Master Bike 2003

Master Bike 2003 Fuchsjagd

Verkehrte Welt: Wenn sich bei der jährlichen Hatz nach der schnellsten Runde die besten Serienmotorräder ein Stelldichein geben, wird der Fuchs schon mal zum Jäger.

Die Sache zwischen schnellen und richtig schnellen Fahrern entscheidet sich im Grenzbereich – jener schmalen Kante zwischen Top-Rundenzeit und Abflug. »Living on the edge« nennt der Engländer das, und eine illustre Schar dieser Kantenritter findet sich Jahr für Jahr in Spanien, dieses Mal wieder Jerez ein, um beim von der iberischen Motor-Presse-Tochter »Motociclismo« ausgelobten »Master Bike« das schnellste – MV Agusta, Benelli und Triumph enthielten sich der Sache - Serienmotorrad zu küren. Und nebenbei den schnellsten Fahrer. Natürlich nur unter der Hand, denn Organisationschef »Don Pepe«, oberster Tester von »Motocilismo«, erinnert unentwegt daran, dies sei kein Rennen und erst recht kein Qualifying. Aber das ist natürlich nicht sein Ernst.
Der stolze Spanier verliert nicht gerne. Und so wurden die Erfolge des spanischen Grenzbereichsdelegierten in den vergangenen Jahren – der räumte in schöner Regelmäßigkeit die Trophäe für die schnellste Runde am - noch immer mit einem zufriedenen Grinsen seitens des Organisationskomitee registriert. »Muy bien«.
Jürgen Fuchs weiß daher, worum es geht. »Kannst du mal versuchen, die Zeiten der anderen zu stoppen, damit ich weiß, wo hier der Hammer hängt?« fragt der Ex-GP-Pilot und MOTORRAD-Tester vor Ort, gleich nach den ersten Runden, in denen nichts als Warmfahren angesagt ist, die Gewöhnung an unterschiedliche Motorräder und den Kurs.
Wer sieht, wie der 37jährige Vater von drei Kindern zusammen mit 15 weiteren Fahrern aus 14 Nationen losprescht, macht sich keine Gedanken um seine Konkurrenzfähigkeit: Der Jerez-Fuchs – immerhin fuhr er hier zahlreiche Grand Prix – braucht sich hier nicht zu verstecken. Trotz der starken Konkurrenz. Christer Lindholm, dreimaliger deutscher Superbike-Meister und ehemaliger Supersport-WM-Fahrer, tritt für das skandinavische »bike« an. Oriol Fernandez, viermaliger spanischer Supersport-Champion, ist für die Gastgeber am Start. Barry Veneman, der niederländische Vertreter, war im 500er-GP-Zirkus unterwegs. Die Favoritenwahl fällt schwer.
Bei den Motorrädern ist die Sache leichter. »Es kann nur eine geben«, grinst Markus Lehner, für die Schweizer Töfffahrer auf Zeitenjagd. »Die GSX-R 1000.« Ob er den Sieg der kleinen Schwester GSX-R 750 im letzten Jahr schon vergessen hat? »Nein, aber auf diesem schnellen Kurs brauchst du auch ordentlich Qualm«, ist sich der Eidgenosse sicher. Alle anderen setzen ebenfalls auf die 1000er. Muss man die Geschichte überhaupt noch ausfahren?
Ja! Dass es sich lohnt zu vergleichen, zeigen die ersten Runden am nächsten Tag. Die Supersport-Klasse steht an, die Experten streiten, ob die Honda CBR 600 RR oder die aggressive, mit Hubraumvorteil antretende Kawasaki ZX-6R das Rennen machen.

