Klar ist es unfair, die Oma gegen die Enkelin beim Sport antreten zu lassen. Stellen Sie sich doch nur mal Ihre Mutter vor, die gegen Ihre Tochter einen Hundertmeterlauf gewinnen soll. Im Eisstockschießen, Wettstricken oder Hallenhalma hätte Oma vielleicht eine Chance, aber im Sprint ...
Motorräder unterscheiden sich ja dankenswerterweise ein wenig von uns Menschen. Zwar altern auch sie, aber aus technischer und nicht aus biologischer Sicht. Wenn die Verkleidung tiefer hängt, als sie soll, ist daran kaum das Alter schuld. Und ein Federbein mit Orangenhaut haben Sie bestimmt auch noch nicht gesehen. Es gibt mindestens drei Gründe, die 998S, den allseits geliebten 916/996-Abkömmling, im PS-Vergleich gegen die 1098S antreten zu lassen: Den ersten finden wir im Maschinenraum, denn in der 998 werkelte erstmals der Testastretta-Motor im alten Chassis, in der 1098 sorgt der erste Testastretta-Evoluzione für Dampf im Kessel. Der zweite Grund ergibt sich aus der Vererbungslehre, präziser: aus dem 2. Mendelschen Gesetz, dem Spaltungsgesetz. In Kurzform besagt es, dass die Enkelgeneration Merkmale ihrer Großeltern aufweist, die in der Generation dazwischen nicht sichtbar waren. Auf Deutsch: Die 1098S könnte mehr von einer echten Ducati, also der 998S haben als von ihrer direkten Vorgängerin 999S.
Den dritten Grund, die 999-Reihe zu überspringen, haben die Ducati-Fans selbst gegeben. Sie straften sie aufgrund ihres strittigen Äußeren mit Ignoranz, hielten an den 916ern fest und sorgten so für eine schnelle Ablösung der Dreifach-Neun.
Nicht umsonst haben die Bolognaner bei der 1098S bewusst auf Designelemente der 916-Baureihe zurückgegriffen. Getrennte, schlitzförmige Doppelscheinwerfer mit darunter liegenden Ansaugöffnungen an der Front, dominante Doppelendrohre im Heck und eine blitzsaubere Aluminium-Einarmschwinge sind die auffälligsten Gemeinsamkeiten. Ein Gitterrohrrahmen ist Pflicht, ebenso der V-Twin mit 90 Grad Zylinderwinkel, den die Italiener gern als L bezeichnen, weil er genau so im Rahmen fixiert ist: mit einem stehenden und einem liegenden Zylinder. Weitere Pflichtelemente an einer Roten: Mehrscheiben-Trockenkupplung, Öhlins-Federelemente, beste Brembo-Bremsen, Magneti-Marelli-Einspritzung und eine grausam hohe Kupplungsbedienkraft.
Neue Wege beschritten die Ingenieure bei der Entwicklung der 1098S. Statt das Projekt in die Hand eines einzigen Leiters zu geben, entstand zunächst ein Lastenheft, an das sich hinterher alle Projektgruppen mussten. Oberstes Gebot: Performance. Jedes Teil, jedes Detail wurde für Leistungsfähigkeit auf der Rennstrecke entwickelt. Das Ergebnis beeindruckt; Ducati hatte erkannt, dass die Abstände zwischen den Ein-Liter-Sportlern sehr eng geworden waren und wuchtete erstmals ein wassergekühlten Desmo-Twin über 1000-cm3-Marke, um konkurrenzfähige Leistung für das Serienmotorrad sicherzustellen. 104,0 Millimeter durchmessende Kolben bewegen sich 64,7 mm auf und ab, was einen Gesamthubraum von 1099 Kubikzentimetern ergibt. Warum heißt die 1098S nicht 1099S? Die Italiener sind abergläubisch, wollten nicht mit einer 9 am Ende an die glücklose 999 anknüpfen, sondern mit der 8 an die erfolgreiche 998. Niedlich, gell?!

Aberglaube hin oder her, der Testastretta-Evo ist ein Tier. Gut erzogen, mit angenehmen Sitten und kleinen Hinterhältigkeiten. Der Evo weist einen noch engeren Ventilwinkel auf als der einst extreme 999R-Motor, beherbergt feiste 42-Millimeter-Einlass- sowie 34-mm-Auslassventile. Diese werden über erleichterte Desmo-Hebeleien und von scharfen, aus der 999R-abgeleiteten Nockenwellen in Bewegung gehalten. Vor allem die Kipphebel, verantwortlich für das Schließen der Ventile, haben Masse verloren. Ansaug- und Abgaskanäle sind breiter als hoch, was bei gleichem Strömungsquerschnitt Bauhöhe im Zylinderkopf spart. Angeblich ist dieses elliptische Drosselklappensystem dicht an das der im MotoGP eingesetzten Desmosedici angelehnt.
