Impression Rickman Métisse Triumph T 150 V
Der richtige Rahmen

Die Brüder Don und Derek Rickman bauten Legenden aus nahtlos gezogenem Reynolds-Rohr: schöne stabile Rahmen für potente Motoren von Triumph, später auch Honda oder Kawasaki. Das Endprodukt hieß Métisse, Mischling also, und taugte fast immer dazu, reinrassige Serienbikes abzuhängen. Als klassisches Spätwerk darf der hinreißende Café Racer mit Triumphs Dreizylinder gelten, der ab 1972 entstand. »Ne echte Granate«, findet Helmut von Ahn, stolzer Erstbesitzer.

Der Rückspiegel auf der Fiberglasverkleidung vibriert, ich kann gerade so erkennen, dass er sich wieder erholt, der Fahrer des Sindelfinger Coupés. War wohl ein ordentlicher Schreck für ihn, als ich direkt neben seiner A-Säule in den Dritten geschaltet hab und der lüftgekühlte Dreizylinder – untermalt vom Ansaugschlürfen von drei 26er-Amal-Concentrics – beim scharfen Beschleunigen mal wieder dieses unvergleichliche Brüllen aus der Drei-in-eins heraustrompetete. Selber Schuld, hier auf der Grünen Küstenstraße Richtung Pinneberg muss keiner mit knapp 70 herumschleichen, das gehört sich nu wirklich nicht. Bei 8000 Touren hab ich mich erbarmt und hochgeschaltet, da ging die Nadel im Smith-Drehzahlmesser dann wieder auf sinnige 5000 Touren zurück. Hohe Drehzahlen verdaut der Triumph-Motor auch heute, mit rund 80 000 Kilometern auf der Uhr, ja noch prima. Anders als meine Norton 650 SS, die ich vorher hatte. Deren Twin schüttelte regelmäßig alle Schrauben ab, und wenn du ’n büschen flottere Gangart anschlugst, war das Ding kaum noch zum Stehen zu bringen.
Nicht nur aus Italien, auch aus England kamen damals, vor knapp über 30 Jahren, noch echte Sportmotorräder. Um ihren polternden Twins das Laufen beizubringen, haben die Tommies repariert, bis die Schwarte krachte, und die in Frage kommenden Motoren mit Vorliebe in fremde Rahmen verpflanzt: So entstanden unzählige Tritons, Norvins und sogar Norbsas. Das heißt: Triumph-Motor mit Norton-Fahrwerk, Norton-Twin mit Vincent-Rahmen oder eben Norton in BSA. Don und Derek Rickman, zwei findige Brüder aus Südengland, erkannten diesen Trend. Doch die beiden Motocross-Asse wollten höher hinaus und begannen 1959, eigene Rahmen aus dünnwandigem, nahtlos gezogenem Reynolds 531-Rohr zu perfekten, hartgelöteten Doppelschleifenrahmen zusammenzubauen. Gemeinsam mit dem Bremsenhersteller AP Lockheed, später auch mit Motorenbauer Harry Weslake, entwickelten sie gar einen kompletten Métisse-Fahrwerkskit für Triumph-Zweizylinder. Das Geschäft florierte, bis das »alte« Triumph-Werk in Meriden 1973 bestreikt wurde und das Image dieser Traditionsmarke langsam den Bach runter ging.
Begeistert für das Rickman-Fahrwerk hatte sich meine Hamburger Clique, als Klacks im Mai 1968 so ’ne schlanke Rakete für «Das Motorrad” fahren durfte. Doch erst als Georg, Ego und ich 1971 auf eine Autozeitschrift mit ’nem Vergleich zwischen der Norton Commando und ner 650er-Métisse stießen, kamen wir so richtig in Wallung. Geniale Idee mit dem Öl im Rahmenrohr; die Sache mit der Kettenspannung per Exzenterscheiben im Schwingendrehpunkt war zwar aufwendig, aber logisch, und schließlich besaß der vernickelte Rahmen mit den zurückverlegten Rasten eine klasse Optik. Wie das ganze Motorrad – italienisch leicht, aber dennoch kräftig. Mit einer Schräglagenfreiheit –Wahnsinn, da sprühte meine Norton längst Funken. So´ne Karre, bloß mit dem Motor aus Hans-Jürgens neuer Trident, die er unlängst bei Georg Suck gekauft hatte, das wär’s. Mann, was haben wir rumgesponnen, und dann hat Ego, der im Gegensatz zu Georg und mir fließend Englisch kann, drüben in New Milton angerufen. Das Unerwartete geschah, die Rickmans brachten uns völlig aus dem Häuschen: »Klar könnt ihr so was haben. Nicht direkt von uns, aber John Judge von RGM baut und vertreibt diese Dinger mit unseren Rahmen, meist für Rennen der Formel 750.«
Zugegeben, der Preis war echt happig, und viele unserer Bekannten hielten uns für verrückt. »Ihr seid wohl bescheuert, so’ne Menge Geld nur für’n Motorrad auf´n Kopp zu haun, dafür kannste ja dein Eigenheim anzahlen”, hieß es. So unrecht hatten die Kritiker nicht. Umgerechnet 15 000 Mark wollte RGM für eine dieser Dreizylinder, 5000 Mark als Anzahlung, den Rest bei Abholung in Luton. Dafür musste ich etwa ein Jahr Fliesen legen und hätte mir glatt zwei neue Triumph Trident holen und noch einen langen Urlaub leisten können. Aber für Georg und mich war der Fall klar: die oder keine.
