Für Ducati wird es ernst: Der erste Grand Prix rückt näher, die Transportkisten stehen bereit. Wie gut sind die Roten aus Bologna gerüstet?
Für Ducati wird es ernst: Der erste Grand Prix rückt näher, die Transportkisten stehen bereit. Wie gut sind die Roten aus Bologna gerüstet?
Das italienische Fernsehpublikum erfuhr es live während der MotoGP-Tests Ende Januar in Malaysia. Ducati, so der Kommentator Federico Urban, verändere die höchste Rennklasse allein schon dadurch, dass sowohl das Motorrad als auch das Team deutlich lauter seien als der Rest des Feldes: »Man hört, dass da Italiener zugange sind.«
Allein durch einen erhöhten Geräuschpegel in Fahrerlager und Boxengasse will Ducati beim Grand-Prix-Debüt 2003 natürlich nicht auf sich aufmerksam machen. Die Erwartungen sind hoch, ebenso die Ziele des im Vergleich zu den japanischen Giganten kleinen italienischen Herstellers. »Klar, unsere erste MotoGP-Saison ist ein Lehrjahr«, sagt der 37-jährige Boss der Rennabteilung Ducati Corse, Claudio Domenicali. »Aber wir wollen es auf hohem Niveau fahren und möglichst oft ganz vorn mit dabei sein.«
Die Grundvoraussetzungen für einen positiven Start haben die Bologneser bereits geschaffen. Mit Loris Capirossi und Troy Bayliss verpflichteten sie zwei Weltklasse-Fahrer, mit Marlboro fanden sie einen potenten Sponsor. Zudem bauten sie einen MotoGP-Renner, der Potenzial zu haben scheint: die Demsosedici, so benannt wegen der desmodromischen Ventilsteuerung und der sechzehn (sedici) Ventile des Vierzylinders.
Anders lautenden jüngsten Gerüchten zum Trotz handelt es sich dabei definitiv um einen 90-Grad-V-Motor. Der Grund, warum ihn die Italiener nicht V-, sondern L-Motor nennen: Während bei V-Konstruktionen der Zylinderwinkel variieren kann, steht er beim L mit 90 Grad fest.
Besonderheit des Vierzylinders: Er ist elementarer Bestandteil des Rahmenkonzepts. Das Verlicchi-Gitterrohrchassis aus Stahl schrumpfte auf ein Minimum und verbindet lediglich die beiden Zylinderköpfe mit dem Steuerkopf. Die Schwinge ist ebenso wie die obere Federbeinanlenkung im Motorgehäuse hinter dem Kassettengetriebe gelagert. Wie bei den Superbike-Twins lässt sich die Fahrwerksgeometrie durch Einsätze im Steuerkopf verändern.
Das Rahmenfragment wiegt nur halb so viel wie das rund zehn Kilogramm schwere Zweizylinder-Pendant. Zunächst hatten sich Domenicali und seine Truppe wegen der Kräfte, die über die 42er-Öhlins-Gabel und die Aluschwinge samt Öhlins-Federbein in die Rahmenstruktur respektive den Motor eingeleitet werden, gesorgt, doch bislang gab es keine Probleme. »Das Schöne am Grand-Prix-Reglement ist, man kann etwas Neues, Unkonventionelles ausprobieren«, freut sich der Ingenieur. »In der Superbike-WM geht das nicht, weil dort der Rahmen der Serie entsprechen muss.«
Der Motor soll dagegen keine technischen Revolutionen bergen. Er ist vom Testastretta-Zweizylinder abgeleitet. Bei dem schrumpfte im Vergleich zum 998-Motor der Ventilwinkel von 40 auf 25 Grad. Vorteil: Die kompakten Brennräume sorgen für eine effektivere Verbrennung und damit mehr Leistung. Um die 190 PS bei 13000/min drückte 2002 der Teststretta-Zweizylinder in der Superbike-Version. Die Bologneser sind von diesem Konzept weiterhin überzeugt. Im MotoGP hätten sie sich nur deshalb für vier Zylinder entschieden, weil das nach dem gültigen Gewichts-Reglement Vorteile bringe. Weshalb in den Sternen steht, ob sie je eine Straßenversion der Desmosedici bauen werden, denn der Testastretta-Zweizylinder gilt den Italienern jenseits der höchsten Rennklasse als die beste Kombination aus Fahrbarkeit und Leistung.