Ducati 749 S

Die Ducati 749 S, auf der Jürgen zur ersten Zeitenjagd ausrückt, hat keiner auf der Rechnung. Drei Runden einrollen mit frischen Reifen, dann geht’s los. »Du brauchst nur die letzte der sechs Runden zu stoppen, das ist dann die schnellste.« Die Aussage eines Routiniers, der sich seiner Sache sicher ist. Zu Recht. Mit der Präzision eines Laserstrahls nutzt der Rennfuchs jeden Zentimeter Strecke, kommt in der furchtbar schnellen Zweifach-Links (siehe Seite 29) Runde um Runde haarscharf vor Ende der gut befahrbaren Kerbs raus, wiederholt das Spiel eingangs Start-Ziel, nimmt so enorm viel Schwung mit auf die Gerade. Wird schneller und schneller, auch wenn von außen nicht ersichtlich ist, wo bei dieser Gratwanderung noch Luft für mehr ist. Das Resultat: 1.57,274 Minuten. Bestzeit, knapp eine Sekunde vor Barry Veneman und knapp zwei vor Christer Lindholm auf demselben Motorrad.
Wie’s geht, erklärt Jürgen hinterher: »Auf der 749 holst du die Zeit fast ausschließlich über Kurvenspeed. Die möglichen Eingangsgeschwindigkeiten sind sehr hoch, die Stabilität in den vielen schnellen Ecken ist eine Schau, die Bremse ist genial. Dass nicht noch mehr drin ist, liegt an dem schmalen nutzbaren Drehzahlband in Kombination mit der langen Sekundärübersetzung. Die Gänge passen eigentlich nie, und fürs Schalten muss man sich viel Zeit nehmen, weil es sonst nicht sauber rastet. Außerdem fehlt es vor allem hinten an Grip.«
Nicht genügend Grip kommentieren auch die anderen Piloten. Fast egal, welche Motorradklasse und welches Fabrikat (siehe Kasten Seite 21). Das Resultat: Im Vergleich zum Master Bike vor zwei Jahren, ausgefahren auf Pirelli Supercorsa, liegen die Zeiten auf den Bridgestone BT 012 SS im Schnitt zwischen zwei und drei Sekunden zurück. Für die Ehre der Fahrer nicht schön, für das Klassement aber uninteressant. Jürgen hat keine Zeit für längere Analysen, die nächste Kandidatin wartet.

Honda CBR 600 RR

Was kann die neue Hightech-Honda, die erste CBR 600, die kompromisslos auf Sport ausgelegt ist? Die Erwartungen sind hoch, Jürgens Fazit nach der Zeitenhatz eher nüchtern. »Störend ist die extrem kompakte Sitzposition. Dadurch kann ich auf dem Motorrad nicht arbeiten. Ich habe beim Anbremsen zu viel Gewicht auf den Handgelenken und zu wenig auf dem Hinterrad, die Stabilität geht flöten. Zudem bringe ich in den schnellen Ecken nicht den nötigen Druck auf die Fußrasten. Dafür hat der Motor (in Spanien in der G-Kat-losen Version, Anm. des Autors) oben herum jede Menge Druck, ist im mittleren Drehzahlbereich aber eher schwach. Auffallend gut ist hingegen das Handling. Mit der CBR ist eigentlich jede Linienwahl möglich, ein eckigerer Kurs käme ihr sicher entgegen. In den schnellen Jerez-Ecken wirkt sie hingegen ein wenig instabil. Dafür ist das Getriebe super, die Bremsen sind es in der Wirkung auch, während die Dosierbarkeit nicht an die Ducati-Anlage heranreicht.«
Reicht für 1.56,594 Minuten, ein ordentlicher Vorsprung auf die Ducati. Der spanische Heißsporn Oriol Fernandez legt gar 1.56.451 vor, erreicht auf der CBR seine schnellste Runde. Aber ob das reicht? Die betagte GSX-R 600, Jürgens nächster Proband, dürfte kein echter Prüfstein sein. Meint der Fuchs.

Suzuki GSX-R 600

Und kommt mit einem erstaunten Blick zurück in die Box. »Insgesamt sehr ausgewogen«, staunt er. Und schaffte 1.56,169 Minuten, die, wie sich am Ende herausstellt, insgesamt zweitbeste Zeit in der 600er-Klasse überhaupt. Die Gründe: Jürgen hat mit seinen langen Beinen auf der Suzuki ausreichend Platz, und er schätzt die besonders an der Heckpartie ausgezeichnete Rückmeldung. »Ich kann die Leistung gut ausnutzen und mit der Suzi wunderbar sliden. Auch ist das Gefühl in maximaler Schräglage sehr transparent, das Getriebe geht butterweich und exakt.« Punktabzüge verteilt er lediglich für die Bremse, die hohe Handkraft benötigt und schlecht dosierbar ist, und für das auf der Bremse stempelnde Hinterrad und ausbrechende Heck.

