Der Dreizylinder-Supersportler von Benelli wurde in zehn Monaten konstruiert und soll nach dreijähriger Entwicklungszeit 2001 auf Rennstrecken und Landstraßen fröhlich mitmischen. Ein Zwischenstand.
Der Dreizylinder-Supersportler von Benelli wurde in zehn Monaten konstruiert und soll nach dreijähriger Entwicklungszeit 2001 auf Rennstrecken und Landstraßen fröhlich mitmischen. Ein Zwischenstand.
Beim jüngsten Test des Prototypen legte der Chef persönlich Hand an. Benelli-Boss Andrea Merloni, 32, rennsporterfahren durch eigene Einsätze in der italienischen Superbike-Meisterschaft Anfang der 90er Jahre und durch sein Superbike-WM-Team Gattolone, zirkelte im Dezember seinen dreizylindrigen Augapfel höchstselbst um den Kurs von Misano.
Die dabei von einem italienischen MOTORRAD-Mitarbeiter heimlich geschossenen Bilder gehören zu den ersten Fahrfotos der Benelli Tornado überhaupt. Denn bislang entwickelte die erst vor vier Jahren wieder erstandene Traditionsmarke ihren wassergekühlten Dreizylinder unter strenger Geheimhaltung ungewöhnlich im plauder- und gerüchtefreudigen Italien. Im Juli 1999 präsentierte Benelli der Öffentlichkeit zwar einen Prototypen (MOTORRAD 17/1999), aber nur als Standmodell; ein Blick in die Entwicklungsabteilung wurde der Presse verwehrt. Die heftigen Diskussionen um die kantig-futuristische Optik des Supersportlers und seine leicht exotischen technischen Lösungen wie den Wasserkühler unter der Sitzbank trieben Benelli danach zu noch mehr Verschlossenheit.
Einen Zipfel des Geheimnisses lüfteten die Italiener jetzt aber doch. Benelli-Boss Merloni zeigte sich nach den Testfahrten »zufrieden mit Fahrwerk und Motor« und gab Auskunft über den geplanten Ablauf der Markteinführung (siehe Interview Seite 41); Benelli-Chefingenieur Riccardo Rosa, 42, der auch in Misano mit strengen Blicken über den Einsatz seines Dreizylinders wachte, erklärte sich zum Gespräch mit MOTORRAD über das Inneneleben des Motors bereit.
Rosa, früher in der Rennsportabteilung von Cagiva und später maßgeblich an der Entwicklung des Vierzylinders der MV Agusta beteiligt, schuf den Benelli-Dreizylinder zwischen September 1997 und Juni 1998 am Computer; gleichzeitig entwickelte das damals fünfköpfige Team in seinem Mailänder Studio, ebenfalls virtuell, das Fahrwerk. Merlonis und Rosas Grundidee war ein renntauglicher, schmaler Dreizylinder, der auch in Serie leicht zu bauen sein musste. Ausgerichtet wurde das ganze Projekt am Superbike-Reglement, das einem Dreizylinder 900 cm3 Hubraum gestattet. Entwickler Rosa hält diese Kombination für zukunftsträchtig. »Die 750er-Vierzylinder sind in Sachen Leistung doch praktisch schon am Limit. Klar, man könnte bis auf 17000/min gehen, aber das funktioniert nur mit pneumatischer Ventilsteuerung wie in der Formel 1. Um dem Superbike-Reglement gerecht zu werden, müssten die Hersteller, die derzeit mit Vierzylindern in der WM starten - also Suzuki, Kawasaki und Yamaha - eine Kleinserie von Motorrädern mit pneumatischer Ventilsteuerung auflegen. Das kostet, und deshalb werden nach Rosas Meinung auch die Japaner noch eine Weile auf diese technische Finesse verzichten.
Die 1000er-Zweizylinder dagegen, so der Ingenieur weiter, könnten die Bohrung zwar noch auf 102 bis 103 Millimeter erhöhen (Ducati derzeit: 98 Millimeter), die Massenkräfte setzten aber den Drehzahlen enge Grenzen. Die kurzhubige Benelli (Bohrung x Hub: 85,3 x 52,4 Millimeter) lässt eine Maximaldrehzahl von 14000/min zu und soll nach den Vorstellungen ihrer Erbauer mit der Konkurrenz gleichziehen: Etwa 180 PS will Rosa dem nur 360 Millimeter schmalen Motor in der Rennversion entlocken. 164 sollen es jetzt schon sein, während sich die Straßenvariante voraussichtlich mit knapp 140 PS begnügen muss.
Noch ungewöhnlicher als die Wahl des Dreizylinders für einen Supersportler ist die Zündfolge, die Rosa in Anlehnung an den Rhythmus der 500er-Grand Prix-Maschinen als Big Bang bezeichnet. Alle drei Zylinder der Tornado zünden im Abstand von 120 Grad innerhalb einer Kurbelwellenumdrehung. Bei der nächsten Umdrehung erfolgt dann kein Arbeitstakt. »So hat das Hinterrad genug Zeit, um wieder Grip auf dem Asphalt zu kriegen, falls es bei der Drehmomentkonzentration vorher die Haftung verloren hat, verspricht Rosa. Diese Zündfolge ist eines seiner Lieblingsthemen, genau wie der in der Branche heiß diskutierte Kühler unter der Sitzbank. Rosa ist davon überzeugt, dass ein zwischen Vorderrad und Krümmer der Auspuffanlage gequetschter Kühler nicht mehr dem Stand der Technik entspricht: »Die Gabel und auch das Vorderrad behindern die Luftzufuhr, der Krümmer wird heiß, und das kann für einen daneben sitzenden Kühler nicht gut sein. An der Benelli führen Lufteinlässe in der Verkleidung die Frischluft zum Kühler unter der Sitzbank, zwei Ventilatoren im Heck saugen die erwärmte Luft ab. Bei den bisherigen Praxistests hat das System funktioniert, Benelli gestaltet Einlass-Schlitze und Luftkanäle des ungewöhnlichen Kühlsystems derzeit sogar immer schlanker, weil der Motor nicht heiß wird.