Doch Evolution hin, Evolution her: Die meisten technischen Daten des Desmosedici-Antriebs bleiben das Geheimnis von Ducati Corse. Auch bei der Frage nach der Leistung gibt sich Domenicali vage: »Über 220 PS bei 16000/min, mehr will ich dazu nicht sagen.« Umso mehr sagt er zur desmodromischen Ventilsteuerung über Kipp- und Schlepphebel, die in bester Ducati-Tradition auch dem Vierzylinder erhalten blieb. Keineswegs aus Marketinggründen, sondern weil die Ingenieure die Zwangssteuerung für die technisch beste Lösung halten. »Sie erlaubt viel extremere Drehzahlen als eine Ventilsteuerung mit Federn. Klar erreicht man auch mit Federn Drehzahlen bis 20000/min, aber dann braucht man zahme Steuerzeiten und muss die Ventile langsamer öffnen und schließen. Mit der Desmodromik lassen sich dagegen scharfe Steuerzeiten realisieren. Nur die mechanische Festigkeit setzt einem solchen Ventiltrieb Grenzen. Derartige Ventilbeschleunigungen schafft man sonst nur mit einer pneumatischen Ventilsteuerung, die aber andere Probleme mit sich bringt«, doziert der Rennsport-Chef.
Eine von der technischen Vernunft diktierte Lösung also, zumal sich die Desmodromik dank neuer Rechenprogramme wesentlich besser einschätzen lässt als noch vor fünf Jahren. Die Software entwickelte Ducati selbst, auf dem Markt gab es nur Programme für Ventilsteuerungen mit Federn. Heute erweist sich diese Investition als weise, denn die Desmodromik bringt auch einen wesentlichen Vorteil im Verbrauch, besonders auf langsamen, kurvenreichen Strecken. Zwischen 14 und 20 Liter jagt eine MotoGP-Maschine auf 100 Kilometern durch ihre Einspritzdüsen, was beim vorgeschriebenen 24-Liter-Tank für eine Reichweite von 120 bis 170 Kilometer reicht. »Eine gewisse Reserve brauchen wir aber für die etwa 120 Kilometer langen MotoGP-Läufe noch«, gibt Domenicali zu bedenken. »Und wenn die Leistung der Motoren in den nächsten Jahren weiter steigt, erhöht sich der Verbrauch. Deshalb sind wir mit der Desmodromik in dieser Hinsicht ebenfalls bestens bedient.«
Auf Eis gelegt wurde dagegen das ursprünglich verfolgte Twin-Pulse-Konzept, bei dem je zwei Zylinder gleichzeitig zünden. Was die Konstrukteure bedauern, weil sich das Motorrad so wirklich wie ein Zweizylinder verhielt. Doch die konventionelle Zündfolge überzeugte in den Tests durch höhere Leistung und Standfestigkeit. Ducati will das Twin-Pulse-Konzept aber weiter verfolgen, zumal es eine bessere Traktion verspricht, was gerade bei langsamen Kursen Vorteile bringen könnte.
Zu den Grundideen der Desmosedici-Entwicklung gehörte außerdem, von Anfang an den Fahrer in die aerodynamischen Überlegungen einzubeziehen. Ganz im Gegensatz übrigens zu MotoGP-Favorit Honda, wo man sich von der aerodynamisch eher inkonsequent gestalteten Verkleidung Vorteile im Handling erhofft und ansonsten auf überlegene V5-Power setzt.
Der Ducati-Vierzylinder ist kaum breiter als der Testastretta-Twin. Die geringe Baubreite ermöglicht einen schmalen Tank mit engem Knieschluss und dank der schmalen Silhouette gute Voraussetzungen für einen geringen Luftwiderstand. Ebenfalls zu den Eckpfeilern gehörte der große Lufteinlass in der Mitte der Frontverkleidung, also im Bereich des höchsten Staudrucks.
Bleibt die Elektronik, die im Rennsport immer wichtiger wird. Auch da verweist Ducati mit Stolz darauf, dass die Ingenieure ihre Software selbst schreiben: »Der Zentralrechner kann bei uns viel mehr als das Übliche. Aber darüber verrate ich nun wirklich nichts«, meint Domenicali verschmitzt. Auf Formel-1-Techniken wie »drive by wire« oder eine elektrohydraulische Schaltung verzichten die Bologneser derzeit, für die Zukunft schließen sie sie aber nicht aus. Auch wenn sich Ducati Corse bewusst ist, dass sich das Motorrad im Vergleich zum Auto in jeder Hinsicht in anderen Dimensionen bewegt. Das gilt insbesondere für die Finanzen. Honda, der größte Zweiradhersteller der Welt etwa, trägt mit der Motorradproduktion gerade mal acht Prozent zum Gesamtumsatz des Konzerns bei. »So viel Geld wie die Vierradfraktion haben wir einfach nicht«, bedauert Domenicali.
