Perspektiven von MZ

Perspektiven von MZ MZ Mammons Zwickmühle

Aus dem einstigen Massenhersteller MZ ist ein Kleinbetrieb geworden. Dennoch wollen die neuen Chefs hoch hinaus, den Global Player geben. Der europäische Markt, die Tausender, spielt für den Eigner, den malaysischen Hong Leong-Konzern, dabei nur eine Nebenrolle.

MZ Mammons Zwickmühle Jörg Künstle

Dem neuen Geschäftsführer von MZ bietet sich eine herrliche Perspektive. Wenn Herr Yap Peng Leong aus dem Fenster seines Büros schaut, blickt er weit über die Hügel und Täler des Erzgebirges. Weniger schön sind die Aussichten, wenn er den Blick senkt. Dann sieht er den
Firmenparkplatz, auf dem sich nur vereinzelt ein paar Autos verlieren.
Seit September, mit der Entscheidung, die 125er zukünftig nur noch in Malaysia zu fertigen, hat MZ fast die Hälfte der
Belegschaft entlassen. Von 170 Beschäftigten bleiben gerade mal 90 übrig. 35
bei MZ Engineering, der ausgelagerten Entwicklungsabteilung, 55 bei der Pro-duktionsgesellschaft, darunter freilich 20
Auszubildende. Deren Perspektiven seien
prima, meint Herr Yap. Business sei nun mal international, MZ Teil eines global agierenden Konzerns, und da müsse man sich nur mobil genug zeigen. Schließ-
lich sei auch er mit seinen 51 Jahren
noch nach Deutschland gekommen, um gleich zwei Geschäftsführer zu ersetzen. Dr. Christof Baumgärtner ging oder musste nach nur einem Jahr gehen, weil er Pläne hatte für MZ, die mit denen der Malaysier nicht vereinbar waren, und Ramasamy
Vasuthewan ist reif für die Rente.
Der Neue, der bei Hong Leong im
Finanzsektor seine Karriere begonnen
hat, betont, ein Mann der Zahlen zu sein. »Alles, was ich sehe, speichere ich in
Zahlen, das liegt mir.« Deshalb sieht Herr Yap, wenn er nicht aus dem Fenster schaut, sondern in die Bücher, immer rot.
Seit der Wende hat MZ nie Geld
verdient. Mit der Einführung der D-Mark 1990 brach der Markt im Osten weg – die
Motorräder wurden zu teuer –, und für
den Westen hatte die Firma keine attraktiven Modelle. 3000 von 3800 Mitarbeitern mussten gehen. Gekommen sind zwei smarte Manager, von denen der eine, Wolfram Sauerbrey, alsbald als Betrüger entlarvt wurde, der andere, Petr-Karel Korous, nicht. Er blieb. Und führte die Firma, trotz Finanzspritzen vom Freistaat Sachsen, 1996 in Konkurs. Allerdings brachte Korous es fertig, den malaysischen Mischkonzern Hong Leong für MZ zu begeistern. Die Strategie muss sich gut angehört haben, und eigentlich hört sie sich immer noch
gut an. Vasuthewan erklärt sie so: »Es
ist ein Kreislauf. Das Image, das man mit
dem Bau großer Motorräder gewinnt, wirkt
sich auf kleine Maschinen, Motorräder für den Massenmarkt in Schwellenländern wie Vietnam, Iran, Indien, aus.« Dort werden Millionen solcher Kleinkrafträder abgesetzt, allein in Südostasien gebe es ein Potenzial von sieben Millionen Einheiten pro Jahr. »Ein Teil dessen, was damit verdient wird, investiert man in neue Prestigeobjekte, die wiederum die Entwicklung der Technologie fördern.« Honda sei auf diese Art und Weise groß geworden, eigentlich alle japanischen Hersteller.
Anno 1996 visionierte sich Hong
Leong-Boss Ron Lim MZ auf eine Stufe
mit Honda und Yamaha. Das ging gründlich in die Hose. Weil MZ keine Linie
in die Modellpolitik brachte, zu keinem
Stil, keinem eigenen Image fand. Weil
MZ ein Potpourri von Motorrädern baute, die, zumindest seit der Skorpion 1994, nicht mal schlecht waren. Aber keinen mehr interessierten. Die Chance, eine
eigene Nische zu besetzen, etwa nach dem Vorbild von KTM, war verpasst, der Ruf so ziemlich ruiniert. Dazu passten
absurde Management-Fehler, wie etwa der, mehrere Millionen in ein völlig ab-
struses Grand-Prix-Projekt zu versenken oder sich mit der Entwicklung der neuen Tausender zu verrennen, just damit gleichwohl hausieren zu gehen, Jahre vor Produktionsbeginn.
