1996 verließ der deutsche Gesetzgeber den rechten Pfad mit Tempo 80. Demnächst besteht die Chance zur Kurskorrektur.
1996 verließ der deutsche Gesetzgeber den rechten Pfad mit Tempo 80. Demnächst besteht die Chance zur Kurskorrektur.
Na ist doch prächtig, alle sind gegen Tempo 80 für 16- bis 17-jährige Leichtkraftradler, Fahrlehrer, Politiker und die betroffenen Jugendlichen sowieso. »Der Versuch hat keinen positiven
Effekt gezeigt, man sollte Tempo 80
aufheben«, sagt Fahrlehrerverbandschef Gerhard von Bressensdorf. »Vom gesunden Menschenverstand her die Begrenzung aufheben«, räsoniert SPD-Verkehrsexperte Hans-Günther Bruckmann.
Damit die Einsteiger künftig auf der Autobahn nicht mehr von Lkw eingekeilt werden, sie auf der Landstraße nicht mehr von Familienkutschen bedrängt werden. Als Fahrschüler bewegen sie
ohnehin offene Maschinen, nach der
Prüfung dürfen sie es nicht. Hirnrissig. Verbote sind halt stets der einfachste Weg. Doch: »Es ist die Frage«, meint von Bressensdorf, »wie weit wir bereit sind, 16-Jährigen eine gewisse Verantwortung aufzuerlegen.« Mit anderen Worten: sie ernst zu nehmen. Saftige Kosten tragen sie schon jetzt, um Fähigkeiten zu er-
lernen, die man ihnen hinterher nicht zutraut. Zwischen 800 und 1200 Euro kostet die A1-Pappe.
Das überlegen sich viele Interessierte zweimal. Aber demnächst sollen sie ja durchstarten können, die jungen Zweiradler. Gemach. Denn zwei Jahre zieht sich die Sache nämlich mindestens noch hin. Was daran liegt, dass die EU gegenwärtig eine neue Führerscheinrichtlinie erarbeitet. Die sieht für die 125er der 16- und 17-Jährigen folgende Bestimmungen vor: maximal 11 kW (15 PS) und eine Beschränkung des Leistungsgewichts auf 0,1 kW pro Kilogramm. Heißt: Eine 15 PS starke 125er für Einsteiger muss mindestens 110 Kilogramm wiegen.
In anderen Ländern wie Italien und Frankreich existiert eben diese Regelung schon längst. Und sie hat sich bewährt. Hier zu Lande wurde die Verordnung
einem deutschen Sonderweg geopfert Topspeed 80 km/h. Seltsam auch deshalb, weil Deutschland mittlerweile das einzige europäische Land ist, das kein generelles Tempolimit auf Autobahnen kennt. Was nicht stört, im Gegenteil. Und im Unterschied zu Tempo 80. Aber das wird demnächst ja sicherlich abgeschafft, wenn man den Worten aus Verkehrsausschuss und Fahrlehrerverband Glauben schenken darf.
Was halten Sie als aktiver Motorradfahrer von Tempo 80 für jugendliche Leichtkraftradler? Die Bestimmung hat einen klaren Hintergrund. Wie die Bundesanstalt für das Straßenwesen (BASt) in einer Untersuchung aus dem Jahr 2001 herausgefunden hat, verunglücken Fahrer in der Altersgruppe zwischen 16 und 17 durchschnittlich etwa sieben Mal häufiger als andere Motorradfahrer. Dabei sollte man freilich berücksichtigen, dass von diesen Unfällen lediglich ein Viertel außerorts passierte. Vom gesunden Menschenverstand her, losgelöst von Statistiken, sage ich, dass man diese Geschwindigkeitsbegrenzung aufheben sollte. Zum einen, weil nur ein geringer Teil der tödlichen Un-fälle auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen ist. Zweitens muss man die Menschen natürlich vernünftig darauf vorbereiten, wie man im Verkehr damit umgeht. Das hat man auch bei der EU erkannt, es gibt einen Vorschlag der Europäischen Kommission zu einer Neufassung der Führerscheinrichtlinie. EU hin oder her, was muss sich konkret hier in Deutschland tun, dass diese Regelung tatsächlich vom Tisch kommt? Aus dem Bericht der BASt ergibt sich ja, dass man diese Beschränkung aufgeben könnte. Zum anderen: Wenn die Länder bestimmte Rahmenbedingungen anders bewerten als der Bund und die Länder zustimmungspflichtig sind, wie das bei Tempo 80 der Fall war, dann muss man mit den Ländern darüber diskutieren, wie man eine solche Bestimmung aufheben kann. Sie haben gerade die BASt-Studie erwähnt, deren Autoren ziehen freilich andere Schlussfolgerungen als Sie. Die sagen, Tempo 80 habe sich bewährt, also weiter so. Ich sage im Umkehrschluss, wenn 12,7 Prozent der Unfälle beim Überholen passieren, muss man dafür sorgen, dass die Jugendlichen auf ihren Leichtkrafträdern im Verkehr mitschwimmen können. Die BASt behauptet ganz lapidar, Jugendliche seien unvernünftig, deshalb müsse man sie einbremsen, im wahrsten Sinn des Wortes. Das ist ja nicht ganz unvernünftig. Ich habe selber Kinder in einem Alter, in dem sie sehr risikobereit sind. Da gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Die eine ist ein Verbot, das Mittel, das man im Allgemeinen nimmt. Die zweite heißt: überzeugen, schulen und hinweisen auf das, was dann passieren kann. Diese Alternative ziehe ich bei weitem vor. Hält man die Jugendlichen hier in Deutschland mit solchen Bestimmungen wie Tempo 80 nicht bewusst vom motorisierten Zwei-rad fern? Erstens: Wenn man einen Führerschein definiert und dabei, wie beim A1, eine Eingrenzung einbringt, so muss das ja nicht Tempo 80 sein. Man könnte doch auch sagen, ich definiere eine bestimmte Leistung für ein Fahrzeug dieses Typs, 11 kW zum Beispiel, wie es die EU vorschlägt, und dazu ein Leistungsverhältnis bezogen aufs Gewicht, 0,1 kW pro Kilogramm. Daraus ergibt sich dann, wie schnell man mit einem solchen Fahrzeug fahren kann. Und das dürfte, bei diesen Werten, um die 100 km/h sein. Zweitens: Die Leute machen ihre Erfahrungen mit den Geräten, die sie da fahren im Straßenverkehr, und sie reifen heran zu anderen Gefährten mit größerer Leistung. Das halte ich in der Art und Weise des Vorgehens für absolut richtig. Die Interviews führten Michael Orth und Norbert Sorg
Was halten Sie von Tempo 80 für jugendliche Leichtkraftradler? Wir haben jetzt einige Jahre Erfahrung mit Tempo 80 und sind damit absolut nicht glücklich. Die Jugendlichen kommen mit den ungedrosselten Motorrädern, mit denen wir sie aus-bilden und prüfen, bestens zurecht. Die Splittung in der Klasse hat weder für den Nutzer noch für die Verkehrssicherheit irgendeinen positiven Effekt gezeigt. Deswegen sind wir dafür, Tempo 80 aufzuheben. Wie erklären Sie sich die deutsche Sonderregelung, und wer steckt Ihrer Meinung nach dahinter? Die Fahrlehrerschaft steckt hinter dieser unglücklichen Lösung mit Sicherheit nicht. Die Diskussion stand unter der maßgeblichen Beeinflussung von Dr. Hubert Koch (damals Geschäftsführer des Industrie-Verbands Motorrad). Dr. Koch und der HUK-Verband haben Studien vorgelegt, in denen nachgewiesen worden ist, dass die Geschwindigkeit einer der entscheidenden Faktoren für Unfallfolge und Unfallschwere ist. Dies hat den Bundesgesetzgeber veranlasst zu sagen, dann limitieren wir das. Wir hatten das Sicherheitsargument mit getragen, aber man sollte einen Versuch beenden, wenn man sieht, dass er nicht das gewünschte Ergebnis bringt. Heißt das, es könnte von Seite des deutschen Fahrschullehrer-Verbands eine Initiative geben, um den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Vorlage zu bewegen? Wir würden gesetzgeberische Anfragen sehr unterstützen. Und wir haben uns im Bundesverkehrsministerium und in den Fachausschüssen, in denen wir vertreten sind, außerordentlich positiv zu einer Neuregelung gestellt. Und ich habe nicht den Eindruck, dass dort ein irrsinniger Widerstand zu erwarten ist. Nicht anders in meinem Bundesvorstand. Da gibt es überhaupt keine Stimmen dagegen, weil uns die praktische Erfahrung gezeigt hat, dass die Drosselung nicht zeitgemäß ist. Viele Jugendliche sehen sich gerade durch die Drosselung erst stark gefährdet. Das ist eines der stechendsten Argumente. Denn es spricht natürlich keiner von denen, die verunglücken, weil sie übersehen werden oder als langsameres Fahrzeug nicht rechtzeitig erkannt werden. Statistisch trennen wir nicht sauber genug. Es kommt hinzu, dass ja die Eltern für die Jugendlichen letztlich haften. Wie aber sollen die so genau kontrollieren, ob ihr Kind die Drossel entfernt hat oder nicht? Wir müssen solche Konflikte nicht provozieren, und wir müssen unsere Jugendlichen nicht kriminalisieren. Hält man mit dem komplizierten Zugangsprozedere die Jugend nicht bewusst vom Zweirad fern? Wir müssen Boni einräumen, damit das Leichtkraftrad nicht durch eine übermäßige bürokratische Belastung unattraktiv wird. Wir wissen, dass alle, die Leichtkraftrad gefahren sind, später Riesenvorteile haben. Diesen Bonus könnte man weiter nutzen. Wenn jemand mal die theo-retische Prüfung bestanden hat, könnte zum Beispiel eine komplette theoretische Wiederholungsprüfung entfallen. Für den Aufstieg reichten eine gezielte praktische Ausbildung und klassenspezifische Fragen bei der Prüfung. Wir sollten außerdem einmal darüber nachdenken, ob die Autobahnausbildung sein muss. Damit würde der Führerscheinerwerb billiger, und es muss dort nicht unbedingt geschult werden, weil Leichtkraftradfahrer später in der Regel die Autobahnen von selbst meiden.