Mittels Magnesium-Zylinderkopfdeckeln, leichterer Zahnräder in Getriebe und Primärantrieb sowie erleichterter Schaltwalze und vieler weiterer Details, konnte der 1098-Antrieb gegenüber der 999 um 5 kg abspecken, was ihn trotz Hubraumbonus zum leichtesten Superbike-Motor aus Bologna macht.
Der 1098-V ist nicht nur leicht, sondern auch stark. Überzeugte er bei der Präsentation im 1800 Meter hohen südafrikanischen Kyalami (siehe PS 1/2007) noch nicht voll, markiert er im Testmotorrad den starken Max: 160 Kurbelwellen-PS attestiert der Prüfstand dem 1100er, der zudem fettes Drehmoment abpresst. Ab 6000/min liegen immer über 100 Nm an, zwischen 7500 und 9500/min sogar über 120. Nicht schlecht für einen Twin, der auf hochwertige Edelteile verzichten muss.Bei der 998S sieht es etwas anders aus: Der Ur-Testastretta mit 998 cm3 wartet in der S-Version mit feinen Titan-Pleueln, einem Sandgussgehäuse sowie damals hochexklusiven Shower-Einspritzdüsen über den 54 mm großen Ansaugschlünden auf. 140 PS schickt der Tausender an die Kurbelwelle und vergisst dabei trotz scharfer Nockenwellen nicht das Drehmoment. Der Kleine bietet ab 6000/min ein breites Plateau über 100 Nm an und hält dieses bis 10000/min durch. Allerdings belässt er es bei maximal 108 Newtonmetern, während der 1100er satte 123 davon abdrückt, die mit insgesamt 19 kg weniger Masse zu kämpfen haben.
Nehmen wir also im Sattel der 998S Platz, die uns die Firma Boxenstop in Augsburg (www.boxenstop-motorrad.de) zur Verfügung gestellt hat, und starten das Triebwerk. Laufruhig und gediegen geht es ab der ersten selbständigen Kurbelwellenumdrehung zur Sache. Deutlich gedämpft artikuliert sich der Desmo aus den serienmäßigen Rohren, das Grollen aus der Airbox stellt sich erst jenseits der 6000 Touren und bei weit geöffneten Drosselklappen ein. Auf dem engen Kurs im spanischen Calafat kann der 998S-Motor nach wie vor begeistern: Aus den Drehzahl-Tiefetagen büffelt er vehement vorwärts und rennt energisch die Leiter hoch. Dabei läuft er wunderbar weich und samtfüßig, verabreicht seine Leistung messerscharf dosierbar und beantwortet jeden Gasbefehl ohne den kleinsten Ruck. Motorseitig ist die 998S zumindest auf kleinen Kursen noch bestens im Geschäft, da dieses seidenweiche Ansprechverhalten kinderleicht jedes einzelne der 140 Pferdchen antreiben und wieder einfangen lässt. Die Kupplung verlangt zwar einen Unterarm wie weiland Raimund Harmstorf, dennoch rasten die Gangstufen präzise ein und bleiben drin.
Was bei der nur knapp über 1000 Kilometer alten 1098S nicht der Fall ist. Auch sie benötigt einen Ochsen an der Kupplung, aber das Getriebe belohnt den Kraftaufwand nicht. Vor allem bei hektischen Schaltvorgängen landet der Pilot öfter mal im Zwischenleerlauf und muss mit gezogener Kupplung und einem Knoten im Bauch wie ein Anfänger durch die Kurve rollen. Kommt der Kurvenausgang in Sicht, kann er mit erneutem, kräftigen Druck auf den Ganghebel einen Antrag auf Zuteilung einer Vortriebsstufe stellen, die Kupplung einrücken lassen und den Hahn aufreißen, um die verlorene Zeit auf der Geraden zurückzuholen.

Wupps, zu ungestüm: Schon steht die 1098S in den ersten drei Gängen auf dem Hinterrad. Wer weich aufzieht, darf mit leichtem Vorderrad die Gewalt des 1100ers genießen, diese phänomenale Welle abreiten wie ein Surfer vor Maui. Überhaupt ist die 1098S eher von der wilden Sorte, motorseitig näher an einer Suzuki GSX-R 1000 oder einer Kawasaki ZX-10R als an einer Honda Fireblade. Wer die große Duc reitet, muss mit dem Twin ringen, darf ihn nie unterschätzen. Während aber 10er-Ninja und Kilo-Gixxer ihre Kraft linear abgeben, geht es auf der Duc ab etwa sechs-, sechseinhalbtausend Touren stürmisch voran. In diesem Bereich starten Drehmoment- und Leistungskurve richtig durch, was für den Fahrer die steigende Front inklusive Kanonenkugel-Gefühl serviert. Das macht auf der Rennstrecke vielleicht nicht schnell, aber überall glücklich, da es ein ungemeiner Genuss ist, dieses Tier unter sich zu beherrschen.
