Konzeptvergleich Motoren

Konzeptvergleich Motoren Über Kreuz

Wenn über Glaubensfragen gestritten wird, geht es immer heiß her. Rote Köpfe, heisere Stimmen, Mythen, Legenden – Zylinderzahlen! Eins, zwei, drei oder vier? MOTORRAD sucht Argumente.

Wenn die Wahrheit, wie so oft, in der Mitte läge, wäre die Sache auch nicht unbedingt einfacher. Was liegt zwischen Single und Reihenvierer außer dem Glaubensbekenntnis ganzer Motorradgenerationen, dass der Einzylinder generell mit Drehmoment, der Vierzylinder mit schierer Leistung protzt? Ist es der 90-Grad-V2, dessen Bauprinzip jahrzehntelang ausserhalb der heiligen Ducatihallen niemand mehr zu kennen schien? Oder gar der Dreizylinder, der bei Laverda und Triumph einen kurzen Höhenflug erlebte und dessen Renaissance die tapferen Engländer Jahrzehnte später einläuteten. Rein rechnerisch wäre es der Zweieinhalbzylinder, aber – wie gesagt – das macht die Sache auch nicht leichter.
Da hilft nur ausprobieren, die Vor- und Nachteile herausfahren. Ein paar Gemeinsamkeiten sollten jedoch sein: Vier Ventile pro Zylinder, angetrieben von zwei obenliegenden Nockenwellen über Tassenstössel sind der Stand der Technik. Den Hubraum gibt der Einzylinder vor. 650 cm3 sind hier das Maß der Dinge. BMW präsentierte jüngst in der F 650 GS einen Single, der mit elektronischer Saugrohreinspritzung und geregeltem Katalysator zu Recht den Anspruch erhebt, State of the art zu sein. Beispiel V2: Gerade mal ein Jahr ist es her, dass Suzuki das V2-Konzept für die Mittelklasse wiederentdeckte. Sieben Kubikzentimeter weniger, dafür aber ein Zylinder mehr als die BMW. Die Gemischaufbereitung wird aber von konventionellen 39er-Gleichdruckvergasern übernommen. Die Leistungsausbeute: nominell 71 PS. Der Single muss sich trotz gleich großen Hubraums mit 50 PS bescheiden.
Nicht ganz so einfach ist die Sache mit dem Triple in der Mittelklasse. Weil Triumph bei den 600er auf den Reihenvierer setzt. Trotzdem wird man bei den Briten fündig. Denn leistungsmäßig zwischen GS und SV und damit voll auf Mittelklasseniveau bewegt sich der dicke 900er-Dreizylinder der Legend. Seinen Hubraumvorteil von rund 250 cm3 münzt er wegen seiner bedächtigen Auslegung nicht in einen entsprechenden PS-Vorsprung um. Mit 69 PS liegt er gar unter der kleinen SV. Auch er arbeitet noch mit Vergasern. Genau wie die Yamaha Fazer. Dass diese nicht mehr taufrische Art der Gemischaufbereitung durchaus kein Leistungshemmnis bedeutet, stellt der Hubraumzwerg im Feld nachdrücklich unter Beweis. 95 PS ganz ohne technische Tricks und Kniffe demonstrieren nachhaltig den Vorteil von möglichst kleinen bewegten Massen und kleinen Einzelhubräumen, wenn es um die reine Leistungsausbeute geht.
Auf dem Prüfstand geht es genau darum. Aber nicht nur. Drehmoment ist die zweite Größe, die sich auf der Rolle ermitteln lässt. Stichwort Glaubensbekenntnis, siehe oben. Also, los geht’s. BMW-Single: 61 Nm schon bei 5400/min. Auch nicht schlecht der Suzuki-V2: 63 Nm, allerdings erst bei 7400/min. Der Reihenvierer ist zwar noch später dran, verfügt aber ebenfalls über 63 Nm maximales Drehmomenterst. Und der Triumph-Triple: Satte 77 Nm bei 3700/min. Wooh, schreien die einen, während die anderen angesichts des Hubraumvorteils stumpf von Wettbewerbsverzerrung sprechen. Okay, also auf den vollen Liter umgerechnet. Einzylinder 94 Nm, V2 98 Nm, Triple 87 Nm. Und der Reihenvierer? Fette 105 Nm.
Die Drehmomentgeschichte, eine Mär? Theoretisch allemal, und praktisch auch. Keine Mär dagegen die zweite Eingangsthese von der Leistungsüberlegenheit. Wahrhaft erdrückend stellen sich neben den realen die auf den vollen Liter hochgerechneten Werte da: 77 PS für den Einzylinder, 113 PS für den Zweizylinder, 155 PS für den Vierzylinder. Alles klar, Geschichte fertig.
