Es liegt in der Natur von Wettbewerben: Rundum zufrieden sind am Ende allein die stolzen Sieger. Das gilt auch
für das Master Bike, eine Veranstaltung internationaler Motorradzeitschriften, bei der sich in diesem Jahr 16 Fahrer aus elf
Nationen auf der spanischen Rennstrecke von Jerez trafen, um aus drei Kategorien mit insgesamt 13 Supersportlerinnen die diesjährige Königin zu küren.
Wer nicht ganz oben auf dem Treppchen stand, wer auf den Plätzen landete, suchte in der Vergangenheit daher oft nach Gründen und Ausflüchten: Es sei wohl nicht ganz fair zugegangen, und auf diesem Kurs, na ja, da sei die XY ja ohnehin im Vorteil. Außerdem passten die Reifen eben nicht optimal. Und ob denn diese oder jene Maschine wirklich serienmäßig gewesen sei...
Dieses Mal sollte es allerdings ganz anders werden. Denn die Verantwortlichen von »MOTOCICLISMO«, der spanischen MOTORRAD-Schwester und bereits seit dem ersten Shoot-Qut 1998 in Calafat
Organisatorin des Events, feilten Jahr um Jahr am Konzept. Mit Erfolg die Änderungen für 2006 trafen ins Schwarze.
Ein eindeutiges Indiz dafür: Wohl selten wurden die Ergebnisse so einmütig und mit einem zustimmenden Kopfnicken selbst von den Verlierern hingenommen. Noch nie gab es so wenig heftige Diskussionen wie beim Master Bike 2006. Für dieses eine Mal waren alle einverstanden.
Dabei waren es zwei zentrale Punkte, die den Kritikern den Wind aus den Segeln nahmen. Der erste und wichtigste: Sämt-
liche Motorräder wurden nicht wie bisher von den Importeuren und Herstellern mitgebracht, sondern taufrisch bei spanischen Händlern abgeholt oder direkt in
der Fabrik aus einer großen Charge aus-
gewählt. Eventuellen Modifikationen oder Manipulationen an Motoren oder Federelementen seitens der Hersteller wurde so vorgebeugt. Diese Testexemplare wurden vor dem Event sorgfältig eingefahren. Zudem wachte ein Marshall während des Master Bike vor jeder Box darüber, dass es außer den notwendigen Reifenwechseln (siehe Kasten Seite 25) zu keinerlei Ein-griffen während der Veranstaltung kam. Und nachts standen die Testmotorräder im Parc fermé, um sie vor den Zudringlichkeiten lüsterner Mechaniker zu bewahren.
Zweitens wurde laut Reglement (siehe Kasten Seite 26) die Wertung der absolut schnellsten Rundenzeit durch die Durchschnittszeit der sechs schnellsten Fahrer ersetzt. So wird ausgeschlossen, dass eine einzelne Hammerrunde etwa weil der Pilot taufrische Reifen hatte oder besonders gut mit einem bestimmten Modell klar kam den Ausschlag gibt.
Apropos Fahrer: Für MOTORRAD ging einer an den Start, der sich beim Master Bike bestens auskennt. Jürgen Fuchs, Ex-GP-Fahrer und langjähriger MOTORRAD-Mitarbeiter, ist sozusagen Jerez-Fachmann. Er liebt und kennt diese wunderschöne Strecke in Andalusien wie kaum ein Zweiter und reiste zuversichtlich in Spaniens Süden. Trotz starker Konkur-
renz in Gestalt von IDM-Titelanwärter Arne Tode, der für die MOTORRAD-Schwes-
terzeitschrift PS startete, sowie dem spanische Superbike-Meisterschaftsanwärter Oriol Fernández, Pilot für Motociclismo, und mehrere ehemalige oder aktuelle nationale Titelträger. Und nun: Vorhang auf für das Master Bike 2006.
