Maschine abends zum Händler stellen, tags darauf abholen und brav die Rechnung bezahlen mehr bekommen die meisten Motorradfahrer von einer Inspektion nicht mit. Doch was geschieht im Verborgenen? MOTORRAD schaut hinter die Kulissen.
Maschine abends zum Händler stellen, tags darauf abholen und brav die Rechnung bezahlen mehr bekommen die meisten Motorradfahrer von einer Inspektion nicht mit. Doch was geschieht im Verborgenen? MOTORRAD schaut hinter die Kulissen.
Den Blick auf das Wartungsprotokoll für die Suzuki TL 1000 S kann sich Patrick Bérard eigentlich sparen. Nach acht Jahren als Zweiradmechaniker beim Reutlinger Vertragshändler Herbert Speer kennt der 25-jährige Schwabe die TL aus dem Effeff, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Umrüstaktionen nach dem missglückten Start des V2-Sportlers.
Doch das ist Vergangenheit. Aktuell steht die routinemäßige 24000er-Inspektion einschließlich Ventilspielkontrolle an. Patrick Bérard bugsiert die Suzuki auf die Hebebühne und macht eine Sichtkontrolle. Keine Auffälligkeiten. Im ersten Arbeitsschritt versorgt er sämtliche Hebel und Scharniere mit Schmiermittel, dann checkt er die Schrauben und Muttern der Radachsen, der Bremszangen, der Motorhalterungen (1), der Krümmerflansche sowie die Kühlwasserschläuche.
Zur Ventilspielkontrolle am vorderen Zylinder müssen die Verkleidung und die unteren Halter des Kühlers demontiert werden, um diesen nach vorne klappen und mit einem Distanzstück fixieren zu können. Nur so ist der Ausbau von Zündkerze und Ventildeckel möglich.
Als unmöglich erweist sich der Ver-
such, den Deckel über dem linken Kurbel-
wellenstumpf herauszudrehen. Der Zugang zur Kurbelwelle ist notwendig, um die
Nockenwellen zur Kontrolle des Ventilspiels in die richtige Position zu bringen. Nach-
dem weder der Einsatz von Gummihammer noch Heißluftgebläse zum Erfolg führen, entscheidet der Meister, den widerspenstigen Deckel mit einem Meißel aufzustemmen (2), was letztlich gelingt.
»Nach unserer Erfahrung läuft die
TL am besten, wenn man bei der Einstellung des Ventilspiels an die obere Grenze der Toleranz geht«, erzählt Bérard, während er die Kurbelwelle auf die Markierung ausrichtet (3). Die Messungen am vorde-
ren Zylinder (4) ergeben drei außerhalb
der Toleranz liegende Ventile. Also müssen die Nockenwellen ausgebaut werden (5), um die Tassenstößel mit den darunter
befindlichen Einstellscheiben (Shims) abnehmen zu können (6). Per Mikrometerschraube bestimmt Bérard den jeweils richtigen Shim (7), platziert diesen zwischen Ventilschaft und Tassenstößel (8) und baut alle Teile in umgekehrter Reihenfolge wieder ein. Die gesamte Prozedur wiederholt er am hinteren Zylinder, weil dort ebenfalls ein Ventil den Toleranzbereich überschreitet.
Anschließend werden bei laufendem Motor und abgenommenem Luftfilterkasten die Drosselklappen der Einspritzanlage synchronisiert (9). Es folgen die Kon-
trolle des Luftfiltereinsatzes (10) und der
Wechsel von Motoröl sowie Filter (11). Die
Justage des Kupplungsspiels (12) schließt die Wartungsarbeiten am Motor ab.
Herbert Speer, Vertragshändler für Cagiva, Honda, MV Agusta,
Piaggio und Suzuki, zum Thema Inspektion und Kosten.
Warum ist es wichtig
die regelmäßigen Wartungsintervalle einzuhalten?
Zum einen, weil die
Hersteller Garantieansprüche in der Regel nur anerkennen, wenn alle vorgeschriebenen Durchsichten beim Vertragshändler erledigt wurden. Zum anderen wirkt sich ein lückenlos gestempeltes Wartungsheft stets vorteilhaft auf den Wiederverkaufswert aus. Die Lebensdauer der Motorräder, insbesondere bei heftig rangenommenen Supersportlern, profitiert davon ebenfalls. Außerdem stellen wir immer
häufiger fest, dass Kunden mit den vielfältigen Einstellmöglichkeiten des Fahrwerks moderner Motorräder überfordert sind. Einige sind sich dessen jedoch nicht bewusst, so dass eine falsche Abstimmung erst bei der obligatorischen Probefahrt erkannt und korrigiert wird.
Verursachen die leistungsstarken Motorräder von heute automatisch höhere Inspektionskosten?
Nicht unbedingt, wenn man nur die reinen Inspektionskosten betrachtet und eventuell notwendige Verschleißteile wie Reifen, Bremsbeläge oder einen Kettensatz nicht dazurechnet. So sind beispielsweise Einspritzanlagen weniger wartungsintensiv als Vergaser. Zudem wird bei modernen
Motorrädern, allen voran die leichten und starken Sportler, schon bei der Konstruktion auf eine einfache Wartung geachtet. Bei diesen Modellen sind die meisten wartungsrelevanten Bauteile leicht zugänglich, während ältere Motorräder oftmals recht verbaut sind und deshalb einen wesentlich höheren
Zeitaufwand bei der Inspektion erfordern. Dies gilt auch für
die komplizierteren V2-Triebwerke, die im Vergleich zu Reihenmotoren beim Service immer etwas teurer sind.
