Boah, wie präzise der Junge fährt! Wer die seltene Gelegenheit hat, Superbike-WM-Crack Max Neukirchners Linien für ein paar Kurven zu studieren, möchte sich am liebsten die Tarnkappe der Schande überstreifen. Der Ducati-Pilot winkelt lasergenau ab, trifft haarfein den Kurvenscheitel und nutzt die Strecke beim Herausballern aus den Ecken bis auf den letzten Millimeter. Überflüssig zu erwähnen, dass er erst jenseits von Gut und Böse den Anker wirft und den Hahn schon wieder voll spannt, wenn Normalos noch in der Rollphase sind und am persönlichen Limit herumeiern.
Ducati Desmosedici RR und Ducati 1199 Panigale R sind rar
Ähnlich rar gesät wie diese Momente sind die beiden Ducati, die Neukirchner für und mit uns um die Piste von Oschersleben prügelt, um zu checken, was mit ihnen am Limit geht. Objekte der Begierde sind die wunderbare Werksreplika Ducati Desmosedici RR und die feine Basis für die Superbike-WM, die Ducati 1199 Panigale R. Eine brandheiße Kombination also, die absolute Spannung und pure Action garantiert.
Als R-Version bietet die Ducati 1199 Panigale R erstklassige Racing-Technik und hebt sich von der ebenfalls hochwertig ausgestatteten „S“ noch einmal ab. So führen bei ihr leichte Titanpleuel die beiden Kolben auf und ab, und auch am Schwungrad der Kurbelwelle sparte Bologna Gewicht. Insgesamt ist der Kurbeltrieb nun über satte 1,3 Kilogramm leichter. Dazu spendierten die Italiener den Kipphebeln zur Ventilsteuerung eine ultraharte DLC-Beschichtung. Dank dieser Maßnahmen dreht der V2 schneller hoch und verträgt höhere Drehzahlen, das Maximum wuchs um 500 auf 12.000/min – bei einem 1200er-Twin!
Auch die Nennleistung der Ducati 1199 Panigale nahm zu, wenn auch nur geringfügig: plus ein PS auf 196 PS. Das Drehmoment stieg von 132 auf 135 Nm. Deutlicher macht sich im Fahrbetrieb die Sekundärübersetzung bemerkbar, die Ducati wegen der höheren Drehzahlreserven um zwei Zähne kürzen konnte (15/41 gegenüber 15/39).
Ducati 1199 Panigale R

Fahrwerkseitig bietet die Ducati 1199 Panigale R im Gegensatz zur S einen einstellbaren Schwingenwinkel, den wir in unterschiedliche Positionen testen werden. Gabel und Federbein sind dagegen identisch, auch die edle Rennbasis verwendet die Öhlins-Federelemente mit elektronischer Dämpfungseinstellung.
Äußerlich ist die Ducati 1199 Panigale R auf den ersten Blick am teillackierten Alu-Tank zu erkennen. Dazu fällt die stark gewölbte, größere Verkleidungsscheibe ebenso auf wie die zahlreichen Karbonteile: Schwingen- und Fersenschutz, vorderer und hinterer Kotflügel, Lufteinlass-Kanäle, Abdeckungen für das Federbein und den Kupplungsdeckel sowie die Ummantelung des Zündschlosses. Ein zusätzliches Feature ist das GPS-unterstützte Data-Recording, das im Racingmodus automatisch die Rundenzeiten aufzeichnet. Außerdem speichert das System Parameter wie Gasgriffstellung, Geschwindigkeit, Drehzahl, Gang, Motortemperatur und die gewählte Stufe der Traktionskontrolle. All das hat natürlich seinen Preis: Für die 1199 Panigale R ruft Ducati inklusive Nebenkosten rund 32.000 Euro auf – uff!
PS-Daten
Antrieb
Zweizylinder-90-Grad-V-Motor, vier Ventile/Zylinder, 144 kW (196 PS) bei 10.750/min*, 135 Nm bei 9.000/min*, 1198 cm3, Bohrung/Hub: 112,0/60,8 mm, Verdichtung: 12,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 68-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe, Kette, Traktionskontrolle.
Fahrwerk
Tragender Motor mit Alu-Hilfsrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,5 Grad, Nachlauf: 100 mm, Radstand: 1437 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnen-rohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/130 mm.
Räder und Bremsen
Leichtmetall-Schmiederäder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 200/55 ZR 17, 330-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 245-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten, ABS.
Gewicht
194 kg* (vollgetankt), Tankinhalt: 17,0 Liter Super.
Grundpreis
31.690 Euro (zzgl. NK)*.
*Herstellerangaben
Ducati Desmosedici RR