Supersport - Spannender den Je ein Dreizylinder
und die Vierer-Bande
Wenn man in dieser Klasse überhaupt Favoriten nennen kann, dann wohl am ehesten Yamahas brandneue R6, der radikalste Ansatz, seit es sportliche 600er gibt. Oder die Triumph Daytona 675, Shooting-Star der Szene und individuellstes Konzept, seit die Hubraumgrenze bei den 600ern nicht mehr so eng gesehen wird. Der eigenständige britische Triple schlug aus dem Stand voll ein und gewann den Vergleichstest in MOTORRAD 6/2006.
Doch vor der Kür draußen auf der Strecke von Jerez müssen alle Maschinen zunächst die Pflicht absolvieren, nämlich auf der unbestechlichen Prüfstandsrolle ihre Leistung beweisen. Am überzeugendsten gab sich in dieser Hinsicht wie im letzten Jahr die ebenfalls mit einem kleinen Hubraumvorteil gesegnete 636er-Kawasaki ZX-6R. 119 PS attestiert der mobile Dynojet-Prüfstand an der Kupplung. Damit liegt die Grüne zwar merklich hinter der Nominalleistung von 130 PS an der Kurbelwelle, aber doch mit Respektabstand vor der Konkurrenz, welche die im Prospekt versprochenen Werte gleichfalls durchweg nicht erreicht. Das unerfreulichste Beispiel: Yamahas R6, die mit 115-Kupplungs-PS nicht nur deutlich hinter der Werksangabe, sondern auch hinter dem letzten MOTORRAD-Testexemplar (121 PS) zurückbleibt. Da muss die Serienstreuung ausgerechnet beim Master-Bike-Exemplar furchtbar zugeschlagen haben, obgleich die vor Ort anwesenden Testmannschaften der Hersteller von zwei Motorrädern das bessere heraussuchen und abstimmen durften.
Wie dem auch sei: Mit 113 PS (Triumph), 112 PS (Suzuki), 108 PS (Honda) liegen die Kontrahenten insgesamt nicht übermäßig weit auseinander. Als Erstes setzt Jürgen mit der grünen ZX-6R
eine Orientierungsmarke, und zwar mit 1.54,387 Minuten. Dieser Wert, heraus-
gefahren mit frischen Reifen, wird auf der
6er in Folge nicht mehr unterboten. Im Gegenteil: Die durchschnittliche Rundenzeit der sechs schnellsten Fahrer ergibt
einen deutlich höheren Wert, nämlich 1.56,511 Minuten. Dabei gelingt es nur
einem Fahrer, nämlich dem Italiener Claudio Corsetti von »Moto Sprint«, mit der Kawa seine persönlich schnellste Runde zu drehen. »Am Motor liegt das nun wirklich nicht«, beschreibt Jürgen die nur mittelmäßige Vorstellung der Grünen. »Der ist ausgezeichnet, hängt wunderbar am Gas und schiebt gleichmäßig und mit Nachdruck über den gesamten Dreh-
zahlbereich. Aber die 6er ist gerade in
den schnellen Passagen wie der Doppel-Rechts hinter dem Fahrerlager schwer auf Kurs zu halten. Das Gefühl fürs Vorderrad ist nicht sehr gut, während sie hinten
etwas zu niedrig ist. Das bringt zwar ausgezeichneten Grip am Hinterrad, erschwert jedoch die Linienwahl.«
Diesem durchaus verhaltenen Votum schließen sich die übrigen Fahrer weitgehend an, so dass es für die Kawa in der
Eigenschaftswertung nur zu mäßigen 7,96 Punkten reicht. In der Summe ergibt das bescheidene 21 Punkte und den vierten Platz unter fünf Motorrädern. Für die
ZX-6R und die Kawa-Truppe, die in den beiden Vorjahren den Klassensieg einheimste, ein enttäuschendes Resultat.
