Superbike-WM: Technik der Aprilia- und Ducati-Werksmaschinen

Superbike-WM: Technik der Aprilia- und Ducati-Werksmaschinen Italienisches Roulette

Der Superbike-WM-Titel muss nach Italien zurückgeholt werden, da sind sich die Techniker von Aprilia und Ducati einig. Die Wege zu diesem großen nationalen Ziel unterscheiden sich allerdings nicht nur in Schwarz oder Rot.

Grün-weiß-rot – die italienischen Nationalfarben finden sich zwar auf der Superbike-Weltmeister-Maschine 2000 wieder. Aber leider nur aufgrund der Lackierung im Stil des Hauptsponsors Castrol. Der Verlust des WM-Titels an Colin Edwards und Honda trifft die Ducatisti und Aprilia-Fans bis ins Mark. Klar war deshalb vor der Saison 2001 nur eins: Der neue Weltmeister muss wieder ein italienisches Superbike fahren. Und dieses Ziel wollten sowohl die Entwicklungsteams von Aprilia wie Ducati mit aller Gewalt, also mit deutlich gestiegener Motorleistung, erreichen.
Die Wege dahin aber unterschieden sich grundsätzlich. Aprilia-Chefingenieur Giuseppe Bernicchia setzte auf die Weiterentwicklung des im Kern erst gut zwei Jahre alten 60-Grad-V-Twin-Konzepts. »Wir konnten über das gesamte Drehzahlband gegenüber dem Vorjahr zwischen fünf und acht Prozent an Leistung zulegen«, freut sich der Techniker, »wobei die verbesserte Spitzenleistung längst nicht mehr das Hauptziel ist. Entscheidend ist der Punch im mittleren Bereich.«
Der von der britischen Rennsport-Schmiede Cosworth präparierte, mit einem Bohrung-Hub-Verhältnis von 100 zu 63,4 Millimeter ausgelegte Twin wurde für die laufende WM-Saison hauptsächlich in den Brennräumen und Kanälen überarbeitet. Aber auch die beweglichen Teile wie die geschmiedeten Kolben, Pleuel sowie Ventile aus Titan wurden feinster Entwicklungsarbeit unterzogen. Als Ergebnis stellte Signor Bernicchia neben einer deutlich verbesserten Beschleunigung aus langsamen Kurven eine wesentlich erhöhte Nenndrehzahl fest: »Statt ungefähr 12400 Touren wie noch in der 2000er-Version drehen wir jetzt bis knapp an 13000.«
Besonders stolz ist die Aprilia-Rennabteilung in Noale aber über die Kurbelwelle mit austauschbaren Gegengewichten. Je nach Charakteristik der Rennstrecke beeinflussen die Techniker die Motoreigenschaften ihres Babys durch Verwendung unterschiedlicher Schwungmassen. »So können wir unseren Fahrern auf winkligen Strecken wie Misano oder Valencia genauso perfekt passende Motoren zur Verfügung stellen wie etwa auf den Hochgeschwindigkeitsbahnen Phillip Island oder Monza.«
Andererseits liegt in dieser Variabilität auch ein gewisses Riskio. Speziell Aprilia-Held Troy Corser verblüffte im bisherigen Verlauf der Saison 2001 mit höchst unterschiedlichen Leistungen, die nicht immer leicht nachvollziehbar waren. Beim Saisonauftakt im März in Valencia war er schlicht unschlagbar und schilderte seine Begeisterung auch unverhohlen: »Das Motorrad ist perfekt und der Motor schlicht unglaublich.« Aprilias Nummer-zwei-Fahrer Régis Laconi glänzte ebenfalls mit Spitzenresultaten. Beeindruckend war außerdem Corsers überlegene Trainingsvorstellung im heimischen Phillip Island, bevor dort die Sintflut kam. Trotz durchaus kernigem Gegenwind realisierte der Weltmeister von 1996 neben der Pole Position auf der Geraden kaum fassbare 310 km/h. Diesen Galavorstellungen stehen jedoch Abstürze weit ins Mittelfeld gegenüber, wie etwa bei den letzten Rennen in Brands Hatch, wo Corser und die Schwarzen sich mit den Rängen acht und 13 einigermaßen blamierten.
»Die Ergebnisse von Brands Hatch sind uns ein Rätsel«, so Chef Bernicchia, »da haben wir uns mit den Motoren offenbar gründlich vergriffen.« Pilot Corser hatte zeitweise eine recht originelle Erklärung für schwächere Aprilia-Vorstellungen: »Manchmal habe ich den Eindruck, der Motor geht so brachial, dass das Fahrwerk nicht mehr mitkommt.«
Die Aprilia RSV mille SP ist also ganz offensichtlich ein höchst talentierter, gleichwohl aber sehr kapriziöser Renner, der selbst seinen Schöpfern hin und wieder einige Geheimnisse vorenthält. Stimmt das Set-up jedoch perfekt, fällt es der Konkurrenz sehr schwer, der schwarzen Front Einhalt zu gebieten.
