Man kann ihn drehen und wenden, wie man will. Ihn aus allen Perspektiven, von nah und aus der Ferne betrachten. Man kann ihn an- und ausmachen, im Standgas tuckern oder in höchsten Tönen jubeln lassen und wird konstatieren: Alles am 650er-Einzylinder ist wie immer. Und doch hat die Geschichte das Zeug zum Skandal.
Warum? Weil jetzt vermutlich viele sagen werden: »Die also auch!« BMW, die deutsche Vorzeigefirma, die bayerisches Brauchtum seit jeher quasi kostenlos in jeder Packtasche mitliefert, lässt ihren Einzylinder in China produzieren. Hat es denn nicht gereicht, dass die Bayern die Produktion der »kleinen« Motoren (650er und 800er) zur Alpen-Konkurrenz nach Österreich (Rotax) gaben und die G-Modelle nach wie vor in Italien bei Aprilia bauen lassen? War es nicht genug, dass der Rest des Modellprogramms vom Erzfeind in Preußens Hauptstadt zusammengesteckt wird? Musste es jetzt zu allem Überfluss auch noch China sein?
Aber so ist das wohl im Zeitalter der Globalisierung. Andererseits: Kann nicht dem Kunden recht sein, was BMW richtig billig ist? Die Befürchtung, dass irgendwo in Pleuel oder Kolben giftige Weichmacher versteckt sind, scheint jedenfalls zunächst unbegründet. Im Gegenteil: Im direkten Vergleich mit einer Rotax-Xcountry zeigt sich der Locin-Motor im Fahrbetrieb wie auf dem Prüfstand in ordentlicher Form. Gerade einmal ein PS verliert er auf den Österreich-Single in der Spitze (siehe Leistungsdiagramm Seite 45) und liegt damit im Rahmen der Messtoleranz.
Das chinesische Rotax-Herz der X-Country im Leistungstest

Keine Auffälligkeiten auch, wenn es um die subjektiven Eindrücke geht. Hüben wie drüben ergänzt sich eine geschmeidige Gasannahme mit dem kernigen Antritt aus dem Drehzahlkeller, um dann im mittleren Drehzahlbereich noch einmal draufzusatteln und mit knapp 60 Newtonmetern (hier liegt der Rotax-Motor ebenfalls um nur einen Newtonmeter vorn) und sattem Schlag anzutreiben. Drehfreude hingegen ist (und war) seine Sache nicht, ab 5500/min geht es spürbar zäher voran, bevor dann runde 2000/min später der Begrenzer harsch abregelt.
Das macht aber nichts, denn dieser Charakter passt perfekt zum unkapriziösen Auftritt der Xcountry, die ja explizit für den Alltag und die entspannte Motorradwanderung entwickelt wurde und auch fahrwerksseitig zu keinerlei Eskapaden neigt. Darüber, wie es um die Dauerhaltbarkeit bestellt ist, können an dieser Stelle selbstredend keine Aussagen getroffen werden. Denn obwohl von außen betrachtet keine Unterschiede feststellbar sind, liegen beide Motoren technisch immerhin so weit auseinander, dass nur wenige Teile untereinander austauschbar sind (siehe Interview).
Im Gespräch geht BMW-Pressesprecher Rudolf-Andreas Probst auch auf die deutliche Preissenkung der Xcountry (um 1000 Euro auf 7162 Euro) ein, die er jedoch nicht im Zusammenhang mit der China-Produktion verstanden haben möchte. Trotzdem könnte eine solche Differenz dem einen oder anderen helfen, ideologische Bedenken über Bord zu werfen. Made in Germany hin, Rotax her.
Interview
Der Motor der BMW G 650 Xcountry wird seit September 2007 beim chinesischen Motorradhersteller Loncin gefertigt und nicht mehr bei Rotax in Österreich. Warum ist das so und warum wird das erst jetzt bekannt?
Der weltweite Bezug von Teilen und Komponenten ist bei BMW Motorrad wie bei allen anderen Herstellern auch ein ganz normaler Vorgang. Konkret ist der Teileeinkauf im asiatischen Raum ein geeignetes Mittel, um die durch den starken Euro bedingten Währungsnachteile vor allem gegen-über dem Yen kompensieren zu können. Wir schaffen so Spielraum in den Kostenstrukturen, um un-seren Kunden weiterhin Innovationen und technische Besonderheiten auch in der Mittelklasse anbieten zu können, in der ein aggressiver Preiswettbewerb herrscht. Darüber hinaus hat unsere Asienstrategie eine marktstrategische Komponente. Noch gibt es in den aufstrebenden Ländern Asiens kaum einen Markt für großvolumige Motorräder. Wir sind aber zuversichtlich, dass sich das in einigen Jahren ändern wird. Und wir können in diesen Märkten erfolgreich sein, wenn wir dort unsere Marke frühzeitig etablieren und uns mit Aktivitäten und Produkten aus dem Hause BMW Motorrad rechtzeitig einen Namen machen. Zum zweiten Teil der Frage: Wir haben das im Herbst auf der Eicma in Mailand kommuniziert und damit weit vor der Auslieferung der ersten Modelle mit Loncin-Motor.