Yamaha YZF-R6

Dass die kleine Yamaha, bei dieser Veranstaltung Abo-Sieger in ihrer Klasse, heuer keiner wirklich auf dem Zettel hat, liegt an der erstarkten Konkurrenz. Doch schon die Suzuki zeigte, dass vermeintliche Underdogs für Überraschungen gut sind. Manchmal sogar für faustdicke. »Das gibt es doch gar nicht«, sprudelt es aus Jürgen heraus. »Das Ding fährt sich wie eine 250er, paart brillantes Handling mit enormer Kurvenstabilität in den schnellen Ecken. Und sie ist die Einzige, die hier kein Gripproblem hat. Hut ab, Jeffry!«
Gemeint ist Jeffry de Vries, Yamaha-Cheftester und Ex-Superbike-WM-Pilot. Der hatte sich nämlich vor dem Event ausgiebig in Klausur begeben, um die optimale Abstimmung herauszutüfteln. Mit überwältigendem Ergebnis: »Ich konnte das ganze Potenzial gar nicht ausspielen, weil ich zu spät gemerkt habe, dass dort, wo vorher Bremspunkte waren, jetzt ein kurzes Gaslupfen reicht. Zudem hätte ich früher schalten müssen. Den Motor kann man zwar wunderbar überdrehen, er hat aber obenraus keinen Dampf mehr. Aber sonst: alles perfekt. Nein, halt, die R6 ist die erste, die eingangs der Gegengerade zum Lenkerschlagen neigt. Doch damit kann man gut leben.«
Yamaha mit der Zeit der R6 auch. 1.56,034 hat Jürgen in den Aspalt gebrannt, nur der Spanier Oriol fährt später mal wieder noch schneller. 1.55,726 Minuten. Das wird für die Kawasaki ein hartes Stück Arbeit.

Kawasaki ZX-6R

Unlösbar jedoch sollte die Aufgabe von der Papierform her nicht sein. Immerhin tritt die Kawa mit einem Hubraumplus von 36 cm3 an. Um es vorwegzunehmen: Sie schafft es nicht, aber es geht eng zu. 1.56,212 Minuten werden für Jürgen notiert. Damit ist er schnellster auf der ZX-6R. Dass die R6 dennoch nicht geschlagen werden kann, liegt an kleinen Dingen, die beim Ritt auf Messers Scheide eine große Rolle spielen. So fällt die Sitzfläche zu steil nach vorn ab, weshalb Jürgen beim Bremsen nach vorne rutscht und zu viel Gewicht auf den Handgelenken hat. »Und überhaupt, die Bremse. Die ist so aggressiv, dass schon ein leichtes Antupfen beim Zwischengasgeben reicht, um Unruhe reinzubringen. Außerdem zeigt sie als einzige Ansätze von Fading. Und die Getriebeabstufung scheint auf diesem Kurs nicht zu passen, ich bin ständig am Schalten. Handling und Leistung hingegen gehen in Ordnung, die Sitzposition in Schräglage auch.«
Genauso wie der Tagessieg der R6. Wie dicht die Maschinen in dieser Klasse beieinander liegen, zeigen die von Jürgen Fuchs gefahrenen Zeiten im Vergleich (siehe Seite 28). Nur 0,6 Sekunden liegen zwischen den japanischen Vertreterinnen, lediglich die Ducati fällt etwas ab. Ein Blick auf die Zeiten aller Fahrer zeigt aber auch: Elf Mann waren auf der R6 am schnellsten, vier auf der Kawasaki. Das ist trotz der knappen Zeitunterschiede dann doch ein eindeutiges Votum. Ob das in der Superbike-Klasse ebenfalls so klar ausfällt?

Aprilia RSV mille

»Mit diesem Ding merkst du nicht, wie schnell du wirklich bist«, erinnert sich Jürgen an das vergangene Mal, bevor er aufsteigt. »Was nicht so sehr an der brachialen Leistung, sondern an der gelungenen Ergonomie und dem fein ausbalancierten Fahrwerk liegt.« So segelt die Mille auch 2003 unspektakulär, aber sehr neutral um den Kurs, macht weder durch besondere Zicken noch herausragende Eigenschaften auf sich aufmerksam, fährt einfach nur schnell. Im Vergleich zu den 600ern, auf die sie rund eine Sekunde gutmacht, und im Vergleich zu ihren Klassenkameradinnen. Die Aprilia fährt unter Jürgen mit 1.55,178 Bestzeit. Einfach so, so einfach. »Die Sitzposition ist genial«, meldet er beim Rapport, »das ist richtig entspanntes Fahren. Außerdem haben diese Reifen auf der Mille erstaunlich guten Grip, und das Fahrwerk ist ein guter Kompromiss zwischen leichtem Handling und ordentlicher Kurvenstabilität. Der Rest: nicht überragend, aber in der Summe ein richtig gutes Paket.«

