Design-Studio Marabese

Design-Studio Marabese Traumfabrik

Motorrad-Designer gibt es viele. Doch das Studio von Luciano Marabese (rechts) und seinem Partner Rodolfo Frascoli (am Bildschirm) in der Nähe von Mailand ist einzigartig: In dieser Traumfabrik der Branche geben seit Jahrzehnten zahlreiche Hersteller neue Zweiräder in Auftrag – und zwar so unterschiedliche Modelle wie Vespa GT, Triumph Tiger oder Moto Guzzi Stelvio.

Traumfabrik Gori

Allein die Zahl haut einen schier vom Hocker: Rund 400 Prototypen hat Luciano Marabese, 59, im Lauf seiner Karriere bislang entwickelt. Und zwar für eine nicht weniger beeindruckende Zahl unterschiedlicher Marken: Aprilia, Gilera, Moto Guzzi, Moto Morini, Piaggio, Suzuki, Triumph, Vespa und Yamaha. In letzter Zeit kamen noch Neulinge wie Bajaj Auto aus Indien und einige chinesische Hersteller dazu. Stellt sich die Frage: Wie kommt ein eher kleines Design-Studio aus Nord­italien zu einem so massiven Auf­ge­bot an Auftraggebern? Luciano Marabese lächelt verschmitzt.

Zufall – und Glück. Angefangen hat alles vor gut 30 Jahren. Ich war eigentlich Werbegrafiker, aber immer schon besessen von Motoren, besonders von Motorrädern. Mit einer Morini Corsarino bin ich früher sogar Rennen gefahren. Na ja, mit nicht so großem Erfolg, und dann habe ich 1976 für meine Söhne – die waren damals drei und fünf Jahre alt – einen kleinen Crosser gebaut und auf der Messe in Mailand ausgestellt. Weil der so gut ankam, habe ich die Firma Happy Red Devils gegründet und mit Motorrädern in diesem Stil weitergemacht. Und ich hatte weiter Erfolg, besonders mit der HRD 125 von 1981, damals die erste 125er mit Verkleidung. Die italienische Presse nannte sie die Bimota für die Jungen. Glatte 600 Stück davon habe ich sogar nach Deutschland verkauft.«
Die italienische Zweiradindustrie wurde auf den dynamischen Entwickler aufmerksam, der technische Direktor von Gilera, Lucio Masut, setzte sich mit Marabese in Verbindung und engagierte ihn. 1989 kamen erste Aufträge von Gilera-Eigner Piaggio hinzu, dann von Triumph, Aprilia und Moto Guzzi. Beeindruckt von solcher Vielseitigkeit, wurden schließlich sogar die Japaner vorstellig; anders als die Europäer nutzen Suzuki und Yamaha Marabeses Potenzial aber hauptsächlich für Teilstudien, ein komplettes Projekt wickelte er für sie bislang nicht ab.
Ehe sich Marabese versah, hatte er eine eigene Firma mit 15 Angestellten in Cerro Maggiore nördlich von Mailand. Sie beherbergt neben den Zeichenstudios auch Werkstätten und Prüfstände, in denen sich Ingenieure und Techniker um die komplette Entwicklung neuer Motorräder und Roller kümmern. Falls der Kunde es wünscht, liefert Marabese Design einen Komplett-Service – von der ersten Zeichnung über das Tonmodell und die Erprobung des Prototypen bis hin zur Industrialisierung.
Wie geht die Zusammenarbeit konkret vor sich? Kommen die Hersteller mit eigenen Vorschlägen, oder überlassen sie alles dem Studio? »Das ist unterschiedlich«, erklärt Rodolfo Frascoli, 40, der seit 1984 mit Marabese arbeitet und mittlerweile sein Partner ist.