Welche Möglichkeiten haben Kunden, die Inspektionskosten zu reduzieren?
Während der Garantiezeit keine. Ansonsten kann man mit dem Werkstattmeister absprechen, dass kleinere Arbeiten wie Züge abschmieren, Kette spannen oder die Kontrolle der Schraubverbindungen in Eigenregie erledigt werden. Dabei sollte man aber bedenken, dass die Werkstatt den Stempel für eine vorschriftsmäßige Inspektion nur vergeben kann, wenn sie alle Checkpunkte abgearbeitet hat. Wer sein Motorrad eher sachte fährt, kann die Intervalle auch mal um 3000 Kilometer strecken. Zudem sind die Werkstätten selbst bemüht, Kosten zu sparen. Wir ersetzen beispielsweise Ventildeckeldichtungen nicht nach Wartungsvorschrift, sondern nur nach tatsächlichem Bedarf.
Worauf sollte man bei der Auftragserteilung achten, um
Missverständnissen vorzubeugen?
Ein bekannter Mangel oder sonstige Auffälligkeiten sollten bereits bei der Abgabe der Maschine erwähnt werden, ebenso das gewünschte Öl. Um Missverständnisse auszuschließen, haben wir für jedes Motorrad Checklisten entworfen, in denen die Kunden gezielt nach Problemen befragt
werden, die nach unserer Erfahrung beim jeweiligen Modell auftreten können.
Die Wartungskosten eines Motorrads hängen von den Richtzeiten und
den Service-Intervallen ab. Bei den Richtzeiten in der Tabelle gilt es zu beachten, dass sich diese immer
nur auf die Regelintervalle beziehen. Bei geringen Saison-Fahrleistungen schreiben die Hersteller Jahresinspektionen vor, die hier nicht
berücksichtigt werden konnten.
Dennoch lässt der für jedes Modell bis zu einer Laufleistung von 50000 Kilometern berechnete Gesamtzeitbedarf interessante Rückschlüsse zu. So erfordern komplett neu konzipierte Motorräder aufgrund der wartungsfreundlicheren Konstruktionen zumeist einen geringeren Zeitaufwand bei Inspektionen, wie der exemplarische Vergleich der Kawasaki-Modelle ZX-10R und ZRX 1200 R belegt.
Zudem müssen viele moderne Bikes seltener zum Kundendienst. Kostentreiber sind indes kurze Intervalle, selbst bei den hubraumschwachen 125ern von Aprilia und Honda.
Dass ein hoher Kaufpreis nicht automatisch ein Indiz für hohe Folgekosten sein muss, beweist die Triumph Rocket III. Der 2,3-Liter-Cruiser
beansprucht von allen aufgeführten
Modellen die geringste Service-Zeit. Das andere Extrem ist trotz
langer Intervalle die Ducati 999:
Bei gleicher Laufleistung steht sie
fast viermal so lange auf der Hebebühne des Service-Mechanikers.
Und Zeit ist Geld, gerade in der
Werkstatt. Wer sparen will, kommt nicht umhin, die höchst unterschiedlich kalkulierten Stundensätze der Servicebetriebe zu vergleichen. Sie können je nach Region um bis
zu 100 Prozent differieren.
Weiter gehts mit der Kontrolle der Fahrwerkskomponenten. Zunächst ist das Lenkkopflager an der Reihe. Bei angehobenem Vorderrad fahnded der Werkstattmann nach einem falsch eingestellten
Lager sowie nach Druckstellen, die die
Gabel in einer bestimmten Stellung »einrasten« lassen (13). Bei der schwarzen
TL ist jedoch alles in Ordnung. Dies gilt auch für den Lenkungsdämpfer, dessen Funktion mittels Zug über eine am Lenker befestigte Federwaage gemessen wird.
Ein Häkchen im Wartungsprotokoll gibt es ebenso beim Prüfpunkt Gabel: Die Standrohre sind frei von Steinschlägen
und Ölspuren. In einwandfreiem Zustand sind zudem die Lager der Räder sowie der Schwinge. Während die Sichtprüfung von Bremsbelägen und -schläuchen ebenfalls positiv ausfällt, vermeldet der elektronische Bremsflüssigkeitstester Handlungsbedarf: An der hinteren Bremse übersteigt der Wassergehalt der Hydraulikflüssigkeit den kritischen Wert (14). Der Wechsel ist dank einer speziellen Absaugvorrichtung ohne langwieriges Entlüften rasch erledigt.
Noch ein Blick auf das Spiel und
die Verlegung der Gaszüge, dann erfolgt der Zusammenbau. Bevor die TL die Hebe-
bühne verlässt, bekommt die Kette ihr Fett ab. Daran schließen sich die Kontrollpunkte Reifenluftdruck, Beleuchtung (15) und Kettenspannung bei aufgesessenem Fahrer (16) an. Zum Schluss erfolgt die Probefahrt über mehrere Kilometer (17).
Für die große Inspektion mit Ventilspielkontrolle veranschlagt Suzuki bei der TL 1000 S eine Richtzeit von 3,6 Stunden, bis alle Prüfpunkte des modellspezifischen Wartungsprotokolls korrekt abgearbeitet sind. Eventuell erforderliche Einstellarbeiten oder Erschwernisse werden extra berechnet. Mit seiner Unterschrift steht Patrick Bérard für die geleistete Arbeit nach Herstellervorschrift gerade (18), die dem Kunden im konkreten Fall eine Rechnung über 282,02 Euro, einschließlich der benötigten Teile, beschert.