Beim Preis der Ducati 1199 Panigale R entweicht der D16RR nur ein müdes Lächeln. Sie kostete im Erscheinungsjahr 2008 Ohnmacht verursachende 61.500 Euro! Trotzdem oder gerade deshalb war die weltweit auf 1500 Stück begrenzte MotoGP-Replika sofort ausverkauft. Bis heute hat sie nichts von ihrer Faszination eingebüßt, vor uns steht der Renner mit der Seriennummer 0699/1500. PS-Buddy Karsten Bartschat konnte sie von seinem Kumpel Erich für diesen Test loseisen. An dieser Stelle nochmals ein herzliches Dankeschön!
Ducati Desmosedici basiert auf MotoGP-Bike von 2006
Die Ducati Desmosedici basiert auf dem MotoGP-Bike von 2006. Damals gewann Ducati immerhin vier von 17 Rennen und belegte weitere fünf Podestplätze, am Ende wurde Loris Capirossi auf der Italienerin WM-Dritter. Angesichts der Technik gerät auch Max Neukirchner ins Schwärmen: „Jedes Detail, jede Komponente ist klar auf Racing ausgerichtet.“ Stimmt. Gasdruck-Werksgabel, hochwertiges Federbein, steifer Rahmen, ewig lange Schwinge, selbsttragendes Karbon-Heck, steiler Lenkkopf (einstellbar), kurzer Nachlauf, perfekte Balance: Das Chassis bildet die Basis für pfeilschnelle Runden.
Bis heute unerreicht ist der Sound des fantastischen 90-Grad-V4-Triebwerks mit 70 Grad Hubzapfenversatz. Blechern schreit der Vierling aus den im Heck integrierten Abgasöffnungen: wrrrammm-bramm-bramm! „Genau wie beim Moto-GP“, strahlt Neukirchner. Eine weitere Besonderheit des Treibsatzes ist sein ungewöhnlicher Hubraum von 989 Kubikzentimetern. Ein Tribut an das Reglement, das damals maximal 990 Kubik zuließ. Renntechnik pur findet sich auch bei den restlichen Motorinnereien der Ducati Desmosedici RR: geringe Schwungmasse des Kurbeltriebs, Kastenkolben, Pleuel und Ventile aus Titan, Kassettengetriebe.
PS-Daten
Antrieb
Vierzylinder-90-Grad-V-Motor, vier Ventile/Zylinder, 142 kW (193 PS) bei 13 750/min*(offen), 116 Nm bei 10 500/min*, 989 cm3, Bohrung/Hub: 86,0/42,6 mm, Verdichtung: 13,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 50-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Anti-Hopping-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, Kette, Zubehör-TC.
Fahrwerk
Stahl-Gitterrohrrahmen mit Profilen, selbsttragendes Karbonheck, Lenkkopfwinkel: 66,5 Grad (65,5 Grad), Nachlauf: 98 mm, Radstand: 1430 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/135 mm.
Räder und Bremsen
Kohlefaserräder, 3.50 x 17/6.25 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 200/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Fest-sätteln vorn, 240-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten.
Gewicht
198 kg* (vollgetankt), Tankinhalt: 15,0 Liter Super Plus.
Grundpreis
61500 Euro (Neupreis 2008 zzgl. NK)*.
*Herstellerangaben
Vergleichstest Teil 1

Während Max sein Leder überstreift, brabbelt die D16RR ungeduldig im Leerlauf. Endlich geht’s los! Runde für Runde sticht das V4-Getöse deutlich aus dem Klangteppich hervor, den die übrigen Bikes des Renntrainings abliefern. Nach dem Turn rollt Neukirchner sichtlich zufrieden an die Box: „Die Desmosedici fühlt sich super an: steif, stabil und straff gedämpft. Sie vermittelt viel Gefühl fürs Vorderrad, mit ihr kann ich brutal spät und hart in die Kurven hineinbremsen, perfekt für meinen Fahrstil. Zwar brauche ich beim Einlenken etwas Kraft, denn die Ducati Desmosedici RR ist nicht gerade handlich, doch das ist zu verschmerzen. In Schräglage liegt sie sehr satt, erlaubt einen hohen Kurvenspeed und ist sehr zielgenau. Auch beim Beschleunigen aus den Ecken hält sie prima die Linie. Und obwohl das Fahrwerk sehr steif ist, bietet es genügend Flexibilität, um Stöße aufzunehmen.“
Das hört Karsten gern. Schließlich hat der umtriebige Kawasaki- und MV Agusta-Händler die Federelemente modifiziert und das Fahrwerk abgestimmt. „Ich bin schon etwas enttäuscht, wie Gabel und Federbein serienmäßig arbeiten“, knurrt der ehemalige Racer. Anstelle der 16-Zoll-Hinterradfelge implantierte Bartschat außerdem ein 17-Zoll-Pendant aus Kohlefaser. Aus dem gleichen Stoff besteht nun auch das Vorderrad, original sind die Felgen aus Magnesium. „Das Hinterrad in 17 Zoll ermöglicht eine wesentlich größere Reifenauswahl“, begründet der Niedersachse den Umbau. Als Bazzaz-Importeur baute er noch flugs eine Traktionskontrolle in die Ducati Desmosedici RR, die Serie muss ohne jede Fahrhilfe auskommen. Greift die TC ein, unterbricht sie die Zündung, was ebenfalls extrem geil nach MotoGP klingt: bamm, bamm, bamm.