Für Moto Morini zum Beispiel sind wir die Haus-Designer, bei ihnen, aber auch bei anderen Marken machen wir Vorschläge. Große Firmen haben natürlich eigene Designer und kommen oft schon mit ersten Zeichnungen zu uns, die wir umsetzen oder modifizieren sollen. Schwierig gestaltet sich die Situation dann, wenn uns eine Idee nicht überzeugt. Wir haben es uns zur Regel gemacht, das dann ganz klar zu sagen. Wenn der Hersteller das Modell aber trotzdem unbedingt haben will, tun wir uns ganz schön schwer, die nötige Inspiration zu finden.

Normalerweise haben die beiden Designer mit der Inspiration jedoch kein Problem. Frascoli legt jedes Jahr rund 20000 Kilometer auf zwei Rädern zurück. Neues fällt ihm nämlich insbesondere dann ein, wenn er auf Tour ist oder andere Motorradfahrer beobachtet. Als Reisemittel dienen ihm meist eine Moto Guzzi Griso und eine Moto Morini Corsaro – aber nicht nur. »Ein neues Projekt anzufangen gelingt mir viel besser, wenn ich erst mal bisherige Modelle des Herstellers ausprobiere. Die Firmen haben das verstanden und versorgen mich perfekt – und so sind am Schluss alle glücklich.« Für die heute so beliebte Marktforschung dagegen hat Frascoli nicht allzu viel übrig. »Ich war einmal bei einer Gruppenbefragung dabei«, erzählt er, »und da kristallisierte sich nach ganz kurzer Zeit ein Meinungsführer heraus, der alle anderen unterbutterte; so etwas bringt wenig. Natürlich ist Marktforschung nötig, doch man sollte sie nicht überbewerten und auch dem eigenen Instinkt vertrauen.«
Luciano Marabese hält sich nach einem schweren Unfall vor zwei Jahren in Sachen Motorradfahren zurück.

Genau wie Rodolfo bin ich aber ein leidenschaftlicher Motorradfan und verstehe mich nicht nur als Designer, sondern auch als Techniker. Und wenn man sich für alle Themen rund ums Motorrad interessiert, kommen die Ideen für neue Projekte fast von allein. Methodik gehört da allerdings unbedingt dazu. Will man etwa ein Retro-Fahrzeug entwerfen, so muss man als Erstes überprüfen, ob die Charakteristik des Originals noch aktuell ist. Nehmen wir als Beispiel den Mini und den VW Beetle: Der Mini galt von Anfang an als dynamisch, schnell und angesagt – das passt auch heute noch, weswegen das Remake gut funktioniert. Der Käfer als Vorläufer des Beetle war dagegen langsam und gemütlich. So ein Auto will heute keiner mehr haben, weshalb der Beetle kein Erfolg wurde. Übertragen auf den Zweiradbereich liegt darin das Geheimnis der Vespa: Sie galt schon bei ihrer Geburt vor über 60 Jahren als flottes und modernes Fortbewegungsmittel, und das überträgt sich bis heute auf ihre Nachfolgerinnen.

Marabese spricht aus Erfahrung, denn zu den größten Erfolgen des Design-Studios zählt der Neuentwurf der Vespa GT aus dem Jahr 2003. An ihr lässt sich eine weitere Erkenntnis der beiden Designer festmachen: »Je länger wir uns für die Entwicklung eines Prototyps Zeit nehmen, desto länger bleibt das Modell auf dem Markt«, sagt Rodolfo Frascoli. »Für die Vespa haben wir ewig gebraucht und ganz schön geschwitzt, denn einen Mythos neu zu gestalten ist alles andere als einfach. Neben diversen Tonmodellen haben wir für sie sogar einen Prototyp aus Blech gebaut. Aber es hat sich eindeutig gelohnt.«
Ähnliches, ergänzt Luciano Marabese, gelte für die MV Agusta F4 von Massimo Tamburini: »Sie wurde mit der Maßgabe entwickelt, das schönste Motorrad der Welt zu bauen, ganz egal, wie lange es dauert.« Oft kommt es allerdings nicht vor, dass ein Hersteller dem Designer viel Zeit einräumt. Im immer schnelllebigeren Motorrad-Business gehört enormer Zeitdruck zum Job. »Würden wir uns hier nicht als Team verstehen und partnerschaftlich arbeiten, würde das gar nicht klappen«, meint Luciano Marabese. Wobei sich die unterschiedlichen Charaktere der beiden Chefs offenbar perfekt ergänzen: auf der einen Seite als Graue Eminenz der zu-rückhaltende Marabese, auf der anderen der quirlige Frascoli, dessen Motorrad-begeisterung ansteckend auf das ganze Team wirkt.
Doch neben den Träumen, die sie Tag für Tag am Computer und mit realen Modellen umsetzen, gehören zum Desi­gnerleben auch Alpträume. Frascolis größter ist ausgerechnet eine Deutsche: »Alle wollen eine Anti-GS, ich kann es schon nicht mehr hören«, stöhnt er.