Der dafür Verantwortliche, Petr-Karel Korous, erfreute sich, bis er 2004 geschasst wurde, kommentarlos, beinahe über Nacht, größter Beliebtheit bei fast
allen in der Region. Denn der gebürtige Tscheche inszenierte sich genau so, wie man sich zu DDR-Zeiten zunächst den
bösen, später dann den erfolgreichen
Kapitalisten vorgestellt hat. Der Lebemann fuhr fette Autos, qualmte dicke Zigarren, umgab sich mit schlanken jungen Frauen. Als eine der Verflossenen – das mag die Verbundenheit der MZ-Werker mit ihrem Chef und der Firma illustrieren – sich
mit dem Sohn eines Zschopauer Kneipiers
zusammentat, galt unter der Belegschaft
die Parole, dass man dieses Etablissement in Zukunft meide.
Auf MZ wollte man eben nichts kommen lassen, und auf den Chef schon
gar nichts, zu wichtig die Firma für die Stadt, die ganze Region. Obwohl in
Zwickau, Chemnitz oder Leipzig wieder Fahrzeuge und Zubehör produziert werden, in neuen Fabriken und meist effektiver als im Westen, sind die großen Hersteller, die einst für Sachsens Kraftfahrzeug-
bau standen, Marken wie DKW, Horch, Auto Union, Trabant, verschwunden. Übrig blieb aus einer glorreichen Vergangenheit namentlich einzig MZ. Ein Symbol mit
insbesondere psychologischer Bedeutung. »Für das Selbstbewusstsein nicht nur
unserer Stadt kommt MZ eine immense Bedeutung zu«, sagt Zschopaus Oberbürgermeister Klaus Baumann, der als Dreher, Polierer und Lackschleifer bei MZ gear-
beitet hat, bevor er Mitte der 70er Jahre Ökonomie studierte. Im Stadtmuseum in der Burg Wildeck stehen einzig Motor-
räder rum, von der ersten DKW bis zur 1000er-MZ. »Zschopau begreift sich weiter als Motorrad- und MZ-Stadt«, erklärt OB
Baumann, »weil ja die Geschichte nicht wegradiert werden kann.«
Bei allem Stolz auf diese Geschichte scheint man sich mit der aktuellen Misere abgefunden zu haben. »Ach, tatsächlich, die haben Mitarbeiter entlassen«, wundert sich eine alte Dame auf dem Marktplatz bereits lange nicht mehr. Was dann folgt,
ist symptomatisch. »Daran hat man sich mittlerweile schon gewöhnt.« Ihren Namen möchte sie nicht nennen. »Weil manche denken könnten, ich wolle mich in den Vordergrund stellen, und das will ich doch nicht. Ich will nur, dass sie MZ nicht
dicht machen.«
Das möchte auch Sven Schulze von der Agentur für Arbeit in Annaberg-Buchholz nicht. Obwohl er die Lage nicht
dramatisiert. »Es ist hart, auf einen Schlag mit 80 neuen Arbeitslosen konfrontiert zu werden, aber im Schnitt verlieren wir im Bezirk Zschopau jeden Monat 200 Arbeitsplätze in der Industrie.« Dennoch pendelt die Arbeitslosenquote seit längerem schon um die 15 Prozent, heißt: Es gehen zwar viele Jobs verloren, aber es kommen in etwa genau so viele hinzu. Freilich nicht
in Zschopau selbst. Deshalb glaubt Schulze, dass er den ein oder anderen früheren MZ-Werker vermitteln kann. Neun waren es Anfang des Jahres. Außerdem sei im Frühjahr bei MZ »ein Rückruf von zehn
bis 15 Arbeitnehmern vorgesehen«.
Die allerdings brauchen sich keine Hoffnung auf eine Festanstellung zu
machen. »Das Motorradgeschäft ist ein Saisongeschäft, wir beschäftigen die Leute bei Bedarf auf Basis eines Kurzzeit-
vertrags, fünf, sechs Monate lang«, erklärt Geschäftsführer Yap. Wie schön und wie praktisch, wie angenehm und wie profi-
tabel, gleich vor der Haustür aus einem Reservoir qualifizierter, loyaler Arbeitskräfte nach Belieben schöpfen zu können. Derart loyal waren diese Arbeitskräfte, dass sie sich ohne Tamtam, ohne jeglichen Protest haben auf die Straße setzen lassen. Sogar der Chef des Betriebsrats, Joachim Aurich, folgte willfährig der abstrakten Logik der Zahlen, setzte sich mit Vasuthewan zusammen und selektierte die Liste derer, auf die man in Zukunft nur noch im Bedarfsfall zurückgreifen könnte. Und weil die wiederum an ihren Bedarf dachten, daran, dass man ihrer irgendwann mal wieder bedürftig sein könnte, muckten sie nicht auf, sondern ließen sich brav »freisetzen«.
