Nachlese Mailand

Nachlese Mailand Wunsch & Wirklichkeit

Kein Fortschritt ohne Visionen: Von der Studie der großen Hersteller bis zum Traumbike der Kleinsthersteller war auf der Mailänder Messe alles vertreten.

Wunsch & Wirklichkeit Yamaha

Vorbei schienen die Zeiten, als die renommierten Hersteller sich auf den Messen mit reinen Show-Exponaten und Konzept-Bikes zu überbieten suchten. Doch diesen Herbst verschrieben sich auf der Mailänder Messe überraschend drei der vier großen japanischen Marken dem Thema Visionen. Daneben sonnten exotische Kleinsthersteller aus Italien bis hin zum Massenproduzenten aus Südkorea ihre neuen Produkte im Rampenlicht.
Der Exot auf dem Honda-Stand war ohne Zweifel der Roller Tamago. Das Ei, so die deutsche Übersetzung, bezeichnen die Modell-Strategen als rollendes Suitcase. Satter Stauraum von 65 Litern bietet Platz für zwei Helme oder für
den täglichen Bedarf und damit ideale Voraussetzungen für das urbane Einspur-Nutzfahrzeug.
Hohen Nutzwert räumt auch Kawasaki seiner Konzept-Studie ZZR-X mit Achsschenkellenkung ein. Als »ultimativer Hochgeschwindigkeitstourer« der Zukunft soll er bei Höchstgeschwindigkeit auf
der Autobahn eine ebenso gute Figur
abgeben wie auf der großen Tour. Den
Windschutz regeln variable Klappen geschwindigkeitsabhängig. Unter der Tankattrappe befindet sich ein großzügig
bemessener Laderaum. Koffer mit veränderbarem Stauraum, die aufklappbare Sissybar und die verstellbare Scheibe sollen den Tourenfahrer unter allen Bedingungen zufrieden stellen.
Mehr Emotionen denn Allroundeigenschaften assoziiert Yamaha mit seiner Studie MT-03. Der Single im Supermoto-Outfit soll »die aktuellen Grenzen des
Designs erweitern, durch Minimalismus und nicht zuletzt einen unvergleichlichen Sound dem Piloten ein intensiveres Erlebnis vermitteln als jedes andere Bike«. Wahre Wunderdinge schreibt Yamaha der Studie mit Zahnriemenantrieb zu.
Realistischer gibt sich Gilera mit der Ferro. Tiptronic oder Quickshift nur für Auto- oder Rollerfahrer? Nicht wenn es nach den Italienern geht. Auf der Basis des 850er-V2 (Fahrbericht MOTORRAD 10/2002) entstand ein Naked Bike mit stufenlosem Getriebe, das dank elektronischer Schaltung dem Fahrer sämtliche Möglichkeiten der Gangwahl offeriert. In drei unterschiedlichen Modi kann der
Pilot die Gänge konventionell per Fußschalthebel sortieren, halbautomatisch bei Bedarf in das Schaltprogramm eingreifen oder der Elektronik im Vollautomatikmodus die Wahl der Übersetzung überlassen.
Weit weniger Innovationen bietet ein neuer Cruiser von Hyosung, die Aquila 1000. Offensichtlich bedienen sich die Südkoreaner der gleichen Methode wie einst die Japaner in den späten 50ern. Hyosung kopierte nicht nur das Naked Bike Suzuki SV 650, auch die Aquila kommt dem Betrachter sowohl beim
Motor als auch beim Design verdammt
japanisch vor. Erst auf den zweiten Blick wirkt der 1000er-V2 mit je zwei obenliegenden Nockenwellen weit weniger
filigran. Genau wie die ersten Kopien
europäischer Bikes aus Fernost vor vier Jahrzehnten.
Nachbauten verbieten sich für italienische Edelschmieden freilich von selbst. Mondial präsentierte neben ihrer überarbeiteten Piega und der neuen Nackten RZ Nuda die Starfighter der Öffentlichkeit. Mit den beiden aggressiv übereinander platzierten, kantigen Scheinwerfern, den frei über der Gabelbrücke schwebenden Instrumenten und den beiden Schalldämpfern unter dem Heck scheint sie für den Krieg der Sterne gut gewappnet.
Schonungslos offen stellt auch die Macchia Nera der traditionsreichen Tuningschmiede NCR ihre Qualitäten zur Schau. Edelste Werkstoffe, wohin das Auge blickt, vor allem Titan hat es den Bolognesern angetan. So schimmern
die Motorenteile wie die Kupplung und sämtliche Schrauben im typischen Mattgrau des sündhaft teuren Metalls, ebenso der Rahmen, die Auspuffanlage und nicht zuletzt der komplette Kühler. Ein ehemaliges Ducati-Renntriebwerk von Franky Chili und exklusive Fahrwerkskomponenten hieven den Preis des Einzelstücks auf exorbitante 150000 Euro. Doch es geht auch billiger, schließlich kann der Interessent bei NCR jedes gewünschte Bauteil einzeln erwerben.
Deutlich günstiger, allerdings kaum weniger exklusiv zeigt sich die Ghezzi-Brian Kimera mit Guzzi-Motor, eigenem Fahrwerk und den für diesen Hersteller typischen, innenumfassenden Scheibenbremsen im Vorderrad. Weitere Kleinhersteller wie TM-Racing zogen mit
dem Funbike Black Dream die Blicke auf
sich. Viel sichtbare Kohlefaser, eine
Einarmschwinge und edle Bauteile wie die Öhlins-Gabel machen nicht nur auf der Supermoto-Piste, sondern auch vor dem Eiscafé eine gute Figur.
Während die käuflichen Raritäten Begehrlichkeiten wecken, die oft am Preis scheitern, verschwinden die Visionen der großen Hersteller meist wieder sang- und klanglos in der Versenkung. Doch man soll die Hoffnung nie aufgeben. Bisweilen wird der Wunsch auch zur Realität.

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