„An den Motor muss ich mich als Zweizylinder-Fahrer erst gewöhnen“, gibt Max zu Protokoll. „Er hat unten herum etwas wenig Leistung, dafür besitzt er ein breites Drehzahlband, und ab 10.000 Touren packt er richtig kräftig zu. Die lange Übersetzung in den ersten beiden Gängen stört mich nicht, da ich mit viel Schwung aus den Kurven komme und dadurch beim Beschleunigen gleich die passende Drehzahl anliegt.“
Für die Reifen braucht der Stollberger dagegen keine Eingewöhnungszeit, die Marke kennt er aus der WM. Als Einheitsgummi wählten wir den Alleskönner Pirelli Diablo Supercorsa, vorn in SC1-Mischung, hinten in SC2. Mit diesem Paket brennt Neukirchner mit der Ducati Desmosedici RR formidable 1.31,5 min in den Asphalt. Tipp: Auf unserer Homepage und auf Facebook zeigen wir ein Onboard-Video von Max auf der Desmosedici. Unbedingt anschauen!
Vergleichstest Teil 2

Was die 31er-Zeit wert ist, wird sich gleich herausstellen. Ein Druck auf den Starterknopf erweckt die Ducati 1199 Panigale R zum Leben, tiefes Ducati-Bollern aus dem Underengine-Auspuff bestimmt daraufhin die Soundkulisse der Boxengasse. „Auf meinem WM-Bike sitze ich viel weiter oben“, staunt der Sachse. „Wir verwenden ein dickeres Polster. Das erhöht den Schwerpunkt, was Handling bringt.“
Nach wenigen Runden kommt Max an die Box. „Die Gabel geht beim Bremsen auf Block. Dadurch kann ich nicht so spät und hart bremsen, wie ich möchte. Außerdem vermisse ich etwas Feedback, was Vertrauen kostet. Das Heck schaukelt sich beim Herausbeschleunigen aus manchen Kurven auf, und das Federbein könnte noch etwas härter sein.“ Trotz einer wahren Setup-Odyssee mit unterschiedlichen Schwingenwinkeln, Front- und Heckhöhen sowie Dämpfungseinstellungen finden wir keine optimale Abstimmung. Entweder das Bike fährt stabil aber zu weite Bögen (flacher Schwingenwinkel), oder es ist superhandlich und zielgenau, hat aber hinten zu wenig Grip (normaler Schwingenwinkel, Front abgesenkt, Heck angehoben). Und bei allen Einstellungen taucht die Gabel zu weit ein. Weitere Konstante: Die Ducati 1199 Panigale R braucht viel Kettendurchhang, sonst fährt sie unter Zug weite Linien.

Was lernen wir daraus? Erstens: Die Ducati 1199 Panigale R ist kompliziert abzustimmen und reagiert sensibel auf Balance-Änderungen. Zweitens: Für Renneinsätze muss die zu softe Gabel dringend überarbeitet werden. Drittens: Die Ducati Desmosedici ist dagegen ein reinrassiges Rennmotorrad mit klasse Fahrwerk und eigentlich viel zu schade, um sie über die Piste zu jagen.
Natürlich gilt das auch für die Ducati 1199 Panigale R. Doch ein unvergessliches Erlebnis ist es allemal, mit den exklusiven Ducatis schnelle Runden zu drehen. Selbst dann, wenn kein Profi wie Max Neukirchner für ein paar Kurven vor einem herbrennt.
PS-Urteil
Was für ein Vergleich! Es kommt nicht alle Tage vor, mit zwei der exklusivsten Bikes der Welt auf der Rennstrecke herumzutoben, dazu mit einem Piloten aus der Superbike-WM. Der Test zeigt, dass die Ducati Desmosedici RR nur für die Piste geschaffen wurde. Sie ist straff, steif, kompromisslos. Die Ducati 1199 Panigale R macht Zugeständnisse an die Alltagstauglichkeit, was ihre Möglichkeiten auf der Renne etwas einschränkt. Trotzdem ist sie sehr schnell. Um ihr Fahrwerk perfekt abzustimmen, braucht man viel Know-how.
WM-Bike: Das macht den Unterschied

