In der Saison 2002 zählen vor allem die inneren Werte, und sensationell ist daran, mit welcher Konsequenz vor allem die Japaner sich ihre Modelle vorknöpften. Vom wichtigen Detail wie der Einlasssteuerung bis hin zu völlig neuen Fahrwerken.
In der Saison 2002 zählen vor allem die inneren Werte, und sensationell ist daran, mit welcher Konsequenz vor allem die Japaner sich ihre Modelle vorknöpften. Vom wichtigen Detail wie der Einlasssteuerung bis hin zu völlig neuen Fahrwerken.
Gegen Multistrada oder Blue Marlin hatten die Neuen keine Chance. So viel Aufsehen wie die beiden italienischen Studien erregte auf den Herbstmessen keine der Serienmaschinen. Auf den ersten Blick folgen Yamaha YZF-R1 und Konsorten ja auch bewährten Strickmustern. Doch erstens hat sich unter den Verkleidungen erhebliches getan, und zweitens befanden sich die Renovierungsobjekte schon auf derart hohem Niveau, dass es enormer Anstrengungen bedurfte, um sie noch besser und attraktiver zu machen.
Das gilt speziell bei den Honda-Modellen VFR und Pan European. Für beide bietet Honda optional ein neu entwickeltes, noch kompakteres und leichteres ABS an. Durch erhöhte Rechnerkapazität verbesserte sich die Regelung gegenüber der Vorgängerversion, was die VFR im Top-Test (MOTORRAD 25/2001) eindrucksvoll bewies. Das ABS stellt eine sinnvolle Ergänzung zum überarbeiteten CBS-Verbundbremssystem dar, denn erst die Kombination von ABS und CBS bietet dem Fahrer ein Optimum an Sicherheit. Die Verbundbremse nimmt dem Fahrer die schwierige Aufgabe der Bremskraftverteilung ab, das Antiblockiersystem verhindert im Ernstfall das gefährliche Überbremsen besonders des Vorderrads. Mit dem Einsatz des ABS in der VFR erschließt Honda das aktive Sicherheitssystem endlich einem größeren Kundenkreis, ein Trend, dem sich langfristig wohl kaum ein Hersteller entziehen kann.
Doch der Sporttourer hat noch mehr zu bieten: die VTEC genannte, variable Ventilsteuerung. Mitte der achtziger Jahre hatten die Japaner bereits die CBR 400 mit dieser Steuerung ausgerüstet, setzten anschließend aber nur im Automobilbau auf die komplizierte und teure Technik. Der entscheidende Vorteil: Durch Abschaltung je eines diagonal gegenüberliegenden Ein- und Auslassventils pro Zylinder soll auch bei Motoren mit hoher Spitzenleistung ein ordentliches Drehmoment im unteren Drehzahlbereich erzielt werden. Zudem lassen sich die gesetzlichen Bestimmungen durch den geringeren Geräuschpegel und weniger Spülverluste und somit reduziertem Schadstoffausstoß im Zweiventilbetrieb leichter erfüllen. Diese Vorteile rechtfertigen offensichtlich das aufwendige System, bei dem verschiebbare Bolzen in den Tassenstößeln ab 7000/min über Öldruck alle vier Ventile pro Zylinder aktivieren. Dafür setzten die Kaufleute an anderer Stelle den Rotstift an. Der exakte, aber kostspielige Zahnradantrieb der Nockenwellen des V-Vierzylinders musste preiswerteren Steuerketten weichen. Positiver Nebeneffekt: Der Motor wiegt dadurch satte drei Kilogramm weniger.
Mehr Hubraum und Leistung bei gleichzeitig kompakterer Bauweise lautet die neue Formel des grundlegend überarbeiteten Pan-European-Triebwerks. Durch einen längeren Hub und eine größere Bohrung besitzt der V4 nun 1261 cm³ und leistet dank zahlreicher Detailmodifikationen sowie nicht zuletzt einer Einspritzanlage 118 statt 98 PS. Die Zahnriemen ersetzen Steuerketten, das spart 60 Millimeter Baulänge. Zwei zahnradgetriebene Ausgleichswellen sollen das Schwingungsverhalten optimieren und so für noch mehr Komfort bei dem Supertourer sorgen.
