Symbolkraft? Vielleicht. Taiwans zweite Motorradmesse, einfallsreicher Name »Motorcycle Taiwan«, ging jedenfalls in direkter Nachbarschaft zum Taipeh 101, dem mit 508 Metern höchsten Gebäude der Welt, über die Bühne. Trotz des Anspruchs sprach die Ausstellung nicht für sich selbst. Aber ein paar Aussteller sprachen: über astronomische Preise, illegale Straßenrennen, Schwarzmarkt, BMW-Gerüchte, Marktentwicklung.
Jason Lee
Jason Lee arbeitet als Chefredakteur der Zeitschrift »Cool Bikers«, fährt privat BMW R 1150 R Rockster. Er erzählt eine Geschichte aus den 80er und 90er Jahren.
"Du konntest anders nichts bekommen, weil es verboten war. Die Regierung hatte von 1982 bis 2002 die Einfuhr von Motorrädern über 150 cm3 untersagt. Wenn du was wolltest, blieb dir nur eins: der Schwarzmarkt. Da konntest du alles bekommen, wenn du keine Fragen gestellt und genug bezahlt hast. Es war klar, dass die Maschinen aus Japan kamen, wo sie im großen Stil geklaut wurden. Ich habe zum Beispiel einen Kollegen in Japan, der hatte sich in den frühen 90ern eine BMW gekauft. Ob dus glaubst oder nicht: Der hatte die Maschine keine 20 Tage, da verschwand sie aus der Tiefgarage seines Hauses. Fünf Minuten nur ist er hoch in seine Wohnung, kam zurück, da war die BMW weg. Jeder weiß, dass das organisierte Verbrechen hinter dem illegalen Handel stand, der unsere Szene 20 Jahre lang bediente. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich, dass es die Yakuza waren. Aber keiner weiß genau, wie das Geschäft aufgezogen war. Zumindest keiner, der darüber sprechen würde. Hier in Taiwan fuhr man die geklauten Mühlen mit neu gestanzter Rahmennummer und dem Kennzeichen, das man von seiner alten Maschine hatte. Das Verbot war dann sogar Anlass für internationale Verstimmungen. Taiwan musste es beenden, um der Welthandelsorganisation WTO beitreten zu dürfen.
Thomas Herzog
Thomas Herzog vertreibt in Europa Gamax-Quads und importiert seit diesem Jahr KTM nach Taiwan. Er sagt, das sei eine Herzensangelegenheit, und nach dem, was er über den Markt so spricht, muss das wohl stimmen.
"Eine Philosophie für Big Bikes gibt es hier nicht. Eher für Small Bikes. Auf knapp 23 Millionen Taiwaner kommen über 13 Millionen Roller, die weltweit höchste Dichte. Aber der Markt für den Kleinkram geht zurück, von über 1,2 Millionen Einheiten Mitte der 90er auf etwa 750000. Und weil man sich lange auf die kleinen Klassen konzentrierte, spielt Taiwan als Zulieferer für große Motorräder bisher kaum eine Rolle. So wie der taiwanische Markt für schwere Maschinen bisher kaum eine Rolle spielte. Von denen wird es etwa 60000 auf der Insel geben, die Hälfte davon seit der Marktöffnung eingeführt. Wobei das nicht einfach ist. Erstens werden für Big Bikes saftige Zölle von rund 50 Prozent erhoben. Zweitens hat man hier die schärfsten Umweltbestimmungen der Welt. Um einen Typenschein zu kriegen, musst du neben Euro 3 die kalifornische Norm erfüllen und zusätzlich einen Vaporisationstest machen, bei dem bestimmt wird, wie viel Sprit aus Tank und Leitungen verdunstet. Ein irrer Aufwand. Das wird sich schwer rechnen bei den 100 Stück, die wir im ersten Jahr anvisieren. Deshalb planen wir Typgenehmigungen erst für 2008. Heuer geht es nur über Einzelabnahme. Die kostet auch fast 750 Euro und dauert drei Monate. Dazu kommt, dass europäische Maschinen sowieso viel teurer sind als in Deutschland. So um die 50 bis 60 Prozent, und das bedeutet, dass sie für die meisten Leute hier so gut wie unerreichbar sind. Denn der Verdienst liegt in Taiwan bei einem Drittel oder der Hälfte des deutschen Niveaus.