Oder noch nicht ganz. Weil der Dreizylinder fehlt. Aber gerade der macht deutlich, das theoretische Werte das eine, die praktische Umsetzung das andere sind. Rein rechnerisch nur mit einer Literleistung von 82 PS gesegnet, zeigt die Prüfstandskurve nämlich deutlich: Bis zur Nenndrehzahl von 8000/min liegt der Triple sowohl bezüglich der Leistung als auch des Drehmoments turmhoch über den drei anderen. Einzylinder hin, Vierzylinder her. Hubraum ist eben doch durch nichts zu ersetzen. Schluss!
Nein, noch nicht. Weil ein Allgemeinplatz den anderen kontert: Wichtig ist, was hinten rauskommt. Denn messbar – und erfahrbar – sind unabhängig vom Motorenkonzept auch andere relevanten Größen wie Drehzahl und Gesamtübersetzung (siehe Kasten). Das Ergebnis: die Zugkraft am Hinterrad. Und siehe da: Hier toppt der Vierzylinder die Konkurrenz in allen Geschwindigkeitsbereichen.
Ist das die theoretische Größe, die alles Praktische ausmacht? Nichts wie auf nach Hockenheim. Jetzt wird gemessen. Null auf hundert: Fazer 3,7 Sekunden, Legend 4,4 Sekunden, SV 650 3,8 Sekunden, F 650 GS 5,3 Sekunden. Der Unterschied zwischen Zwei- und Dreizylinder, der aus dem Zugkraftdiagramm nicht hervorgeht, bringt eine neue Größe ins Spiel: das Gewicht. Rund 30 Kilogramm mehr bedeuten für die Legend ein beträchtliches Handicap. Eine Tendenz, die sich bei weiter steigender Geschwindigkeit verschärft. So benötigt die Fazer bis zur 160er-Marke 8,3 Sekunden, die Suzuki läuft eine Sekunde später ein, während die Legend satte 3,3 Sekunden verliert und dem braven Einzylinder mit 18,9 Sekunden nur ein »stets bemüht« attestiert werden kann.
Alles klar, so liegt die Sache. In Hockenheim, auf der Waldgeraden. Hier lassen sich auch die Durchzugswerte trefflich messen. Erfahren lassen die sich im Gegensatz zu den Beschleunigungsorgien aber Tag für Tag, auf dem Weg zur Arbeit, beim Ausflug am Sonntag. Eigentlich immer. Betrachtet man die Sache trotzdem theoretisch, liegt der Dreizylinder der Legend im unteren Geschwindigkeitsbereich ganz weit vorn (siehe Zugkraft im letzten Gang). Diese Papierform bestätigt sie in der Praxis, denn von 60 auf 100 km/h vergehen im fünften und letzten Gang lediglich 4,5 Sekunden. Ortsdurchfahrten sind mit der Triumph auch im höchsten Gang problemlos möglich und zum Beschleunigen am Ortsausgang braucht der Schaltfuß nicht bemüht zu werden. Der Suzuki-Zweizylinder liefert mit fünf Sekunden ebenfalls einen sehr guten Wert ab – und benimmt sich in der innerstädtischen Praxis doch ganz anders. Bummeln im letzten Gang ist nicht, weil die Drehzahl zu sehr in den Keller fällt. Während die Triumph bereits ab 1000/min ruckfrei beschleunigt werden kann, sollten es bei der SV wenigstens 2800/min sein. Also liegt innerorts meistens der vierte Gang an, während die Fazer mit 5,9 Sekunden zwar deutlich schlechtere Durchzugswerte liefert und hier gar von der F 650 mit 5,8 Sekunden knapp geschlagen wird, in der Regel aber wegen ihres breiteren nutzbaren Drehzahlbandes gerne mal einen Gang höher summt. Der Einzylinder schließlich rollt im vierten Gang durchs Dorf und lässt sich ebenso wie die Fazer bereits ab 2000/min ohne Rütteln beschleunigen.
Auf der Landstraße sind diese Drehzahlzonen tabu. Wenn es flott vorwärts gehen soll, brauchen Ein- und Dreizylinder mindestens 3000/min, der V2 der SV wird ab 4000/min richtig munter, und die Kurbelwelle des Reihenvierers sollte mindestens 5000 Mal in der Minute rotieren. Trotzdem kommt auf der Fazer keine unangemessene Hektik auf. Zwei Referenzstrecken, die eine mit langen, weiten Bögen, die andere mit engen und langsamen Ecken, beweisen: Der starke, aber in unteren Drehzahlregionen durchzugsschwache Vierzylinder lässt sich selbst bei flotter Landstraßenfahrt ganz gemütlich und ohne übertriebene Schaltarbeit bewegen. Die Drehzahl wird dabei in den Gangstufen zwei bis fünf in der Regel zwischen 5000 und 9000/min gehalten – und damit genau in jenem Bereich, in dem die Zugkraft am Hinterrad durchweg auf hohem Niveau liegt. Das zeigt der Vergleich von Gang- und Zugkraftdiagramm.