Starke Motoren brauchen stabile Fahrwerke. Deshalb erhielt die Pan European statt des Doppelschleifenrahmen aus Stahl einen steiferen Alubrückenrahmen und eine Aluschwinge, was gleichzeitig zu dem rund 15 Kilogramm niedrigeren Gewicht des 2002-Modells beiträgt. Das neue Fahrwerk verspricht aber nicht nur mehr Stabilität, sondern auch ein besseres Handling. Der Radstand schrumpfte um 50 Millimeter, der Standrohrdurchmesser der Gabel wuchs auf 45 Millimeter. Ein geregelter Katalysator mit Sekundärluftsystem versteht sich bei Pan European wie VFR gemäß der Philosophie des Hauses Honda von selbst.
Eine solche Philosophie ist bei Yamaha erst im Entstehen. Doch der Druck des Gesetzgebers und die Nachfrage der Kunden zeigt bei den neuen Modellen YZF-R1 und TDM 900 Wirkung. Beide besitzen endlich eine elektronische Einspritzung und eine Abgasreinigung per Sekundärluftsystem sowie Katalysator die TDM einen geregelten, die R1 leider nur einen ungeregelten. Bei der Einspritzanlage des Supesportlers kommt, dem Doppeldrosselklappensystem einiger Suzukis ähnlich, eine pfiffige, wenn auch altbewährte Lösung zum Einsatz. Was auf den ersten Blick wie eine Batterie von Gleichdruckvergasern aussieht, entpuppt sich tatsächlich als ein Bauteil traditioneller Vergasertechnik. Den konventionellen, von Hand betätigten Drosselklappen sind nämlich Gasschieber vorgeschaltet, die der Unterdruck im Saugrohr, analog zum Gleichdruckvergaser, anhebt. Doch statt einer kompromissbehafteten Vergaserbedüsung sorgen präzise Einspritzventile für die Kraftstoffdosierung. Damit verwendet Yamaha ein millionenfach bewährtes System, das bei der Betätigung der Gasschieber ohne Elektronik auskommt.
Wie Honda bei der CBR 900 RR, stattet nun auch Yamaha die R1 mit einer Auslasssteuerung mit nun zwei Walzen im Sammler der Auspuffanlage aus. Sie sollen das Drehmoment im unteren Drehzahlbereich noch einmal deutlich anheben. Über mehr Drehmoment und mehr Leistung verfügt auch der TDM-Motor dank größerer Bohrung sowie elektronischer Einspritzung. Ein Lufteinlass mit variablem Querschnitt unterstützt die Suche nach Newtonmeter und PS. Wie bereits bei Hondas VTR 1000 und Suzukis TL 1000 sitzt am Eingang zum Luftfiltergehäuse eine Klappe, die den Querschnitt verändern und damit die Strömungsgeschwindigkeit beeinflussen kann. Die Leistungssteigerung von 82 auf 86 PS und 90 Newtonmeter ist zwar nicht enorm, doch aufgrund des neuen Sechsganggetriebes lässt sich das gebotene Drehmoment noch effektiver in Fahrleistungen umsetzen. Das neue Fahrwerk mit Alubrückenrahmen, Aluschwinge, einer steiferen Gabel und den bekannt leistungsfähigen Bremsen aus der R1 tut ein Übriges.
Das gleiche Rahmen-Layout soll auch Suzukis neuer Reiseenduro V-Strom einerseits zu geringem Gewicht, andererseits zu guter Fahrstabilität verhelfen. Mit einem Leergewicht von 235 Kilogramm zählt sie zu den Leichtgewichten ihrer Klasse. Die Einspritzanlage des potenten Triebwerks der TL 1000 verfügt in der V-Strom wie bei den GSX-R-Modellen über ein System mit zwei Drosselklappen pro Saugrohr. Zusammen mit der zugunsten eines üppigen Drehmoments auf 98 PS reduzierten Leistung verspricht die neue Suzuki viel Dampf aus dem Keller.