Daran ist die Honda CBR 600 RR beim Master Bike schon länger gewöhnt. Und wird es auch bleiben, denn diesbezüglich macht der Jahrgang 2006 keine Aus-
nahme. Keine einzige persönliche Bestzeit, die langsamste Durchschnittszeit, mickrige 15 Pünktchen: Wer da nur negative Kommentare erwartet, sieht sich trotzdem
getäuscht. »Eigentlich ist die CBR wirklich sehr schön zu fahren. Fast schon spielerisch, mit einer Bremse vom Feinsten«, so Jürgens erstes Statement. Aber dann kommt, was immer kommt: »Leider ist die Honda viel zu lang übersetzt. Eigentlich müsste ich in den Spitzkehren in den
ersten Gang. Das geht jedoch nicht, weil die Gabel beim Anbremsen ohnehin schon auf Block und das Heck extrem unruhig
ist. Dann in den Ersten dann steht die Fuhre richtig quer, obwohl die Honda-
Crew das Standgas bereits auf über 3000 Umdrehungen gedreht hat, um Hinterradstempeln zu unterbinden. Dazu noch die harte Gasannahme und die nicht über-
ragende Leistung. So ist nicht viel mehr drin«, ist sich Jürgen sicher. Und behält Recht, denn die von ihm vorgelegten 1.54,786 Minuten werden von keinem anderen Fahrer unterboten.
Von einem anderen Motorrad hingegen relativ spielerisch. Zum Beispiel von der R6, und zwar schon in der ersten fliegenden Runde. In den weiteren erst recht, so dass am Ende 1.54,260 zu Buche stehen. Ein hervorragender Wert, der vor allem dem unglaublichen Handling und den
tollen Bremsen zuzuschreiben ist, während Jürgen wie übrigens bei vielen anderen Kandidatinnen auch mit der zu straff
abgestimmten Gabel und dem »Drive-
by-wire-System« der Yamaha hadert. »Man fühlt sich manchmal etwas entkoppelt vom Motor, der gerade im mittleren Drehzahl-bereich mitunter verzögert anspricht. Außerdem ließen die Reifen bereits im zweiten Turn merklich nach. So gesehen ist diese Zeit eine reife Leistung.« Ist sie wirklich es bleibt bis zum Schluss die schnellste Runde, die auf der R6 gedreht wurde. Und die zweitschnellste in dieser Klasse überhaupt.
Die neue Suzuki GSX-R 600, obwohl ebenfalls absolut pistentauglich konditioniert, kann nicht ganz mithalten. Die drittschnellste durchschnittliche Rundenzeit (1.56,064), eine persönliche Bestzeit, die drittbeste Beurteilung: Das ergibt in der Summe Platz drei mit 35 Punkten. »Der Motor geht schön linear, die Anti-Hopping-Kupplung ist erste Sahne. Doch für meinen Fahrstil war die Gabel zu straff ab-
gestimmt. Das liefert zwar enorme Bremsstabilität, aber beim Umlegen in den schnellen Ecken fehlt es an Gefühl für den Grenzbereich. Und die Bremse war beim Aufmachen in tiefer Schräglage schlecht zu dosieren.« Ein Problem, das der spanische Superbiker Oriol Fernández mit
seinem harten Fahrstil (rabiate Brems-
und Beschleunigungsmanöver) nicht hatte. Mit der GSX-R fuhr er mit 1.54,408 die schnellste Runde.
Die Triumph Daytona scharrt derweil mit den Hufen. Als Jürgen mit dem frisch besohlten Dreizylinder ausrückt, sind die Erwartungen hoch gesteckt. Schnell war
er schon am Vortag beim Warmfahren,
zudem haben sich auch viele andere auf der gelben Britin wohl gefühlt. Und bereits in der dritten fliegenden Runde ist es
soweit: 1.53,848. In diesem Feld, unter diesen Bedingungen ein Fabelwert. Die Triumph-Truppe jubelt, obwohl die absolut schnellste Runde ja eher etwas fürs Prestige ist. Später jedoch bestätigen die Zeiten der anderen Motorräder, dass die Daytona hier in Jerez das Maß der Supersport-Dinge ist. Gleich zehn Fahrer fuhren auf ihr die persönlich schnellste Runde, im Schnitt
lagen ihre Zeiten rund eine halbe Sekunde unter denen der Zweitschnellsten, der R6. Ein mehr als deutlicher Sieg. Und ein mehr als verdienter.