Ist dies als der Anfang einer intensiven Zusammenarbeit zu betrachten, die über dieses Modell hinausgeht?
Gerüchte sprechen gar von einer BMW-Beteiligung an Loncin.
Loncin ist seit Mitte 2007 bereits Betreiber des Boxer Cafés in Chongqing. Das Boxer Café ist neben Peking der zweite Vertriebsstützpunkt in China. Loncin ist damit Vertriebspartner und soll in diesem Jahr auch Importeur für BMW-Motorräder für China werden. Es gibt derzeit keine weiteren Projektentscheidungen, aber wir schließen langfristig nicht völlig aus, die Zusammenarbeit mit Loncin auszubauen. Über eine Beteiligung zu sprechen ist jedoch abwegig.
Wie hoch ist die Kostenersparnis pro Motor, die sich aus der Verlagerung ergibt?
Das sind interne Zahlen, über die wir extern nicht sprechen.
Werden diese Einsparungen durch die jüngste Preissenkung komplett an die Kunden weitergegeben?
Die Preismaßnahme hat ursächlich nichts mit dem Motor aus chinesischer Produktion zu tun, denn abhängig von der Bevorratung der Märkte beziehungsweise der Händler wird es die G 650 Xcountry eine gewisse Zeit auch noch mit Rotax-Motor geben. Die Preisstaffelung haben wir aufgrund der Einführung der Zweizylinder-Funduro F 650 GS angepasst. Mit dem neuen Grundpreis von 6900 Euro wendet sich die G 650 Xcountry nun noch mehr an junge Zielgruppen, die wir bisher nicht erreicht haben.
Weist der neue China-Motor im Vergleich zum Rotax-Aggregat technische Unterschiede auf oder sind alle Teile austauschbar?
Der Motor ist konzeptionell und konstruktiv nahezu baugleich mit dem Rotax-Motor. Die Leistungsdaten sind mit denen des Rotax-Motors identisch. Bis auf die geringere Kupplungshandkraft beim Motor von Loncin ist kein Unterschied für den Kunden spürbar. Die Austauschbarkeit von Teilen ist bis auf wenige Ausnahmen nicht vorgesehen.
Wird der Motor komplett von Loncin in China produziert oder erfolgt dort nur die Montage?
Wie bei der Motorenproduktion allgemein üblich stellt Loncin Teile nicht nur selbst her, sondern kauft auch welche von internationalen Zulieferern zu und montiert diese in einer eigens eingerichteten Montagehalle.
Ist es für BMW vorstellbar, auch die Boxer- und Vierzylinderproduktion aus Berlin nach China zu verlagern? Oder dort komplette Motorräder bauen zu lassen?
Nein. Wir verlagern auch keine Produktion nach China, sondern wechseln nur den Produzenten beziehungsweise Lieferanten des Motors für die G-Baureihe.
Wird die Kooperation mit Rotax fortgesetzt, und wenn ja, wie lange?
Wir waren und sind mit der Zusammenarbeit mit Rotax sehr zufrieden.
Was bedeutet diese Tatsache bezüglich der oben gestellten Frage?
Dass der 800er-Zweizylinder weiterhin bei Rotax gefertigt wird.
Befürchten Sie keinen Imageschaden, wenn Sie in China produzieren lassen, weil gerade BMW-Kunden auf »made in Germany« Wert legen?
Wir beziehen kein Billigprodukt aus China, sondern einen Hightech-Motor, der nach BMW-Maßstäben gefertigt wird. Entscheidend ist die Qualität des Produkts und nicht seine Herkunft. Der Einzylindermotor wurde von unseren Ingenieuren nach den Maßstäben erprobt, wie sie für alle anderen BMW-Motorradmotoren gelten. Im Rahmen der Entwicklung haben wir auch kleine Optimierungen einfließen lassen. Wir sind sicher, dass der Einzylindermotor die Erwartungen unserer Kunden voll erfüllen wird.
Ist der Loncin-Motor qualitativ mit dem von Rotax gewohnten Niveau vergleichbar?
Für die Fertigung bei Loncin ist eine eigene, moderne Produktionslinie erstellt worden. Die Mitarbeiter arbeiten exklusiv für diese Linie. Durch Anwendung von BMW-Qualitätssicherungsmethoden und -Prozessen können wir die Qualität sicherstellen, die unsere Kunden erwarten.
Hat Sie der überschaubare Erfolg der G 650- und F 800-Baureihe veranlasst, die Kostenstrukturen neu zu überdenken und nach China zu gehen? Oder andersherum gefragt: Wäre die jüngste Preissenkung auch mit Rotax-Motor möglich gewesen?