Wir konnten es kaum erwarten, bis unsere schnellen Métisse fertig waren. Endlich, im Mai ´73, kam der Anruf, und wir drei sofort ab zu Wucherpfennig, einen Bus mieten, und rauf damit auf die Prinz-Hamlet-Fähre, die alle zwei Tage vom Hamburg nach Harwich schipperte. Als wir die Dinger hier hatten, erkannten wir unsere Blauäugigkeit, denn die Zulassung war alles andere als unproblematisch. Kurzum, der TÜV hatte an allem was zu meckern. Tja, wir besaßen jetzt tatsächlich Rennmaschinen mit Beleuchtung – das Rücklicht war nicht mal angeschraubt, sondern beigelegt. In’ner Plastiktüte. Doch wir ließen uns nicht beirren und veränderten, was den Herren missfiel. Die Verkleidung war ihnen nicht geheuer, der Auspuff zu laut, all so´n Firlefanz. Im Juli hatten beide Métisse schließlich Stempel und Gutachten, die Jagdsaison war eröffnet.
Das war ein Fahren. Endlich eine ordentliche Bremse. Gewöhnen musst ich mich aber an den geringen Lenkeinschlag. Und das Kräftig-am-Quirl-Drehen artete bei der Rickman wegen ihrer drei starken Schieberfedern richtig in Arbeit aus. Genauso das Schalten, wenn es flott vorangehen sollte. Doch dank Fiberglas und konsequentem Leichtbau wog die Métisse fast 40 Kilo weniger als eine reguläre Trident. Ego, der inzwischen meine olle Norton fuhr, kam kaum hinterher, und sogar wenn ich zwischen Kaltenkirchen und Bad Segeberg so ’n neuen Z 900-Japankrapfen aufstöberte, konnte ich den Vierzylinder auf den kurvigen Nebensträßchen locker in Grund und Boden fahren. Logo, die Rickman lag ja wie ein Brett auf der Straße. Nachdem ich die Übersetzung mit einem kleineren 46er-Kettenblatt für mich optimiert hatte, fuhr ich die »Lütte« tagaus, tagein. Hin und wieder mal zum Nürburgring oder nach Assen, regelmäßig zur TT, einmal sogar nach Schweden. Einige Tage nach dieser Tour wurde die Métisse im Elbtunnel plötzlich affig heiß, Diagnose: Ölpumpe im Eimer. Da ich noch Garantie hatte, kam der Motor zu Triumph-Händler Harvey Owens nach London, der den Triple tadellos instand setzte.
Gussräder waren damals der letzte Schrei, die Magnesiumräder, entwickelt von Renn-Ass und Ex-Norton-Entwicklungsingenieur Peter Williams, hab ich mir auf der Rückfahrt von der Isle of Man besorgt. Da es die Teile nur mit ’nem Durchmesser von 18 Zoll gab, wollte ich von RGM erst wissen, ob der kleinere Raddurchmesser die Fahreigenschaften verschlechtern würde. Die Antwort lautete nein, und bald rollte meine Rickman auf Fünfspeichenrädern, die mir der Fahrwerkksguru Tony Foale eigens auf der Drehbank anpasste. Ich war bestens zufrieden, jedenfalls bis zu jenem Samstagnachmittag im Sommer 1977, als der Stadtbus in Hamburg-Lurop in einer Linkskurve Diesel verloren hatte und ich deswegen prompt ’nen Abgang machte – leider gegen den einzigen Telefonmasten weit und breit.
Wieder auf’m Damm, schaute ich mir die Bescherung an: Durch den Aufprall war sogar die bärige 41-Millimeter-Gabel, die auch Friedel Münch in seine Mammut einbaute, krumm wie ´ne Banane, ebenso konnte die komplette Auspuffanlage auf’n Müll. Glücklicherweise wies der Rahmen keine Schäden auf, der Motor hatte wenig abbekommen, nur die Boyer-Brandsen-Elektronikzündung war hinüber, ebenso die Sitzbank. Echt ärgerlich das kaputte vordere Magnesium-Gussrad. Hat mich einige Nerven, viele Telefonanrufe und graue Haare gekostet, bis ich so’n Ding beschaffen konnte. Der lange Alutank hatte nur eine kleine Delle abbekommen, die ist heute noch drin – als Gedächtnisstütze sozusagen. Hat über 20 Jahre geholfen, so lange ist die Lütte nach ihrem Crash nun schon wieder on the road..
Au weia – Gas zu, und die beiden Scheibenbremsen beißen lassen. Der Freitagabendstau fängt heute wohl schon vor Wedel an, die Blechlawine wälzt sich gen Elbe. Beim Stop-and-go merk ich wieder, dass die Borg & Beck-Kupplung mit Tellerfeder besser ist als jedes Krafttraining. Heut geht wieder gar nix voran. Also gut, erst mal tanken. 14 Liter laufen nach 200 Kilometern ins schlanke Alufass. Früher, beim Rumheizen mit der Clique, waren’s oft 20 – bin in den letzten drei Jahrzehnten wohl schneller gealtert als die kleine Engländerin.
Ich lasse den Monza-Schnapptankdeckel wieder einrasten, beuge mich zum Zündschloss in der linken Seitenverkleidung vor, drehe die rechte Fußraste nach oben. Ein Kick samt nachfolgendem Gasstoß, und die Métisse ist wieder bei der Musik. Nächstes Jahr wird ihr runder Geburtstag gefeiert. Plötzlich steige ich in die Eisen – nicht wegen der Blitzampel, die hier hängt, sondern weil mir einfällt, dass wir diesen Geburtstag doch in trauter Viererrunde feiern wollten. Zwei Oldies und zwei Ladies, mein Nachbar hat sich nämlich auch eine Rickman hingestellt, ich soll ihm beim Wiederaufbau helfen. Da könnt ich ja eben abbiegen und paar Teile holen. Dann muss ich lachen und fahr doch weiter Richtung Elbe: Rickman – ich glaub, das ist die langwierigste Infektion, die ich mir je eingehandelt hab.