Warum? »Weil die Daytona sehr gut ausbalanciert ist. Weil ich mich auf ihr
mit traumwandlerischer Sicherheit am Rand der Reifenhaftgrenze bewege. Weil die Übersetzung perfekt passt. Weil die Bremse genial ist. Und weil das Drehzahlband ganz erstaunlich breit ist, so dass es in manchen Passagen keine Rolle spielt, ob ich im zweiten oder dritten Gang unterwegs bin. Es passt einfach alles«, bekräftigt Jürgen Fuchs.
Maxisport - Die starke Mitte oder warum weniger auch mehr sein kann
Die Maxisport-Kategorie der Motorräder, die nicht ganz klar den beiden anderen Gruppen zuzuordnen sind. Anders als im Rennsport werden die beiden großen italienischen Twins von Ducati und Aprilia beim Master Bike nicht den Superbikes zugeordnet. Einfach deswegen, weil ihre Spitzenleistung im Serientrimm doch ziemlich weit von den großen Vierzylindern entfernt ist. Das trifft auch auf die Suzuki GSX-R 750 zu, letzte Protagonistin der ehemaligen Superbike-Kategorie, die sich heute heimatlos irgendwo im Niemandsland zwischen den 600er- und 1000er-Vierzylindern befindet.
Trotzdem haben diese drei Maschinen besondere Reize, die von ihren Fans geschätzt werden. Denn weniger Leistung muss ja keinesfalls schlechtere Runden-zeiten bedeuten. Im Gegenteil können die drei unter Umständen von besserer Fahrbarkeit und Beherrschbarkeit profitieren. Dementsprechend groß ist traditionell der Respekt, der den italienischen Twins vor allem aus dem japanischen Lager entgegengebracht wird.
Besonders von der englischen Seite, die ebenfalls mit einem anderen Hubraum und Motorenkonzept vertreten ist, werden Aprilia RSV 1000 R und Ducati 999 S in-
teressiert beäugt. Nachdem man sich
die durchschnittlichen Rundenzeit der 999
zu Gemüte geführt hatte, hielten sich die Respektsbekundungen allerdings in Grenzen. 1.55,67 Minuten. Da braucht sich der hubraumschwächere Triple aus Hinckley mit einer Bestzeit von 1.55,309 gewiss nicht zu verstecken. Dementsprechend geknickt standen die Roten aus Bologna nach der Maxisport-Runde an der Boxenmauer. Denn nicht nur die kleinere Daytona zeigte ihnen aus der Boxengasse die lange Nase sondern auf der Strecke auch
die beiden Klassenkonkurrentinnen GSX-R 750 und RSV 1000 R.
Woran liegt es, dass die Vorjahreszweite in Jerez nicht in Tritt kommt? Zunächst
einmal maßgeblich an ihrer ellenlangen
Sekundärübersetzung, die nicht nur furchtbar viele Schaltvorgänge erzwingt, sondern selbst bei reichlichem Gebrauch des trockenen Getriebes nicht passt. »Die Übersetzung stimmt in keiner Kurve«, klagt Jürgen. »Wenn ich im hohen Gang fahre, schiebt die 999 übers Vorderrad. Im niedrigen muss ich kurz nach dem Scheitel schalten. Dafür ist die Bremsstabilität phänomenal. Die Stabilität in schnellen Kurven auch. Das Handling wiederum ist wegen des tiefen Hecks, mit dem die Duc angesichts massiver Grip-Probleme mit dem Straßensportreifen Dunlop Qualifier fahren muss, mehr als träge.«
Dem stimmen die meisten anderen Fahrer zu. Durchschnittlich acht Punkte vergeben sie in der Eigenschaftswertung. Das ist kein guter Wert aber er wird von der Suzuki GSX-R 750 mit 7,85 Punkten noch unterboten. »Müder Motor, schlecht abgestimmtes Fahrwerk«, so Jürgens Fazit nach den langsamsten Runden des Trios. »In der Mitte geht dieses Triebwerk nur
unwesentlich besser als eine gute 600er, oben raus ist es ebenfalls nicht besonders spritzig. Dazu eine Fahrwerksabstimmung, die zwar nicht so sehr daneben liegt wie bei der 1000er-Suzuki, aber immer noch vorne zu hart, hinten zu weich ist damit treffe ich keine Kurve. Außerdem funk-
tioniert diese Kupplung lange nicht so gut wie bei der 600er. Bei jedem Einkuppeln stehe ich quer. Sorry, aber mehr war einfach nicht drin.« Mit mehr meint er schneller als 1.54,772 Minuten. Für Jürgen die langsamste Runde in dieser Klasse für den Durchschnitt der sechs schnellsten Fahrer mit 1.55,314 immerhin die zweitschnellste Kandidatin.
