Traditionalisten und ewig Gestrige werden die Nase rümpfen. Das sollen Motorräder sein, wie sehen die denn aus? Sie sehen so aus, wie junge Menschen sich das Motorrad für junge Menschen wünschen. Genau das nämlich entspricht der Themenstellung des Wettbewerbs, und es entspricht den Lebenswelten derer, die aufs Motorrad gebracht werden sollen.
Auffällig ist, dass der Motor bislang Herzstück einer jeden
Maschine bei zirka 80 Prozent aller Entwürfe versteckt wird. Anders als bei vollverkleideten Sportlern verschwindet der Antrieb nicht aus aerodynamischen Zwecken hinter einer Verschalung. Er verschwindet aus ästhetischen Gründen, die aus einem modifizierten Technikverständnis resultieren. Die Mechanik tritt hinter ein nach produktgestalterischen Gesichtspunkten geformtes Gehäuse zurück, wird verkapselt, ähnlich dem Innenleben eines Computers. Da guckt kein Vergaser mehr raus, da zählt keiner mehr Kühlrippen. Diese Leute sind cleane, slicke Formen gewöhnt. Das hinterlässt Spuren in der Optik der Motorräder. Designer Oliver Neuland, der den Wettbewerb für den Industrie-Verband Motorrad (IVM) organisiert hat, sieht das ähnlich: »Die Kapselung erleichtert es, sich um eine konkrete Technikaussage zu drücken und mit einer großen, verbindenden Form zu arbeiten.« Geschaffen wird diese Verbindung fast immer dadurch, dass nicht allein das Hinterrad über eine Schwinge geführt wird. Die traditionelle Telegabel hat ausgedient. Ein weiteres Merkmal fast aller Entwürfe: der Einzelsitz. Wie beim Skateboarden, Mountain-
biken, Surfen spricht nichts dagegen, den Spaß in der Gruppe zu suchen. Freilich in einer Gruppe, in der jeder seinen eigenen Untersatz mitbringt.
Cocoon
COCOON
Alexander Schlesier, Torsten Gallitzdorfer, Peter Zeinar,
Hochschule für Kunst und Design Halle
Cocoon ist eine Studie, die nach den Worten ihrer Schöpfer »sich an den Anfängen der Motorradgeschichte orientiert«. Von der Intention her eine Rennmaschine, liegt der Cocoon das Package der Honda
Fireblade zugrunde, von der Radstand, Radgröße, Gabelwinkel
und Motorblockposition übernommen wurden. Die geschlossene,
elegante und dennoch aggressive Form besteht aus zwei Hauptelementen, dem lang gestreckten Oberteil und dem wie ein Kiel daran hängenden Powerblock.
@lpharad
@lpharad
Lee Tze Ming, Universität
Duisburg-Essen, Industrial Design
Die simple, aber gerade dadurch sehr
originelle Konstruktion besteht aus nicht mehr als einem Rahmen aus Rundrohr,
einem dazwischen gespannten Sitz, einem 50er-Zweitakter und einer Lenkung, wie sie an Liegerädern bereits Verwendung findet. Dieses minimalistische Konzept sollte nicht nur sehr preisgünstig zu realisieren sein. Es macht sofort an. Da denkt jeder gleich: Das kann ich auch fahren,
das will ich auch fahren. Zumal man weder Helm noch Schutzkleidung tragen muss. So hätte ein erfolgreicher C1 aussehen können. Sehr wohl vorstellbar, dass kurz nach der Intermot ein solches Produkt
von irgendwo aus Fernost kommt.
Lotus Escape
Lotus Escape
Jerome Vannesson,
Institut Superieur De Design, Frankreich
Dieser Wettbewerbsbeitrag ist ein Hybrid aus Trialmotorrad und modernem Mountainbike, genauer
einer Downhill-Maschine. Auffälligste Parallele
zum Fahrrad: die einarmige Gabel, die sich klar
an Cannondales Lefty anlehnt. Dennoch schafft
es Vannesson, mit bekannten Technikelementen
ein neuartiges und eigenständiges
Ganzes zu gestalten. Als Antrieb sieht Vannesson einen Einzylinder mit 80 Kubikzentimeter vor, der ein Tempo von bis zu 90 km/h ermöglichen soll. Gefertigt aus leichten Materialien wie Aluminium, Karbon und Titan, soll die Escape nicht mehr als 40
Kilogramm wiegen. Auch das sicherlich ein Feature, das Ein-
stiegshürden bei Jugendlichen abbaut. Der Preis definitiv nicht.