Eine weitere Auffälligkeit des neuen Motors: Selbst wenn er bei milden Temperaturen auf der Rennstrecke gezwiebelt wird, läuft er überraschend kühl. Seine Temperatur stieg nie über 70 Grad Celsius, auf der Landstraße zeigte das Thermometer kaum 60 °C an.
Das Ringen mit dem coolen Twin ist am Ende einer jeden Geraden vorbei. Beim Schließen der Drosselklappen beginnt der automatisierte Ablauf des Bremsens: Popo nach hinten, die geräumige Sitzbank erlaubt es, viel Gewicht gen Heck zu verschieben. Kupplung ziehen, runterschalten und die beeindruckende Brembo-Anlage bedienen. Damit der Twin jetzt beim Einkuppeln nicht über das Hinterrad stolpert, erhöht der Einspritzrechner das Standgas leicht und kappt die Lastspitzen, die zum Stempeln führen würden.
Für das Bremsen an sich reichen allemal zwei Finger, die Front taucht leicht ab, die rechte Hand dosiert feinfühlig den Druck auf die Scheiben. Die Doppelscheiben-Anlage vorn ist für die Landstraße fast zu aggressiv, auf der Rennstrecke jedoch voll in ihrem Element. Sie staucht die Duc aus jedem Tempo zusammen und lässt sich beim Einlenken mit steigender Schräglage sahnig öffnen. Dabei fällt ein geringes, aber nur leicht störendes Aufstellmoment auf, welches sowohl mit dem serienmäßigen Pirelli Supercorsa Pro als auch dem ersatzweise ausprobierten Pirelli Diablo Corsa III auftritt. Die Linienwahl erschwert es kaum, jedoch pflanzt die 1098S nicht mehr dieses bislang bekannte und geschätzte Ducati-Gefühl in den Piloten, das unendliche Vertrauen ins Vorderrad. Die Zeiten haben sich im Lager der Roten also gewandelt. Weg von stoischer Linietreue und maximaler Präzision, hin zu leichtfüßigem Einlenken und flinkem Schräglagenwechsel.
Die 998S agiert ganz anders. Sie in Schräglage zu bringen, ist selbst mit den modernen, handlingfördernden Michelin Pilot Power 2CT ein Kraft- und Koordinationsakt, doch einmal abgewinkelt ballert die Alte spurtreu wie eine Achterbahn durch die Kurve. Die Showa-Gabel und das Öhlins-Federbein berichten nicht kryptisch, sondern im Klartext vom Haftungszustand der Reifen; der Tiefflieger kann sich auf die richtige Linie konzentrieren.

Auf der 1098S geht es handfester, Racing-orientierter zur Sache: Während sich die sensibel ansprechende Gabel über weit geöffnete Dämpfungsventile noch auf die unebene spanische Strecke anpassen lässt, sträubt sich das Federbein gegen zu viel Komfort. Mit seiner hohen Federrate und der straffen Dämpfung kann es vielleicht im Team mit einem steifen Rennreifen überzeugen, für Hobby-Racer und auf Supercorsa Pro schießt es jedoch klar über das Ziel hinaus und geht schlichtweg als zu straff ins Protokoll. Ist die Druckstufendämpfung maximal geöffnet, lässt sich auf der Rundstrecke gerade noch mit ihm leben, auf der Landstraße ist aber definitiv Sense: Nach 100 Kilometern verabschieden sich selbst die hartnäckigsten Nierensteine. Zudem ist die Zugstufenverstellung nur sehr schwierig zu erreichen.
Wobei wir beim Thema Servicefreundlichkeit angekommen wären. Reifenwechsel sind dank Einarmschwinge eine saubere Sache, am Vorderrad muss der Schrauber auf die Distanzen der Bremssättel, die unterschiedliche Bremsscheibendurchmesser ermöglichen, Acht geben. Außerdem verlangt die Demontage der vorderen Bremssättel Umsicht und eine ruhige Hand: Ein Kontakt der Sättel mit dem geschmiedeten Rad ist nahezu unvermeidlich, Lackschäden am Rad können schnell die Folge sein.