Womit klar ist, dass die Aprilia mit der RSV 1000 R Factory völlig überraschend, indes eindeutig den Sprung ins Finale geschafft hat. Die beste Bewertung aller Kandidatinnen, sechs schnellste Rundenzeiten, mit 1.54.922 die beste Durchschnitts-
Rundenzeit: Am Erfolg der Sportlerin aus Noale gibt es nichts zu deuteln. Wie antwortete Entwicklungschef Mariano Fioravanzo bei der Präsentation der aktuellen RSV-Generation einmal auf die Frage,
warum denn die Kunden angesichts der deutlich stärkeren und leichteren japanischen Vierzylinder-Fraktion eine Aprilia-Sportlerin kaufen sollten: »Weil sie ein schnelles Motorrad ist.« Bis hierhin hat er Recht behalten.
Superbike - Wo Kraft und Herrlichkeit den ganzen Mann fordern
Ein Liter Hubraum, rund 170 PS auf solch brachialen Boliden fühlt sich der spanische Testfahrer Oriol Fernández pudelwohl. Mit seinem unglaublichen Hauruck-Fahrstil stanzt er einen Rekordwert nach dem anderen in den andalusischen Asphalt. Und legt so die unglaubliche Bestzeit von 1.51,172 Minuten ausgerechnet mit einem Motorrad vor, mit dem
hier keiner gerechnet hatte. Die jüngste
Ausbaustufe der MV F4 1000 mit dem Zusatz R (ausführlicher Test in MOTORRAD 12/2006) fuhr beim Master Bike 2006 den vorläufigen Rundenrekord.
»Weil das Ding so wunderbar stabil in den schnellen Ecken liegt«, rapportierte er später zu seiner Fabelzeit. »Dieses Gerät ist einem reinrassigen Rennmotorrad
am nächsten«, bestätigt Jürgen. »Aber es braucht viel Einsatz, um damit schnell zu sein. Und für jemanden wie mich, der die Hinterradbremse nicht nutzt, ist die kaum vorhandene Motorbremse durch das spezielle Anti-Hopping-System sehr gewöhnungsbedürftig.« So gewöhnungsbedürftig, dass Renn-Profi Jürgen von fünf zur Verfügung stehenden Runden gleich zwei im Kiesbett beendet. Sieben andere Piloten fahren mit der MV nach einigen Ein-
gewöhnungsrunden ihre persönliche Bestzeit. Das ist insofern erstaunlich, als dass die MV bei der persönlichen Einschätzung der Fahrer mit der Durchschnittsnote 8,00 nur auf dem letzten Platz landet.
Favoritin der Herzen ist hingegen die Suzuki GSX-R 1000 mit einer Durchschnittsnote von 8,26. Und landet bei der Rundenzeit mit 1.54,516 nur um Haaresbreite hinter der MV und ebenso knapp vor der Yamaha R1. Dass es zeitenmäßig nicht weiter nach vorne reicht, liegt an einem gründlich missratenen Set-up. »Normalerweise liebe ich die GSX-R, diese allerdings fährt sich wie ein Chopper«, bemerkt
Jürgen nach seinem Turn ironisch. »Vorne brutal hoch, während sie hinten zusammensackt. Damit kann ich nur die ganz weiten Linien fahren. Aber irgendwann muss man ja ums Eck, drückt weiter
und das Heck schmiert weg. Das mag für einen superaggressiven Fahrstil passen. Für meinen nicht.« Ein Urteil, das auch
andere Fahrer teilten. Doch die Suzuki-Truppe vor Ort ließ sich nicht umstimmen, noch mal Hand ans Fahrwerk zu legen. Und so blieb den Testern nur, vom tollen Motor mit seiner linearen Leistungsent-
faltung zu schwärmen, von der klasse Anti-Hopping-Kupplung, der guten Bremse.