Phenex H.Z.E. 1000
Phenex H.Z.E. 1000
Bodo Warden, FH Darmstadt, Industriedesign
Alle Elemente des Motorrads seien in Aufbau, Zweck und Form hinterfragt und neu formuliert worden, schreibt Warden zu seiner Diplomarbeit. Dennoch
setzt er selbst die Phenex in eine Tradition, die mit der Suzuki Katana beginne. Was an der Frontpartie leichthin zu sehen ist. Hauptinspirator dürfte aber die
Sachs Beast gewesen sein, auch wenn Warden die nicht erwähnt. Die von ihm avisierten 150 PS weisen den Entwurf nicht eben als einsteigertauglich aus.
Desert Plough
Desert Plough
Niels Kasten,
FH München, Industrial Design
Der zweiradgetriebene »Wüstenpflug«,
eine wirklich neue Fahrzeugkategorie,
wurde für extremes Gelände entworfen
und für eine bereits mit angedachte
Rallye-Serie. Das Konzept bezieht seine Grundspannung aus einer deutlichen
Produktsprache, den zwei voluminösen Einarmschwingen und dem hoch auf-
ragenden Aufbau, der irgendwie an einen Außenborder erinnert und an den sich
Sitz und Lenker unmittelbar anschließen.
Tai Mu
Tai Mu
Göran Härnvall,
Umea Institut of Design, Schweden
Zwei Prinzipien prägen diese Arbeit. Erstens das
Learning by doing während des Fahrens mittels
eines Computer-Interfaces, das die Beherrschung der Maschine sowie des Verkehrs perfektionieren soll. Wie das genau funktioniert, hat Härnvall nicht ausgearbeitet. Dafür hat er zweitens konkrete Vorstellungen davon, wie der Tai Mu (Traffic Aware Interface/Motorcycle Utility) für unterschiedliche Zwecke modifiziert werden kann. So soll es möglich sein, das eher sportlich ausgelegte Fahrzeug in
einen Tourer zu verwandeln, indem die Aussparung im Chassis mit einem Gepäcksystem geschlossen
wird, das sich wie ein Rucksack über die Schultern hängen lässt. Das cleane, coole Design findet
Härnvall extrem jugendgerecht.
Individual Expedition
Individual Expedition
Matthias Hahn, Universität Duisburg-Essen,
Industrial Design
Sieht aus wie eine Melange aus Kühlschrank und
Mac zwischen Rädern und hat dennoch Charme. Den Charme eines Hammers, der einen Nagel in
einer Sandburg versenkt. Obwohl absolut clean im Design, mutet Individual Expedition martialisch an. Ein Kunststück auch, dass sich in dieser Maschine die komplette Infrastruktur für eine größere Expedition versteckt, einschließlich Wassertanks, Zelt und Gepäcksystem. Hahn hat sich bei seinem Entwurf von Weltenbummler Thomas Trossmann beraten lassen und auf einen spritsparenden und reparaturfreundlichen Einzylinder gesetzt. Für gute Fahrbarkeit soll der niedrige Schwerpunkt der Konstruktion sorgen.
Zphinx
Zphinx
Doeke de Valle, Technical University Delft, Niederlande
Ein Motorrad fürs Jahr 2020 will die Zphinx sein. Und die Zphinx zeigt: Niedlich soll
die Zukunft sein. So niedlich wie das herausfahrbare Lenksystem, das im versenkten
Zustand den Diebstahlschutz ungemein erhöhen soll. Angetrieben von einem Elektro-
motor in der Hinterradschwinge, weist das schmale Gefährt einen dermaßen großen Radstand auf, dass es eigentlich nur in der Heimat seines Schöpfers, den Niederlanden, volle Verkehrstauglichkeit erreichen kann. Doch vom Produktdesign her: perfekt.
