So richtig schön sei es gewesen am vorigen Abend bei
dem Motorradfest in Steigberg, mit Lagerfeuer und dem
Vollmond, schwärmt die Kassiererin an der OMV-Tankstelle in
Ellwangen. Sie sei selber ja nicht da gewesen, aber die Jungs
vom Motorradclub hätten ihr das erzählt. Die seien richtig gut, die
kenne sie alle, die Jungs vom MC Ellwangen, sagt die Kassiererin.
Eigentlich kennt die in Ellwangen so gut wie jeder, nicht
unbedingt die einzelnen Mitglieder, aber zumindest den MC. Der nämlich nimmt in schöner Regelmäßigkeit am Karnevalstreiben
in der Stadt teil, nicht mit den Motorrädern, sondern auf einem Prunkwagen, selbst gebaut. »Wir waren schon Ritter, Pinocchio und Venedig, und einmal haben wir das Motto Bonbon gemacht, weil unsere Stadt immer so spart bei den Umzügen und man immer so wenig Süßigkeiten bekommt«, erzählt Presi Sebastian Fuchs.
Geiz wollen die vom MC sich natürlich nicht nachsagen lassen und haben zum
25-Jährigen ordentlich was aufgefahren.
Bikerspiele soll es geben, Striptease, Rockbands und eine Hot Coyote Bar, wo
Mädchen einem von der Theke Schnaps
in den Rachen schütten, und das bei freiem Eintritt. Erst mal aber gibt es im Festzelt Mainstream Rock der melodischen Art aus der Konserve und Thüringer vom Grill, das eine oder andere Bier aus dem Literhumpen. Es ist die nachmittägliche Übergangszeit, »das sch... Mittagsloch«, wie es heißt, bis der Kater des Vorabends sich so langsam schleicht und der Unternehmungslust des frühen Abends weicht.
Schon seit 16, 17 Jahren kämen sie
regelmäßig zum Treffen des MC nach
Ellwangen, sagt einer aus der Gruppe
Künzelsauer Motorradfahrer, die es sich um ihr mitgebrachtes Fassbier gemütlich gemacht haben. »Das ist doch wie Urlaub. Camping für lau auf der schönen Wiese, Live-Musik und eine echt entspannte Stimmung hier.« Alles prima, finden sie, bis auf die Bierpreise (4,50 Euro der Liter).
Kurt und Hannes von den Wheels of Steel Bavaria sind
zum ersten Mal da. »Wir wollen hier Freunde treffen, die uns die Party empfohlen haben. Und weil wir sowieso jedes Wochenende unterwegs sind, so an die 25000 Kilometer im Jahr, sind wir
halt mal vorbeigekommen.« Einer, der sich Dschudie nennt und mit zwei Kumpels aus Tübingen auf die Ostalb gefahren ist, stopft sein Mittagsloch mit Telefonieren. Oberkörper frei im Zelt sich
räkelnd, informiert er seine Freundin (vermutlich) übers Mobile
von den momentanen Vorgängen in seiner Hose. Die Leute in der Nachbarschaft des laut und ungeniert schwäbelnden Dschudie kriegen, ob sie’s nun hören wollen oder nicht, Telefonsexle gratis.
Derweil rollt Karin ein. Schwere Lederjacke, Reiterhosen, sitzt sie auf einem uralten Gespann. Sie ist sogleich von einem Haufen Kerle umringt. Die fragen, wo denn überhaupt die Federung
sei und was für ein Baujahr und wie viel PS. Unterm Sattel, 1930, zwölf. »Aber fragt jetzt nicht noch, ob’s schwierig ist, als Frau
so was zu fahren, denn als Mann hab’ ich’s ja noch nicht ausprobiert.« Während Karin die restlichen Informationen zu ihrer
D-Rad liefert (aus Berlin-Spandau und, ja, sie fahre auch in Urlaub damit), beginnen an anderer Ecke die Bikerspiele, die genau
genommen keine Spiele sind, denn es bleibt bei nur einem: Es
gilt, einen Holzpfahl zu erklimmen. Dabei zieht sich einer am
geschälten Nadelgehölz nach oben und sieht dabei aus wie ein
altersschwacher Affe, der an Gelenkrheumatismus leidet. Er kommt nicht richtig hoch. Und nicht ran. An die Damenunterwäsche, die droben an einem Metallring baumelt. Wenn man
es schafft, eine der Unterhosen an sich zu reißen, kann man
sich später ja eine verwegene Geschichte dazu einfallen lassen, verwegener jedenfalls als die, zur Belustigung der Umstehen-
den einen Stamm hochgehangelt zu sein. Wer diese sportliche
Herausforderung in praller Nachmittagssonne scheut, darf auf
die Nacht hoffen. Darauf, dass hemmungslose Profistripperinnen sich die Klamotten vom Leib reißen und ihre Leibwäsche ins
kochende Publikum schleudern würden.
