Pendeltest KTM Adventure-Modelle
Schwingende statt starre Koffer

KTM hat nun auf Kritik an der Hochgeschwindigkeitsstabilität der Adventure-Modelle reagiert. Schwingend statt starr aufgehängter Koffer sollen mehr Ruhe ins Fahrwerk bringen.

Schwingende statt starre Koffer
Foto: jkuenstle.de

Auf dem streng abgeschirmten Testgelände von Idiada nahe Barcelona – dort herrscht übrigens striktes Fotoverbot – bot KTM ausgewählten Journalisten aus Deutschland die Möglichkeit, das Thema Pendeln quasi unter Laborbedingungen auf einem Acht-Kilometer-Oval zu ergründen. Zur Wahl standen die Modelle KTM 1190 Adventure, KTM 1190 Adventure R und KTM 1290 Super Adventure, jeweils mit oder ohne Koffer samt der neuen Aufhängung. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Was war das Problem?

Die Modelle KTM 1190 Adventure und KTM 1290 Super Adventure neigen besonders beladen mit Gepäck zum Pendeln, das je nach Zustand von Reifen und Maschine beladen schon ab Geschwindigkeiten um 160 km/h beginnen kann. Auch ohne Gepäck tritt dieses Pendeln bei manchen Maschinen ab etwa 200 km/h auf. Bei der KTM 1190 Adventure R mit 21-Zoll-Vorderrad ist die Pendelneigung grundsätzlich stärker ausgeprägt und auch solo latent vorhanden.

Wie gefährlich ist das Pendeln?

KTM
Geradeaus mit Gepäck: Kein Problem mit den neuen Kpfferträgern, die vorn eine Gummilagerung und hinten eine quer bewegliche Führung besitzen.

Im Extremfall besteht Sturzgefahr. Es kam bereits zu einem Unfall auf der Autobahn bei Kassel mit einer voll bepackten KTM 1190 Adventure R. In aller Regel schaukelt sich die Maschine nicht schlagartig auf, sondern kommt mit steigender Amplitude in den Schwingungsbereich. Ungünstige Faktoren wie Schleppwirbel von Lkws können aber auch zu plötzlichen Unruhen führen.

Was sind die Ursachen fürs Pendeln?

Es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Komponenten, bei dem Steifigkeiten und Massenverteilung von Fahrwerk und Komponenten, die Aerodynamik und vor allem auch die Bereifung eine Rolle spielen.

Kann der Besitzer etwas dagegen tun?

Die wirklichen Ursachen fürs kann der Besitzer nicht beseitigen, die Phänomene lassen sich jedoch mildern. Wichtig ist ein guter Zustand der Reifen. Zunächst war nur die Serienbereifung Conti Road­Attack 2 verfügbar. MOTORRAD probierte kürzlich Dunlop Roadsmart aus, die beim Geradeauslauf deutliche Verbesserungen, aber Nachteile beim Lenkverhalten in Kurven brachten. Wichtig sind des Weiteren spielfrei eingestellte Lenkkopf- und Schwingenlager, auch Rundlauf und Auswuchtung der Speichenräder.

 

Unterschiede 1190 Adventure und 1290 Super Adventure?

Prinzipiell gibt es keine Unterschiede zwischen KTM 1190 Adventure und KTM 1290 Super Adventure , da die Basis, also Fahrwerk und Federelemente, grundsätzlich gleich sind. Nach MOTORRAD-Erfahrungen ist die neuere 1290er sogar tendenziell ein wenig anfälliger, hier spielen die höhere Leistung, das größere Gewicht und die andere Aerodynamik eine Rolle.

Warum hat KTM zunächst nicht reagiert?

Bereits im Lauf des Jahres 2014 hatte MOTORRAD nach wiederholter Kritik in Tests und beim Alpen-Masters Kontakt mit dem deutschen Importeur und dem Werk in Österreich aufgenommen. Schließlich wurde ein Treffen auf der A 81 vereinbart. Dabei bestätigten sich die Kritikpunkte. Die KTM-Vertreter vertraten jedoch die Meinung, dass es sich nicht um sicherheitsrelevante Fahrwerksschwächen handelt. Zumal KTM mit Koffern eine maximale Geschwindigkeit von 150 km/h empfiehlt.

 

Warum wurde jetzt doch reagiert?