Das hübsche Ding
Das hübsche Ding hat seinen Namen nicht verraten und auch sonst nichts gesagt, nur gelächelt. Hätte sie gesprochen, dann wäre es vielleicht das Folgende gewesen.
"Männer mit Motorrad gelten bei uns als cool und sexy. Außerdem müssen sie erfolgreich sein, um sich eine Maschine zu leisten. Das macht sie attraktiv. Deshalb arbeite ich gerne auf der Motorcycle Taiwan. Es ist erst die zweite Motorradmesse in unserem Land. Sie istvom Außenhandels-Entwicklungsrat höchststaatlich gefördert und organisiert, um der Welt mal zu zeigen, was wir so drauf haben in Sachen Motorrad. Die Messe soll die Macht von Made in Taiwan demonstrieren und Taiwans Status als Zentrum der Zuliefer-Industrie und Motorrad-Entwicklung. Der Hintergrund ist, dass unsere Zweirad-Industrie ihr Heil stärker im internationalen Geschäft suchen muss. Der Markt auf der Insel ist ziemlich satt, die Konkurrenz sehr stark. Aber Taiwan auch: 2005 hat der Produktionswert der Branche über einer Milliarde Dollar gelegen, Exportanteil 40 Prozent. Hauptsächlich macht man mit Japan Geschäfte. Die meisten der dort verkauften Ersatzteile, heißt es, kommen aus Taiwan, und Suzuki zum Beispiel lässt pro Jahr 100 000 Zweiräder bei uns fertigen. Viele Unternehmen lagern mittlerweile schon die Produktion nach China aus. Da ist es billiger. Wir hier sind nämlich längst kein Billig-Land mehr, das Preisniveau gleicht in vielem dem in Deutschland. Allerdings kosten Benzin und Zigaretten viel weniger, Sprit etwa 65 Cent, Kippen nicht mehr als 1,50 Euro. Aber ich rauche nicht.
Ben
Ben, Ende 20, hat drei Jahre in Las Vegas gelebt und ist erst kürzlich nach Taiwan zurückgekehrt. Er hat eine BMW R 100.
"Hier fährt keiner Motorrad, um von A nach B zu kommen, im Berufsverkehr etwa. Es geht nur um die Freizeit. Oder um die Maschine selbst. Also, es gibt hier zum Beispiel Leute, die stehen so auf irgendein Motorrad, dass sie es sich kaufen. Gut so weit. Das Irre an der Sache ist nur, dass sie das Ding niemals auf die Straße bringen. Sie halten sie in einer Vitrine im Wohnzimmer wie ein großes Spielzeug. Entweder, weil sie sich finanziell so verhoben haben, dass sie sich nicht mal mehr die Fahrerei leisten können. Oder weil sie so viel Kohle in die Maschine stecken, dass sie einfach zu wertvoll ist, um noch bewegt zu werden. Einer von denen hat mir mal gesagt: Weißt du, das Motorrad ist doch wie eine zweite Frau, und die zweite Frau ist immer schöner und süßer als die erste. Natürlich sind nicht alle so. Die meisten fahren in den Bergen, wo du kaum mal ein paar hundert Meter geradeaus hast. An jeder kurvigen Straße gibt es dort einen Motorradtreff. Besonders beliebt ist das Monet Café in Pin Si nur gut 30 Minuten von Taipeh. Zwar gilt fast überall Tempo 60, teils 40. Aber die Polizei kontrolliert nicht. So what? Ein paar Leute sind allerdings komplett verrückt. Kennst du ´The Fast and the Furious`? Stell dir das vor, nur mit dem Motorrad, dann hast dus.
Das Gerücht
Das Gerücht hat viele Gesichter, von denen keines gezeigt werden will. Mehrere sagten, es sei in Taiwan ein offenes Geheimnis. »Der Motor der 450er-Offroad-BMW stammt vom taiwanischen Roller- und ATV-Produzenten Kymco. Es gibt da gar keinen Zweifel. Das geben die sicher zu, wenn man bei BMW nachfragt und sagt, man wisse, was BMW letzten Sommer in Taiwan getan hat. Nämlich bei Kymco einen ATV-Motor angucken, um ihn als Basis für seinen Cross-Prototypen zu verwenden.
