MotoGP-Technik

MotoGP-Technik Der Reihe nach

Neun Rennen dominierte Honda mit der V5-Maschine, in Brünn siegte erstmals Yamaha. Und wie steht’s um die Chancen von Aprilia und Suzuki in der MotoGP-Viertakt-WM?

Während die Betreuer herkömmlicher Zweitaktmotorräder auch heute noch regelmäßig bis in die Nacht hinein Kolben, Zylinder und Kurbelwellen austauschen, genießen die Mechaniker der neuen MotoGP-Viertakt-Prototypen einen frühen Feierabend. Die nach maximal 2000 Kilometern fällige große Inspektion erledigt das Werk, an der Rennstrecke werden die fertig präparierten Kraftquellen nur noch ins Chassis eingeklinkt. »Wenn Valentino jetzt nach einer anderen Leistungscharakteristik fragt, renne ich zu unserem japanischen Spezialisten, der die Zündung und die Einspritzanlage am Laptop umprogrammiert. Mehr können wir nicht tun«, erklärt Rossis Honda-Cheftechniker Jerry Burgess die neue Arbeitsweise.
Mehr ist freilich auch gar nicht vonnöten. Hondas Fünfzylinder-RC 211 V war bis zum Brünn-Grand- Prix das Maß aller Dinge und rannte der Konkurrenz nicht nur bei Topspeed, sondern auch mit ihrer problemlosen Fahr- und Beherrschbarkeit auf und davon. Das beste Motorrad im Feld übt überdies eine geradezu magische Anziehungskraft auf die besten Rennprofis aus: Zehn Fahrer – darunter auch der bereits vor Brünn von Yamaha gekündigte Max Biaggi – werden 2003 den Fünfzylinder zur Verfügung haben.
So außergewöhnlich wie die bisherige Erfolgsstory mit neun Siegen in zehn Rennen ist der Aufbau der Maschine. Honda schöpfte das Reglement, das Vier- und Fünfzylinder in der gleichen Gewichtskategorie bis 145 Kilogramm unterbringt, bis zur Neige aus und präsentierte eine Weltneuheit im Motorradbau: einen V5 mit einem Zylinderwinkel von 75,5 Grad. Dass drei Einheiten nach vorn und zwei nach hinten gerichtet sind, sorgt beim Beschleunigen für mehr Last auf dem Vorderrad und ermöglicht dem Fahrer eine weit nach vorn orientierte Sitzposition. Die kleineren Zylindereinheiten der RC 211 V erlauben hohe, leistungsfördernde Drehzahlen. Weil die Vibrationen durch die Zylinderkonfiguration unterdrückt werden, kommt die Honda ohne Ausgleichswelle aus und ist insgesamt äußerst kompakt geraten. Das bedeutet viel Freiheit bei der Positionierung des Motors im Rahmen, die Masse lässt sich ideal im Schwerpunkt der Maschine unterbringen.
Ebenfalls eine interessante Lösung ist die Semi-Trockensumpfschmierung, bei der das Öl im Getriebe gleichzeitig als Reservoir für die Versorgung der Motor-Schmierstellen dient. Eine Saugpumpe schaufelt das im Kurbelgehäuse angesammelte Öl jeweils wieder in die Getriebebox zurück. Im Vergleich zu Nasssumpf-Schmierungen reduziert diese Anordnung in erster Linie die Panschverluste. Und im Gegensatz zur Trockensumpfschmierung ist kein zusätzlicher Öltank nötig. Die knapp geschnittene Verkleidung mit Ecken und Kanten wirkt aerodynamisch dagegen nicht besonders ausgereift und setzt den Piloten stärker dem Fahrtwind aus. Zum Ausgleich dafür wird dem Motor von vorne wie auch seitlich genügend Kühlluft zugeführt.
Der Rahmen der RC 211 V besitzt einerseits eine 23 Prozent höhere Torsionssteifigkeit als die Zweitakt-NSR 500, bei der Schwinge sind es gar 29 Prozent. Andererseits nahm Honda die seitliche Steifigkeit beim Hauptrahmen um 17 und bei der Schwinge um zwölf Prozent zurück, um das Fahrwerk noch mehr als bisher in das Dämpfungssystem einzubeziehen.
Angesichts dieses Stücks geballter Motorradbaukunst geriet es schon fast zur Mutprobe für die konkurrierenden Hersteller, sich mit alternativen Konzepten ins Gefecht zu stürzen. Wohl am mutigsten war Aprilia, wo man sich für die nächst kleinere Gewichtsklasse bis 135 Kilogramm und einen relativ einfach aufgebauten Reihendreizylinder entschied. Pluspunkte dieses Konzepts: eine vergleichsweise einfache Anordnung des Einlasstrakts und der Auspuffanlage. Bei Einzelhubräumen von 330 cm3 und entsprechend großen Ventilen erschien die in der Formel 1 übliche pneumatisch unterstützte Ventilsteuerung als probate Lösung. Die Vorteile der höheren Drehfreudigkeit des Dreizylinders konnte Aprilia bislang aber nicht ausspielen: Die Maschine leidet unter 17 Kilo Übergewicht – für nächstes Jahr soll sie mit vielen Karbonteilen abgespeckt werden – und den früh verschleißenden Dunlop-Reifen.
Suzuki wählte wie Yamaha den Vierzylinder, jedoch statt mit reihenförmiger Zylinderanordnung eine V-Konfiguration. Mit seiner kurzen Kurbelwelle und entsprechend geringem Massenträgheitsmoment sowie der günstigen Konzentration der Massen um den Schwerpunkt versprachen sich die Techniker eine positive Wirkung aufs Handling, und obendrein passte der GSV-R-Motor in das bereits vorhandene Fahrwerk der Zweitakt-RGV 500. Die Verlegung der Auspuffanlage erfordert allerdings mehr Platz als beim Reihenvierer, ihre Abstimmung größeren Aufwand.
