Sound-Erlebnis bei Motorrädern
Das Ohr fährt mit

Motorradfahren als sinnliches Ereignis fängt ganz oben an. Und dort sitzt neben dem Auge vor allem das Ohr.

Nur zehn Kilometer sind es durch den Stuttgarter Feierabendstau nach Hause. Dennoch bekommt die Triumph T 595 Daytona den Vorzug als Heimweg-Mobil gegen den giftigen Roller und die flinke Enduro. Freiwillig dicke Handgelenke und verspannter Rücken statt lockerem Auto-Slalom? Warum nur, warum?
Ganz einfach: Schon bei mäßigen Drehzahlen erregt der 955er Dreizylinder die Ohren mit seinem ganz eigenen Walzer-Takt. Und wenn die letzte City-Ausfahrt, nicht ganz zufällig, unbeachtet geblieben ist, fängt die Triple-Symphonie erst an. Mit aggressivem Bellen und doch kultiviert entsteht der akustische Bogen zum Sechszylinder. Ob eher der feine Schrei bayerischer Reihen-Sechser oder das heisere Fauchen alter Porsche-Boxer zu ahnen ist, entscheidet die Laune. Unbestritten aber ist: Motorradfahren ist ein sinnliches Ereignis und funktioniert wesentlich über das Ohr. Und vom Feinsten, was es da zu hören gibt, ist dieser magische Dreiklang.
Ganz ohne weiteres möchten wir den 125-PS-Triple doch nicht in den Sound-Olymp erheben. Neben dem offiziellen Zulassungstest als Legalitätskontrolle schickte MOTORRAD neun Ein-, Zwei-, Vier- und Sechszylinder-Maschinen sowie einen Zweitakter auf die Klang-Reise; dazu vier Kollegen höchst unterschiedlicher Zweirad-Leidenschaft und fachlichen Rat von tontechnischer und psychologischer Seite.
Sie alle erlebten, daß Suzukis High-End-Reihenvierzylinder GSX-R 750 allemal wilder schreien kann als das Brit-Pop-Trio auf Rädern. Aber großmäulige Aggressivität ist alles, was von Suzi Quattros Auftritt hängenbleibt. Geräte wie die 128 PS starke GSX-R sind für extreme Fahrdynamik und exorbitanten Kurvengeschwindigkeiten gebaut. Ihre Sinnlichkeit muß entsprechend erlebt werden. Das ohrenbetäubende Geschrei ist nur Begleitmusik. Fährt die Suzuki in zivileren Lagen, wird’s fürs Ohr fast langweilig.
Darin gleicht ihr das Baby-Superbike Aprilia RS 250. In für den 56 PS-Zweitakt-Twin unerheblichen Drehzahlen kaum bemerkbar, packt die kleine Schwarze, wenn’s losgeht, die singende Säge aus. Die schöne, hysterische Italienerin macht den Piloten aggressiv und schon mal um Dekaden jünger. Sie lockt ihn in ihre quirlige, hektische Welt; aber kaum auf Dauer.
Gerade in Italien gibt es ganz andere Sinnesfreuden. Der 90-Grad-V2 aus der Ducati 916 gilt als Meisterstück feiner Motorrad-Akustik. Hier findet der melodiöse, britisch-kultivierte Triumph-Hard-Rock Konkurrenz: Mick Jagger gegen Gianna Nannini.
Bei aller Härte und voluminöser Lautstärke brennt die Ducati ihr Klang-Feuerwerk direkt in die Herzen. Das dumpfe V2-Stakkato der 109 PS suggeriert »Power ohne Ende«, wie sich Testfahrer Rainer Würtele freut, und »vermittelt unglaubliche Dynamik ohne Aggression« in den Ohren unseres technischen Leiters Waldemar Schwarz.
Andere Interpreten des zweistimmigen Gesanges treten graumäusiger auf. Gar bedauern muß man die Harley-Davidson Road King EFI. Zwingt den 1400er Big Twin das Unglückslos auf offiziellem Wege nach Deutschland, bleibt nichts mehr vom All American Sound. »Traktor, Citroen 2 CV, Blecheimer« sind nur mittelschwere Schandworte gegen den kastrierten 60 PS-Ur-Vater des Bike-Sounds. Völlig anderer Meinung als die Tester sind übrigens die vom Harley-Image unbeleckten Fach-Berater (Seiten 37 und 41).
Auch nicht überzeugen kann die BMW unter den Cruisern - eben, weil sie eine BMW ist. Freunde des Hauses attestieren der R 1200 C »typisch angenehmen BMW-Sound«, wie Redaktions-Senior Sigi Güttner. Kritischere Geister vermissen jeden eigenständigen Klang-Charakter. Der 60 PS-Boxer brubbelt vor sich hin und vermittelt problemlose Funktion; nicht genug für einen spektakulären Cruiser-Auftritt.
Wie’s geht, zeigen Yamaha Vmax und Honda F 6 C. Die Vmax, 1985 mit 145 PS geboren als das Macho-Bike, zeigt sich heute als gutmütiger Riese. Kernig, in allen Lagen kraftvoll grollt der 1200er V4, begeistert alle Sinne des Fahrers weit mehr, als nach all den Jahren erwartet.
Wesentlich jünger, aber nicht weniger beeindruckend kommt die Honda F 6 C daher. Und wieder werden Klang-Erinnerungen an die Porsche 911 früher Jahre strapaziert. Kein Wunder, der 1500er Boxer mit 98 PS schreit seine Vortriebslust nach dem gleichen Prinzip in die Welt. Leider hat ab 70 km/h alles ein Ende. Dann steht dem Hör-Genuß der Honda ihre Schloß Neuschwanstein-artige Aerodynamik entgegen. Das Power Bike wird zum Windjammer.
So wird der Innenstadtboulevard zur Bühne für den unvergleichlichen Honda-Sound. Dort sollte der F 6-Kapitän möglichst oft Zwischengas geben. Das ist der schärfsten Sound, den legale Motorräder derzeit produzieren.
Und wenn die Handgelenke, Schultern und Oberarme vom Daytona-Jonglieren oder F 6-Rangieren doch zu sehr brennen, fahren wir mit der KTM 400 LSE nach Hause. Flinker ist downtown kaum einer, und die 41 PS-Enduro kann sich durchaus hören lassen. Zwar fehlt dem kleinen Single der letzte Hammer-Schlag, der sie zur Hard-Enduro adeln würde. So lassen wir die »Kinigadner«-Jacke im Schrank und freuen uns an der Rolle des Stadtindianers, dessen Gesang dem Rest der Welt gar nicht so kriegerisch vorkommt.