Jürgen Stoffregen
Jürgen Stoffregen, BMW-Motorrad-Sprecher, weiß natürlich auch, was BMW letzten Sommer getan hat und was das mit Kymco zu tun hatte.
"Ich möchte zu einem Gerücht nicht Stellung nehmen. Wir sind weltweit tätig und kaufen demzufolge auch weltweit Teile und Komponenten ein, so wie das mittlerweile nahezu alle Hersteller machen. Natürlich nutzen wir dabei auch Kostenvorteile. Das wiederum schafft die notwendigen Spielräume, um in zukunftsweisende Technologien investieren zu können und Innovationen zu entwickeln. Bei einem Projekt wie der 450er zählt in erster Linie, dass das Motorrad im Sport-Wettbewerb absolut konkurrenzfähig ist. Wer dann welches Teil wo für uns fertigt, ist da weniger bedeutsam. Wir sind in Kontakt mit vielen Lieferanten, auch in Taiwan. Ich kann nicht ausschließen, dass Lieferanten solche Kontakte gern zur Eigenwerbung nutzen. Eine endgültige Entscheidung zur serienmäßigen Umsetzung des 450er-Projektes fällt noch in diesem Jahr, voraussichtlich im Sommer. Dann können wir auch etwas zur Fertigung sagen. Der Motor selbst ist ein reine BMW-Entwicklung, er wurde hier erdacht und konstruiert. Wo wir ihn dann bauen, werden wir zu gegebener Zeit bekannt geben."
Archie Huang und Jason
Archie Huang und Jason sind Manager von Ming Ming Aluminium Ltd. Sie plaudern über Kunden wie Triumph und Ducati und Harley-Davidson.
"Unser Unternehmen ist ein wichtiger Zulieferer für Alu-Teile. Den Namen kennt trotzdem keiner außerhalb der Branche. Das Problem haben viele taiwanische Hersteller. Ihnen fehlt die Brand Power, die Kraft einer bekannten Marke. Den Kontakt zu Triumph haben wir vor fünf Jahren über deren andere taiwanische Zulieferer bekommen. Die haben uns empfohlen. Für den Auftrag haben wir extra eine Röntgenmaschine angeschafft. Wir produzieren nämlich die Teile, aus denen Triumph im eigenen taiwanischen Werk dann Schwingen und Rahmen schweißt. Rund 5000 Stück pro Modell. Um welches es sich dabei handelt, wissen wir nicht, denn wir bekommen nur Nummern, Spezifikationen und Zeichnungen. Auch für Ducati bauen wir Schwingenteile, und wenn alles gut läuft, kooperieren wir demnächst mit BMW und noch stärker mit Harley-Davidson. Mit denen haben wir uns während der Messe unterhalten. Für Harley ist Taiwan ja nichts Neues. Die beziehen ja schon jetzt rund 70 Prozent ihrer Teile von der Insel.
Pao Chin Wang
Pao Chin Wang, Verkäufer bei J-Motors, dem größten Grauhändler der Insel, regt sich ein bisschen auf.