Ausschlaggebend waren zunehmend kritische Berichte in der Fachpresse, vor allem aber besagter Unfall, der KTM in Zugzwang brachte.

Was wurde nun verändert?

KTM
Koffer und Motorrad bleiben unverändert, daher sind die Träger leicht nachzurüsten.

Am Fahrzeug zunächst einmal gar nichts. KTM hat bereits an sämtliche Händler eine Checkliste herausgegeben, die bei Problemen mit Kundenmaschinen abgearbeitet werden soll. Geändert wird allerdings in Zukunft der Anbau der Koffer. Die Halter sind nicht mehr starr, sondern vorn in Gummi und hinten verschiebbar aufgehängt. Beide Koffer werden mit einer Stange verbunden, können so ein wenig schwingen. Triumph setzt seit vielen Jahren eine ähnliche Lösung ein.

Ist diese Aufhängung nachrüstbar?

Die gute Nachricht: Ja, alle 1190er- und 1290er-Modelle lassen sich mit überschaubarem Aufwand umbauen, da an den Koffern und am Fahrzeug – abgesehen von zwei Verkleidungsteilen mit Aussparung für den Verbindungshebel – keine Veränderungen vorgenommen wurden. Zurzeit ist der Preis für einen Umbaukit noch nicht kalkuliert. MOTORRAD schätzt ihn auf rund 200 Euro. Eine kostenlose Nachrüstung ist bisher nicht vorgesehen.

Wann gehen die neuen Kofferträger in Serie?

KTM
Koffer und Motorrad bleiben unverändert, daher sind die Träger leicht nachzurüsten.

Leider erst ab Modelljahr 2017, also Ende dieses Jahres. Die 2016er-Modelle mit den bisherigen starren Kofferträgern sind bereits produziert. Der Umrüstkit ist schon früher, nämlich ab Mai über die KTM-Händler zu bekommen.

Ist das Thema damit erledigt?

In der Tat ist gefährliches Pendeln mit den gelenkig aufgehängten Koffern praktisch kein Thema mehr, selbst wenn diese wie beim Test mit je zehn Kilogramm beladen sind. Das gilt zumindest, solange nicht ungünstige Faktoren ins Spiel kommen. Eine leichte, unkritische Pendelneigung bei Topspeed bleibt. Ob man voll beladen mit 240 km/h über die Autobahn brausen muss, ist eine andere Frage. Die KTM-Empfehlung von 150 km/h mit Koffern bleibt allerdings für alle Adventure-Varianten bestehen.

Welche Fehler hat KTM gemacht?

Sicher hat man das Problem aus Sicht der MOTORRAD-Tester zu lange ignoriert. Daher war es zu spät, um bei der KTM 1290 Super Adventure einzugreifen. Außerdem war der Umgang mit Kritik aus der Fachpresse ungeschickt. Und es stellt sich die Frage, warum das in der Erprobungsphase nicht aufgefallen ist oder ob ein so sicherheitsrelevantes Thema den nötigen Stellenwert bei der Entwicklung hatte.

Data Recording

Pendel-Diagramme der KTM 1190 Adventure ohne sowie mit starr und flexibel aufgehängten Koffern.

Alle Testmaschinen waren mit Datenloggern ausgerüstet, welche die serienmäßige Bosch-Gyrosensorik nutzten und Gierschwingungen um die Hochachse aufzeichneten.

Eine KTM 1190 Adventure ohne Gepäck zeigt bei Topspeed (etwa 250 km/h) leichte Schwingungen im Bereich von drei Hertz (rote Linie), die der Fahrer aber allenfalls minimal spürt. Das ist die Eigenfrequenz, die prinzipiell jedes Motorrad besitzt, die sich oft aber überhaupt nicht bemerkbar macht. Mit starr montierten Koffern und je zehn Kilogramm Inhalt verstärken sich die Schwingungen der 1190 Adventure ab etwa 200 km/h stark. Der Fahrer dreht daher den Gasgriff zurück (grüne Linie), die Geschwindigkeit (blaue Linie) steigert sich nicht mehr. Die Schwingungen bleiben jedoch weiter im kritischen Bereich, ungedämpft klingen sie nicht von selbst ab. Mit flexibel aufgehängten Koffern sieht die Lage erheblich besser aus. Selbst bei Topspeed läuft die KTM 1190 Adventure ziemlich stabil geradeaus.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023