Ergonomisches Sitzen auf dem Motorrad

Ergonomisches Sitzen auf dem Motorrad Total versessen

Wissen wir doch alle, wie man richtig draufsitzt auf dem Motorrad: Hintern auf Bank, Hände an Lenker, Quanten auf Rasten. Aber wie? Ein Ergonom will’s wissen.

Mutter Natur, sie hat den Menschen nicht zum Sitzen evolutioniert. Die Wirbelsäule hat ihre natürliche Spannung im Stehen – aufrechter Gang und so. Ein Problem. Weil der Mensch halt meist rumhockt in seinem Leben. In der Schule, am Arbeitsplatz, vorm Fernseher, am Stammtisch. Und eben auf dem Motorrad. Aber wenn schon dauernd sitzen, dann wenigstens richtig. Findet Physiotherapeut und BMW-Fahrer Dieter Messingschlager und versucht, Erkenntnisse aus der Arbeitsplatz-Ergonomie aufs Motorrad zu übertragen.
Bis zu 45 Prozent der Leistungs-
fähigkeit können flöten gehen, wenn der Mensch falsch sitzt. Das zumindest behaupten Experten, die sich darum kümmern, dass der Lohnempfänger optimal funktioniert. So wie Experte Messing-
schlager sich darum kümmern will, dass der Motorradfahrer optimal funktioniert. Das heißt für den Ergonomen: »Geringere Belastung der Muskelskelettapparatur, Handgelenke und des Schulter-/Nackenbereichs, bessere Durchblutung und Sau-
erstoffversorgung der Organe.« Was bringt denn das? »Kürzere Reaktionszeit, besseres Gleichgewicht, leichteres Erspüren des Einswerdens mit dem Motorrad, umfassende Körperkontrolle durch Schwerpunktverlagerung.«
Wie soll das gehen? Hat Messingschlager das Sitzen neu erfunden? Oder das Motorrad? Weder noch. Doch packt er modernstes Messequipment aus, seine Spinalmaus. Mit der rutscht er der auf
einem Sportler gekrümmten Corinna den Buckel runter. Und sieht dank Funkübertragung auf seinem Laptop gleich, was faul ist an ihrer gefalteten Haltung: Das Becken sackt nach hinten, die Lenden-
wirbelsäule verliert die Spannung, der Rücken wird rund, die Schultern hängen nach vorn. Dadurch erhöht sich der Druck auf die Handgelenke, und der Kopf wird überstreckt. Auf Dauer, prophezeit der
Ergonom, führe das zu Verspannungen und muskulärem Ungleichgewicht.
Sieht hingegen eigentlich so aus, wie es bei jedem aussieht auf einem Sportler wie der MV. Und auch nicht schlecht. Doch wie wäre es besser? »Becken nach vorn kippen. Das richtet die Wirbelsäule auf, stabilisiert den Rumpf, bringt mehr Körperspannung.« Sieht aber extrem seltsam aus und überhaupt nicht so, wie es die Profis auf den Rennstrecken machen. Vermutlich haben Rossi, Capirossi und Co. noch keinen Ergonomieberater. Die jedoch müssen ja nur möglichst schnell unterwegs sein, und wenn sie entspannt ankommen, haben sie was falsch gemacht. »Wer derart aufrecht auf einem Su-
persportler sitzt, hat sowieso was falsch
gemacht. Nämlich das falsche Motorrad gekauft«, sagt Stefan, Tester bei PS, dem Sport-Motorrad Magazin. Der sich gerade auf die Suzuki Marauder lümmelt. »Ich glaub’, auf so einem Motorrad kann man überhaupt nicht gescheit sitzen.« Das
will Messingschlager nicht gelten lassen. Allerdings gesteht er ein, dass Chopper und Cruiser wegen Muldensitzbank und Fußrastenposition die Bewegungsfreiheit einschränken. Wobei er eine Bewegung kennt, die dort ebenfalls helfen könne: »Becken nach vorn.« Das Gleiche darf sich Olli anhören, der die KTM erklommen hat. Ebenso Corinna, die vom Sportler MV auf den Supersporttourer FJR umgestiegen ist.
Egal also, wer sich mit welcher Figur auf welches Motorrad niederlässt, scheint es einen wesentlichen Punkt zu geben, auf den sich Messingschlagers Aufmerksamkeit konzentriert. So auf der Mühle zu hocken, dass die Wirbelsäule möglichst geformt ist wie im Stand. Demnach wäre Trial oder Enduro die gesündeste Form des Motorradelns. Aber: Der Ergonom ist nicht so verbohrt zu glauben, er predige die einzig wahre Sitzposition.
»Irgendwann tut einem ohnehin alles weh, wenn man lange genug draufhockt«, sagt Stefan. »Stimmt«, räumt Messingschlager ein, »die meisten variieren ihre Position eh, um sich zu lockern, aber mir geht es um die bewusste Auseinandersetzung mit der Sitzhaltung.« Weniger Geübten kann das eine Hilfe sein. Vor allem jedoch dürften Messing-
schlagers Ratschläge den BMW-Fahrer interessieren, der eine Maschine mit Ergonomiepaket bewegt und sich fragt: »Warum tut mir trotzdem das Kreuz weh?« Für alle anderen gilt: Motorradfahren macht Spaß. Und Dinge, die Spaß machen, sind halt selten gesund.
Kontakte unter: info@rueckenrat.de. 

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