Vorstellung der Systeme
Künftig sollen elektronisch gesteuerte Regelsysteme helfen, kritische Fahrsituationen durch durchdrehende oder blockierende Röder zu vermeiden: die Traktionskontrolle der neuen Ducati 1198S (DTC=Ducati Traction Control) und das Sport-ABS der Honda Fireblade.
In beiden Systemen überwachen leistungsstarke Rechner permanent Vorderrad- und Hinterradgeschwindigkeit sowie weitere Parameter und greifen ein, wenn der Fahrzustand von den hinterlegten Sollwerten abweicht.
Welches System nützt mehr, welches macht auf der Rennstrecke schneller? PS sucht die Antworten auf dem Berg-und-Tal-Kurs Castellolí nahe Barcelona.
Traktionskontrolle Ducati 1198S

Anfangs will die Gashand in satter Schräglage einfach nicht stur nach unten klappen. Also langsam herantasten: Millimeter für Millimeter strafft der Pilot den Gaszug. Eigentlich sollte die Ducati jeden Moment zu rutschen beginnen – aber nichts geschieht. Trau dich, mehr Gas! Ohne die geringsten Anzeichen eines Slides schießt die 1198S brutal scharf aus den Ecken. Auch die Warnlampen im Cockpit bleiben dunkel; sie sollen leuchten, sobald das System eingreift.
Funktioniert die Traktionskontrolle überhaupt? Wir stellen sie von Level 4 (mittlere Stufe) auf 8 (empfindlichste Stufe). Noch ein Umlauf, noch mehr Gas – endlich: ein Rutscher! Die Ducati slidet deutlich mit dem Hinterrad Richtung Kurvenausgang, dann unterbricht der Rechner sanft die Leistungsabgabe und führt die Italienerin stabil um den Bogen.
Die DTC funktioniert also, wirft allerdings ein paar Fragen auf: Bei der Präsentation der 1198S regelte das System auf Level 8 so früh, dass die Kollegen es sofort auf eine weniger empfindliche Stufe einstellten. Serienstreuung? Zur Sicherheit empfehlen wir 1198S-Fahrern, auf Stufe 8 zu beginnen und sich an niedrigere Level heranzutasten.
Rollt die Italienerin auf Reifen in anderen als den Seriendimensionen, zum Beispiel auf Slicks, erkennt dies das System und passt sich automatisch an. Showeinlagen erlaubt es ebenfalls: Burnouts und Wheelies sind problemlos möglich.
C-ABS Honda Fireblade

Hondas ABS-Fireblade pflegt das knackige, rutschfreie Verzögern nahe am physikalischen Limit; dank ihres neu entwickelten Combined-ABS gerne auch auf der Rennstrecke.
Das funktioniert problemlos: nur den Hebel voll ziehen. Schneller und länger rasen die Kurven auf die Blade zu; souverän verkürzt das Sport-ABS den Bremsweg. Nicht einmal der Hebel pulsiert, und die Honda liegt während des gesamten Bremsvorgangs extrem stabil. Wer beim Bremsen nicht an Reifenhaftung denken muss, hat den Kopf frei für die Linienwahl oder die Rennstrategie.
Das Combined-ABS verzögert hinten automatisch mit. Das Bremspedal zu bedienen, ist bei der ABS-Fireblade damit überflüssig. Showträchtige Bremsdrifts funktionieren leider nicht mehr: Verzögert das Hinterrad zu stark, nimmt das System den Druck raus.
Das Einbiegen auf der Bremse gelingt bestens, allerdings verlangt die Honda Fireblade dafür ungewohnt hohen Kraftaufwand. Kein Wunder: Bisher hatten sich die Tester schlicht nicht getraut, bei so viel Verzögerung am Rad gleichzeitig auch noch einzulenken.
Probehalber deaktivierten wir das ABS; danach verlängerten sich die Bremswege deutlich: Als der Fahrer sich selbst um Grip am Vorderrad sorgen musste, bremste er wesentlich früher und verzögerte im Schnitt nur noch mit 8 m/s² (ohne nennenswerten Luftwiderstand).
Mit ABS gibt der Fahrer länger Gas, beschleunigt also besser und gewinnt einige Zehntelsekunden. Die durchschnittliche Verzögerung beträgt 9,2 m/s² und liegt damit recht nah an der Erdbeschleunigung (ca. 9,8 m/s²).
Die Honda braucht ein Kit-Steuergerät, wenn sie auf anders dimensionierten Reifen steht; von selbst erkennt sie abweichende Reifengrößen nicht. Für Rennstreckenfahrer bedeutet das eine zusätzliche Investition; den Preis für die ABS-Kit-Steuerbox hat Honda bislang nicht genannt.
Fazit

Eindrucksvoll so nah am physikalischen Limit zu ballern. Hat sich der Hobbyracer erst einmal auf die Fahrhilfen eingeschossen, schenken sie ihm ungekannte Dynamik. Außerdem können sie helfen, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern, indem sie vorführen, wo die berühmte Grenze zwischen Grip und Crash genau liegt.
Sowohl die Fireblade als auch die Ducati 1198S machen Nicht-Profis schneller; beide Maschinen bereiten auf ihre Art größtes Vergnügen. Optimal wäre natürlich, die zwei Systeme in einem Motorrad nutzen zu können, doch so etwas gibt es serienmäßig nicht. Noch nicht.
Volkmar Jacobs Kommentar zu Regelsystemen

Die elektronisch gesteuerten Fahrhilfen von Honda Fireblade und Ducati 1198S läuten eine neue Supersport-Ära ein. Auf öffentlichen Straßen und auf der Rennstrecke bieten die Systeme mehr Sicherheit.
Obendrein machen sie schneller; mittelfristig wird wohl kein Hersteller auf sie verzichten können. Speziell in Regenrennen ist ohne ABS und Traktionskontrolle wenig zu bestellen. Kehrseiten der Elektronikmedaille: Die Fähigkeiten der Fahrer verlieren an Bedeutung. Und falls das System versagt – wie bei Jorge Lorenzo in Laguna Seca 2008 –, kann das immer noch sehr weh tun.
Jedem Hobbyracer, der mit Fahrhilfen unterwegs ist, seien schnelle Rundenzeiten gegönnt. Sie sind aber kein Grund für Hochmut; falls möglich, lieber die Elektronik hin und wieder mal abschalten und die Zeiten "mit" und "ohne" vergleichen: Diesen Unterschied hat der Computer gemacht, nicht der Fahrer.