Vergleich Vergaser/Einspritzung
(Ge)mischkalkulation

Die Zeiten, in denen die guten alten Vergaser für die Gemischaufbereitung zuständig waren, scheinen vorbei. Oder? Ein Generationenvergleich von BMW F 650 und Honda CBR 600 F.

»The Times they are a changin’« sang Bob Dylan, und der Barde hatte Recht. Nichts bleibt, wie es ist. Wenn es noch eines engültigen Beweises bedurft hätte, manifestiert der sich spätestens beim Showdown der aktuellen BMW F 650 und CBR 600 F mit ihren erst ein Jahr alten Vorgängerinnen. Zeitgemäße Einspritztechnik auf der einen Seite, der Vergaser als die letzte geschliffene Bastion traditioneller Gemischaufbereitung auf der anderen. Mutieren Vergleichsfahrten da nicht zwangsläufig zum Kondolenzgang, bei dem die Verdienste der Vergangenheit gelobt werden, um die letzte Ruhe der Düsen und Nadeln erträglicher zu gestalten?
Nicht zwangsläufig. Denn nirgendwo setzen speziell einige japanische Hersteller so hartnäckig auf Tradition wie vor den Einlasskanälen motorisierter Zweiräder. Die millionenfach bewährten Vergaser sind preisgünstig und erfüllen die meisten Anforderungen recht ordentlich. Doch neue Schadstoffgrenzwerte offenbaren die Grenzen der althergebrachten Technik schonungslos. Reaktionen auf Abgaszusammensetzung mittels Lambdasonden und entsprechende Regelungen des Gemischs für die optimale Funktion eines Katalysators stellen die herkömmliche Gasfabrik vor echte Probleme.
Selbst die hartnäckigsten Verfechtern der reinen Vergaser-Lehre geben zu, dass strengere Abgasgrenzwerte für Motorräder (siehe auch Seite ....) ohne Einspritzung und geregelten Katalysator nicht – oder nur in wenigen Ausnahmefällen – zu schaffen sind. Zweifelsohne besitzen Einspritzanlagen einen Vorsprung durch Technik. Sie können ständig variierende Parameter der Umgebung wie Luftdruck und Temperatur erfassen und das Gemisch in Millisekunden daran anpassen. Dennoch stellt sich die Frage: Was leistet die moderne Gemischaufbereitung tatsächlich? MOTORRAD begab sich daher nach der Pflicht (Abgasprüfstand) in die Kür, verglich die Verbräuche auf Autobahn und Landstraße, untersuchte Ansprechverhalten und Leistungsentfaltung im Flachland und auf rund 2500 Metern Höhe (Timmelsjoch), kurz, klopfte den Stand der Dinge sowohl beim großen Einzelhubraum der BMW F 650 als auch bei vier kleinen Hubräumen der Honda CBR 600 ab.
Doch der Reihe nach. Ortstermin bei der Typprüfstelle des TÜV Automotive in xxxxxxxxxx. Auf dem Abgasprüfstand wird neben dem wenig praxisrelavanten Motorradzyklus der Pkw-Zyklus mit Kaltstart und Überlandfahrt gemessen, um aufzudecken, was die unterschiedlichen Systeme in Bereichen außerhalb der gesetzlichen Vorgaben zu leisten vermögen und wie sie sich im Vergleich zum Pkw verhalten. Auffällig die BMW F 650 mit Vergaser und ungeregeltem Kat, die mehr Kohlenmonoxid (CO) emittiert, als derzeit erlaubt ist. Die Vergaser-Honda schafft zwar die Grenzwerte, leistet sich beim CO aber ebenfalls hohe Konzentrationen (siehe Seite ..). Mustergültig die Pendants mit Einspritzung und geregeltem Katalysator, die ihre Vorgängerinnen bei den einzelnen Schadstoffkomponenten bis zum 21fachen unterbieten. Dabei zeigt vor allem die F 650 das Potenzial aktueller Technik auf. Sie schafft im Pkw-Zyklus bis auf einen etwas zu hohen Stickoxidausstoß beinahe die Euro-3-Grenzwerte des Pkw.
