Sind BMW-Motorräder lebensgefährlich, fragte das ARD-Magazin »Plusminus«. Hintergrund waren Stürze trotz oder sogar wegen? des bei vielen Maschinen eingebauten Teilintegral-ABS.
Sind BMW-Motorräder lebensgefährlich, fragte das ARD-Magazin »Plusminus«. Hintergrund waren Stürze trotz oder sogar wegen? des bei vielen Maschinen eingebauten Teilintegral-ABS.
Samstag, 9. Juli 2005, 20.00 Uhr,
Tagesschau: Minutenlang berichtet das Fernsehen dem Millionenpublikum über kritisches Bremsversagen an BMW-Motorrädern. Eine im Motorradbereich bisher beispiellose Medienkampagne überrollte Anfang Juli die Münchner Zentrale. Was war passiert?
Den Stein ins Rollen gebracht hatte
bereits im Juni das Magazin »MeX« des Fernsehsenders HR 3. Das ARD-Ver-
brauchermagazin »Plusminus« griff das Thema auf, und auch der »Spiegel« sowie viele Tageszeitungen und Internet-Seiten berichteten darüber. Der Hintergrund: Es gebe Probleme mit dem BMW-Teilinte-
gral-ABS, die zu Stürzen geführt hätten. Zitiert wurden unter anderem ein Rennfahrer, dessen Bremse 2003 während
eines Rennens ausgefallen war, sowie zwei Teilnehmer von ADAC-Sicherheitstrainings, die wegen blockierendem Vorderrad nach ABS-Versagen stürzten. Andere Fahrer konnten einen Unfall nach vermeintlichem Bremsversagen vermeiden.
Erwiesen ist, dass es unter Extrembedingungen zum Aussteigen der ABS-Funktion und Blockieren des Vorderrads kommen kann. Der Grund ist eine zu geringe Bordspannung nach längerem Stop-and-go-Verkehr in Verbindung mit häufi-
gen Bremsmanövern im Regelbereich, wie es typischerweise bei Sicherheitstrainings vorkommt. Nur dann kann das ABS
plötzlich während eines Bremsvorgangs versagen. Und das außerdem nur, wenn
der Fahrer extrem schnell mit sehr hoher Handkraft am Bremshebel zieht, so BMW. Diese Erkenntnisse haben die Münchner mittlerweile in einem internen Rundschreiben den Händlern mitgeteilt, auch die Kunden sollen demnächst informiert werden.
In üblichen Fahrzuständen auf der Straße ist das Abschalten von ABS und Bremskraftverstärker aneinander gekoppelt. Das sind Fälle, in denen Fahrer einen Ausfall der Bremse bemängeln. Als einziger Motorradhersteller verwendet BMW seit 2001 bei Maschinen mit teil- oder vollintegralem ABS einen elektrohydraulischen Bremskraftverstärker. Bei einer Fehlererkennung fällt die Bremse in die Restbremsfunktion, signalisiert das durch schnelles Blinken einer Kontrollleuchte im Cockpit. Die Bremswirkung ist dann schwächer und in einer Notsituation nur schwerlich schnell genug und kontrolliert aufzubauen. Bis-
lang ist bei BMW jedoch noch kein folgenschwerer Unfall bekannt, der zweifelsfrei auf den Ausfall der Bremse oder den überraschenden Rückfall in die Restbremsfunktion zurückzuführen ist.
Dass Fahren mit BMW-Motorrädern nun plötzlich lebensgefährlich sein soll, wie es manche Medien suggerieren, erscheint also reichlich abwegig. Sicher hat jedes Bauteil eine gewisse Schadensquote. Zahlreiche Bremsdefekte an Testmaschinen anderer Hersteller beweisen, dass auch konventionelle Bremsanlagen versagen können. Die bisher sehr geringe Fallzahl an Beanstandungen und Vorfällen spricht eher für die Zuverlässigkeit des BMW-Systems. Denn insgesamt sind, so die Angaben des Herstellers, etwa 260000 Motorräder mit teil- oder vollintegralem ABS im Einsatz. Laut ADAC, der zwischenzeitlich eine Umfrage unter BMW-Fahrern machte, ist die Bremse zu »99,9 Prozent« sicher. Trotzdem muss natürlich jeder
Einzelfall untersucht werden, um daraus gegebenenfalls Konsequenzen zur Produktverbesserung zu ziehen.
MOTORRAD hatte in vielen Tests der Vergangenheit gewisse Funktionsmängel des Integral-ABS kritisiert, sieht jedoch keinen Anlass, vor dem System zu warnen. Bei den Bremstests zum großen ABS-Vergleich in Ausgabe 12/2005 überzeugte das Integral-ABS, Ausfälle gab es dort trotz zigfacher, direkt aufeinander folgender Versuche nicht. Dennoch wird MOTORRAD dem Integral-ABS in Kürze noch einmal gründlich auf den Zahn fühlen.
Mit dem Integral-ABS bietet BMW
ein Sicherheits-Feature, das schon viele Fahrer vor Stürzen und schweren Unfällen bewahrt hat. BMW war Vorreiter bei der Verbreitung von ABS-Bremsen. Da ist es schon irgendwie paradox, dass eine solche Medienkampagne ausgerechnet die Bayern erwischt hat.
Dr. Herbert Diess, Chef von BMW Motorrad, zum Medienrummel
um Probleme mit dem Integral-ABS
Sind BMW-Motorräder mit Integral-ABS unsicher?