Als Hersteller tut man gut daran, seine Kostenstrukturen permanent zu überprüfen. Mit Blick auf die extrem schwachen Yen- und Dollar-Kurse hat es Sinn, Einkaufsaktivitäten außerhalb des Euro-Raums zu verstärken. Die Preismaßnahme bei der G 650 Xcountry ist allerdings in erster Linie in Zusammenhang mit dem Preis für die neue Zweizylinder-F 650 GS zu sehen.
Welche Stückzahlen und welche Modellvarianten haben Sie bei dem Loncin-Engagement ins Auge gefasst?
Es ist vorgesehen, dass zukünftig auch die Xmoto und die Xchallenge den Motor aus China bekommen werden. Zum Einsatz-termin können wir aber derzeit keine Aussagen treffen.
Die 450er wird komplett bei Kymco in Taiwan gefertigt und ist so gesehen ein noch deutlicherer Schritt Richtung Asien. Ist es in Zukunft vorstellbar, selbst Entwicklungsarbeit gen Osten zu verlagern?
Die G 450 X wird nicht bei Kymco, sondern im BMW-Werk in Berlin gefertigt. Lediglich der Motor kommt von Kymco. Das Konzept und die Entwicklung kommen von BMW Motorrad. Es geht also bei beiden Motoren-Projekten um die Umsetzung in der Produktion, der sogenannten Industrialisierung.
"Strategische Bedeutung"
Die Zahlen dürften auch der in den letzten Jahren durchaus erfolgsverwöhnten BMW-Belegschaft in den Ohren klingeln. Nach eigenen Angaben über eine Million motorisierte Zweiräder, über zwei Millionen Motoren wenn man bei Loncin von Stückzahlen spricht, müssen die Bayern mit ihren rund 100000 Motorrädern im Jahr betreten schweigen.
Erst recht, wenn man weiß, dass Loncin erst 1994 gegründet wurde. Heute ist die Firma die Nummer eins in der Rangliste der privaten Unternehmen in der Region Chongqing, einem Zweirad-Ballungsraum, in dem pro Jahr zwischen fünf und sechs Millionen Motorräder hergestellt werden und ein Großteil der chinesischen Zulieferindustrie ansässig ist.
Aktuell arbeiten bei Loncin über 4800 Menschen, davon rund 850 in der Entwicklung. Trotzdem legt BMW Wert darauf, dass Loncin an der Entwicklung des Xcountry-Motors nicht beteiligt war und die Industrialisierung vor Ort unter Aufsicht von BMW-Experten nach BMW-Vorgaben durchgeführt wurde. Es wurde gar eine eigene Produktionslinie eingeführt, an der die Mitarbeiter exklusiv am BMW-Motor werkeln. Das ist insofern nicht erstaunlich, wenn man berücksichtigt, dass Loncin zwar jede Menge Motorrad-Erfahrung mitbringt und zu den drei größten Motorrad-Produzenten im Reich der Mitte gehört, mit dem 650er-Xcountry-Motor jedoch Hubraum-Neuland betritt, weil sich der überwiegende Rest der Zweirad- und Quad-Palette in den dort üblichen Größen-ordnungen zwischen 50 und 200 Kubikzentimetern bewegt.
BMWs Kleinster ist also bei Loncin ein ganz Großer. Und für BMW ein großer Schritt auf zu neuen Ufern auch wenn die Münchner den China-Motor als einen ganz logischen Schritt auf ihrem Weg zum Voll-Sortimenter mit weltweiter Präsenz betrachten.
Daten
Motor:
wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, eine Ausgleichswelle, zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile, Tassenstößel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, ø 43 mm, geregelter Katalysator, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Kette, Sekundärübersetzung 2,938.
Bohrung x Hub100,0 x 83,0 mm
Hubraum652 cm³
Verdichtungsverhältnis11,5:1
Nennleistung 39,0 kW (53 PS) bei 7000/min
Max. Drehmoment60 Nm bei 5250/min
Fahrwerk:
Brückenrahmen aus Stahl mit verschraubten Alu-Gussteilen, Upside-down-Gabel, ø 45 mm, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Scheibenbremse vorn, ø 300 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, ø 240 mm, Ein-kolben-Schwimmsattel.
Speichenräder mit Alu-Felgen 2.50 x 19; 3.00 x 17
Reifen 100/90 19; 130/80 17
Maße und Gewichte:
Radstand 1498 mm, Lenkkopfwinkel 61,5 Grad, Nachlauf 116 mm, Federweg v/h 240/210 mm, Gewicht vollgetankt* 167 kg, Zuladung* 168 kg, Tankinhalt/Reserve 9,5.
Gewährleistung zwei Jahre
Farben Schwarz
Preis inklusive Nebenkosten7162 Euro