Und setzt als Sahnehäubchen noch eins obendrauf. Mit 2,7 Liter Verbrauch pro hundert Kilometer nach DIN-Norm des Pkw gemessen, unterbietet sie klar den Drei-Liter-Lupo von VW, der über einen verbrauchsoptimierten Diesel-Direkteinspritzer verfügt, und avanciert damit zum 2,5-Liter-Motorrad. Zumindest theoretisch. Oder besser zyklisch. Denn auf der Straße sieht die Sache auch beim Pkw anders aus. Schlechter. Für die neue BMW F 650 trotzdem gut. Weil sie von allen vier Motorrädern am zurückhaltendsten mit dem teuren Kraftstoff umgeht. So gehen 3,6 Liter auf der Landstraße selbst unter Sparmeistern als sensationell niedrig durch, ebenso die 4,5 Liter bei 140 km/h. Auch beim Verbrauch hat die alte F 650 nichts entgegenzusetzen: Je höher das Tempo, umso größer wird der Nachteil. Bei 160 km/h sind es satte1,9 Liter auf 100 Kilometer. Vorteil Einspritzung auf der ganzen Linie also.
Jedenfalls bei BMW. Dass die schöne neue Welt von Kennfeldern und Parametern auch ihre Schattenseiten haben kann, zeigt ausgerechnet der Klassenprimus CBR 600 F. Ihr Motto: Je schneller, desto durstiger. Liegt die Einspritz-Honda bei 80 km/h und auf der Landstraße noch gleichauf mit dem Vergasermodell und kann bei 100 km/h einen leichten Vorteil verbuchen, klafft die Schere ab 120 km/h immer weiter auseinander und gipfelt bei konstanten 200 km/h in einem Mehrverbrauch von über zwei Liter zu Ungunsten der neuen CBR.
Wie kann das sein, angesichts der vielen elektronischen Helferlein (siehe Schaubild), die zu jeder Zeit alle notwendigen Informationen für die optimale Menge einzuspritzenden Kraftstoffs liefern? Die Antwort liegt tief vergraben in den unermesslichen Weiten des Kennfelds, jenes dreidimensionalen Gebildes, in dem jedem erdenklichen Betriebszustand eine bestimmte Einspritzzeit zugeordnet wird. Und genau in jenem Punkt zeigen sich noch Entwicklungsdefizite. Für bestimmte Bereiche optimiert, haben die Honda-Techniker in vielen Betriebsbereichen ihre Hausaufgaben noch nicht erledigt. Die jahrzehntelange Erfahrung der Pkw-Kollegen bei der Erarbeitung von Kennfeldern lässt sich nicht einfach auf die völlig anderen Verhältnisse vergleichsweise kleinvolumiger Motorradtriebwerke übertragen, eklatante Erfahrungsdefizite machen sich hier wie bei anderen Herstellern bemerkbar. Das ist im Fahrbetrieb zwar nur bis zu einem gewissen Grad festzustellen, an der Tankstelle aber sehr wohl. Siehe Einspritz-CBR.
In deren Fall nämlich lassen sich die systembedingten Vorteile der Einspritzung nur unter extremen Bedingungen wirklich auskosten. In großer Höhe etwa, am Timmelsjoch, wo die Luft dünner wird. Hier hat der Vergaser nur begrenzte Chancen zu reagieren, fährt sein gewohntes Programm. Die Folge: Das Gemisch überfettet, die Leistung fällt in den Keller, das Einspritzmodell zieht (bis auf einen Hänger bei gut 2000/min) in allen Drehzahlbereichen auf und davon, während im Flachland die vergaserbestückte CBR 600 bis zu ihrem Drehmomenteinbruch zwischen 5000 und 6000/min sogar Vorteile verbuchen kann.
Ein anderes Bild bieten die beiden BMW. Die neue F 650 hat immer und überall die Nase vorn. Auf Meeresspiegelhöhe – und im Hochgebirge erst recht. Fährt auf der Anfahrt zum Timmelsjoch ihrer Vorgängerin auf und davon, lässt sich auch von 2500 Höhenmetern nicht beeindrucken. Angesichts des niedrigen Verbrauchs eine reife Leistung. Vorsprung durch Technik eben. Honda hingegen sollte bei der CBR 600 F die Gemischkalkulation nochmals überdenken.