Spannendes kommt aber keineswegs nur aus Japan, sondern auch aus den USA. Nach der Konzernmutter Harley-Davidson, die in Gestalt der V-Rod mit starren Traditionen brach, präsentierte der Firmenableger Buell ebenfalls ein von Grund auf neues Motorrad mit technisch hochinteressanten Details. Die Firebolt XB9R hat ein komplett neues Triebwerk, das sich jedoch streng am klassischen Harley-Vorbild orientiert. Ein V2 mit 45 Grad Zylinderwinkel und zwei Ventilen pro Zylinder, via untenliegender Nockenwelle über Stoßstangen und Kipphebel betätigt, könnte als Hang zum Anachronismus gewertet werden, wäre da nicht die geradezu sensationelle Abkehr vom Langhuber. Mit 88,9 Millimeter Bohrung bei nur 79,8 Millimeter Hub steht er unter den 45-Grad V2 aus Milwaukee als einziger Kurzhuber da und bringt es mit nominell 92 PS aus 984 cm³ auf eine für einen Zweiventiler achtbare Leistung.
Ganz neue Wege schlagen die Amerikaner beim Rahmenkonzept ein. Der Alubrückenrahmen fungiert gleichzeitig als Tank. Im unteren Teil des Chassis bunkern 13 Liter Kraftstoff, die damit einen sonst ungenützten Hohlraum ausfüllen. Diese Anordnung erspart einen separaten Tank, schafft Platz für ein voluminöses Ansaugsystem und trägt zu einer günstigen Massenkonzentration um den Schwerpunkt bei. Wenn schon, denn schon, dachten sich die Konstrukteure und nutzen den vorderen Teil der Schwinge gleich noch als Öltank der Trockensumpfschmierung.
Zudem führten sie bei der vorderen Bremse ein neues System im Serienmotorradbau ein. Die bereits vom Bremsenhersteller Braking vorgestellte, innenumfassende Scheibenbremse feiert bei der XB9R ihr Debüt in der Großserie. Da die Bremszange die Bremsscheibe nicht wie gewöhnlich von außen, sondern von innen umfasst, kann der Durchmesser der Bremsscheibe nahezu dem Innendurchmesser der Felge entsprechen. In Zahlen heißt das konkret: Statt des bei Sportmotorrädern mit 17-Zoll-Vorderrädern üblichen Scheibendurchmesser von 320 Millimeter weist die Scheibe der XB9R stolze 375 Millimeter auf. Der entscheidende Vorteil: Bei gleichen hydraulischen Übersetzungsverhältnissen und gleicher Handkraft erhöht sich das Bremsmoment. Und zwar so stark, dass sich eine der beiden, bei größeren Motorrädern obligatorischen Bremsscheiben im Vorderrad einsparen lässt. Das verringert nicht nur die ungefederten Massen, sondern auch das Massenträgheitsmoment und somit die Kreiselkräfte, sprich, die Handlichkeit verbessert sich.
Bei Ducati dreht es sich in erster Linie nicht ums Bremsen, sondern ums Gasgeben. Alle 998-Modelle sind mit dem mit Weltmeisterlorbeer gekrönten Testastretta-Triebwerk ausgerüstet. Das sorgt mit 123 und 136 PS für einen Leistungszuwachs von zehn respektive acht PS bei der 998 und 998 S. Das R-Modell, bereits in der vergangenen Saison mit diesem Motor gesegnet, bringt es durch weitere Detailmodifikationen auf 139 PS und ist damit der stärkste 1000er-Zweizylinder. Dabei überschritten die Konstrukteure bei einem Superbike-V2 erstmals den Bohrungsdurchmesser von 100 Millimeter. 104 Millimeter dicke Kolben reduzieren den Hub auf 58,8 Millimeter. So lassen sich größere Ventile und höhere Drehzahlen realisieren, womit die 998 R Rennsportambitionen wie kein andere Zweizylindermaschine für sich reklamiert.
Tut sich also eine ganze Menge im Verborgenen. Gerade die offensichtliche, wenn auch nicht ganz freiwillige Bereitschaft einiger japanischer Hersteller, bei neuen Modellen eine zeitgemäße Gemischaufbereitung und Abgasreinigung zu installieren, ist zu begrüßen. Zwar war die Einführung einer elektronischen Einspritzung nicht immer mit geringerem Benzinkonsum und besserer Fahrbarkeit verbunden, aber es gibt schon Beispiele, die beweisen, dass dieser unumgängliche Weg in eine erfolgreiche Zukunft führt.