Zählt ein Motocross-Gespann wirklich zur Gattung Motorrad? MOTORRAD-Redakteur Peter Mayer saß drauf, stand neben dran und zweifelt immer noch.
Zählt ein Motocross-Gespann wirklich zur Gattung Motorrad? MOTORRAD-Redakteur Peter Mayer saß drauf, stand neben dran und zweifelt immer noch.
Ist mir doch schnuppe. Soll Eigenlob stinken oder nicht. Es muss heraus, gerade jetzt: Ich kann Motorradfahren. Und zwar gut. Werks-Crosser, Rallye-Bolide, Eisspeedway-Maschine alles schon über die Pisten getrieben. Nachweislich und mit Bravour. Wirklich. Ehrenwort.
Aber Thomas lacht. Er und dieses blaue Vehikel haben alles zerstört. Haben sich wie ein Stachel in mein aufgeblähtes Ego gebohrt und alles Selbstvertrauen zum Platzen gebracht. Der freundliche Klaps auf die Schulter reine Hinterlist. Und auch das kurze »Geht schon« kaschiert in Wirklichkeit nur das Urteil: Du kannst es nicht!
Das Schlimmste daran ist: Thomas hat Recht. Und jeder sieht´s. Ich gebe alles, doch es reicht nicht. Wie denn auch, zum Teufel, wenn dieses verdammte Ding noch nicht mal geradeaus fahren kann. Steht schon so schräg da im Fahrerlager. Gut fünf Grad aus der Vertikalen hängt die Maschine nach außen. Muss ich mich dann wundern, wenn mein linker Oberschenkel permanent die Fuhre gerade drücken möchte und längst steinhart verkrampft ist? Aber danach fragt keiner.
Nicht bei solcher Konkurrenz. Nur gut, dass Thomas und sein Bruder Klaus es vorhin bei einer beschaulichen Einführungsrunde beließen. Wäre alles noch peinlicher geworden. Denn Klaus und Thomas Weinmann sind wer in der Szene. Fünfmal Deutsche Gespanncross-Meister, einmal Vizeweltmeister, dreimal WM-Dritter. Doch nun ist´s gut. Mit dem DM-Titel 2002 treten die beiden Württemberger aus der Nähe von Künzelsau nach 22 Jahren Rennsport von der Bühne ab.
In dieser Zeit, so scheint es, gewöhnt man sich an alles. Sogar an ein Motocross-Gespann. Und daran, nicht locker zu lassen. Thomas und ich versuchen es noch mal. Erster Gang, sanft die Kupplung kommen lassen. Der 650er-Einzylinder-Zweitakter beißt kernig an, schiebt die 185 Kilo exklusive Personal, versteht sich vehement nach vorn. Was heißt nach vorn? Nach links. Blitzartig lenke ich nach rechts. Ist normal, hat mir Klaus vorhin gesagt. Immer Gegenlenken, denn der Beiwagen zieht solange man am Gas ist. Wenn nicht, drückt er. So wie vor der ersten Linkskurve. Gas weg, nach links einschlagen das Dreirad schlägt blitzartig einen Haken - und wir zuckeln um die Kurve. Thomas lacht. Ich ignoriere ihn.
Wieder Gas, wieder gewaltig Gegenlenken. Wieder eine Kurve diesmal nach rechts. Thomas wirft sich hinter mir auf die Sitzbank, das Vorderrad wandert nach außen, ich schlage bis fast an den Lenkanschlag ein. Zack, endlich erwischt das Vorderrad eine Rille, wir stehen gerade und Thomas längst wieder in Hab-Acht-Stellung im Beiwagen. Er denkt. Und wer lenkt? Ich nicht. Übersteuern, untersteuern, mal drückt das Boot, mal schiebt es, in Linkskurven hebt sich der Seitenwagen, rechts rum das Hinterrad. Eine Harmonie der drei Räder scheint nie zu existieren. Mein Koordinationszentrum arbeitet am Limit. Gleichzeitig überholt uns ein Hobby-Endurist auf einer KLX 300 mit Serien-Auspuff.
Jetzt reicht´s. Wir drehen bei. Thomas schreit mir in den Helm, dass das Getriebe auch mehr als zwei Gänge besäße. War´s tröstend gemeint oder wieder Hinterlist? Glauben wir an das Gute im Gespanncrosser und an dessen wachen Geist. Den braucht´s auf drei Rädern. Denn zu kaufen gibt´s in diesem Metier nur Rohware. Den Rahmen schweißten die Weinmänner eigenhändig bei der niederländischen Dreirad-Schmiede EML. Wegen der jahrelang gewohnten Geometrie. Deshalb braucht´s auch die russische BSU-Vorderradschwinge und die stolzen 175 Zentimeter Radstand. Oder die vergleichsweise schlanke Tank-Sitzbank-Kombination, die von der Suzuki DR 650 stammt. Oder die vielen selbst gemachten Teile wie der Schalldämpfer, die Umlenkhebelei, die Bodenplatte des Beiwagens, fast alle Kunststoffteile, die Bremsankerplatten, den Haltebügel für Thomas und und und.
