Rund ein viertel Jahrhundert nach seinem letzten WM-Titel auf MV Agusta kehrte Giacomo Agostini in den Sattel der neuen MV-Generation zurück
Rund ein viertel Jahrhundert nach seinem letzten WM-Titel auf MV Agusta kehrte Giacomo Agostini in den Sattel der neuen MV-Generation zurück
Freundschaften zahlen sich aus. Der Verleger der italienischen Motorrad-Zeitschrift MOTOCICLISMO ist eng mit Claudio Castiglioni, dem Herrscher über die Marken Cagiva, Husqvarna und MV Agusta, befreundet, MOTORRAD wiederum mit MOTOCICLISMO. Und so kommt es, daß am ersten Roll-Out der mit Spannung erwarteten MV Agusta 750-F4 auch MOTORRAD teilhat.
Diese erste Probefahrt hat für Zweiradfans fast schon historische Dimensionen. Als Testpilot fungiert Giacomo Agostini, der 15malige Motorrad-Weltmeister und bekannteste MV-Dompteur aller Zeiten. Der heute 56 jährige Grandseigneur des Motorradsports hat für diese besondere Gelegenheit Stiefel, Hanschuhe und T-Shirt aus seinen Winner-Zeiten mit der alten MV hervorgekramt, nur Kombi und Helm stammen aus moderner Produktion. Das Testareal bei Mailand stellt die Firma Agusta, die in den glanzvollsten MV-Zeiten Motorräder und Hubschrauber baute, sich heute aber nur noch der Produktion von Fluggerät widmet. Und dann ist da schließlich noch die neue MV Agusta aus der High-Tech-Schmiede von Massimo Tamburini, der auch die Ducati 916 kreierte. Absoluter Publikumsmagnet der Mailänder Messe im letzten Herbst, mit ihrem bei Cagiva entwickelten, zierlich und doch kraftvoll wirkenden, zwanzig Grad nach vorn geneigten Reihen-Vierzylinder.
Über der Piste kreist der Helikopter Agusta A 109 Power, Höchstgeschwindigkeit 311 km/h. Ganz so schnell muß er aber heute nicht fliegen, denn das Testgelände ist nur gut 1000 Meter lang da schafft es nicht einmal Ago, die MV auf volle Touren zu bringen. Doch allein schon das Grollen des Vierzylinders läßt die kleine Journalisten- und Technikerschar verstummen. Mag es daran liegen, daß die MV mit übergroßer Spannung erwartet wurde sie scheint ganz anders zu klingen als jeder japanische Vierzylinder. Agostini tut seine Pflicht und jagt die MV die kurze Piste ein paar Mal rauf und runter der Beweis ist erbracht, die MV läuft, und immerhin hat Agostini anschließend etwas zu erzählen: »Der Motor ist unglaublich elastisch und zieht ausgesprochen gut von unten heraus«, berichtet der Ex-Weltmeister. »Ich habe ihn fast auf Leerlauf-Drehzahl fallen lassen und dann voll aufgerissen, und nicht mal da braucht man die Kupplung.« Der Drehzahlbegrenzer setzt bei 13000/min ein, und auch damit zeigt sich Ago zufrieden: »Bei manchen Motorrädern hat man dann das Gefühl, daß der Motor abrupt stehenbleibt. Bei der MV dagegen setzt der Begrenzer ganz sanft ein.« Daß die F4 zur neuen Referenz der Sportmotorräder wird, dessen ist sich Agostini sicher: »Kein anderes Motorrad bietet eine derart gelungene Mischung aus Styling, Technologie und Tradition.«
Alles über Motor und Fahrwerk wollen die MV-Techniker auch jetzt noch nicht verraten, aber immerhin soviel: »Wir haben auf dem Prüfstand jetzt 130 PS bei 12400/min und 7,3 kpm bei 9000/min , aber wir können aus dem extrem kurzhubigen Triebwerk - die Kolben legen in ihrer 73,8 Millimeter großen Bohrung nur 43,8 Millimeter Hub zurück - leicht noch mehr herausholen«, erläutert Chefingenieur Andrea Goggi, 34. »Und wir sind äußerst zufrieden mit der Zuverässigkeit: Auf einem unserer Prototypen mit Ducati 916-Verkleidung haben wir schon 46000 Kilometer, und das ständig unter Dampf, wie unsere Testfahrer sagen.« Der erste Prototyp des Motors aus dem Jahr 1995, der noch den Namen Cagiva trug, war 420 Millimeter breit, davon blieben in der jetzigen endgültigen Version noch 395 Millimeter übrig. »Exakt der Platz, den Zylinder und Steuerkette brauchen« meint Goggi.
Am schwierigsten war für die Ingenieure die Detailentwicklung bis zur Serienreife. Die ersten 200 bis 250 Motoren werden von Hand zusammengebaut, doch danach ist Serienproduktion angesagt. Und dafür wurde vor allem der Kopf modifiziert, der sich laut Goggi nun leichter montieren läßt. Doch bis es soweit ist, wird wohl noch ein wenig Zeit vergehen: Die ersten 200 Stück sollen nach den Sommerferien entstehen, nur rund zwanzig davon kommen laut Firmenchef Claudio Castiglioni nach Deutschland. Und erst danach, wenn die Großserie anläuft, können sich auch normale Motorradfahrer wie Ago fühlen: zwar ohne Hubschrauber im Rücken, aber immerhin im Sattel einer MV.