IGEL
IGEL
Tobias Gabel und Harald Wenzelburger, FH Pforzheim, Transportation Design
Dieses Vehikel gleicht einer Skulptur,
zumal im zusammengefalteten Zustand, parkend. So porzellanig wirkt es, dass man sich vorstellen könnte, es ins Museum zu stellen. Als Objekt der reinen Anschauung, seiner Linien, seiner Rundungen wegen egal aus welcher Perspektive: immer ein Genuss. Ein Druck auf die Fernbedienung, und das Kunstwerk entfaltet sich zu einem Roller. Vorm Straßencafé die ultimative Show. Fahrend, zugegeben, macht das Ding nicht ganz so viel her. Aber letzt-
lich bewegt man es eh nur, um es sich
verschließen oder öffnen zu lassen.
Star-Wars-Freunde werden da nicht
widerstehen können.
EGGO
EGGO
Stéphane Garreau, Birmingham Institute of Art & Design
Klein, niedrig, putzig, von einem Elektromotor getrieben, erinnert das Eggo
auf den ersten Blick an ein Kinderspielzeug. Sich draufsetzen, sich wohlfühlen, losfahren. Wer da noch Ein- beziehungsweise Aufstiegsängste hat, ist für das motorisierte Zweirad wohl für immer verloren. Das Eggo könnte dafür sorgen, dass sich diese Klientel gen null bewegt. Auf die Seitenverkleidung passt sogar ein Pin-up von Brittney Spears. Aber nicht nur deshalb werden alle gucken.
X-bike
X-bike
Guido Apenburg, Jonas Lorenz,
Tilman Tenschert, Gestaltung/Industrie-
design, Hochschule Magdeburg/Stendal
»Verkaufe die Nutzung des Motorrads und nicht das Motorrad selbst«, lautet das Motto, nach dem das X-bike konzipiert wurde. Verkauft werden soll den Jugendlichen der Kilometer für 25 Cent, darin enthalten: Wartung, Versicherung, Benzin. Angetrieben von einem 125er-Motor mit Automatik, macht die Maschine optisch weit mehr her als ein Leichtkraftrad. Das formgebende Kreuz kollidiert allerdings an einigen Stellen mit den technischen und ergonomischen Erfordernissen.
AN Vehicle
AN Vehicle
Kyu Sang Jung, Art College of Hong-ik University,
Department of Industrial Design, Korea
Ein Witz, aber ein guter: postmodernes Insekten-Design eben. Ein biss-
chen Fischertechnik kombiniert mit MV-Heck und Flugmotorenoptik: ein
besterntes Spielzeug, das, je nach Fahrwerkseinstellung, zum Sandeln,
Heizen, Promenieren taugt und das kein Mensch braucht. Letzteres stellt
den größten Vorzug dieser allradgetriebenen Vision dar. Grandios versponnen.
Ausstellung
Ausstellung
Alle Entwürfe und Modelle, nicht nur die hier vorgestellen, sind auf der Intermot in Halle B6 zu sehen. Am 7. September wird die Jury entscheiden, wer die Preise
gewinnt. Eine schwere Aufgabe. Weil sie sich dabei nicht von
hergebrachten Vorstellungen
vom Motorrad leiten lassen
soll. Sondern von Ideen, die
die Zukunft des Motorrads für eine junge Klientel neu anreißen. www.intermot-designpreis.de
Hydro
Hydro
Danil Kuzvesov, Ural State Academy of Architecture and Art, Russland
So also stellt sich ein russischer Designer die Zukunft des Café Racers vor:
wie ein Ritt auf einer MIG-Turbine. Hydro heißt die Maschine, weil sie mit
Wasserstoff angetrieben werden soll, Leistungsausbeute 150 PS, maximale
Geschwindigkeit 250 km/h. Weniger wäre bei diesem martialischen Erscheinungsbild auch eher peinlich. Könnte allerdings passieren, dass sich der ein oder andere Einsteiger damit überfordert fühlt. Dynamisch wirkt die Hydro,
weil Rahmen- und Schwingenrohre ein nach vorne zulaufendes Dreieck bilden.