Bei den sonst weniger aussichts-
reichen Mitbewerbern keimt dagegen Hoffung auf, für die frisch renovierte Fireblade hat es aber wieder nicht gereicht. Schlechteste durchschnittliche Rundenzeit, kein einziger Fahrer mit der persönlich besten Zeit und der vorletzte Platz in der Gunst der Piloten die Fireblade kam beim Master Bike erneut nicht auf einen grünen Zweig. Die Gründe? Zwei sind seit Jahren bekannt und decken sich mit dem Malheur der kleinen Schwester CBR 600 RR. Die
zu lange Sekundärübersetzung schlägt in Jerez erbarmungslos durch, dazu kommt die harte Gasannahme. Neu hingegen ist die Kombination mit einem soft eingestellten Federbein und einer weit vorgespannten Gabel. In den drei Spitzkehren des Kurses ist das Gasanlegen am Scheitelpunkt jedes Mal mit einem deftigen Rutscher verbunden. »Durch die harte Gabel- und die softe Federbeinabstimmung ist das Motorrad nicht gut ausbalanciert. Das ist schade, denn normalerweise bietet die Fireblade ein feines Feedback für den Grenzbereich der Reifen. Mit einem besseren Set-up wäre trotz des im Vergleich nicht eben kräftigen Motors weitaus mehr drin, zumal die Bremse wie immer top ist und enge Linien selbst jetzt noch möglich sind.«
Yamaha zeigt, wie man es besser macht. Die feine Balance, mit der sich die Mutter aller aktuellen Sportboliden auch bei diesem Master Bike wieder präsentiert, wird von den Fahrern mit dem zweithöchsten Wohlfühlfaktor nach der GSX-R belohnt. Das beste Handling im Feld, die straffen und dennoch sensiblen Feder-
elemente, eine tadellose Ergonomie und nicht überragende, aber doch gute Bremsen: Eigentlich gibt es nichts, was die R1 an Bestzeiten hindert. Außer der Tatsache, dass ihr Motor im mittleren Drehzahl-
bereich nicht mithalten kann. »Ich musste auf der R1 teilweise mehr schalten als auf der Daytona. Es fehlt einfach Drehmoment und diese lineare Leistungsabgabe, wie
sie GSX-R und ZX-10R bieten. Dafür ist
die R1 im 600er-Fahrstil zu bewegen, der
mir ja sehr entgegenkommt.« Kein Wunder also, dass Jürgen mit der R1 seine schnellste Superbike-Runde dreht. Im Durchschnitt hingegen reicht es für die Yamaha mit hauchdünnem Abstand auf die Suzuki nur für Platz drei, auf dem sie
gemeinsam mit der GSX-R auch bei der Gesamtpunktzahl liegt.
Die Königin unter den Kraftmeiern hingegen ist auch beim diesjährigen Master Bike grün und heißt ZX-10R. Als Einzige bleibt dieses rollende Energiepaket bei
der Durchschnittsgeschwindigkeit unter der 1.54er-Marke, vereint fünf Bestzeiten auf sich und liegt in der Sympathiewertung mit Platz drei im gesicherten Mittelfeld. Das reicht für den knappen, aber verdienten Einzug ins Finale.
Auch, weil die Kawasaki-Techniker der Versuchung widerstanden, dem Beispiel ihrer Suzuki-Kollegen zu folgen und die Gabel über Gebühr zuzudrehen. Im Gegenteil: Die Grünen schmusten sich mit einem ungewöhnlich weichen Set-up ins
Finale. »Eigentlich vorne und hinten ein wenig zu soft«, analysiert Jürgen. »Doch schön ausbalanciert, so dass man es besonders in den schnellen Ecken richtig laufen lassen kann. Schade, dass der Reifen im dritten Turn schon am Ende war. Denn der Motor geht wie Hulle, und dabei immer und überall kontrollierbar. Eine Schau.