Unsere Highlights

Wohlklang oder Krach? - Wenn die Harley zur Therapie muß ...

Nicht nur das Ohr fährt mit, vor allem die Seele entscheidet über Wohlklang oder Krach

Sound wird als sinnliche Wahrnehmung von jedem Menschen sehr subjektiv aufgenommen. »Es gibt zwar objektivierbare Kriterien«, erklärt die Psychologin, Musiktherapeutin sowie ausgebildete Konzertgitarristin und Sängerin Cristina Peters, 38, (Foto), »wie Tonhöhe und Obertöne. Lautere Geräusche, wenn sie voll und satt klingen, werden eher angenehm empfunden als helle, scharfe Lärmquellen, auch wenn diese leiser sind.« »Die tatsächliche Entscheidung aber, ob der einzelne guten Sound oder schlimmen Krach aufnimmt, hat mit Vorerfahrungen zu tun, mit Erwartungshaltungen, Stimmungen und Gefühlen«, so die Fachfrau. Und zeigt mit ihren Einschätzungen unserer Zweirad-Klangvirtuosen, was passiert, wenn diese Erwartungshaltung nicht von Vorerfahrungen geprägt wird. Außer knapp 100 Kilometern als Sozia ohne Bezug zu Motorrädern, schätzt die Psychologin ausgerechnet die Harley am meisten, die wir nicht ohne Häme zu Fotozwecken quasi auf ihre Couch gesetzt hatten. »Kernig, voll, satt, deutet Power an«, lauten ihre Stichworte zum Erstaunen und Entsetzen der MOTORRAD-Kollegen. Aber Frau Peters weiß eben nicht, daß angesichts des Harley-Klischees »Loud pipes save lifes« die Deutschland-Versionen als kastrierte Flüstertüten gelten.Ähnliches zeigt sich bei ihrer Beurteilungen der Honda F 6 C. Die Honda klingt ihr »zu hoch für den imposanten, kraftstrotzden Gesamteindruck«. Kein Wort vom heiseren Fauchen des Sechszylinder-Boxers und den Porsche 911-Sehnsüchten der Tester. Einig werden sich die MOTORRAD-Fachleute mit der Psychologin bei der Ducati. »Souverän, animierend, sehr angenehm«, sagt Frau Peters und ist auch ästhetisch vom italienischen Edel-Renner sehr angetan.