Die erste Tänzerin, eine Brünette mit schwarzem Mini und Bustier zu lackweißen Stiefeln, streckt dem Publikum, das noch Abstand hält, den Hintern entgegen. Hinter ihr steht der Sänger der Mangy Coyotes,
der penetrant »Jenna, Jenna, Jenna« grölt, so lautet der Titel des Songs und der komplette Text. Unter dem Oberzeug trägt die Dame, die übrigens nicht Jenna heißt, einen apricotfarbenen Stringbody mit Spinnennetzdekor vorm Bauch. Sie entblößt allerdings nur die Brüste, winkt dann artig ins Publikum, sammelt ihre Dienstkleidung wieder auf und verschwindet hinter der Bühne. Einige Jungs vom MC Immerzu enttäuscht das böse: »Ja leckt’s mi am Oarsch!« Kaum ist die Braut verschwunden, hauen auch die Leute wieder ab, zerstreuen sich. Da nutzt es nichts, dass der Sänger seinerseits es mit Ausziehen versucht und obenrum entblößt »Let’s Rock« schmettert. Denn es rockt fast niemand, nicht mal gescheit zuhören tun
die Leute. »Den Kram kennt doch keiner, wie soll man denn da mitgehen«, sagt Kurt, der
von den Wheels of Steel Bavaria. »Der Kram«
ist Freunden gehobener Unterhaltungsmusik als Rockabilly bekannt, ein Rhythmus, bei dem in Steigberg nicht jeder mit kann.
Die zweite Band des Abends, A.R.E in Begleitung von James Bomb, trifft da eher Kurts Geschmack. Wooly Bully; Keep on
Rocking Me, Baby; Ticket to Ride und so weiter. Nach drei, vier Maß tut es wahrlich gut, im grünweißen Zelt von Evergreens
mit hohem Mitgrölfaktor sich einfach mitreißen zu lassen. Es
ist schon nach Mitternacht, als jeder, der in das Bierzelt findet, nicht umhin kommt, sofort zu merken: Hier ist eine Affenparty im Gange, aber hallo. Liegt’s an der Playlist? Auch. Liegt’s an Lammbräu, Korea und Goißenmaß? Auch. Liegt’s daran, dass sich im Zelt immer mehr Menschen drängen, mit Kutte, ohne Kutte, Biker, Opelgang, Landjugend? Auch. Oder liegt’s an der Midnight-Show? Garantiert. »Alter Vadder«, befindet ein Bekutteter aus
der ersten Reihe, der mit seinem Mobiltelefon fleißig Bilder des schwarz bestiefelten Bewegungstalents geschossen hat (siehe Seite 119), »die ist ja der Hammer. In meinem nächstem Leben werde ich auch so eine Schnecke, dann mache ich richtig Kohle. War die sauheiß, ey!« Und das, obwohl sie ihr Höschen nicht auszog. »Das darf eigentlich nicht sein auf der Midnight-Show einer Bikerparty, dafür geht die noch mal raus«, sagt Löffel, Presi der Wild Tigers Ellwangen und hauptberuflich im Rock- und Event-
geschäft tätig, der die Mädels mitgebracht und die Party für
den MC Ellwangen organisiert hat. Was nicht heißt, dass der an dem Wochenende nix mehr zu tun hat. Die Jungs und Mädels vom MC nämlich mussten, unterstützt von ihren Sprösslingen – »wir haben fast mehr Kinder als Mitglieder und davon 47« –, von mittags bis zum frühen Morgen Wurst und Steaks wenden, Fritten ins Fett versenken, Bier zapfen, Bons verkaufen und überhaupt alles regeln, was im Hintergrund einer solchen Party abläuft.
Zur Erholung können sie ja demnächst gemeinsam zu einer Wiese fahren, wo ein anderer Club ein Bierzelt aufgeschlagen hat.
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Ein Fest für Biker
Ein Prosit der Gemütlichkeit
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Die Wiederkehr des Immergleichen
Es gilt dem selbst ernannten guten Geschmack gemein-
hin als Akt der Selbsternied-
rigung, wenn eine junge
Dame sich vor alkoholisiertem
Publikum der Kleidung entledigt. Doch bei genauerem Hinsehen wird dieser Akt erkennbar als einer der Selbstbefreiung, welcher nicht nur auf, sondern auch vor der Bühne vollzogen werden darf. Man darf sich freimachen – auch von Konventionen – und sich zeigen, wie man wirklich ist, wie man eigentlich schon immer war. Weshalb das
Vergnügen kulminiert in der Wiederkehr des Immergleichen. Was übrigens auch für die Musik gilt, die allerdings, anders als die Dame rechts, mindstens 30 Jahre alt
sein sollte, um anzukommen