Wo hört ein Pedelec auf, wann fängt ein Motorrad an? Die Gulas Pi1S 10.0, bei dem man beständig treten muss, verwischt Grenzen. Das „schnellste Tret-Motorrad der Welt“ ist nicht nur für die soeben davon Überholten ein echtes Aha-Erlebnis.
Wo hört ein Pedelec auf, wann fängt ein Motorrad an? Die Gulas Pi1S 10.0, bei dem man beständig treten muss, verwischt Grenzen. Das „schnellste Tret-Motorrad der Welt“ ist nicht nur für die soeben davon Überholten ein echtes Aha-Erlebnis.
Der Fahrer der Yamaha MT-07 schaut mir noch lange nach. Und ich drehe mich zu ihm um. An dieser Gabelung trennen sich unsere Wege. Ein Zufall des Lebens hat uns zusammengebracht, für wenige Sekunden. Er hatte sich an der Ampel zwischen der linken und mittleren Autokolonne ganz nach vorn durchgeschlängelt, ich zwischen der mittleren und rechten Spur. Dann sprang die Ampel auf Grün. Gas! Hhmm, bei einem E-Bike? Okay, los! Ohne einzukuppeln oder den Gang einzulegen. Damit ist der Kollege auf der MT-07 noch beschäftigt, während der Stromer Gulas Pi1S unter mir schon kräftig vorwärtsmacht. Um vom Fleck zu kommen, um in Fahrt zu bleiben, muss ich selber treten.
Es gibt keinen Drehgriff, um den Fluss der Elektronen zu steuern. Allein die Tretkurbel hat das Kommando über Speed und Power. Strampel-Männchen. So muss der überraschte Yamaha-Fahrer denken, hier würde Superman persönlich in die Pedale treten und hätte ihn gerade gnadenlos abgeledert. Böse. Doch die schnellsten Pedelecs schaffen nur Tempo 45. Ganz schön schnell für ein Fahrrad, ganz schön lahm für ein Motorrad.
Nicht so dieses Konzept hier: Das große amtliche Kennzeichen hinterm Fahrradsattel kommt nicht von ungefähr. Und meint nicht nur bis zu 28.000 statt 500 Watt samt ganz anderer Höchstgeschwindigkeit, nämlich bis zu 115 km/h. Bloß gut festhalten am 80 Zentimeter breiten Lenker.
Bei einem Pedelec treibt der Fahrer das Hinterrad selber an, der E-Motor packt zusätzlich ordentlich Schmackes obendrauf. Ist also ein Parallel-Hybrid, der Muskelkraft multipliziert. Doch bei der nach ihrem Konstrukteur benannten Gulas Pi1S 10.0 („wie die Kreiszahl Pi“) führt ein Zahnriemen von der Tretkurbel nach vorn. Zu einem Generator mit Schwungscheibe und Potenziometer. Einfach gesagt: Langsam treten bedeutet sachte rollen, schneller treten ruft mehr Leistung ab. In drei Fahrstufen werden bis zu 60, 80 oder 100 Prozent der 28 Kilowatt freigegeben. Es gibt keine direkte Verbindung von den Fahrradpedalen zum Hinterrad. Es ist also ein Serien-Hybrid mit zwei Antriebssträngen hintereinander. Daraus resultiert ein völlig anderes, unvergleichliches Fahrgefühl.
Meine Sinne fahren Schlitten, Synapsen sind im Dauerfeuer. Die Illusion, Fahrrad zu fahren, ist perfekt. Untrainiert kommst du dir vor, als wärest du ein Klon mit den Genen der Radrennfahrer Eddy Merckx, Lance Armstrong und Jan Ullrich. Dabei ist gar nicht viel Kraft notwendig, um flott vom Fleck zu kommen – Hometrainer, leichteste Stufe. Nur anfahren und feinjustieren muss man ein wenig üben, etwa wenn ein Auto doch noch ein paar Meter vorrollt an der Ampel. Im Gegenzug entdeckst du auf deiner Hausstrecke überraschend Neues. Die Welt ist plötzlich anders, die Wahrnehmung verrückt. So muss sich eine Stubenfliege fühlen, wenn die Hand nach ihr schlägt und sie alles in Zeitlupe sieht.
Der Erbauer: Stefan Gulas ist Diplom-Ingenieur für Berg(bau)wesen. Viele Praktika brachten den gebürtigen Österreicher, der heute in Berlin lebt und arbeitet, bis nach Südafrika und Kanada. Schon mit 15 Jahren schrieb er sich als außerordentlicher Hörer an der Universität Leoben ein: "Ich wollte wissen, wie man Rennautos konstruiert." Bis heute hat der 47-Jährige eine "emotionale Beziehung zu motorisierten Fahrzeugen, das ist immer meine Leidenschaft geblieben". Warum er ein absolut eigenes Fahrzeugkonzept entwickelt hat? "Ich wollte einfach mit einem Fahrrad Autos abziehen. In manchen Sachen bin ich eben echt irrational."
Dieses Motorrad und die neun anderen völlig verrückten Maschinen sind live vom 3. bis zum 7. Oktober auf der INTERMOT in Köln zu bestaunen. Auf dem Messeboulevard im Gang zwischen den Messehallen 6 und 9 und am Stand von MOTORRAD in Halle 9, Stand A 41.
Motorrad- und Roller-Fans, die alternative Antriebstechnologien spannend finden, werden natürlich auf der INTERMOT 2018 fündig. In neuer Atmosphäre wie Konzeption startet die INTERMOT e-motion: Elektro-Motorräder waren ohnehin schon in den „regulären“ INTERMOT-Hallen dabei, jetzt folgen Elektro-Roller- sowie -Fahrräder mit Zubehör.
Zur Einstimmung gibt es eine E-Motorrad-Sonderschau im Boulevard. Mit dabei sind KTM, Gauss Project, Torrot und Zero. Die E-Scooter stehen nun zusammen mit den Benzinern in Halle 7, neben Vespa/Piaggio und Co. Dabei sind u. a.Energica, Kumpan electrics, emco electroroller, NITO, NIU und Vmoto.
E-Bikes findet ihr auf der INTERMOT 2018 in Halle 8. Sie dürfen auf dem bewährten großen E-Bike-Parcours gefahren werden: In „E-Bike City“ darf man die Räder im nachgestellten Straßenverkehr testen. Also schnell Akkus laden und ab nach Köln!