Ein ganz ähnliches Bild liefert die Analyse der Drehzahlbereiche und Schaltvorgänge von Ein- und Dreizylinder. In dem von allen vier Testfahrern übereinstimmend bevorzugten Drehzahlbereich – bei der BMW zwischen 3000 und 6000/min, bei der Triumph zwischen 3000 und 5500/min – liegt die Zugkraft durchweg auf hohem Niveau, auch wenn die zweite Spitze beim Triumph-Triple nicht mehr erwischt wird. Ein gänzlich anderes Bild ergibt sich jedoch, werden die Kurven des Suzuki-V2 mit dem favorisierten Drehzahlbereich verglichen. Auf der SV nämlich sind alle Tester vorzugsweise zwischen 4000 und 7000/min unterwegs und lassen so das Zugkraft-Hoch am Hinterrad konsequent in jedem Gang rechts liegen. Für die Praxis bedeutet das: Auf beiden Referenzstrecken schalteten vier verschiedene Tester bei gleichem Tempo auf der SV deutlich häufiger als auf den drei anderen Kontrahenten, weil die Kluft zwischen der gerade anliegenden Zugkraft in den einzelnen Gangstufen just zum Schaltzeitpunkt besonders groß ist. Bei den drei anderen ist sie deutlich kleiner. In der Folge finden die sich, was die Schalthäufigkeit angeht, auf annähernd gleichem Level ein.
Diese Tatsache der Suzuki anzukreiden wäre grundfalsch. Hier gilt: Wer höher dreht, muss weniger schalten. Wird das Drehzahlniveau der Suzuki um 2000/min angehoben, der Motor zwischen 6000 und 9000/min bewegt, liegt man goldrichtig und kommt in den Genuss jener Potenz, den Prüfstand und Messwerte ausweisen. Diese Erkenntnis wird auch dadurch untermauert, dass sich die Zahl der Schaltvorgänge mit zunehmendem Tempo denen der anderen drei angleicht.
Dass auf der Suzuki zu früh hochgeschaltet wird, hängt mit einer anderen bauartbedingten Eigenheit des Motorenlayouts zusammen: der Laufkultur. Der Pilot empfindet den kernigen Schlag des V2 als derart kräftig, dass höhere Drehzahlen nicht nötig scheinen – obgleich sie die SV deutlich beflügeln würden und die Vibrationen des Motors sich selbst in fünfstelligen Regionen in Grenzen halten. In dieser Hinsicht ist der Einzylinder der BMW mit seinen hohen Massenkräften erster und zweiter Ordnung gegenüber dem 90-Grad-V2 mit seinem recht guten Massenausgleich im Nachteil, auch wenn sich bei beiden eine Ausgleichswelle um Vibrationsminderung bemüht. Dem BMW-Treiber bleibt also trotz der zunehmend deftigeren Lebensäußerungen nichts anderes übrig, als den Motor in scheinbar unangemessen hohe Drehzahlregionen zu jagen, will er das Tempo mitgehen. Der Laufkultur des ebenfalls mit einer Ausgleichswelle bestückten Triples oder gar des samtweichen Reihenvierers der Yamaha haben natürlich beide kaum etwas entgegenzusetzen. Beim Dreizylinder beruhigt eine Ausgleichswelle die vorhandenen Massenmomente. Die Massenkräfte sind ohnehin ausgeglichen. Der 600er-Vierzylinder kommt ohne Ausgleichswelle aus, weil die Massenkräfte erster Ordnung nicht vorhanden sind. Dafür machen sich die Massenkräfte zweiter Ordnung mit doppelter Frequenz der Motordrehzahl bemerkbar, aber nur in Form eines leichten Kribbelns in Fußrasten und Lenkerenden.