Nein! Das Integral-ABS ist wie alle BMW-Bremssysteme und Baugruppen umfangreich erprobt, es unterliegt der permanenten Qualitätsüberwachung und erfüllt alle gesetzlichen Bestimmungen und
die darüber hinausgehenden BMW-internen strengen Sicherheitsmaßstäbe.
Wie viele Unfälle aufgrund von Bremsproblemen sind Ihnen bisher bekannt?
Es gab einige wenige Stürze, eingerechnet die bei den Sicherheitstrainings, wo wir unmittelbar mit Maßnahmen reagiert haben. Nach unserem heutigen Kenntnisstand gab es aber keine schweren Unfälle. Seit Einführung des Systems im Frühjahr 2001 zählen wir einige hundert Kunden, die sich bei unseren
Händlern gemeldet haben und mit dem Bremssystem nicht zufrieden waren. Das reicht von Eingewöhnungsschwierigkeiten beim Einsetzen der normalen ABS-Regelfunktion über Beanstandungen bei der Dosierbarkeit bis hin zu tatsächlichen Fehlern, bei denen
das System wie vorgesehen in die mechanisch-
hydraulische Grundbremsfunktion ging. Optimierungsmaßnahmen führten in der laufenden Serie zu einem kontinuierlichen Rückgang dieser Beanstandungen.
Wie reagiert BMW auf die Medien-Kampagne?
Mit Offenheit und sachlicher Aufklärung, die für die Kunden über unsere Händler erfolgen. Bezüglich der Sondersituation Fahrsicherheitstraining erhält jeder Kunde weltweit eine Ergänzung zur Bedienungsanleitung. Mit dem Angebot eines Systemchecks kann jeder Kunde die Bremsanlage seine Motorrads kostenlos überprüfen lassen.
Was wird dabei in der Werkstatt genau gemacht?
Ein kompletter, detaillierter Systemcheck der gesamten Bremsanlage, dazu gehört das Auslesen des Fehlerspeichers, Prüfung des Bremsflüssigkeitsstands und ein Entlüftungscheck, eine Sichtprüfung von Bremsscheiben und -belägen, Prüfung der gesamten Sensorik, der Anzeigen und der Bremslichtschalter.
Zusätzlich wird der Ladezustand der Batterie geprüft.
Was raten Sie betroffenen Fahrern?
Nicht verunsichern lassen. Die teils emotional geführte Diskussion und ein Teil der Medienberichte enthält Schilderungen, die einer sachlichen Prüfung nicht standhalten. Eine Reihe von Zusammenhängen ist, so wie über sie berichtet wurde, schlichtweg falsch! Trotzdem verunsicherten Kunden raten wir, sich an Ihren BMW-Händler zu wenden.
Der komplexe Aufbau des Integral-ABS ist intern nicht unumstritten. Sind Änderungen geplant?
Der von uns betriebene technische Aufwand
ist notwendig, um die umfangreichen Sicherheits-
funktionen zu erfüllen. Dazu zählen die Abhebe-Schutzfunktion, die adaptive Bremskraftverteilung,
die Integralfunktion, die Bremskraftunterstützung und natürlich das ABS selbst. Wir sind überzeugt, mit dem
Integral-ABS in der Summe seiner Eigenschaften das
derzeit leistungsfähigste und beste Bremssystem für Motorräder auf dem Markt zu haben. Größere technische Änderungen sind nicht geplant, und wir sehen auch keinen Grund dafür.
Entwickelt BMW zurzeit neue Bremssysteme für die Zukunft? Werden auch die mit einem elektrischen Bremskraftverstärker arbeiten?
Die Entwicklungsarbeiten am Nachfolgesystem haben bereits vor einiger Zeit begonnen. Sie können davon ausgehen, dass zukünftige Systeme das integrale Konzept konsequent fortführen. Der Technologiefortschritt in den letzten Jahren eröffnet jedoch zukünftig Möglichkeiten, Funktionalitäten des bisherigen Systems auf andere Art als bisher darzustellen. Mehr möchte ich zu diesem frühen Zeitpunkt dazu nicht sagen.
P Verfahren Sie beim Start nach Bedienungsanleitung: Brems- und Kupplungshebel nicht
ziehen, Zündung einschalten, Selbstdiagnose
abwarten, Motor starten.
P Prüfen Sie immer, ob die ABS-Warnleuchte nach Fahrtbeginn erlischt.
P Unterbrechen Sie die Fahrt, wenn die
Warnleuchte eine Störung meldet. Fahren Sie
in der Restbremsfunktion extrem vorsichtig.
P Achten Sie stets auf den einwandfreien
Zustand von Batterie und Elektrik, lassen Sie Umbauten an der Elektrik nur von versierten Fachleuten vornehmen.
P Vermeiden Sie längere Standzeiten mit
eingeschalteter Zündung.
P Vermeiden Sie vielmaliges Bremsen im
ABS-Regelbereich in schneller Folge, etwa bei Sicherheitstrainings.
P Wenden Sie sich umgehend an Ihre Fachwerkstatt, wenn es zu Problemen oder Auffälligkeiten mit der Bremsanlage kommt.
P Nehmen Sie den kostenlosen Systemcheck in Anspruch, wenn Sie sich verunsichert
fühlen, wenn Auffälligkeiten passiert sind oder wenn Sie Fragen zum ABS haben.