"BMW hat mit Pan German einen offiziellen Importeur, Harley hat einen, MV Agusta, Ducati, Bimota, Suzuki und Kawasaki, die hier von Kymco vertrieben werden, ebenfalls. Aber Honda, obwohl die meistverkaufte Marke, hält das bislang wohl nicht für nötig. Ebenso wenig Yamaha. Wir würden das gerne übernehmen, aber so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Maschinen grau in Hongkong oder Singapur zu besorgen. Immerhin bringen wir in unseren zehn Filialen um die 1800 Maschinen an den Mann, auch Guzzi und Aprilia. Im ersten Jahr der Marktöffnung waren es sogar 3000. Dass der Boom nicht einfach weitergeht, hat nur zum Teil mit Geld zu tun. Die Leute, die hier die Gesetze machen, kennen sich halt nicht aus, und deshalb kommen seltsame Regeln raus fürs Motorrad. Wir dürfen zum Beispiel noch immer nicht die Autobahnen benutzen. Was für ein Unsinn. Es läuft momentan eine Petition, die das ändern soll. Schätzungsweise die Hälfte der Neumaschinen in Taiwan läuft über Finanzierungen, speziell Sportmotorräder, die im Vergleich eher teuer sind. Sportler dürften ein Fünftel des Marktes ausmachen, 20 Prozent entfallen auf Cruiser. Am beliebtesten sind Allrounder mit 40 Prozent. Das restliche Fünftel geht querbeet, von allem etwas. So sieht das zumindest bei unseren Marken aus. Von Kollegen weiß ich, dass bei den Nobelmarken nur der Wunsch eine Rolle spielt, das Geld überhaupt nicht. Ducati zum Beispiel hat im letzten Jahr rund 300 Maschinen verkauft, und für die 1098 S gab es schon vor ihrer Präsentation zehn Bestellungen. Da war es egal, dass du umgerechnet 35 000 Euro hinlegen musst. Diese Leute kaufen ihr Motorrad so wie Paris Hilton Diamanten.
Johnson Yang
Johnson Yang war auf der Messe, um Motorräder zu sehen, die er sonst nicht zu Gesicht bekäme.
"Ich habe selbst keine Maschine, aber ich hätte gerne eine. Meine Freundin guckt in den Malls von Taipeh bei Gucci oder Prada in die Schaufenster, und in etwa der Art kann ich mir hier Motorräder wie die Ducati 1098 oder die Bimotas ansehen. Auf den Straßen der Stadt siehst du ja kaum eine Maschine. Das liegt einfach daran, dass du ein Motorrad nicht draußen stehen lassen kannst. Könnte gut sein, es ist schneller verschwunden, als du dir eine Schachtel Zigaretten kaufst.
Roller: Immer und überall
Durch Taipeh latschen und nicht von Tausenden Rollern umschwirrt werden? Es wäre leichter, mitten durch den Dschungel zu wandern, ohne auch nur einen einzigen Baum zu sehen.
Es sind 117! Während einer einzigen dreiminütigen Rotphase kommen an der Kreuzung Guang Fu und Zhongxiao East an einem gewöhnlichen Mittwochnachmittag um drei Uhr 117 Roller zusammen. Ganz vorne an der Ampel scharen sich die ersten in einem speziell ausgewiesenen Feld, die übrigen umschließen die Autos förmlich, davor, dahinter, rechts, links. Dass sie nicht über die Autodächer fahren, ist alles.
Da stehen sie und viertakten ihre Wolken in eine schwülwarme Luft, die wie eine feuchte Filzdecke auf allem liegt und sich atmet, als wäre sie vom Abgas ohnehin längst gesättigt. Denn bei der letzten Rotphase spielte sich das alles schon einmal so ab. Und an jeder anderen der unzähligen großen Kreuzungen ebenfalls: dass der Student, die Hausfrau, der Geschäftsmann, die Alte aus der Garküche und der Handwerker auf ihren Scootern die Autos umringten. Dass sie bei Grün losstürmten, laut blökend wie eine Herde mechanischer Schafe.
Sie queren Kreuzungen vom Ausmaß eines Fußballfelds, beschleunigen einander aus, sortieren sich, wer weiß, wie sie das ohne schlimme Unfälle schaffen, über die zwei, drei Fahrspuren der großen Hauptverkehrsstraßen.
Da schießt einer mit junger Passagierin (wehendes Kleidchen) hintendrauf auf einen Bus zu, will rechts vorbei. Doch just als er ausschert, hält auf der Spur ein Taxi. Eng! Er zuckt nicht mal, jagt zwischen Bus und Taxi hindurch, schwenkt nach links rüber, sticht, gerade so, in die nächste Lücke. Nicht immer geht das gut. Auf Dreirädern fahren die mit krummen Armen und Beinen, an der Seite eine Art Dosenhalter. Für die Krücken.
Jeden Tag wuseln durch die Hauptstadt weit über eine Million Roller. Die Regel: bemitleidenswert heruntergerittene 125er, Marke und Farbe nicht mehr zu erkennen, Hauptsache läuft. Wenige Ausnahmen: 250er, Sonderlackierung, offener Auspuff, verdammt schnell.