Gesetzliche Grundlagen - Wenn der Schutzmann die Ohren spitzt...

Sound ist auch Geräusch. Und Geräusche unterliegen gesetztlichen Bestimmungen

Zur deutschen Straßen-Zulassung gehört für jedes Motorrad auch ein Lärm-Test, der wie folgt abgewickelt wird. Vorbeifahrt in 7,5 Meter Abstand durch eine 20 Meter lange Meßstrecke, von 50 km/h am Anfang voll beschleunigend, je einmal im zweiten und dritten Gang in beiden Richtungen. Das Mittel dieser Messungen darf nicht über 80 dB(A) liegen; eine Hürde, die oft nur mit Tricks geschafft wird. Auch unsere Klangkünstler haben die Norm nicht alle ohne weiteres erfüllt. Um darüberhinaus einen Eindruck zu gewinnen, was im Extremfall an Geräusch entwickeln kann, erfand MOTORRAD den »Glemseck-Test«, benannt nach dem beliebten Motorrad-Treff auf der alten Solitude-Rennstrecke bei Stuttgart: Der simuliert, was Unbeteiligte oft zur Weißglut und Freaks zum Entzücken bringt: Einfahrt in obige Meßstrecke so, daß bei der Ausfahrt die Maximaldrehzahl erreicht ist. Natürlich schreien die hochdrehenden Sportmaschien nun viel lauter als die coolen Crusier. Eine Besonderheit: Die Zweitakt-Aprilia und die Vierzylinder-Suzuki erfüllen die Zulassungsvorschrift auf den Punkt, brüllen aber um so ungehemmter, wenn sie am Glemseck losgelassen werden. Norm-Fahrgeräusch dB(A) »Glemseck-Test«Aprilia RS 250 80 91BMW R 1200 C 81 87Ducati 916 83 95Harley Davidson Road King EFI 78 87Honda F 6 C 82 87KTM 400 LSE 81 94Suzuki GSX-R 750 80 95Triumph T 595 Daytona 82 93Yamaha Vmax 81 92

Sound-Engineering beim BMW-Cruiser R 1200 C

Guter Sound basiert auf Erfahrungen, es gibt leider noch keine Formel dafür

Ein Akustiker gehört bei BMW zum Entwicklungsteam jedes Motorrads. Aber anders als etwa bei der K 1200 RS, die hauptsächlich Leistung und Drehmoment bringen sollte, fand sich im Lastenheft der R 1200 C weit oben die Forderung nach gutem Sound. Und deshalb durfte Michael Schmalenberger aus der Abteilung Motorakustik und Schwingungen dieses Mal so richtig tüfteln, bis hinten rauskam, was seine Chefs zu hören wünschten. Gewollt war ein sonorer Klang, natürlich unter Beachtung der Grenzwerte für die USA und Europa. Vorgegeben hatten die Designer zwei Endschalldämpfer, ebenfalls gegeben war das, was Akustiker lästige Geräusche nennen. Die mechanischen Äußerungen des Boxer-Motros also, der ja quasi unverändert in den Cruiser wanderte: Kurbel- und Ventiltrieb, Getriebe und Kardan tönen wie gehabt. Da jedoch die Leistungsvorgaben - 61 PS bei 5000/min - recht moderat ausfielen, entstand ein gewisser Spielraum. Vor allem im Hinblick auf das Auspuffgeräusch, denn anders als bei Sportlern, deren Ansauggeräusch im oberen Drehzahlbereich durchaus zum Hörerlebnis beiträgt, gilt beim Cruiser der Schalldämpfer als wichtigste Sound-Quelle.Zu Vorbildern erkor sich der BMW-Mann konkurrierende Cruiser und - eine alte R 90 S. »Weil die Motorkonstruktion sowieso den Charakter des Sounds bestimmt«, erklärt er, »und wir den typischen Boxersound ja keineswegs unterdrücken wollten.« Über Kunstkopfmessungen und anschließende Frequenz-Analysen näherte er sich dem Thema, montierte dann erste Schalldämpfer-Prototypen, die der Zulieferer Gillet beibrachte. Es galt, eine Anlage zu kreieren, die beim Anlassen, im Leerlauf und beim Anfahren gut tönt. »Darauf kommt es hier an«, sagt Schmalenberger, und er meint, daß dann der Sound einfach mit den Erwartungen des Fahrers und der Leistungsabgabe korrespondieren muß. Jede Anlage, die dabei versagte, auch wenn sie die für Europa geforderten 80 dB (A) erfüllte, wurde sofort aussortiert. Begleitet von ständigen Messungen erbrachten manchmal bedeutungslos erscheindende Tüfteleien im Resonanzdämpfer schließlich das gewünschte Resultat. »Da zählen Erfahrung und Experimentierlust«, faßt Schmalenberger die insgesamt knapp drei Jahre dauernden Versuche zusammen. Hier ein Loch mehr oder weniger, dort ein aufgetulptes Rohr, ein akustischer Kurzschluß zwischen zwei Kammern des Dämpfers vielleicht oder - man höre und staune - etwas Dämmaterial an der passenden Stelle. Das Resultat: soviel angenehm tiefe Töne wie erlaubt. BMW-Mann Schmalenberger drückt es nobler aus: »Eine sonore Verfeinerung des vorgegebenen Boxer-Sounds.« Aber gleich danach warnt er: »Mit 80 dB (A) sind wir am Limit. Wenn die Grenzwerte weiter sinken, dann geht’s nur noch ums leiser machen.« si