Die aber werden – und damit kommen wir von objektiven Messwerten und konstruktiven Eigenheiten zum subjektiven Empfinden – durchaus unterschiedlich interpretiert. Der eine mag dieses hochfrequente Kribbeln, der andere den satten Schlag. Gerade der aber ist dem BMW-Single aberzogen worden. Ebenso wie dieses typische Einzylinder-Poltern, das einem synthetischen Pöttern gewichen ist, über welches die Drehfreude nur ausgesprochen emotionslose Naturen hinwegtrösten kann. Für V2-Verhältnisse ebenfalls sehr dezent geht die Suzuki zu Werke. Hier aber bleibt das ursprüngliche V2-Hörerlebnis erhalten. Genau wie der typische Dreizylindersound der Triumph, der aber nicht polarisiert, sonder selbst von eingefleischten Zwei- oder Vierzylinderfans goutiert wird. Ganz im Gegensatz zum akustischen Gebahren der Fazer. Langweilig sagen die einen, geil die anderen. Dynamik vermittelt das Kreischen des hochdrehenden Vierzylinders zusammen mit den gebotenen Fahrleistungen aber allemal.
Und die werden – ganz in alter Vierzylindertradition – nicht einmal mit einem hohen Verbrauch bezahlt. Der liegt auf gleichem Niveau wie beim Zweizylinder der Suzuki, während die BMW hier ihren konstruktiven Vorteil der geringen systemimmanenten Reibung ausspielt und am wenigsten Kraftstoff konsumiert. Diese Tatsache auf die Einspritzung zurückzuführen wäre ebenso kühn wie den immensen Verbrauch der Triumph dem Dreizylinder an sich anzukreiden. Hier spielt vielmehr die Abstimmung eine Rolle.
Auch der Faktor Verbrauch ist zur abschließenden Ehrenrettung des Einzylinders nicht geeignet. Unterm Strich stehen ausser den kompakten Maßen und dem geringen Gewicht, die aber lediglich im Enduro-Bereich Sinn machen, nur Nachteile. Der V2 hingegen hat – wie auf den Rennstrecken dieser Welt – auch in der SV 650 gewaltig aufgeholt, der Dreizylinder vereint Funktionalität mit Charakter. Und dass der Vierzylinder eigentlich alles etwas besser kann, ist in der immer perfekter werdenden Motorradwelt vielleicht seine einzige Schwäche.

Technik Zugkraft

Das Produkt aus der Länge des Hebelarms der Kurbelwelle und der darauf wirkenden Verbrennungskraft ergibt das Drehmoment. Die einzelnen Baugruppen der Kraftübertragung eines Motorrads wandeln das Drehmoment und die Drehzahl der Kurbelwelle in mehreren Stufen bis zum Hinterrad in Vortrieb um.
Da sich die Kurbelwelle viel schneller dreht als das Hinterrad, muss die Drehzahl drastisch gesenkt werden. Der Primärantrieb reduziert die Umdrehungen der Kurbelwelle um den Faktor 1,7 (Yamaha Fazer) bis 2,1 (Suzuki SV 650). Anschließend sorgt das Getriebe mit seinen Übersetzungsstufen für die Anpassung an die unterschiedlichsten Fahrzustände vom Anfahren bis zur Höchstgeschwindigkeit. Dabei variiert das Übersetzungsverhältnis im ersten Gang von 2,46 der Suzuki SV bis 2,85 der Yamaha Fazer. Im fünften beziehungsweise sechsten Gang beträgt die Spreizung 0,85 bei der Suzuki bis zu deren 1,15 der Triumph Legend. Der Sekundärantrieb senkt schließlich erneut die Drehzahl um den Faktor 2,5 bis 3,2.
Die einzelnen Stufen miteinander multipliziert, dreht sich zum Beispiel die Kurbelwelle der BMW im ersten Gang 15,8mal, im fünften Gang fünfmal schneller als das Rad. Dementsprechend ist das Antriebsmoment am Rad um den gleichen Faktor größer als an der Kurbelwelle. Geteilt durch den Halbmesser des Hinterrads, ergibt sich dann die Zugkraft, also die Kraft, die im Aufstandspunkt des Hinterreifens angreift und das Motorrad nach vorn bewegt. Allerdings bleibt ein Verlust von zirka zehn Prozent in der Kraftübertragung stecken.
Die Zugkraft steht also zur Überwindung der Fahrwiderstände zur Verfügung und bestimmt Beschleunigung, Durchzug und Höchstgeschwindigkeit.
Bei der Beschleunigung ist die gesamte Masse von Motorrad samt Fahrer und Gepäck ausschlaggebend. Zusätzlich spielt das Massenträgheitsmoment aller rotierenden Teile von der Kurbelwelle bis zu den Rädern, die in Rotation versetzt werden müssen, eine Rolle. Bei der Höchstgeschwindigkeit hält sich dann die Zugkraft mit dem Luft- und Rollwiderstand des Fahrzeugs die Waage.

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