Unsere Highlights

Technische Daten - Rickman Metisse Triumph T 150 V, Baujahr 1973

Motor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertaktmotor, zwei Ventile pro Zylinder, über untenliegende Nockenwellen und Stoßstangen angetrieben, Hubraum 741 cm3, Bohrung x Hub: 67 x 70 mm, 60 PS bei 7250/min, drei Amal-Concentric-Vergaser, ( 26 mm, Kickstarter, Trockensumpfschmierung, Primärantrieb über Triplexkette, Fünfganggetriebe. Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus nahtlos gezogenen 531-Reynoldsrohren, verlötet und vernickelt, im Lenkkopf verstärkt, Métisse-Telegabel, ( 41,3 mm, Schwinge im Drehpunkt mit Exzenterscheiben verstellbar, zwei Girling-Federbeine, AP-Lockheed-Scheibenbremse vorn und hinten, ( 254 mm, Peter-Williams-Magnesium-Gussräder, Bereifung 90/90-18 vorn, 90/100-18 hinten, Radstand 1422 mm, Tankinhalt 18 Liter. Messwerte: Gewicht vollgetankt 180 kg (Fahrwerkskit: 86,5 kg), Sitzhöhe 762 mm, Höchstgeschwindigkeit: über 190 km/h. Preis: (1973) zirka 15 000 Mark.

Haubentaucher auf zwei Rädern - Rickman Métisse-Triumph T 150

Das i-Tüpfelchen jeder Rickman Métisse war die transparente Scheinwerferhaube, die den britischen Café Racer auch optisch zur Granate machte. Dem TÜV war die gesamte Verkleidung gar nicht geheuer

Freischwimmer mit Rennsportideen - Rickman Métisse-Triumph T 150

Auf Initiative der Händlers John Judge entwickelten die Rickman-Brüder aus Reynolds 531-Rohr den Rahmen für den luftgekühlten Triple. Nur etwa 30 komplette Rickman-Trident wurden gebaut

Erfrischend anders - Rickman Métisse-Triumph T 150

Mit dem hartverlöteten Rahmen, dessen Rohre gleichzeitig als Öltank dienten, und der innovativen exzentrischen Schwingenlagerung war die Rickman den damaligen Nippon-Fahrwerken überlegen

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023