Die vielfältigen Abstimmungsmöglichkeiten, die sich durch die unterschiedlichen Kurbelwellen schon andeuten, setzen sich im Fahrwerk fort. Die Einbaulage des Motors im Alubrückenrahmen lässt sich gleich auf mehrere Arten verändern. Drei spezielle Aufnahmen im vorderen Teil des Rahmens sowie eine großzügige Bohrung knapp oberhalb der Schwinge schaffen einen Bereich von plus/minus fünf Millimeter in der Horizontalen sowie zehn Millimeter in der Vertikalen. Dazu kann der Schwingendrehpunkt selbst um bis zu acht Millimeter verschoben werden.
»Unser varibaler Motoreinbau ist sicher kein Hexenwerk«, glaubt Giuseppe Bernicchia, »aber bisher sind wir die Einzigen in der Superbike-WM, die damit arbeiten.« Und die natürlich noch weitere Möglichkeiten haben, dass Rennmotorrad zu perfektionieren. Doch es besteht auch das Risiko, in die falsche Richtung zu drehen.
Fahrwerksseitig geht Ducati einen etwas konservativeren Weg. »Eine Ducati kann nur eine Ducati sein, wenn sie drei Merkmale aufweist: einen Gitterrohrrahmen, den 90-Grad-L-Zweizylinder-Motor und natürlich die desmodromische Ventilsteuerung«, übernimmt Claudio Domenicali, der ansonsten sehr innovative Direktor der Rennabteilung Ducati Corse, die Tradition des Bologneser Hauses ohne Wenn und Aber. Genau in diesem Dogma liegen einige kleinere Behinderungen versteckt, die den Ducati-Ingenieuren immer wieder neue, sehr originelle Lösungen abfordern.
Dass zumindest die Ducati-Rennmaschinen mit einem Rohrgeflecht versehen sind, das in Sachen Fahrverhalten zum Feinsten gehört, beweisen acht Superbike-WM-Titel in der bisher 13-jährigen Geschichte dieser Rennserie. Ob der 90-Grad-Twin nun in einer L-Konfiguration arbeitet, worauf man im Bologneser Werk gesteigerten Wert legt, oder ob es doch »nur« ein gewöhnlicher V-Motor ist, bringt im Übrigen keine gravierenden Differenzen in den Rundenzeiten. Die Desmodromik, jene kunstvolle Ventilzwangssteuerung mittels Kipp- und Schlepphebeln, stand sich beim bis einschließlich 2000 verwendeten »Desmo-Quattro«-Kopf bei allen Vorteilen, was Drehzahlfestigkeit, genaue Ventilsteuerung und damit optimaler Leistungsausbeute angeht, quasi selbst im Weg. Bauartbedingt war sowohl die Größe der Ventile wie auch die Belastbarkeit der Steuerung beschränkt.
Der neue Testa-Stretta-Kopf mit engeren Ventilwinkeln und größeren Ventilen fördert eine bessere Zylinderbefüllung sowie Verbrennung und somit eine höhere Leistung, unter anderem durch erhöhte Drehzahlfestigkeit. Der Werksrennmotor dreht derzeit ungefähr 13500/min, für einen Zweizylinder mit 100 Millimeter Bohrung auch bei einem kurzen Hub von 63,5 Millimeter ein beeindruckender Wert. Zudem trägt die steifere Lagerung der Schlepphebel zu erhöhter Standfestigkeit des Triebwerks bei.
Wie sein Aprilia-Kollege und Konkurrent Bernicchia schaut Ducati Corse-Boss Domenicali nicht ohne Stolz auf die Arbeit seiner Motoren-Ingenieure: »Unser Testa-Stretta-Motor hat gegenüber dem alten Triebwerk in allen Lebenslagen rund acht PS mehr.« Eine Aussage, die vor allem ein Mann wie der momentane WM-Fünfte Neil Hodgson sofort unterschreiben wird. »Da kannst du fighten wie ein Löwe gegen Troy Bayliss oder Ben Bostrom und mit völlig gestörten Bremspunkten experimentieren«, so der Fahrer einer Vorjahres-Werks-Ducati atemlos, »die reisen am Kurvenausgang den Hahn auf – und dann fällt dir nichts mehr ein.«
Hodgsons angesprochene feindliche Brüder aus dem Werks-Team bemühen sich nur wenig, die Qualitäten der Werks-Ducati 996 R herunterzuspielen. Der kalifornische Held des Augenblicks, Ben Bostrom, hat die letzten fünf WM-Rennen gewonnen, WM-Tabellenführer Troy Bayliss die zwei davor. Und die beiden sind sich einig: »Der Testa-Stretta-Motor ist ein Riesenschritt nach vorn und bringt die gute alte 996 wieder dahin, wo sie hingehört: an die Spitze der Superbike-WM.«
Die Zeichen stehen also bestens, dass die italienischen Nationalfarben am Ende dieser Superbike-WM-Saison von unwürdigen Fehlinterpretationen verschont werden.