Suzuki GSX-R 750

Das war die GSX-R 750 in der Vergangenheit auch. Hier in Jerez und im vergangenen Jahr auch in Almeria, wo sie sich überraschend gegen die Hubraumboliden durchsetzte. »Das wäre wieder ein Geheimtipp«, ist sich Jürgen sicher. Wäre – weil erste Testfahrten am Vortag eine unerwartete Schwäche aufdeckten. »Die Hinterhand beginnt sehr früh zu rutschen und geht dann schnell in eine Pumpbewegung über. Das ist eine mittlere Tragödie, wo doch die 600er so toll in puncto Balance, Stabilität und Grip war.« Besonders tragisch ist das Ganze, weil die Suzuki-Techniker sich weigern, die einmal gewählte Position der Federbasis am Federbein zu verändern. So sackt die 750er in der schnellen Doppel-Rechts unter Lastwechsel hinten zusammen und liegt im Kurveneingang nicht stabil. »Schade, das hat die Suzuki-Crew versiebt«, bedauert Jürgen. »Der Motor ist genial in Leistungsentfaltung und Drehvermögen, die Sitzposition sehr gut. Ich kann ohne Probleme im Hanging off aus den Ecken. Nur darum erreicht sie überhaupt noch eine gute Zeit.«
Ach ja, die Zeit. 1.56,026. Wieder einmal Bestzeit. Der schnelle Spanier Oriol, dessen Fahrstil (rein, umlegen, rausbeschleunigen) im krassen Gegensatz zum runden Stil von Jürgen steht und der in der Beschleunigungsphase auf maximalen Grip angewiesen ist, landet 0,8 Sekunden dahinter.

Ducati 999

So, endlich dürfen die Roten aus Bologna in den Ring. Für ihre Fertigkeiten gelobt, für ihr Aussehen mitunter getadelt, will die 999 beim Master Bike eine ähnliche Rolle spielen wie die Renn-Schwester in der Superbike-WM. Sie will dominieren, und die Anlagen dazu hat sie. Einen tollen Motor zum Beispiel, mit vorbildlichem Ansprechverhalten und ordentlich Druck. Sehr gute Bremsen. Und ein Fahrwerk mit reichlich Reserven. Aber sie hat auch ein Kardinalproblem: »Die Balance zwischen dem Grip am Vorder- und Hinterrad passt nicht, hinten müsste es viel länger halten«, beschwert sich Jürgen bei der Ducati-Crew. Die wissen auch nicht weiter, schließlich hatte man schon am Vortag zusammen mit Jürgen mit unterschiedlichen Einstellungen, Reifendrücken und sogar der 190er-Variante am Hinterrad experimentiert. Alles ohne Erfolg. Jürgen fährt mit 1.56,159 Minuten zwar auch auf der 999 die schnellste Runde aller Fahrer, doch da ginge wohl mehr.

Honda VTR 1000 SP-2

Genau wie bei dem Honda-Superbike-Ableger, immerhin unter Colin Edwards im vergangenen Jahr Weltmeistermotorrad. »Aber sicher nicht mit dieser Gabelabstimmung«, flachst Jürgen. »Damit hast du in den Bremszonen die größten Probleme. Die Gabel geht auf Block, das Vorderrad stempelt, ich treffe keinen Einlenkpunkt. Dabei ist die VTR superhandlich, insgesamt jedoch sehr kippelig, was präzises Einlenken nochmals erschwert. Schade, denn im übrigen wären alle Voraussetzungen für eine schnelle Zeit geschaffen. Der Motor geht kräftig zur Sache, besitzt ein sehr breites nutzbares Drehzahlband und läuft weich in den Begrenzer, das Chassis ist äußerst steif, die Bremsen sind gut. So kann man selbst mit dem schlechten Gefühl für das Vorderrad noch erstaunlich schnell fahren.« Stimmt. Mit 1.56,660 Minuten macht Jürgen die Superbike-Klasse zu seinem Revier. Keiner fährt mit irgendeinem Motorrad schneller als er.

