Sachs in Schwierigkeiten
In der Schwebe

Sachs ist in der Bredouille, hat kein Geld mehr in der Kasse. Am Ende sei man aber noch lange nicht, heißt es in Nürnberg. Wo man auf einen Neuanfang mit attraktiven und günstigen Modellen hofft. In Deutschland erdacht, in China gemacht.

In der Schwebe
Foto: Schelhorn

Vor ein paar Monaten noch schien alles bestens. Ein Investor aus China, die New Superior Gruppe aus Hongkong, hatte 99,5 Prozent von Sachs gekauft und alsdann verkündet, zehn Millionen Euro allein in die Entwicklung neuer Modelle zu stecken. Doch kaum war die frohe Botschaft verklungen, hagelte es auch schon Katastrophenmeldungen. Die folgenreichste: Sanyang, ein Rollerproduzent aus Taiwan, der seine Vehikel unter dem Namen Sym von Sachs in Europa vertreiben ließ, fand es gar nicht lustig, dass Sachs nunmehr eng mit einem Hersteller verbandelt ist, der seine Vehikel Fym nennt, ausgerechnet, und just der Finanzgruppe gehört, von der Sachs übernommen wurde. Als Sanyang erbost den Importeursvertrag kündigte, stand Sachs ohne eine seiner wichtigsten Einnahmequellen da.
Sym lief gut, was sich von Fym nicht behaupten lässt. »Die Chinesen haben noch Probleme damit, europäische Standards zu erreichen«, sagt Hartmut Huhn, bei Sachs für Entwicklung und Verkauf zuständig. So sieht das auch Corrado Savazzi, ein Italiener, der eine öltriefende Harley-Davidson fährt, lange in China gearbeitet hat, für den Sachs-Investor nämlich, und nun in Nürnberg das Sagen hat. »Wir arbeiten daran, das Produktionsniveau zu heben, und haben auch schon einiges erreicht.« Aber eben noch nicht das Level, das dem Namen Sachs angemessen wäre. Und der Name Sachs sei ein Kapital, das man nicht verschleudern dürfe. Mit Pfusch etwa oder in Form von Billigrollern, wie man sie gern in Baumärkten oder per Versandkatalog verscherbelt.
Das meint Volker Böhm ebenfalls. Der ist Jurist und hat seit Juli bei Sachs das letzte Wort. Böhm arbeitet als Insolvenzverwalter, und sein Job besteht darin, genau zu prüfen, ob eine Firma, die insolvent, also nicht flüssig ist, wieder solvent werden kann. Sachs gibt er gute Chancen. »Die haben ja, bereits als das Insolvenzverfahren beantragt wurde, einen Plan
gehabt, wie sie da wieder rauskommen können.« Einen Plan, wie man es hinkriegt, den plötzlichen Verlust von bis dato um die 8000 verkauften Sym-Rollern im Jahr wettzumachen und obendrein noch mit einer weiteren immensen finanziellen Belastung fertig zu werden. Der nämlich, dass die nach der letzten Entlassungswelle verbliebenen 44 Mitarbeiter, 120 waren’s zuvor, die Betriebsrenten von 700 ruheständlerischen Sachs-Werkern zu erwirtschaften haben. Eigentlich. Was aber eigentlich unmöglich ist.
Obwohl diese Malaise – anders als den Verlust des Importeursgeschäfts mit Sym, den man hätte voraussehen können, vielleicht sogar voraussehen müssen – sehr wohl und exakt kalkulierbar war. Für jeden Investor. Sogar für einen aus China.
Dass Sachs aus dieser Zahlungsverpflichtung raus müsse, um wieder liquide zu werden, eine Perspektive zu bekommen, liege auf der Hand, betont Savazzi. Wobei man freilich nicht daran denke, die Betriebsrenten einfach zu streichen, ergänzt Huhn. Geht auch gar nicht, stattdessen geht Sachs den schweren Gang zu einer Art Versicherung namens PSV (Pensions-Sicherungs-Verein), die eventuell einspringt, wenn Unternehmen ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen können.
Die PSV werde wohl zahlen, hofft Böhm, der einen, wie er es nennt, »verhaltenen Optimismus« verbreitet. Weil die Firma genau das tue, was die »Globalisierung« erfordere. Sachs habe Leute entlassen, an die zwei Drittel der Belegschaft, davon die meisten in der Produktion, und die Herstellung fast komplett nach China verlagert, das senke die Kosten ungemein und mache die Produkte konkurrenzfähig. Weil deutsches Know-how asiatisch billig umgesetzt werden könne. Böhm, der demnächst dem Insolvenzgericht berichten wird, argumentiert letztlich wie das Sachs-Management, was als gutes Zeichen für Sachs und als schlechtes für den Standort Deutschland gewertet werden darf.
Gut für Sachs zum Beispiel, dass die MadAss 125 für knapp 2000 Euro in die Läden kommen wird. Das rechnet sich, sagt Huhn, weil der Motor aus China stamme. »Natürlich wird der unseren Ansprüchen und den Anforderungen der EU, was Emissionen angeht, entsprechend modifiziert.« Fünf Ingenieure aus Deutschland kontrollierten genau, was bei Fym, wo Mad-Ass und X-Road fabriziert werden, ans Band komme und in welchen Zustand das fertige Produkt dieses dann verlasse. Dass das funktioniere, zeige sich auch daran, dass die MadAss heftig plagiiert werde. »Und zwar aus Ausschuss, Teilen, die wir nicht akzeptiert haben.«
Beim Motor der neuen X-Road dagegen, einer perfekt gestylten, Elemente der Hypermotard von Ducati vorwegnehmenden Supermoto, hat Sachs sich nicht in China, sondern bei Moto Morini bedient, was der Maschine zugute kommt, ihrem Preis nicht unbedingt.
Überhaupt fällt auf, dass die Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH dem letzten Teil ihres Namens kaum noch Ehre macht. Denn der im Insolvenzverfahren immer wieder beschworene gute Ruf hört sich seit ein paar Jahren entscheidend anders an. Der Name Sachs steht nicht
mehr für solide, technisch perfekte Einbaumotoren – Savazzi erzählt gern, sein erstes Moped sei mit einem Sachs-Triebwerk wie der Teufel und wie ein Uhrwerk gelaufen –, mit Sachs verbindet man heute eher prächtiges Design. Die Studie Beast zierte vor fünf Jahren den Titel einer jeden Motorrad-Zeitschrift, und die MadAss hätte eigentlich das Zeug, Leute zu animieren, es auch mal mit der Fortbewegung auf zwei Rädern zu versuchen.
An Ideen habe es Sachs nie gefehlt, erzählt Huhn. Nur am Geld, sie umzusetzen. Um weiterexistieren zu können, braucht Sachs zunächst mal das Plazet des Insolvenzgerichts und Gläubiger, die ein Einsehen haben. Klar. Doch dann müsste, um die Marke zu stärken, zu prägen, ein neues Aushängeschild her, eins, wie die Beast es war. Eins allerdings, das nicht nur auf Messen herumsteht, sondern auch fährt, in mehrfacher Ausführung, versteht sich. Es sei gut vorstellbar, ein solches Motorrad
in Deutschland zu bauen, sagt Huhn, und Savazzi nickt dazu. Weil sich ab einer gewissen Klasse, ab einem bestimmten Preis made in China eben nicht rechnet.