Technische Daten: Ducati 996 R

MotorWassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-L-Motor, je zwei obenliegende, über Zahnriemen getriebene Nockenwellen, 188 PS bei 13200/min, Bohrung x Hub 100 x 63,5 cm³, Hubraum 997 cm³, Saugrohrungeinspritzung, 0 60 mm, SechsganggetriebeFahrwerkGitterrohrrahmen aus Stahl, Öhlins-Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 0 43 mm, Einarmschwinge aus Aluguss, Öhlins-Zentralfederbein mit Hebelsystem, Doppelscheibenbremsen vorn, 0= 330 mm, radial verschraubte Brembo-Vierkolbensättel, Scheibenbremse hinten, 0= 220 mm, Zweikolbensattel, Radstand 1410 mm, variabler Lenkkopfwinkel, 64,5 bis 66,5 Grad, Marchesini-Alugussräder, vorn 3.50 x 16,5 Zoll, hinten 5,75, 6.00 oder 6.25 x 16,5 Zoll, Michelin-Reifen vorn 120/70 x 16.5, hinten 180/60, 190/55 oder 195/55 x 16.5, oder Dunlop-Reifen vorn 120/70 x 420, hinten 180/60, 190/55 oder 195/55 x 420, Tankinhalt 24 Liter, Gewicht ohne Benzin 162 kg

Technische Daten: Aprilia RSV mille SP

MotorWassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-60-Grad-V-Motor, eine Ausgleichswelle, je zwei obenliegende, über Zahnräder und Kette getriebene Nockenwellen, 186 PS bei 12800/min, Bohrung x Hub 100 x 63,4 mm, Hubraum 996 cm³, Saugrohreinspritzung, 0 60 mm, SechsganggetriebeFahwerkAluminium-Brückenrahmen mit Kohlefaser-Rahmenheck, Öhlins-Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 42 mm, Zweiarmschwinge aus Aluprofilen, Öhlins-Zentralfederbein mit Hebelsystem, Doppelscheibenbremsen mit Stahlscheiben vorn, 0 330 mm, radial verschraubte Brembo-Vierkolbensättel, Scheibenbremse hinten, 0 220 mm, Zweikolbensattel, Radstand 1405 mm, variabler Lenkkopfwinkel, 64,8 bis 66,8 Grad, um vertikal plus/minus zehn Millimeter und horizontal plus/minus acht Millimeter variable Motoraufhängung und Schwingenachse, Alugussräder, vorn 3.50 x 16.5 Zoll, hinten 5.75, 6.00 oder 6.25 x 16.5 Zoll, Dunlop-Reifen, vorn 120/70 x 420, hinten 180/60, 190/55 oder 195/55 x 420, Tankinhalt 24 Liter, Gewicht ohne Benzin 162 kg

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