Ducati 999 S

Am nächsten Tag sind alle – Fahrer wie Beobachter – gespannt wie die Flitzebogen. Die Königsdiziplin steht an. Superstock – jetzt sollten die Zeiten purzeln. Auch wenn bei den bärenstarken Tausendern der mangelnde Grip am stärksten zum Tragen kommt. Jürgen geht zuerst mit der 999 S auf die Strecke – und kämpft mit demselben Problem wie am Vortag auf der Standard-999. »Ich könnte viel schneller. Aber schon beim Reinbremsen in die Ecken bricht das Hinterrad aus. Am Scheitelpunkt, beim Gasanlegen, rutscht es schon wieder. Dabei ist die Ducati eigentlich in den Eingangs- und Kurvengeschwindigkeiten unschlagbar.« Dass es trotzdem schneller geht als mit der zivilen Schwester, führt er auf die Mehrleistung und vor allem auf die ergonomischen Verhältnisse zurück. »Weil sich die Tank-Sitzbank-Kombination im Gegensatz zur Biposto nach hinten verschieben lässt, kann ich mich viel besser reinstemmen und Zeit beim Bremsen gutmachen, während es einfach schwierig ist, die Mehrleistung unter diesen Bedingungen umzusetzen.«
Sei es, wie es sei. Unterm Strich stehen 1.55.471 Minuten und – was sonst – Tagesbestzeit mit der 999 S.

Kawasaki ZX-9R

Dass diese Zeit ausgerechnet von der Kawasaki geknackt wird, damit rechnet eigentlich niemand. Der grüne Sportler wirkt mächtig, bauchig, in die Jahre gekommen. »Na denn mal los«, bemerkt Jürgen lakonisch und beschleunigt aus der Boxengasse. Und kommt gänzlich umgestimmt zurück. »Es ist wirklich eine positive Überraschung, wie agil und wie spurtreu beim Beschleunigen sich dieses schwere Motorrad verhält. Dafür ist sie in den Bremszonen extrem instabil. Man hat das Gefühl, das Motorrad verbiegt sich komplett. Dass trotzdem sehr präzises Einlenken möglich ist, ist erstaunlich. Mehr Probleme gibt’s beim Beschleunigen, weil der Motor hart und verzögert ans Gas geht. So geht viel Schwung aus den Ecken flöten. Noch mehr übrigens, wenn die Fußraste so hart aufsetzt, dass es das ganze Moped weghebelt. Aber insgesamt – bis auf den riesen Tank, der mich am Turnen hindert – macht es mit dem Brummer schon Spaß.«
Recht so, Jürgen, immer mit Spaß bei der Sache. Dann stört es auch nicht, dass dieser hartnäckige Spanier dir mit 1.55,499 die Bestzeit weggeschnappt hat. Die Revanche kommt bestimmt. Vielleicht schon auf der R1.

Yamaha YZF-R1

»Yamaha muss einen Dankesbrief an den Fahrwerksmann schreiben. Die haben genial viel Grip aus dem Hinterreifen geholt!« Das erste Statement lässt auf Großtaten hoffen, die weiteren Schilderungen Yamaha auf den Klassen- und Gesamtsieg. Jürgen ist hin und weg. »So eine R1 habe ich noch nie gefahren. Das Handling ist für eine 1000er ein Traum, das Gefühl für den Grenzbereich am Hinterrad sehr transparent. In Kombination mit der seidenweichen Gasannahme lässt es sich wunderbar rutschen. Dazu passt die Übersetzung optimal, und die Sitzposition ist bei betontem Hanging off auch wunderbar. Aber es gibt auch kleine Schönheitsfehler. Von der Bremse hätte ich mir etwas mehr erwartet, das Getriebe ist ein wenig hakelig. Ein größeres Problem: das massive Kickback eingangs der Gegengeraden.«
Trotzdem: Jürgen ist gespannt auf die Zeit. Und wirklich: Erstmals wird die 55er-Schallmauer durchbrochen, mit 1.54,944 Minuten markiert die R1 die neue Bestzeit. Und Oriol muss sich mit einer halben Sekunde hinten anstellen.