Reglement
Im Gegensatz zu den vergangenen Master-Bike-Events floss dieses Mal nicht die absolut schnellste Rundenzeit in die Bewertung mit ein, sondern die durchschnittliche Rundenzeit der sechs schnellsten Fahrer. Eine entscheidende Änderung und ein entscheidender Vorteil, denn so wurden nicht nur spezielle Talente der einzelnen Fahrer auf diesem oder jenem Antriebskonzept oder auf einem bestimmten Motorrad herausgefiltert, sondern auch die Vor- und Nachteile, die sich eventuell aus der Startreihenfolge oder dem Zustand der Reifen ergaben (siehe auch Kasten »Reifen«). Für die durchschnittlich schnellste Rundenzeit wurden 40 Punkte vergeben, der Rückstand auf diese Zeit bestimmte die Punkte auf den folgenden Plätzen. Weitere maximal 40 Punkte konnten über die Zahl der Fahrer erreicht werden, die mit dem jeweiligen Motorrad ihre persönlich beste Zeit erreichten. Ein
Motorrad, auf dem alle Fahrer ihre persönlich schnellste Runde erzielten, gab es allerdings nicht. Maximal zehn Punkte wurden für die Bewertung der fahrdynamischen Kriterien durch die Fahrer vergeben. Diese Bewertung
erfolgte unmittelbar, nachdem die jeweilige Klasse abgeschlossen war und ohne Kenntnis der Rundenzeiten.
Circuito de Jerez
Dieser Kurs ist ein Klassiker unter den Grand-
Prix-Strecken und ein Publikumsmagnet für die heißblütigen spanischen Motorsportfans. Kein Wunder, denn die Piste inmitten herrlicher Naturtribünen hat
einiges zu bieten. Die Anbremszone der ersten Rechts nach Start/Ziel zum Beispiel. Steil bergaufführend, nutzen Jerez-Profis jedes Grad an Steigung für aberwitzig späte Bremsmanöver. Die folgende Spitzkehre benötigt eine
extra enge Linie, um mit viel Schwung durch den nächsten Linksknick zu beschleunigen, während in der dann folgenden langen und schnellen Links perfekte Gasannahme
gefragt ist, um in maximaler Schräglage das Tempo zu
dosieren. Die folgende, leicht bergauf führende Rechts
ist eine der Schlüsselstellen des Kurses. Blind angefahren, verträgt sie hohe Eingangsgeschwindigkeiten, während
am leicht nach außen fallenden Ausgang Vorsicht geboten ist. Gerade dort ist es aber sehr wichtig, optimal auf die lange Gerade zu beschleunigen. Die Spitzkehre am Ende der Geraden ist recht weit innen anzufahren, weil außen Bodenwellen die Bremszone spicken. Danach geht es
in zwei dieser so typischen schnellen Kurven um den Berg, bevor nach zwei etwas engeren Rechtsknicken die berühmte Doppelrechts hinter dem Fahrerlager kommt. Umlegen, kurz aufrichten, umlegen. Und das bei irrwitzigem Tempo. Hier zählt, wie fast überall in Jerez, nur eines:
Kurvenspeed, und zwar so viel wie möglich.
Was sonst noch war
Ex-GP-Stars sind keine Nasenbohrer. Schon gar
nicht Jürgen Fuchs und Randy Mamola (Foto unten). Fuchs (sitzend) fuhr am ersten Tag die versammelte Konkurrenz in Grund und Boden, bevor ihn eine
Pollenoffensive einbremste. Der Doktor verpasste ihm eine Spritze und zwei Tage Fahrverbot . Fuchs war empört und fuhr trotzdem weiter. Bei Randy Mamola klappte das nicht. Er kam, stieg auf die
Triumph Daytona, brannte zwei unglaubliche Runden hin und lag im Kies. Für ihn bedeutete eine leichte Zerrung im Schritt das Aus. Genau wie für den
Italiener Alessandro Valia. Highsider, Oberschenkel- und Hüftbruch. Gute Besserung, Alessandro.
