehen von der Yamaha YZF-R 125, mit 5,2 Litern Durchschnittsverbrauch als bescheidenstes Dauertest-Bike.
Stattdessen erregt die XJ durch ein in unregelmäßigen Abständen hakendes Zündschloss Aufmerksamkeit. Ein Austausch war bisher allerdings noch nicht nötig. Ob das Teil bis zum Ende des Dauertests funktionstüchtig sein wird, bleibt aber zweifelhaft.
Nachdem sich die Schaltbarkeit des bereits im Neuzustand recht harzig arbeitenden Getriebes zunehmend verschlechterte, war im Rahmen der 30000er-Inspektion ein neuer Satz Kupplungslamellen plus Federn fällig. Die Kosten: 259,25 Euro für Inspektionsarbeiten, Öl und eine Standlichtbirne, 223,98 Euro für die Kupplungsteile. Erstaunlich: Die montierten Metzeler Roadtec Z6 Interact besitzen auch nach 10000 Kilometern Laufdistanz immer noch ausreichend Restprofil.
Dennoch hat sich, abgesehen von der verschlissenen Kupplung und dem beginnenden Rostbefall an dem aus Stahlblech zusammengeschweißten Auspuffsammler der Zahn der Zeit an der XJ6 wenig bemerkbar gemacht. Der Lack ist trotz heftigem Streusalz-Beschuss in gutem Zustand, die Hebeleien noch nicht ausgeleiert, die sanft zupackenden Bremsen verzögern mit den Originalbelägen noch tadellos. Nur die mittlerweile reichlich durchgesessene Sitzbank wird sich demnächst eine Auffrischung beim Polsterer gefallen lassen müssen. Das einzige Problem dabei: Wenn die Tage länger und die Temperaturen wieder höher werden, wird es schwierig sein, der Yamaha XJ6 Diversion in der Tiefgarage überhaupt noch habhaft zu werden.
Mit dem seitlich angebrachten Schalldämpfer verleiht die 998 Euro teure Arrow-Anlage (www.alphatechnik.de) der Diversion eine unübersehbar veränderte Optik. Die Verarbeitung der Edelstahlkrümmer und des Alu-Endschalldämpfers ist gut, der Klang deutlich bassiger, aber nicht lauter als derjenige der Serienanlage. Vor allem beim Drehmoment bringt das 6,3 Kilogramm schwere Zubehörteil mit Kat (Serie: 8,5 Kilo) der XJ6 deutlichen Zuwachs. Einziger Wermutstropfen: Der im Bild noch gezeigte Hauptständer muss abgebaut werden.
Trotz EG-Betriebserlaubnis disqualifiziert sich die Shark-Anlage (www.fechter.de) mit einer infernalischen, im Straßenverkehr nicht mehr tolerierbaren Lärmkulisse. Schade, denn sowohl in Sachen Leistung als auch Drehmoment liegt der mit Kat ausgestattete, nur 5,5 Kilogramm schwere Auspuff im gesamten Drehzahlbereich harmonisch über der Serien-Anlage. Optisch wertet der Edelstahlkrümmer und der Schalldämpfer mit Karbonhülle die XJ6 auf, hält sich in seinen Ausmaßen aber dennoch dezent zurück.
Bereits nach 10000 Kilometern tauchten die ersten Beschwerden über die hakende Getriebebetätigung auf. Das Problem verschlimmerte sich im Lauf der Zeit, so dass bei der 30 000er-Inspektion alle Kupplungsscheiben samt Federn ersetzt wurden (223,98 Euro). Vier von sieben Stahlscheiben zeigten Anlaufspuren. Nach dem Eingriff schaltet sie sich wie neu - bei der grundsätzlich knochig agierenden Schaltmechanik der XJ6 nur ein relatives Lob.