Suzuki GSX-R 1000

Hat die Pole Position der R1 Bestand? Wenn sie geschlagen wird, dann jetzt. Da sind sich alle einig. Doch Jürgen spielt nicht mit. Er gesteht nämlich später: »Auf diesem Gerät macht es so viel Freude, richtig am Quirl zu drehen, dass ich mich die ersten drei, vier Runden einfach nur ausgetobt habe. Trotz der brachialen Leistung – dieser Motor ist einfach unglaublich – fährt das Gefühl, dieses Ding richtig ausquetschen zu können, immer mit. Es gibt keine Hinterhältigkeiten, die Leistung ist über den Gasgriff perfekt kontrollierbar. Die paar Runden hier sind einfach zu wenig. Auch, weil der Geschwindigkeitsüberschuss vor den Ecken so hoch ist, dass ich meine Bremspunkte neu definieren musste. Dabei habe ich leider tendenziell zu früh gebremst, auch weil die Bremse sehr progressiv arbeitet. Das ist nicht schlecht, doch gewöhnungsbedürftig. Im übrigen benimmt sich die Frontpartie mustergültig. Tolles Handling, viel Vertrauen im Grenzbereich, dazu schnelles Umlegen und eine enge Linienwahl. In den letzten zwei Runden habe ich dann das Hirn eingeschaltet und das Augenmerk auf die Rundenzeiten gelegt. Sorry!«
Macht nichts Jürgen. Schön, wenn man noch so begeisterungsfähig ist. Und dabei so schnell: 1.54.105 Minuten, herausgefahren mit viel Spaß. Das muss erst einmal jemand nachmachen. Der Spanier jedenfalls macht’s nicht. Er macht’s besser. 1.53,489 – das ist sie, die Topzeit des diesjährigen Master Bike. Und die Mienen der Gastgeber hellen sich auf. Das Ding ist gegessen.

Honda Fireblade

In der Tat, zumindest in der Superstock-Klasse. Denn auch wenn Jürgen mit 1.54,800 Minuten nochmals eine Bestzeit in den Aspalt brennt – die GSX-R kann er nicht gefährden. Aber er kann damit – zu seinem eigenen Erstaunen – die R1 vom zweiten Platz verdrängen. »Kann alles a bisserl und nix gscheit«, ist sein erster, scherzhafter Kommentar. Um dann gleich wieder ernst zu werden. »Zwar taucht die Gabel zu schnell weg, um noch mit Reserven einzubiegen. Daher muss ich die ausgezeichnete Bremse früher lösen als normal, denn mit der Federung auf Block geht das Einlenken nicht. Das formidable Handling reißt das Manko aber wieder raus. Ich kann extrem enge Linien fahren, die Kurvenstabilität ist gut. Und auf der Hinterhand teilt sich das Gefühl für den Grenzbereich sehr transparent mit.«
So, das war es eigentlich. Alle Motorräder durch, die GSX-R 1000 als Siegerin. Alle sind zufrieden, nur Jürgen nicht. Der Stachel sitzt zu tief. »Die Edwards-Replika, das ist mein Ding. Mit der Mille R habe ich schon vor zwei Jahren die Suzuki fast geknackt.« Aprilia RSV 1000 R und Mondial Piega: Beide laufen als »Spezialisten-Klasse«.

Aprilia RSV mille R Edwards-Replika

Wie sehr ihm die leistungsstarke Replika mit dem feinen Öhlins-Fahrwerk liegt, beweist er umgehend. Bei 1.53,842 Minuten stoppen die Uhren. Das sind gerade einmal vier Zehntel auf die Bestzeit des Überfliegers GSX-R 1000, Jürgen selbst ist mit der Mille schneller. Warum? »Weil hier eigentlich alles passt. Draufsetzen, wohlfühlen, schnellfahren. Genügend Platz zum Kleinmachen – allein das bringt eine Sekunde. Dazu ein Fahrwerk mit tollem Feedback, mit dem du alle Linien dieser Welt fahren kannst, guter Grip am Hinterrad, viel Stabilität, ein transparenter Grenzbereich und eine tolle Bremse. Das taugt mir einfach.«