In der Tat denkt Hong Leong nicht
daran, sich von MZ zurückzuziehen, die Motorradproduktion in Zschopau einzustellen. Zumindest zunächst nicht. Indes, Yap, der Freund der Zahlen, kommentiert, die Präsenz in Zschopau hänge davon
ab, wie gut die 1000er – und nur die wird
noch dort fabriziert – laufe. Die in Asien herzustellen rechne sich nicht, weil es
an entsprechenden Zulieferern mangele, und wegen der geringen Stückzahl. Damit steckt das Management in einer Zwickmühle. Es weiß genau, dass man eigentlich in das Produkt investieren müsste, ver-
mutet andererseits, dass sich das nicht auszahlt. »Die Entwicklung der 1000er hat«, führt Vasuthewan aus, »eine Menge Geld verschlungen, und die Erträge waren in wirtschaftlicher Hinsicht schlicht nicht
akzeptabel.« MZ drohe auszubluten, wenn man sich nicht stärker auf die wirtschaftlichen Aspekte des internationalen Geschäfts konzentriere. Soll heißen: MZ
Engineering entwickelt weiter 125er – »weltweit die wichtigste Klasse« – und schiebt Aufsteigermodelle nach: 150er, 175er, 200er, 250er.
Klar, dass damit in Europa kaum ein Blumentopf zu gewinnen ist. Doch spielt Europa in der Strategie von Hong Leong lediglich eine Nebenrolle. Das Hauptquartier der MZ Group sitzt nicht in Zschopau, sondern in Malaysia. »Deutschland ist
für uns nur ein kleines Rädchen in einer großen Maschine, und das eigentliche
Geschäft geht ums Masse machen.« In dieser Hinsicht liegen Vasuthewan und Yap, alter und neuer Chef, ganz auf einer Linie, der des Konzerns.
Dr. Christof Baumgärtner demgegenüber hatte viel stärker den deutschen und europäischen Markt, mithin die 1000er und ihre Verbesserung, im Blick. »Baumgärtner ist ein Motorradenthusiast, der schaut
zuerst aufs Produkt. Wir müssen jedoch gute Manager sein«, erhellt Yap die bislang nicht ausgesprochenen Gründe, die zur Trennung von Baumgärtner führten.
Der hatte noch dem Designer Jens vom Brauck den Auftrag gegeben, sich
mit der 1000er derart rigoros auseinander zu setzen, dass sie am Ende eben das
hätte, was MZ noch immer fehlt: Konsequenz, Radikalität, Unverwechselbarkeit. Heraus kam Überraschendes, die Studie SFx (MOTORRAD 2/2006).
So richtig glücklich scheint die jetzige Geschäftsführung mit dieser Hinterlassenschaft jedoch nicht. Denn um das Motorrad in Serie zu fertigen, brauche es Geld, viel Geld. Geld, das MZ Deutschland
nicht hat. »Wenn wir in Malaysia weitere
Investitionen für solche Prestigeobjekte fordern, kommt sofort die Frage, wie der deutsche Motorradmarkt denn gewachsen wäre. Und dann müssen wir sagen, dass
er geschrumpft ist, und können wieder
einpacken«, resümiert Ramasamy Vasuthewan seine Erfahrungen.
Wenn diese Logik, momentan in so
gut wie allen Chefetagen die gängige, auch bei Hong Leong die einzige ist,
lassen sich daraus zwei Szenarien ab-
leiten. Variante eins: Hong Leong steckt
immer weniger Kohle in die 1000er. Spätestens 2007 dümpelt sie veraltet vor sich hin, 87 verkaufte Exemplare weltweit, 53 Sonderfarben. Das wäre es dann ge-
wesen mit dem Motorradbau in Zschopau. Variante zwei: Hong Leong steckt immer weniger Kohle in den Zweizylinder, aber
es findet sich ein Investor, der bereit
ist, mehrere Millionen Euro in die Firma
zu stecken. Nicht aus Jux und Dollerei, sondern weil er davon überzeugt ist,
dass MZ sich mit Maschinen wie der SFx durchaus einen eigenen Markt entwickeln könnte. Für Yap Peng Leong wäre das
kein Problem, er habe »nichts gegen die Idee eines Ko-Investoren, solange das
kein Heuschreckenkapitalist ist«.
Zurzeit sucht jemand, der bis vor
kurzem noch in führender Position bei MZ
arbeitete, nach einem solchen Geldgeber, und er glaubt, dass die Chancen, alsbald einen solchen zu finden, nicht einmal schlecht stehen.

Übrigens: Ein Porträt von Jens vom Brauck
erscheint in MOTORRAD 5/2006.

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