Aber inzwischen einen ganz schön großen Rennstall. 110 Leute kümmern sich bei Ducati Corse um Superbike-WM und MotoGP, der Renneinsatz wird generalstabsmäßig geplant. Statt eines Chefmechanikers steht für jeden Fahrer ein Ingenieur als Ansprechpartner an der Strecke bereit. Um möglichst viele verschiedene Kurse kennenzulernen, testet Ducati auf insgesamt zehn Grand-Prix-Rennstrecken, bevor es am 6. April im japanischen Suzuka ernst wird. Superbiker Troy Bayliss kaufte sich zum virtuellen Üben auf unbekannten Pisten gar eine Playstation und Formel-1-Spiele. Und Loris Capirossi, bislang eher als wilder Reiter berüchtigt, entpuppte sich als analytischer Geist, der die Ducati-Corse-Ingenieure mit seinen durchdachten Verbesserungsvorschlägen begeistert. Kann da noch was schief gehen? »Klar«, sagt Domenicali. »Ich weiß jetzt schon, dass es auch schwierige Augenblicke geben wird. Aber wir haben die Leute und die Mittel, um gute Ergebnisse zu schaffen.«
Bleibt noch die Frage: Warum fällt Ducati denn nun durch Lautstärke auf? Die Antwort ist überraschend einfach. Das Reglement erlaubt in diesem Jahr fünf Dezibel mehr als im letzten Jahr. Deswegen konnte der ursprünglich vorgesehene Endschalldämpfer entfallen. Der Sound entweicht nun fast ungedämpft der Vier-in-zwei Anlage. Und warum ist das Team so laut? Domenicali grinst. »Wir starten im MotoGP, weil wir den Ducati-Fans ein tolles Spektakel bieten wollen. Das klappt garantiert besser, wenn wir Spaß an unserem Job haben.« Und zum Spaß gehört zumindest in Italien eben eine gewisse Lautstärke.
Nach welchem Schema lief die Entwicklung der Desmosedici ab? Nach einem recht ungewöhnlichen, für uns aber durchaus logischen. Da der Fahrer der wichtigste Part ist und sich anders als in der Formel 1 ständig bewegt, haben wir ihn in den Mittelpunkt unserer Überlegungen gestellt. Seine Sitzposition soll einerseits aerodynamisch günstig sein und ihm andererseits die bestmögliche Interaktion mit dem Motorrad erlauben. Nachdem wir die Position des Fahrers definiert hatten, haben wir um sie herum das Motorrad entworfen. Erst ganz am Schluss kam im Gegensatz zu der üblichen Entwicklung der Motor. Der Motor ist genau wie die Serien-Zweizylinder von Ducati positioniert. War das eine Vorgabe, um das von der Marketing-Abteilung viel zitierte »Ducati Family Feeling« zu erzeugen?Nein. Wir hatten uns zu Anfang für einen Vierzylinder entschieden, weil er uns vom MotoGP-Reglement her am günstigsten erschien und nach wie vor erscheint. Von allen möglichen Konfigurationen wie Reihen- oder V-Motor passte ein Vierzylinder in L-Form, also zwei Zylinder fast waagrecht liegend, die anderen beiden annähernd vertikal, am besten in unser Konzept. Kurioserweise sind wir zum gleichen Ergebnis gekommen wie der legendäre Ducati-Ingenieur Fabio Taglioni, der den Zweizylinder-L schuf allerdings aus Gründen der besseren Kühlung. Ähnlich verhält es sich mit der desmodromischen Ventilsteuerung. Taglioni verwendete sie damals, weil die Qualität der Nachkriegsfedern schlecht war und sie oft brachen. Wir verwenden sie, weil wir damit extreme Steuerzeiten realisieren können. Mit irgendeiner Marketingstrategie hat das überhaupt nichts zu tutn. Der Motor hat jetzt über 220 PS. Wo, glauben Sie, geht die Leistung in der Moto GP-Klasse in den nächsten Jahren hin?Sie wird sich steigern, ohne Zweifel. Allerdings darf man nicht unbedingt von der Formel 1 ausgehen, wo es Zehzylinder mit 900 PS gibt. Das heißt noch lange nicht, dass 990er-MotoGP-Triebwerke 300 PS leisten müssen. Erstens haben wir im Motorradrennsport viel weniger Geld, und zweitens zählt bei uns nicht vorrangig die Leistung, sondern die Fahrbarkeit des Motorrads. Sie ist für schnelle Rundenzeiten am wichtigsten. Und um 300 PS auf die Straße übertragen zu können, müsste sich in der Reifenentwicklung einiges ändern.Das Gewichtslimit für Vierzylinder liegt bei 145 Kilogramm. Schöpfen Sie das voll aus?Ja, aber nicht unbedingt immer in derselben Konstellation. Wir können variieren und das Gewicht so verteilen, wie es uns für die jeweilige Strecke am günstigsten erscheint.