In diesem Punkt tut sich Yamaha mit dem Reihenvierzylinder leichter. Doch der M1-Motor ist das breiteste Triebwerk im Feld. Und die lange Kurbelwelle, die bei hohen Drehzahlen größere Kreiselkräfte produziert als die Bauteile der Konkurrenz, steht der Handlichkeit – zumindest von der Papierform – eher entgegen. Ungewöhnlich ist zudem die Verwendung von Vergasern, während die Wettbewerber durchweg auf moderne Einspritzanlagen setzen.
Trotzdem robbten sich Max Biaggi und Carlos Checa dank zielstrebiger Weiterentwicklung – in Brünn tauchte die M1 mit neuer Verkleidung auf – näher und näher an das Honda-Werksteam heran und landeten beim GP von Tschechien den ersten Volltreffer. Die Suzuki- und Aprilia-Viertakter müssen sich dagegen viel weiter hinten im Feld der Zweitakter um oft magere Platzierungen raufen. Die entscheidende Rolle bei den MotoGP-Maschinen spielt die Fahrbarkeit. Die besten Viertakter verfügen über ein maximales Drehmoment von deutlich über 100 Newtonmeter, das anders als bei den Zweitaktern über einen breiten Drehzahlbereich anliegt und auf diese Weise gefühlvolle Slides ermöglicht.
Valentino Rossi zelebriert dieses Rear Wheel Steering mit besonderer Perfektion. Ein Indiz dafür, dass die Honda nicht nur die höchste Leistung, sondern auch das breiteste nutzbare Drehzahlband besitzt. Außerdem kann der Pilot mit einem Schalter an der linken Lenkerhälfte drei verschiedene Kennfelder mit unterschiedlichen Kurven wählen. Je nach Position variiert die Spitzenleistung zwischen 235 und 240 PS bei maximalen Drehzahlen von rund 15 000/min. Die Yamaha steht mit zirka 230 PS bei 14 000/min dem nur wenig nach.
Große Schwierigkeiten, die Kraft auf den Asphalt zu bringen, hat indes Aprilia-Pilot Régis Laconi. Ausgerechnet der Motor mit den größten Kolben dreht mit 15700/min von allen Konkurrenten am höchsten und leistet rund 220 bis 225 PS, erkauft sich diese Power aber durch die brachialste Kraftentfaltung im Feld der Viertakter. Das macht sich insbesondere auf sehr kurvigen Strecken negativ bemerkbar. Auf Kursen mit langen Geraden erreicht die Aprilia dagegen erstaunliche Höchstgeschwindigkeiten. So katapultierte sich Laconi in Mugello mit 322,3 km/h knapp hinter Ukawas Honda (324,5) und Biaggis Yamaha (322,8).
Neben den Verstellmöglichkeiten der Kennfelder sind noch weitere elektronische Hilfen am Werk. Unabhängig von den Datenaufzeichnungssystemen erfassen Sensoren an Vorder- und Hinterrad von Suzuki und Yamaha die Raddrehzahlen und können dem Fahrer beim Start und in kritischen Situationen Hilfestellung geben. Und ein Problem, das Max Biaggi am Anfang der Saison schwer zu schaffen machte, ist offensichtlich ebenfalls ausgemerzt. Beim Anbremsen von engen Kurven aus hohen Geschwindigkeiten konnte er sich nur schwer auf das hohe Bremsmoment des Viertakters und ein stempelndes Hinterrad einstellen. Für Abhilfe sorgt inzwischen die elektronisch gesteuerte, von etlichen Variablen abhängige Anti-Hopping- Kupplung sowie eine automatische Drehzahlanhebung, wodurch sich das Zwischengas des Piloten beim Herunterschalten erübrigt.
Trotz allem haben die Honda-Ingenieure offensichtlich noch immer das beste Paket geschnürt. Selbst Details der RC 211 V sind penibel durchdacht – wie die Auspuffanlage, die mehr Abstimmungsarbeit verrät als die Systeme der Mitbewerber. Entsprechend unterschiedlich sind die Lebensäußerungen der Renner. Geradezu dezent gibt sich die Honda, die vom tiefen Dröhnen der Suzuki, dem Reihenvierzylinder-typischen Heulen der Yamaha und dem ungewöhnlich hellen Kreischen der Aprilia übertönt wird.
Für die Zukunft kann Honda dank des pfiffigen Konzepts noch locker Kohlen nachlegen. Doch auch die Konkurrenz schläft nicht. Yamaha rüstet für nächstes Jahr gewaltig auf. So werden die Motoren statt fünf nur noch vier Ventile pro Zylinder haben, über eine Einspritzung verfügen, und der Hubraum wird von rund 940 cm3 bis zum Limit von 990 cm3 wachsen. Mehr Dampf im mittleren Drehzahlbereich soll eine Auspuffanlage mit einem Exup-System bringen.
Zudem stehen Ducati mit einem V4 und Kawasaki mit einem Reihenvierer in den Startlöchern. Vorgewarnt zeigt sich allerdings Proton-Besitzer Kenny Roberts: Nachdem er mit seinem Dreizylinder-Zweitakter bislang allenfalls Achtungserfolge erzielen konnte, hat er von alternativen Konzepten die Nase voll – und baut wie Honda einen Fünfzylinder-Viertakter.

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