Unsere Highlights

Schadstoffvergleich

Auf dem Abgasprüfstand mussten zwei Honda CBR 600, eine mit Vergaser, die andere mit Einspritzung und geregeltem Katalysator und eine BMW F 650 mit Vergaser und ungeregeltem Katalysator sowie eine mit Einspritzung und geregeltem Kat ihre Umweltverträglichkeit unter Beweis stellen. Die Schadstoffe wurden im Pkw-Zyklus ermittelt, der auch den Motorradzyklus ECE 40 enthält, darüber hinaus werden von der Abgasanlage aber auch der Kaltstart mit Warmlaufphase und der außerstädtischen Zyklus erfasst. Hondas Einspritzer emittiert mit geregeltem Katalysator beim Kaltstart etwas geringere Schadstoffmengen als das Vergaserpendant. Im warmen Zustand reduzieren sich beim 2000er-Modell die Schadstoffe in der Größenordnung von 16 bis 22 Prozent. Anders die Einspritzvariante, deren Katalysator im warmen Zyklus nach Erreichen der Betriebstemperatur den Schadstoffausstoß um satte 42 bis 86 Prozent reduziert. Im außerstädtischen Zyklus legt dann die Einspritz-Honda proportional deutlich stärker an Schadstoffen zu als die Vergaservariante, was sich auch im Verbrauch niederschlägt. Der ungeregelte Katalysator der BMW F 650 funktioniert offensichtlich nicht richtig. Selbst im warmen Zustand sinken die CO-Werte kaum. Trotz des U-Kats verfehlt die F 650 die aktuellen Grenzwerte bei Kohlenmonoxid deutlich. Überzeugend dagegen die Variante mit G-Kat und Einspritzung: Nach Anspringen des Katalysators gehen die Schadstoffemissionen drastisch um 72 bis 79 Prozent zurück. Und auch im außerstädtischen Zyklus sinken die Schadstoffkomponenten HC und CO, was sich im Kraftstoffverbrauch und im hervorragenden Gesamtergebnis niederschlägt.

Interview Honda

? Warum hat die Honda CBR 600 mit Einspritzung speziell bei Geschwindigkeiten über 120 km/h deutlich höhere Verbräuche als das Vorgängermodell mit Vergaser?Tatsächlich haben auch wir festgestellt, dass die Verbräuche der CBR 600 des Modelljahrs 2001 in gewissen Bereichen höher sind als beim Vorgängermodell. Speziell bei niedrigen Temperaturen stieg der Benzinkonsum wegen der automatischen Kaltstartanreicherung an. Den Verbrauchsnachteil bei höheren Geschwindigkeiten führen wir zum einen auf die kürzere Gesamtübersetzung der neuen CBR im fünften und sechsten Gang zurück, zum anderen lag bei der Entwicklung die oberste Priorität auf Fahrbarkeit und Abgasverhalten. ? Ist der Vergaser in einigen Kriterien wie zum Beispiel dem Verbrauch der Einspritzung überlegen? Der Vergaser ist heute auf einem enorm hohen Entwicklungsstand. Die Einspritztechnik steht beim Motorrad erst am Anfang. Wegen der völlig anderen Anforderungen konnten wir die Erfahrungen aus dem Pkw-Bereich nur bedingt nutzen. Wir müssen bei jeder Hubraumgröße auf einem weißen Blatt Papier anfangen. Das Vergasermodell wurde hauptsächlich in Richtung Performance entwickelt. Die CBR 600 mit Einspritzung hingegen musste nicht nur die Vorgaben von Performance, sondern auch hinsichtlich geringer Schadstoffemissionen erfüllen. Dies entspricht der Zielsetzung von Honda, bis 2005 alle Zweiräder über 50 cm3 mit schadstoffarmer Technik mit Viertakter und Einspritzung auszurüsten. Zukünftig wird dem Verbrauch mehr Aufmerksamkeit gewidmet.? Ist eine Einspritzanlage teurer als Vergaser?Momentan sind die Kosten für die Einspritzung noch deutlich höher. Abhängig von den Stückzahlen werden sie aber noch drastisch sinken und können sich durchaus auf dem Niveau des Vergasers einpendeln.

