Magie der Kraft
Ungeduldig scharren Honda Fireblade und Kawasaki ZX-10R mit den Hinterreifen: Sie stehen bereit zum Kampf um die Krone des schärfsten Supersport-Newcomers 2008; die Arena bilden abwechslungsreiche Straßen und Sträßchen in Südfrankreich. Ebenfalls ungeduldig stehen die Tester in den Startlöchern und diskutieren sich schon über Äußerlichkeiten der beiden Motorräder die Köpfe heiß. Obwohl Fireblade und Ninja das gleiche Genre vertreten, unterscheiden sich sich grundlegend: Die schnörkellosen Flächen der seitlichen Honda-Verkleidung und ihre gefälligen Rundungen wirken wie aus einem Guss. Sie erscheint zurückhaltend-elegant, beinahe brav. Die Form der Frontverkleidung erinnert den einen oder anderen gar an den gestutzten Schnabel eines Raubvogels. Sollte die Blade ein wehrloses Opfer sein? Abwarten. Im krassen Gegensatz tritt die Kawa auf: Ecken, Kanten und Zacken, wohin das Auge blickt. Sie wirkt zerklüftet, und die an den Spiegelauslegern montierten Blinker tragen maßgeblich dazu bei. Nach dem gestalterischen Schmusekurs der letzten beiden Jahre verkörpert sie wieder Aggressivität und Kompromisslosigkeit.
Kompromisslos kann die Fireblade auch, und zwar in Sachen Sitzposition: Der Pilot hockt auf einem spartanischen Polster, mit stark angewinkelten Knien und sehr Vorderrad-orientiert. Nicht unbequem, aber für eine Honda ungewöhnlich. Zweite Überraschung: das Fahrwerk der Feuerklinge. Gabel und Federbein sind sehr straff abgestimmt, weshalb sie ihren Piloten exakt über den Straßen- und Fahrzustand informieren. Mit superber Rückmeldung vom Vorderrad sticht die Honda in die Ecken, der Pilot scheint die Radachse direkt in den Händen zu halten wohl auch ein Verdienst des Lenkkopfwinkels: Knapp 67 Grad gegen die Horizontale sind radikal steil. Trotz ihrer knackigen Auslegung sprechen Gabel und Federbein exzellent an und ebnen selbst drittklassiges Geläuf. Zwar bietet die Standard-Einstellung des Monoshocks auf solchem Untergrund noch annehmbaren Komfort, besser funktioniert aber eine etwas weichere Abstimmung. Die PS-Empfehlungen für beide Bikes stehen im Kasten auf Seite 14.
Auch die Gabel der ZX-10R federt und dämpft recht straff, glättet dennoch selbst übelste Asphaltverwerfungen ausgezeichnet. Etwas unsensibler geht das brettharte Federbein zur Sache. Es erzeugt zwar Grip ohne Ende, filtert aber selbst bei weit geöffneter Highspeed-Druckstufe Unebenheiten nicht so feinfühlig wie die Front. Thema Handling: Trotz korrektem Luftdruck biegt die Kawasaki speziell mit kalten Reifen eher widerwillig ein. Etwas leichtfüßiger winkelt sie mit angewärmten Pneus ab, die sperrige Tendenz bleibt ihr abererhalten. Das erstaunt, denn ihr Originalreifen, der Pirelli Diablo Corsa III, gilt als hervorragender Alleskönner. Gegenprobe mit einem zweiten Satz: Jetzt rollt die Kawasaki sowohl mit kalten als auch mit warmen Gummis wesentlich agiler um die Radien. Schwankt die Qualität der Erstbereifung so stark? Oder war die Kawa mit einem schadhaften Satz Pellen ausgerüstet? PS bleibt am Thema dran.