Worin unterscheiden sich eine serienmäßige Ducati 1199 Panigale R und ein auf ihr basierendes Rennmotorrad aus der Superbike-WM? Dazu Max Neukirchner: „Ein deutlicher Unterschied ist die Sitzposition. Auf meinem WM-Motorrad sitze ich wesentlich höher. Das setzt den Schwerpunkt nach oben, wodurch es sich etwas einfacher einlenken lässt. Doch manchmal ist es auch mühsam, das WM-Bike in Wechselkurven von einer in die andere Schräglage umzulegen.“
„Zwar verwenden auch wir Federelemente von Öhlins, doch ohne die elektronische Verstellung. Außerdem steckt in unserem Motorrad eine hochwertige Superbike-Gabel und das ganze Setup ist wesentlich straffer. Dadurch liegt die Ducati sehr stabil, vor allem beim Einbiegen auf der Bremse. Kürzlich haben wir eine steifere Schwinge eingebaut. Doch mit ihr nimmt das Fahrwerk Stöße der Strecke nicht genügend auf, sie hat zu wenig Flex. Außerdem steigt mit ihr der Reifenverschleiß. Deshalb fahren wir wieder mit der Serienschwinge. Am WM-Bike stecken gefräste Monoblocks von Brembo mit Titankolben. Die Serienbremse funktioniert zwar gut, doch in der WM werden die Bremsen so stark beansprucht, da bietet die höherwertige Anlage einfach mehr Reserven.“
„Natürlich ist unser Motor wesentlich stärker als in der Serie. Wie viel Leistung wir haben, darf ich aber nicht verraten. Jedenfalls muss ich beim Rennbike am Kurvenausgang wesentlich vorsichtiger das Gas öffnen als mit dem Serienmotorrad. Auch die Getriebeübersetzung ist anders ausgelegt. Der erste und zweite Gang ist länger, der dritte gleich und vom vierten bis zum sechsten ist unser Getriebe kürzer übersetzt.“
PS-Setup Rennstrecke für die Panigale
Ducati 1199 Panigale R | |
Gabel | |
stat. neg. Federweg | 25 mm |
Druckstufe | Position 1 |
Zugstufe | Position 18 |
Niveau | 5 mm abgesenkt |
Federbein | |
stat. neg. Federweg | 13 mm |
Druckstufe Low | Position 3 |
Zugstufe | Position 12 |
Niveau | Höhenverst. Federb.: 12,2 mm sichtbares Gewinde |
PS-Messwerte

Zwei verschiedene Motorenkonzepte, zwei unterschiedliche Leistungsverläufe: Mit einem Hubraumvorteil von über 20 Prozent (1198 zu 989 Kubik) presst die Ducati 1199 Panigale R in allen Lagen mehr Hengste auf die Prüfstandsrolle als die Ducati Desmosedici RR. Lediglich der maximale Output ist mit 191 zu 188 PS ähnlich. Dank ihrer großen Einzelhubräume generiert die Panigale bei niedrigen bis mittleren Drehzahlen mehr Drehmoment, zudem liegt ihr Spitzenwert früher an und ist einiges höher. Allerdings ist das Leistungsloch zwischen 6.000 und 8.000/min deutlich spürbar. Um den Anschluss an die Panigale einigermaßen halten zu können, benötigt die D16RR hohe Drehzahlen. Erst ab zirka 10.000/min legt der V4 richtig los. Was dann soundmäßig abgeht, ist schlicht grandios!
Interview mit Max Neukirchner