Bescher, Klaus: Interview

? Wo sehen Sie Vor- und Nachteile der Einspritzung gegenüber dem Vergaser?Von Vorteil ist, dass mehr Motor- und Umweltbedingungen erfasst werden und somit eine günstigere Gemischanpassung ermöglicht wird. Bereits am grünen Tisch können einzelne Funktionen wie die Höhenanpassung vorbelegt werden. Die Nachteile sind weniger prinzipbedingt, sie liegen vielmehr in den hohen Entwicklungsaufwendungen und in der Verfügbarkeit geeigneter Komponenten wie etwa der Einspritzventile. Im Gegensatz zum Vergaser, der sich relativ schnell abstimmen lässt, müssen bei der Einspritzung viel mehr Parameter verarbeitet werden.? Nach den zum Teil hohen Schadstoffemissionen der ersten F 650 GS-Modelle haben sich unseren neuesten Messungen zufolge die Werte drastisch verbessert. Worauf führen Sie das zurück?In letzter Zeit haben wir viel an der GS gearbeitet und »Kennräume«, in denen »fetter« Motorbetrieb erforderlich war, drastisch eingeschränkt. Der Bereich, in dem mit Lambda 1 gefahren wird, hat sich dadurch deutlich vergrößert.? Warum hat der Einspritzer unter Konstantfahrruckeln zu leiden, die Vergaserversion dagegen nicht?Der Teillastbereich zwischen 3000 und 3500/min ist äußerst kritisch. Bei Lambda 1 entsteht das Problem, eine gleichmäßige und saubere Verbrennung sicherzustellen. Vergasermotoren laufen bei diesen Drehzahlen fetter, somit stabiler.? Neben der Einspritzung hat sich bei der F 650 GS gegenüber dem Vorgängermodell vor allem der Zylinderkopf konstruktiv stark verändert. Wie viel Prozent der Verbrauchssenkung rechnen Sie den konstruktiven Maßnahmen, wie viel der Einspritzung zu?Auf den komplett neuen Ladungswechsel und die von 9,7 auf 11,5 angestiegene Verdichtung dürften etwa 50 Prozent entfallen, auf die Einspritzung ebenfalls.

Verbrauch

MOTORRAD überprüfte ein ganzes Spektrum von Verbräuchen zusätzlich zu den vom TÜV Automotive analog zur DIN-Messung des Pkw ermittelten Werten. Verblüffend das Ergebnis der BMW F 650 mit Einspritzung, die mit 2,7 Litern den Drei-Liter-Lupo von VW unterbietet, während die restlichen drei Motorräder Verbräuche von 4,4 bis 5,5 Liter erzielten. Auf der Verbrauchsstrecke von MOTORRAD setzte die F 650 GS mit 3,6 Litern im Landstraßenbetrieb erneut den Maßstab vor der Vergaser-BMW mit 4,7 und den beiden Honda mit jeweils 5,4 Litern. Bei konstanten Geschwindigkeiten ermittelte MOTORRAD dann die Verbrauchskurven. Die Einspritz-BMW konsumierte dabei zwischen 80 und 160 km/h 0,6 bis 1,9 Liter weniger als das Vergaserpendant. Erschreckend der Vergleich der beiden Honda: Von 80 bis 120 km/h liegt das Einspritzmodell mit der Vergaser-CBR noch gleichauf lag, darüber war es sehr durstig und schluckte bei 200 km/h 2,2 Liter mehr.

Vergaser

Beim Gleichdruckvergaser betätigt der Fahrer über den Gasgriff die zwischen dem Einlassventil und dem Gasschieber liegende Drosselklappe. Ist diese geöffnet, entsteht im Saugrohr ein Unterdruck, der sich über eine Bohrung im Gasschieber bis in den Raum über der am Gasschieber befestigten Membrane fortsetzt. Der Unterdruck hebt Membran und Gasschieber an, die konische Düsennadel gibt kontinuierlich die Bohrung für den Benzinzulauf im Düsenstock frei und saugt den Kraftstoff an.

Gemischaufbereitung - Einspritzung

Eine Vielzahl von Sensoren speist das Motormanagement mit Informationen. Aus dem an der Kurbelwelle abgenommenen Drehzahlsignal und dem vom Drosselklappenpotentiometer gelieferten Lastsignal setzt sich das Grundkennfeld zusammen. In weiten Lastbereichen wird es durch die Infos der Lambdasonde korrigiert. Die Temperatur der angesaugten Luft und des Kühlwassers sowie der Luftdruck und weitere Parameter ermöglichen die exakte Anpassung an sämtliche Betriebszustände.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023