Mondial Piega

Auf dem Edelbike mit VTR-Motor sieht die Sache genau anders herum aus. »Wer zum Teufel hat diesen Tank verbrochen?« fragt ein entgeisterter Fuchs. »Ich kann in Schräglage nicht ans Gas gehen, weil ich nicht an den Lenker komme. Auch wenn sonst fast alles gut funktioniert – damit kann ich nicht fahren!« Die Zeit dokumentiert sein Unbehagen: 1.57.307 Minuten. Langsamer war er mit keiner. Die Bilanz schmälert das aber nur unwesentlich. Elf von 16 Bestzeiten, bis auf die Mondial keinen Ausrutscher, im Schnitt mit Abstand der schnellste Fahrer. Dieses Master Bike war eine Fuchsjagd. Die zudem mit der neuen GSX-R 1000 eine würdige Siegerin hat. Halali


Rundenzeiten

1. Suzuki GSX-R 1000 1.53.4892. Aprilia Mille R Edwards-Replica 1.53.8423. Honda Fireblade 1.54.8004. Yamaha YZF-R1 1.54.9445. Aprilia RSV mille 1.55.1786. Ducati 999 S 1.55.4717. Kawasaki ZX-9R 1.55.4998. Yamaha YZF-R6 1.55.7269. Suzuki GSX-R 750 1.56.02610. Ducati 999 1.56.15911. Suzuki GSX-R 600 1.56.16912. Kawasaki ZX-6R 1.56.21213. Honda CBR 600 RR1.56.45114. Mondial Piega 1.56.52015.Honda VTR 1000 SP-2 1.56.66016. Ducati 749 S 1.57.274

Rundenzeiten Gesamtsieger

Glückwunsch an Suzuki, denn selten hat es eine würdigere Siegerin gegeben. Nicht nur, weil sie die schnellste Zeit hinlegte und von fast allen Fahrern am schnellsten bewegt wurde. Sondern auch, weil sie das beste Beispiel dafür ist, mit welcher Perfektion sich Alltagstauglichkeit und Rennstreckenperformance verbinden lassen.

Test für den Test

Nach Rennstreckentests haben wir bei MOTORRAD schon häufig darüber diskutiert, wie aussagekräftig die Rundenzeiten der unterschiedlich schnellen Fahrer eigentlich sind. Welche Faktoren beeinflussen sie? Und was bringt das Ganze für den Leser? Mir scheint, das Master Bike ist ein guter Anlass zur Analyse.Wie sieht das aus mit den persönlichen Vorlieben für Sitz- und Rastenposition, eine bestimmte Motorcharakteristik oder spezielle Fahrwerkseigenheiten? Kann sich der eine besser und der andere schlechter auf ein bestimmtes Motorrad einstellen? Bleibt, was in den Einführungsrunden zunächst unfahrbar erscheint, für immer unfahrbar? Ich sage nein. Denn jedes Mal, wenn die zwei schwierigen Einführungsrunden vorbei waren und es auf Start-Ziel zur ersten gezeiteten Runde ging, waren alle Gedanken über das Mögen oder eben nicht Mögen bestimmter Eigenarten der einzelnen Motorräder wie weggeblasen. Die Stimmung ist wie bei einem Abschlusstraining – jeder hat nur noch die Pole im Kopf!Dieser Adrenalinschub zeitigte erstaunliche Ergebnisse: Es geht nur noch darum, das Beste aus sich und dem Material herauszuholen. Beim Fahren auf Zeit kann jedes einzelne Motorrad seine tatsächlichen Fähigkeiten wie Beschleunigung, Bremsstabilität und Griplevel unter Beweis stellen. Unterstrichen wird diese Aussage auch durch das Gesamtergebnis. Obwohl der langsamste Testfahrer über zehn Sekunden pro Runde verloren hat, waren im Durchschnitt 12 der 16 Piloten mit dem absolut schnellsten Motorrad dieser Klasse auch am schnellsten. Ganz unabhängig vom eigenen Können. Das dürfte, so meine ich, auch für die Leser repräsentativ sein.Wesentlich knapper ging es unter den Testmotorrädern zu. Durchschnittlich 1,5 Sekunden betrug die Zeitdifferenz innerhalb der vier Kategorien. Gemessen an den Zeitunterschieden der Fahrer nicht viel. Woraus ich schließe:1. Rundenzeiten sagen viel über die Qualitäten der Motorräder aus, egal, wie schnell die Fahrer sind. 2. Die Ursache einer deutlich schlechteren Rundenzeit ist auf moderen Sportmotorräder zu über 90 Prozent beim Fahrer zu suchen. Erst wenn die Zeiten sich auf sehr geringe Differenz eingependelt haben, gibt das Material den Ausschlag.

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