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Sachs-Historie

Die heutige Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH kann auf eine wilde Geschichte zurückblicken. Denn Sachs hieß früher einmal Hercules, und beide Firmen gehörten zu den Großen im deutschen Motorradbau.

Hercules und Sachs verbindet, dass Hercules einst Einbaumotoren in seine Fahrwerke montierte, was Sachs heute tut. Wobei Hercules sich seit den zwanziger
Jahren, als man in Nürnberg mit der Produktion von Motorrädern begann, gern bei Sachs bediente. Ansonsten hatten beide Hersteller wenig miteinander zu tun. Das änderte sich erst in den fünfziger Jahren, als mit dem Motorrad auch Hercules kriselte und vom Lieferanten Sachs aufgekauft wurde. Später ging Sachs an Mannesmann, dann Mannesmann an Vodafone. Die neuen Chefs wollten sich aufs Wesentliche konzentrieren – die Autosparte von Fichtel und Sachs – und veräußerten 1998 Motorenentwicklung und Motorradproduktion an die holländische Gruppe Winning Wheels. Weil sich wenig bewegte, wagten leitende Angestellte 2001 ein Management-Buy-out, zu begleichende Pensionsansprüche im Preis
inbegriffen. Von den 400 Beschäftigten der Motorenentwicklung blieben nach der Übernahme durch den chinesischen Investor New Superior nur 44 übrig – zu wenig für 700 Pensionäre und mit ein Grund für die jetzige Insolvenz. Sachs verdiente sein Geld in den letzten Jahren hauptsächlich mit dem Import von Rollern und Quads meist asiatischer Herkunft und machte im Motorradbereich vor allem durch Designstudien Eindruck. Die Roadster-Reihe mit zugekauften 800er- und 650er-Suzuki-Motoren lief nicht und wurde eingestellt.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023