Reifen
Qualifier allein der Name scheint Dunlops neuesten Sportpneu für eine Veranstaltung wie das Master Bike zu qualifizieren. Doch die
Bezeichnung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um einen Sportreifen handelt,
der vorwiegend für den zivilen Einsatz konzipiert ist und somit in einer Liga mit dem Michelin Pilot
Power oder dem Bridgestone BT 014 spielt.
Rekordrunden waren also in Jerez nicht zu er-
warten. Und wurden auch nicht geboten. Speziell
die leistungsstarken Superbikes hatten in Sachen Hinterrad-Grip so ihre Probleme mit dem Qualifier, standen spätestens im dritten Turn danach
wurden die Reifen gewechselt häufig und heftig quer. Und auch die Supersportklasse konnte nicht
in Bereiche vorstoßen, wie sie beispielsweise mit
einem Pirelli Supercorsa möglich sind.
Im Anschluss an das Master Bike legte Jürgen Fuchs mit einer modifizierten Daytona mit Arrow-
Kit und den serienmäßigen Pirelli Supercorsa
eine 1.51,50er-Runde hin (vorher 1.53,48).
Finale - Hier ist
alles gold, was glänzt
Kawasaki ZX-10R gegen Aprilia RSV 1000 R Factory gegen Triumph
Daytona 675 ein exotischeres Trio ist wohl selten in ein Master-Bike-Finale eingezogen. »Das macht die 10er locker«, lautet die einmütige Antwort, wenn man nach der Favoritin fragt. Obwohl: Von jenen sechs schnellsten Piloten, die jetzt im
Finale aufeinander treffen, sind fast alle
mit der Aprilia ähnlich gute Rundenzeiten gefahren wie mit der grünen Athletin. Spannung ist also garantiert.
Nicht allein deshalb, weil die Daytona im Finale erneut eine sagenhafte Vorstellung bietet, sondern auch, weil sich ZX-10R und RSV 1000 R ein Fotofinish liefern, wie es die Master-Bike-Geschichte noch nicht gesehen hat. Minimale Zeitvorteile nach jedem weiteren Lauf, mal für die eine, mal für die andere Seite, Kopfschütteln.
Die Kawa kann sich nicht entscheidend absetzen. Hektisch wird gegengerechnet. Einsvierundfünfzig tief hier, Einsdreiundfünfzig hoch da. Dafür aber in diesem
Turn eine Einsfünfundfünfzig hoch gegen eine gute Einssechsundfünfzig. Wie viele Bestzeiten für Aprilia, wie viele für die
Kawasaki? Das gibt es doch nicht. Mann, das ist wirklich knapp.
Und dann herrscht Ruhe in Jerez. Aus, vorbei. Aber wer hat gewonnen? Aprilia-Pressesprecher Claudio Pavanello war vorher schon mit dem Klassensieg mehr als zufrieden. Und jetzt? »Ich glaube, wir hatten immerhin die schnellste Runde«, freut er sich. Und wünscht sich, ohne
den rechten Glauben, »dass es eng werden könnte«. Das sieht Kawasaki-Mann Leo Schlüter mittlerweile ebenfalls so. »Ich glaube, Aprilia macht das Rennen«, orakelt der erfolgsverwöhnte Grüne. Doch auch er hofft selbstverständlich bis zum Schluss.
Und dann beginnt das Warten. Auf die Siegerehrung, auf den feierlichen Moment. Als die Finalteilnehmer zum abschließenden Fotoshooting aufgebaut werden, ahnen viele Anwesende bereits, dass sie Zeuge eines historischen Moments sind. Aprilia in der Mitte, Kawa und Triumph links und rechts. Im Klartext: Zweizylinder schlägt Vier- und Dreizylinder. Nach Jahren, in
denen die mächtige japanische 1000er-Meute unschlagbar war, gewinnt ein europäischer Zweizylinder das Master Bike 2006. Mariano Fioravanzo ist zu Tränen gerührt. Er hat es immer gewusst. Und alle anderen wissen es spätestens jetzt: Die Mille ist ein schnelles Motorrad.