Das sagt der Ton-Techniker zum Motorrad-Sound - Wenn die Maschine eine HiFi-Box wäre...

Wolfgang Feld, 45, technischer Leiter des CD-Label »Phono Music«, zum Motorrad-Sound aus der Sicht des Ton-Technikers

Nach der Psychologin verblüfft uns auch der zweite unabhängige Experte. Wolfgang Feld, technischer Leiter des für außergewöhnliche Klangqualität bekannten CD-Labels »Phono Music« aus dem gleichen Hause wie MOTORRAD ist ebenfalls angetan von der Harley Davidson. Was für eher monophone Biker zugestopft und kraftlos klingt, hört sich für das geschulte Ohr des vom Bike-Bazillus kaum angesteckten Kollegen Feld ganz anders an. »Tiefes Blubbern bei niedrigen Drehzahlen, bei höherem Tempo angenehm kernig; nicht angestrengt, Kraft aus dem Volumen«, genießt der Feinakustiker die Harley Davidson Road King. Wie auch bei den anderen acht Maschinen hatte Feld verschiedene Vorbeifahrten selbst angehört, per Richtmikrofone und DAT-Recorder aufgenommen und mittels eines Spectrum Analyzer ausgewertet.»Understatement-Sound« faßt Feld, und hier würden selbst Harley-Freaks, wenn auch anders motiviert, kaum widersprechen, den akustischen Auslieferungszustand einer »deutschen« Harley zusammen, und erklärt die Details. »Die sehr starke Gewichtung im Baßbereich mit kontinuierlichem Abfall bis zu sehr schwachen Höhen sind für das menschliche Ohr eher angenehm. Es fehlen fast völlig die besonders lästigen Frequenzen zwischen 2,5 und 5 Kilohertz.«Ganz im Gegensatz natürlich zur Aprilia RSV 250. Der Zweitakt-Twin kommt beim Akustiker schlecht weg. »Rasenmäher-Sound ohne Harmonie und Klangvolumen«, lautet das vernichtende Verdict, »schreiend bei hohen Drehzahlen, trotz Nähmaschinen-Präzision lästig.« Der Italo-Schreihals trifft genau in die lästigen Frequenzen und zeigt, so Wolfgang Feld, »daß nicht unbedingt die absolute Lautstärke, sondern vielmehr die spektrale Zusammensetzung der Geräuschkulisse entscheidend ist.« Während die KTM, die BMW, aber auch die von der Insider-Fraktion akustisch sehr geschätzen Yamaha Vmax, Honda F6 oder Triumph den Klangingenieur nur zu weniger markanten Aussagen hinrissen, waren die Suzuki- und Ducati-Supersportler umso auffälliger. »Power von unten heraus«, empfand Feld beim Bologneser Edel-V2, aber auch ein »härteres, unharmonisches Klangbild« und vor allem: »nicht sehr dynamisch«. Nach den Harley-Freaks verkrault auch die Ducatisti. Die Suzuki-Power-Fraktion wird ihn kaum verdammen, trotz »ohrenbetäubendem Lärm«, aber eben auch »unbändigem Sound bei höheren Drehzahlen.« Dazu kommt das »angenehme Brummen am Start«, mit dem die Suzuki Heavy Metal-Orgie - zur Freude ihrer Fans - beginnt.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023