Selbst ist das Duo nur nicht in Sachen Motor. Sepp Hattinger, ehemaliger Ingenieur bei KTM, kümmert sich seit fast einem Jahrzehnt um das Fortkommen der Dreiradler im Allgemeinen und der Weinmänner im Besonderen. MTH nennt sich die Kreation des Salzburgers. Der 653-cm³-Zweitakter mit Walzen-Auslasssteuerung und archaischem 44er-Bing-Rundschiebervergaser drückt knapp 80 PS Spitzenleistung ab.
Was mir Klaus aber nicht unbedingt hätte auf den ersten Metern beweisen müssen. Nach dem Partnertausch stehe ich bei dem 40-Jährigen im Boot. Vielleicht hilft die Rolle des Beobachters dem Verständnis für den post-infantilen Hang zum Dreirad dachte ich. Doch zunächst hilft nur eins: Festhalten. Doppelt betont. Auf halten und erst recht auf fest. Denn der Zweitakt-Single reißt an wie besessen. Und das Einzige, was die Trägheit meiner Masse bezwingen kann, ist der martialische Griff am Haltebügel. Mir leuchtet ein, warum Thomas unter den Cross-Handschuhen immer ein zusätzliches Paar gepolsterte Radhandschuhe trägt. Wieder diese erste Links. Klaus nimmt Gas weg, ich hänge mich aus dem Boot. Linker Fuß auf den Ausleger vor dem Beiwagenrad, der rechte Fuß klemmt sich unterm Haltebügel ein. Klappt. Wieder diese brutale Beschleunigung, dann die nächste Rechts. Ich hüpfe im Damensitz auf die Sitzbank, der rechte Arm umschlingt Klaus´ Bauch. Rum ums Eck, uff, wieder geradeaus. Dafür zermartern die Bodenwellen meine Füße. Kontakt zur Bodenplatte gibt´s nur für Sekundenbruchteile. Ich versuche, mit den Knien abzufedern. Nutzlos.
Überhaupt, wer denkt, wenn Klaus lenkt? Ich nicht. Er auch nicht? Wir rasen auf einen Sprung zu. Klaus, nicht doch! Zu spät. Wir heben ab. Wo soll ich hin? Nach rechts, nach links oder gleich abspringen? Entsetzen lähmt. In diesem Fall gut so. Wir knallen satt mit allen drei Rädern gleichzeitig auf. Wieder rechts, links, rechts, links. Raushängen, umsteigen, auf die Sitzbank werfen, umsteigen, raushängen. Die Reise nach Jerusalem im Drei-Sekunden-Takt. Aber ohne Stuhl. Klaus gibt den Rhythmus vor. Erst jetzt verstehe ich, was Ohnmacht wirklich bedeutet. Ich will nicht, aber ich muss. Ich fange an zu keuchen. Aus dem steinharten linken Oberschenkel werden butterweiche Knie und zittrige Hände. Doch ein ganz persönlicher Hoffnungsschimmer bleibt: Die KLX 300 haben wir abgehängt.
1 Mal durfte Deutschland einen Weltmeister feiern: 1980, im ersten Jahr der Gespanncross-WM, holten sich Böhler/Müller den Titel.2 Motoren-Hersteller teilen sich je zur Hälfte den Gespanncross-Markt: der österreichische KTM-Abkömmling MTH mit 653 cm³ und das deutsche Maico-Derivat Zabel mit 700 cm³. Der Stückpreis der Zweitakter liegt bei etwa 4500 Euro.3 bar Luftdruck schützt das Beiwagenrad vor dem Herunterwalken durch die Seitenkräfte. 2 bar stabilisieren den Vorderradreifen, ein Moosgummi den Hinterradreifen.4 Produzenten bieten Fahrwerks-Kits an. AYR (Estland), BSU (Russland), EML (Niederlande) und VMC (Niederlande). Der Kit zu je 6000 Euro. 40 Prozent der Gespanncrosser stehen auf Links-Beiwagen, 60 Prozent bevorzugen Rechts.100 Gespanncross-Teams gibt es hierzulande noch - höchstens.