Wer einer 1098S die Ritterrüstung abnehmen will, benötigt Geduld und Spucke und am besten einen handlichen Akkuschrauber mit 3er-Innensechskant-Bit: Um den Kiel und die beiden großen Verkleidungshälften runterzukriegen, sind sage und schreibe 24 (in Worten: vierundzwanzig) Schrauben fällig. Zum Vergleich: An der 998S sinds 14 Schnellverschlüsse und eine Schraube.
Was außerdem nicht für die 1098S spricht, ist die Tatsache, dass sie sowohl bei der Präsentation als auch beim Test Haltefedern am hinteren Auspuffkrümmer verlor. Zwar eine Kleinigkeit, aber eine ärgerliche.

Fazit
Die 1098S hat Power, Leistung, die 998S Glory, Anerkennung. Kein Zweifel: Die Ducati 1098S wird der wahre Erbfolger der 916er-Ära. Momentan fehlen der Neuen aus Bologna noch ein paar Umgangsformen: Leistungsentfaltung und Abstimmung des Öhlins-Federbeins müssen überarbeitet werden. Auch das Getriebe hakelt zu sehr, um zu begeistern.
Das sieht bei der 998S besser aus: Sie repräsentiert den hohen Reifegrad eines lange weiterentwickelten Motorrads. Sie leidet an ihrem störrischen Handling, ist aber sonst noch gut im Geschäft; solange es nicht um meisterschaftliche Ehren geht, ein stilvoller Wegbegleiter.
Bewertungen
Ducati 998S
(Platz 2, 13 Punkte)
Motor:
Laufruhig und mit klasse Manieren punktet der Tausender. Seine echten 140 Pferde sind genug, doch die zu lange Übersetzung lässt ihn undynamisch wirken.
Fahrwerk:
Bei den Federelementen kann die 998S noch einigermaßen mithalten. In Sachen Handling verliert sie ungemein an Boden und fährt der Neuen weit hinterher.
Ergonomie:
Die 998S ist eine Old-School-Duc. Tiefe Lenkerstummel und kaum Platz, sich in Längsrichtung zu bewegen, sorgen für eine auf Dauer unbequeme Racing-Haltung.
Fahrspaß:
Ergonomisch ist die 998S veraltet, was über kurz oder lang den Fahrspaß trübt. Wer leidensfähig ist, wird ihr das verzeihen und sie trotzdem lieben.
Urteil:
Königin der Herzen, die 998 gewinnt die Gefühlswertung. Trotz kräftigem Motor und knackigem Fahrwerk gehört sie sportlich gesehen leider zum alten Eisen.
Ducati 1098S
(Platz 1, 17 Punkte)
Motor:
Der 1100er-Motor ist wild und wegen seines Drehmomentverlaufs ungestüm. Dennoch kein unfahrbares Monster, sondern ein sehr druckvolles Triebwerk.
Fahrwerk:
Das Federbein zu straff, die Gabel dagegen sensibel und mit reichlich Reserven versehen. Außerhalb der Rennstrecke martert die Hinterhand den Piloten.
Ergonomie:
Der Pilot hat viel Platz, ist sportlich und bequem untergebracht. Leider rutscht er nach vorn gegen den Tank. Der Windschutz ist mies, was zum Punktabzug führt.
Fahrspaß:
Auf der 1098S stehen fette Power und spitzenmäßige Bremsen jederzeit zur Verfügung. Außer dem zu harten Federbein ist alles reuelos zu genießen.
Urteil:
Die 1098S ist ein sehr gutes Motorrad. Dem Federbein fehlt es noch an Feinschliff, doch die Nippon-Vierzylinder haben mit ihr einen harten Gegner bekommen.
Messungen:
Die Kurven der 1098S sind bereits auf dem Papier beeindruckend. Vor allem dann, wenn man schon einmal einen 998S-Motor gefahren ist und weiß, wie dieser kleine Motor geht.
Das größte Problem der 1098S sind der inhomogene Verlauf der Leistung und des Drehmoments. Der Leistungseinbruch zwischen 3500 und 4500/min wäre noch zu verkraften, aber parallel dazu geht auch das Drehmoment flöten.
Im Fahrbetrieb ist die Sache vor allem auf der Landstraße deutlich spürbar: Der abrupte Leistungseinsatz ab 4500/min ist direkt unangenehm. Viel besser, weil linearer macht es die 998S. Allzeit berechenbar und fast punktgenau zu dosieren ist das alte Triebwerk dem neuen in Sachen Fahrbarkeit überlegen. Leider verpuffen seine 140 PS in der viel zu langen Sekundärübersetzung.