Privatfahrer Paul Schäfer hatte genug vom träumen und kaufte sich eine brandneue Honda NSR 500 V2. Einfach so zum Spaß - und um in der 500er DM-Klasse die Vierzylinder zu ärgern.
Privatfahrer Paul Schäfer hatte genug vom träumen und kaufte sich eine brandneue Honda NSR 500 V2. Einfach so zum Spaß - und um in der 500er DM-Klasse die Vierzylinder zu ärgern.
Paul Schäfer und seine Mechanikercrew hocken eingemummt in der Box am Nürburgring, über dem wie so oft ein dichter Schleier aus Nieselregen und Nebel wabert. Eigentlich wollte die Truppe an diesem tristen März-Tag erstmals der neuen 500er V2-Honda auf den Zahn fühlen, aber bei Temperaturen knapp über Glatteis sollten für sie und den eingeladenen MOTORRAD-Testfahrer mehr als ein paar zahme Runden nicht drin sein.
Die widrigen Bedingungen können Paul Schäfers Besitzerstolz jedoch keineswegs trüben. Schließlich hat er als einziger deutscher Fahrer einen der elf nach Europa ausgelieferten V2-Production Racer ergattert. »Für mich ist so ein Ding der große Traum«, schwärmt der 43jährige gelernte Motorradmechaniker, der mit dem Handel von Motorrädern und Autos seine Brötchen verdient. Anfang der 80er Jahre noch im 350er und 500er OMK-Pokal unterwegs, erlitt der Privatfahrer aus der Eifel im vergangenen Jahr einen akuten Rückfall und preschte mit einer betagten Dreizylinder-Honda RS in der 500er DM-Klasse mit. Angestachelt von der Eifeler Rennfahrerclique um Rahmenbauer Werner Juchem und Lebenskünstler Gerhard Vogt, besorgte sich Schäfer schließlich für die 1997er Saison - die Halbliter-DM startet am 27. April auf dem Nürburgring - den neuesten Honda-Production Racer: die NSR 500 mit Zweizylindermotor.
Klein und zierlich kauert die 170 000 Mark teure Replica der letztjährigen Werksmaschinen von Tadayuki Okada und Shinichi Itoh in der Box, kaum größer als Schäfers Trainingsmotorrad, eine etwas abgetakelte RS 250, die zum Aufwärmtraining für die Fahrer gleich daneben geparkt ist. Aber nicht nur die äußerlichen Maße hat die NSR 500 mit der kleinen 250er gemein, auch die grundlegenden Konstruktionsmerkmale von Fahrwerk und Motor sind identisch. Die im 100-Grad-Winkel aufgespreizten Zylinder entsprechen in puncto Layout und Kanalanordnung der 250er Variante. Die Steuerzeiten und Kanalquerschnitte sind aber weniger auf Maximalleistung, sondern eher auf Durchzug und sattes Drehmoment ausgelegt.
125 PS leistet der Renner in der für Deutschland zugelassenen Version, denn nach dem neuen Reglement muß in der DM auf hochoktanigen Rennsprit verzichtet werden. Für die Honda-Motorenspezialisten kein Problem, die NSR 500 V2 wird bereits im Werk mit niedriger Verdichtung, einer geänderten Zündkurve und weiteren kleinen Modifikationen so getrimmt, daß sich der erlesene Kundenkreis keine Gedanken über Kolbenklemmer und Überhitzungsprobleme machen muß. Zehn PS mehr leisten dagegen die Motoren der GP-Version, die nach dem WM-Reglement weiterhin mit bleihaltigem Rennsprit befeuert werden dürfen.
Eine unter dem Getriebe rotierende Ausgleichswelle soll allzu derbe Vibrationen des leicht langhubigen (68 Millimeter Bohrung zu 68,8 Millimeter Hub) und mit 90-Grad-Zündversatz arbeitenden Twins bändigen. Und das ist auch gut so, denn als tragendes Element ist der Motor starr, ohne dämpfende Gummielemente im Alu-Rahmen verschraubt. Gerademal 109 Kilogramm wiegt der 500er Production Racer, der mit einem unglaublich leichten Karbonfaser-Rahmenheck und sündhaft teuren Bremsscheiben aus demselben Werksstoff ausgeliefert wird. Doch darauf wollte Privatier Schäfer verzichten und montierte konventionelle Gußscheiben.
Feine Technik auch bei den Federelementen. Die Zugstufendämpfung der Upside-down-Gabel läßt sich über zwei getrennte Systeme im High- und Lowspeed-Bereich akribisch justieren, vorausgesetzt, der Mechaniker bekommt solch komplexe Angelegenheiten tatsächlich in den Griff. Nicht weniger Möglichkeiten bieten sich achtern beim über ein Hebelsystem angelenkten Zentralfederbein: alles exakt verstellbar und vor allem piekfein verarbeitet.
Erfreulich, daß sich an diesem trüben Tag doch noch die Sonne durch die Wolken zwängt. Also ab mit der Honda auf die eiskalte Piste. Zunächst geht´s fast immer rechtsrum, dann wird die Maschine in der Schikane kurz und hart nach links umgelegt - schwupp, schon schrubbt die Honda mitsamt dem MOTORRAD-Gastfahrer durchs Kiesbett. Aber keine Sorge, das war die kleine 250er - wie gesagt, zum Anwärmen. Mit der kostbaren NSR 500 bleibt´s dabei: sanft um den Kurs rollen, kurz mal die Pferde galoppieren und das Vorderrad durch die Lüfte schweben lassen. Unglaublich, wie druckvoll, dabei aber trotzdem fein dosierbar der Twin aus den Ecken schiebt. Ab 5000/min steht jede Menge Leistung zur freien Verfügung, die in linearem Anstieg bei knapp 11000/min ihr Maximum erreicht. Man muß sich gehörig umstellen bei der V2, die trotz weniger Gangwechsel und tiefen Drehzahlen wie ein Katapult von einer Ecke zur anderen fliegt, das Vorderrad dabei immer leicht anhebt, aber nie mit gemeinem Biß zum Überschlag neigt.
Nach einer Handvoll Runden packen wir die NSR 500 V2 wieder unversehrt in den Transporter von Paul Schäfer. Denn der will auf schnellstem Weg in den sonnigen Süden zum Training. Seinen Traum erleben.