Seit dich 2009 in Monza das Bike des stürzenden Australiers Brendan Roberts brutal aus dem Rennen gerissen hat, verläuft deine Karriere eher holprig. Woran liegt das?
Neukirchner: Das war damals echt hart. Bei dem Unfall wurde ich so schwer verletzt, dass ich monatelang nicht fahren konnte. Deshalb hat mich Suzuki aus dem Werksteam entlassen.
Hättest du nicht ein Jahr später wieder für Suzuki fahren können?
Neukirchner: Theoretisch schon. Aber ich war wegen des Rauswurfs so sauer, dass ich mich nicht mehr mit den Verantwortlichen treffen wollte. Damals dachte ich, ich könnte bei jedem Team und auf allen Motorrädern um den Titel kämpfen. Heute weiß ich: Das war ein Fehler. Ich war zu überheblich. Manchmal ist es besser, den Ärger hinunterzuschlucken und sich zurückzuhalten. So etwas würde mir heute nicht mehr passieren.
Es folgten dann wenig erfolgreiche Jahre im Superbike-Team von Ten Kate auf Honda, in der Moto2 bei MZ und bei Kiefer Racing. Zumindest Ten Kate und Kiefer haben schon Weltmeister gestellt.
Neukirchner: Das stimmt. Wir haben es nie richtig geschafft, die Motorräder perfekt auf meinen Fahrstil abzustimmen. Da
ich sehr stark übers Vorderrad fahre, muss ich unbedingtes Vertrauen in den Vorderbau haben. Nur zwei, drei Leute wissen, wie ich das Motorrad brauche. Bei Kiefer hieß es manchmal: Stefan (Bradl, die Red.) hat mit dieser Abstimmung gewonnen, also fahr so damit. Der zeitliche Abstand nach vorn war manchmal gar nicht so groß. Aber man weiß ja, was eine Sekunde Rückstand in der Moto2-Klasse bedeutet.
Seit diesem Jahr fährst du wieder in der Superbike-WM. Warum auf Ducati?
Neukirchner: Mein Geldgeber möchte das so. Ich fühle mich aber sehr wohl bei dieser Marke, sie hat die treuesten Fans. Außerdem bin ich happy, dass ich mit Mario (Rubatto, die Red.) zusammenarbeiten kann. Er ist einer von denen die wissen, wie sie mein Motorrad abstimmen müssen.
Die Ergebnisse sprechen zumindest bis heute, kurz vor den Rennen in Imola, eine etwas andere Sprache.
Neukirchner: So schlecht sind wir gar nicht dabei. In der Zwischenwertung bin ich immerhin bester Ducati-Fahrer. Wir haben bei jedem Rennen gepunktet.
Trotzdem liegst du nur auf Rang zwölf! Wie kommt es, dass Ducati dieses Jahr hinterherfährt?
Neukirchner: Das hat viele Ursachen. Eine betrifft den Motor. Auf die stärksten Bikes fehlen uns 15 bis 20 PS. Das geht dem Werksteam aber genauso. Sämtliche Motoren werden von der selben Abteilung vorbereitet. Ein weiterer Grund ist, dass wir vor und während der Saison nur wenig testen konnten. Das ändert sich aber gerade, es stehen einige Tests an. Dort kümmern wir
uns um die Elektronik, mit ihren vielen Einstellmöglichkeiten ist sie sehr kompliziert. Außerdem müssen wir nochmal ans Fahrwerk ran. Meine Maschine liegt unruhiger als die vom Werksteam und neigt stärker zu Wheelies.
Welche Platzierungen erwartest du in der restlichen Saison?
Neukirchner: Top Five-Platzierungen sind wohl illusorisch, doch in die Top Ten können wir sicher regelmäßig fahren. Ich weiß, dass einige Leute sagen: Der Max kann’s nicht mehr. Doch das stimmt nicht. Ich bin mir sicher: Wenn alles richtig zusammenläuft, kann ich an meine vergangenen Leistungen anknüpfen. Deshalb freut es mich, dass Ducati von Audi übernommen wurde. Mit dem neuen Rennsport-Chef Gobmeier stehen wir in sehr engem Kontakt. Dadurch erhoffen wir uns noch etwas mehr Unterstützung vom Werk.
Wie hältst du dich fit?
Neukirchner: Ich treibe viel Sport und liebe es, mich dabei zu quälen. Vor allem trainiere ich Ausdauer: Joggen, Radfahren, Schwimmen, im Winter Langlauf. Dazu mache ich mentales Training. In der Woche kommen so rund 15 Stunden zusammen. Und ich achte auf meine Ernährung. Abends verzichte ich zum Beispiel auf Kohlenhydrate.
Was wünschst du dir als Privatperson?
Neukirchner: Gesundheit, dass ich weiterhin Rennsport betreiben kann und dass es meiner Familie gut geht. Außerdem möchten meine Freundin und ich in den nächsten zwei Jahren ein Kind. Ich bin jetzt 30 und will nicht mehr allzu lange warten.