Zumindest aerodynamische Vorteile kann die ungewöhnliche Positionierung des Kühlers für sich verbuchen. Die Verkleidung lässt sich im vorderen Bereich schmaler gestalten als bei konventioneller Kühleranordnung. Der Motor rückt außerdem weiter nach vorn; ein probates Mittel für gute Fahrstabilität und geringe Kickback-Neigung. Ohne Fahrer liegt auf dem Vorderrad der Benelli deutlich mehr Gewicht als auf dem Hinterrad.
Probleme gibt es mit der Tornado aber auch noch. Die Ausgleichswelle, die die Vibrationen des Dreizylinders im Zaum halten soll, bedarf Rosas Aufmerksamkeit, ebenso die Düsen, die das Öl zur Kühlung unter den Kolben spritzen: »Wir haben noch nicht entschieden, wo sie genau sitzen sollen. Das ehrgeizige Projekt Tornado hätte noch ehrgeiziger ausfallen können, wären da nicht die Produktionskosten für die Serienfertigung. Rosa schwebte ein Motorgehäuse auf zwei Ebenen mit einer raumsparenden Anordnung der Getriebewellen vor. »Dann wäre der Motor und damit das ganze Motorrad noch kürzer geworden. Aus Kostengründen muss er sich jetzt mit einer Trennebene bescheiden. Doch immerhin bekam die Tornado ein Kassettengetriebe, was das Anpassen des Radsatzes an die Charakteristik der jeweiligen Rennstrecke erleichtert: »Der Motor lässt sich in drei Stunden zerlegen und wieder zusammenbauen.
Die Tornado soll natürlich nicht das einzige Benelli-Bike bleiben. Rosa hat schon Pläne für einen Dreizylinder mit 1100 cm3 und kann sich auch einen von der Tornado abstammenden Zweizylinder mit 600 oder 730 cm3 vorstellen, dazu natürlich auch andere Motorradtypen als die supersportlicheTornado. »Die Entwicklung des ersten Motors am Computer ging so schnell, dass wir uns vor Evolutionen wirklich nicht fürchten.
Big Boss Andrea Merloni, der die marode italienische Traditionsmarke Benelli 1996 kaufte und seither pfiffige Roller produziert, darf also aller Voraussicht nach noch viele Runden mit wechselnden Prototypen drehen. Allerdings nicht allzu risikoreiche, denn Chefingenieur Rosa wacht eifersüchtig über seine Kinder.
Motor: Wassergekühlter Dreizylinder-Viertaktmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Einlass 33 mm, Auslass 29 mm, Nasssumpf-Schmierung, Saugrohreinspritzung. Bohrung x Hub 85,3 x 52,4 mmHubraum 898,4 cm3Verdichtung 11,8 :1Nennleistung 103 kW (140 PS) bei 11500/minMax. Drehmoment 93 Nm (9,5 kpm) bei 8 800/minvoraussichtliche Höchstgeschwindigkeit 280 km/hKraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung, Sechsgang-Getriebe, O-Ring-KetteFahrwerk: Gitterohrrahmen/Alugusskonstruktion, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 46 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, verstellbarer Lenkkopfwinkel, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Vierkolbensättel, ø320 mm, Scheibenbremse hinten, Doppelkolbensattel, ø180 mm.Alu-Gussräder 3.50 x17; 6.00 x 17Reifen 120/70 ZR 17; 190/ 50 ZR 17Fahrwerksdaten: Radstand 1395 mm, Sitzhöhe 810 mm, Trockengewicht 185 kg, Lenkkopfwinkel 65,5 - 67,5 °, Nachlauf 89 -102 mm
Wann kommt die Tornado?Im Herbst 2000, und zwar in drei Phasen: Erst 150 Stück der SP Racing, die wir für die Sporthomologation brauchen. Diese Version wird voraussichtlich eine Trockenkupplung haben, der Renn-Kit soll um die 40.000 Dollar kosten. Danach kommt dann die SP Monoposto für rund 28.000 Mark dann die Biposto für 23.000 bis 25.000 Mark.Wo wird produziert? In Ihrem Roller-Werk in Pesaro?Das steht noch nicht fest, aber wahrscheinlich nicht. Die Roller-Montagebänder eignen sich nicht für den Bau eines Motorrads.Wieviel hat Sie die Tornado-Entwicklung bis jetzt gekostet?Rund 30 Millionen Mark, davon flossen 90 Prozent in die Entwicklung des Motors. Wieviele Leute arbeiten an dem Projekt?Inzwischen zehn im Mailänder Studio, außerdem kommen jetzt acht vom Gattolone-Team dazu, die dann von San Marino aus die praktische Erprobung betreiben. Das Gattolone-Team fährt nämlich in dieser Saison nicht in der Superbike-WM mit. Erst wieder nächstes Jahr, aber dann mit unserem eigenen Motorrad.Glauben Sie wirklich, dass Sie bis zum Herbst fertig werden?Wir müssen. Im Oktober ist schließlich die Homologation für die Superbike-WM fällig. Und 2001 auf der Rennstrecke brauchen wir dann auf jeden Fall 180 PS und ein paar gute Platzierungen.