Natürlich ist das ein tolles Motorrad, doch ich bin nicht davon überzeugt, dass man BMW die GS-Kunden abspenstig machen kann. Das erste Mal hat das Aprilia bereits 1997 mit der Capo Nord versucht, dann kam Honda mit der Vara­dero. Beides sind gute Motorräder, aber eben kein Ersatz für die GS.

Dennoch spielen die Italiener das GS-Spiel tapfer mit – weil es ihre Auftraggeber so wollen. Auf der Messe in Mailand im November werden also gleich zwei Varianten zum Thema von Marabese Design stehen. »Jedes neue Motorrad muss zum Profil eines Herstellers passen«, führt Frascoli aus. »Deshalb ist es wichtig, sich mit der Geschichte der einzelnen Marken auseinanderzusetzen.« Und nur weil er und seine Mitarbeiter das tun, ergänzt Marabese, könne man für so viele verschiedene Marken arbeiten: »Unsere Vielseitigkeit ist inzwischen unser Trumpf.« Manche Entwürfe fertigen die beiden Designer jedoch nur zu ihrem ganz persönlichen Vergnügen an. Etwa die Achtzylinder-Guzzi (siehe Seite 113), die Luciano Marabese 2001 zeich­nete und bis heute wie einen Schatz hütet.

Sicher weiß ich, dass Guzzi ein solches Motorrad nie bauen wird. Aber sie ist nun mal mein ganz persönlicher Traum. Und wenn Designer und Entwickler nicht mehr träumen, was bleibt dann noch von der Faszination Motorrad?

Gesammelte Werke

Völlig klar: Alle 400 Prototypen, die Marabese bislang auf die Räder stellte, lassen sich hier nicht aufzählen – aber immerhin die wichtigsten. Zu den ersten Werken des Designers zählte in den 80er Jahren die RC für Gilera, die sich als Seriensiegerin der afrikanischen Raids einen Namen machte. Auch der Prototyp des Automatik-Motorrads Gilera Ferro 850 aus dem Jahr 2003 stammt von Marabese; an ihm orientiert sich die Aprilia Mana, die demnächst auf den Markt kommt. Für Moto Guzzi entwarf das Studio in den letzten Jahren fast alle Serien-Motorräder, von der V11 über die Breva und die Griso bis hin zur Norge und zur Stelvio, deren Markteinführung noch ansteht. Triumph gab die Tiger in Auftrag, Aprilia die Pegaso Cube und Moto Morini die Corsaro und die 9½. Dazu kommen die Roller, der Gilera Runner, der Aprilia Atlantic, für Piaggio der Hexagon, Zip und Skipper sowie die Vespa Gran Turismo. Daneben entwarf Marabese erste Studien für dreirädrige Roller. Daraus entstanden Prototypen für Aprilia und Italjet und Jahre später schließlich der MP3 von Piaggio. Rund 20 Prozent der Produkte stammen aus anderen Bereichen: Toaster, Ski, Boiler, Bügeleisen. Zu einem wichtigen Zweig entwickelte sich in den letzten Jahren das Design von Booten und Yachten. Marabeses Söhne Riccardo und Roberto kümmern sich vorwiegend um diesen Bereich sowie um das Industrie-Design – und als kompetente und schnelle Tester um die Erprobung von Motorrädern.

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