Kampf um die Krone
Die Fireblade wiegt vollgetankt exakt 200 Kilo und markiert damit einen neuen Klassenrekord. Gierig stürmt sie in die Bögen und wedelt leichtfüßig durch Wechselkurven. Dabei möchte sie aktiv pilotiert und mit Körpereinsatz auf Kurs gehalten werden, sonst fährt sie ab dem Scheitelpunkt weitere Linien als angepeilt. Das kann die Kawasaki besser. Zwar berichtet sie nicht ganz so transparent über die Front wie die Honda, dafür zieht sie einen sauberen Strich durchs Geschlängel und hält exakt die vorgegebene Richtung. Trotz 8 kg Mehrgewicht reicht die Zehner in Sachen Handling an die Fireblade heran. Ein Indiz dafür, dass Kawasaki die Massen gut zusammengefasst hat. Ein Erlebnis der Extraklasse, mit den beiden Handling-Queens durch die herrliche Kurvenwelt der Provence zu pflügen.
Die Triebwerke der Boliden intensivieren dieses Vergnügen noch. Power im Überfluss, jederzeit abrufbar und perfekt zu dosieren. Sensationelle 188 PS gibt Kawasaki für die große Ninja an; bei maximaler Staudruck-Aufladung sollen sogar 200 Hengste tanzen. Umfangreiche Modifikationen insbesondere an Ansaugtrakt und Zylinderkopf ermöglichen die Steigerung um 13 PS. Der Prüfstand attestiert der Grünen ohne Aufladung 182 PS; das sind zwar 6 weniger als versprochen, markiert dennoch die Höchstmarke bei den Supersportlern. Mehr als der maximale Output zählen im Alltag ohnehin Leistungsentfaltung und Fahrbarkeit. Auch in dieser Hinsicht kann die Grüne überzeugen: Sie geht recht sanft ans Gas und entfaltet ihre Kraft sehr gleichmäßig; weder Einbrüche noch Leistungsspitzen trüben das Bild. Den Spurt durch die Drehzahlen begleiten spürbare Vibrationen, ihr Getriebe arbeitet unauffällig.
Honda bescheinigt seinem Top-Brenner nur 178 PS. Das Testexemplar steht sehr gut im Futter und drückt sogar 2 PS mehr auf die Prüfstandsrolle, verfehlt die gemessene Spitzenleistung der Kawa also denkbar knapp. Auch die Honda-Ingenieure überarbeiteten den Antrieb ihres Vorzeigerenners gründlich: Sie erhöhten die Bohrung von 75 auf 76 Millimeter und verringerten den Hub um 1,4 auf 55,1 mm. Leichtere Nockenwellen, größere Einlassventile und um 2 auf 46 Millimeter angewachsene Drosselklappen sind daneben die wichtigsten Änderungen. Mehr noch als die Spitzenleistung begeistert, wie die Feuerklinge ihren Punch freisetzt: Honda schaffte es, Leistung und Drehmoment beinahe auf dem gesamten Drehzahlbereich über jene der Konkurrenz zu heben. Obendrein ist die Fireblade kurz übersetzt, sprintet also mit atemberaubender Vehemenz los und ballert nahezu aus jedem Eck auf dem Hinterrad heraus purer Wahnsinn. Wer auf nackte Zahlen steht, leckt sich jetzt die Finger: Für den Durchzugsspurt von 50 auf 150 km/h im letzten Gang benötigt die Blade lediglich 8,1 Sekunden und nimmt der ZX-10R dabei satte 1,5 Sekunden ab.
Ein paar weniger angenehme Eigenschaften trüben das sonst so positive Bild des Honda-Antriebs: Zum einen leistet sich die Blade einen kapitalen Durchhänger zwischen 3500 und 4500/min. Für maximalen Vortrieb sollte der Pilot diesen Bereich meiden. Daneben nervt die Honda nach wie vor mit harter Gasannahme, die in langsamen Ecken Stichwort: Spitzkehren die Linie verhageln kann. Selbst das ausgeklügelte Programm des Motormanagements kann dagegen nichts ausrichten; es erfasst die Positionen von Kurbelwelle und Getriebeausgangswelle, gleicht sie permanent ab und will daran Lastwechsel erkennen. Darauf reagiert das System mit geänderten Einspritzmengen und -zeiten. Neben den genannten Makeln ist der Fireblade ihr rauer Motorlauf geblieben. Unterm Strich dennoch ein hervorragendes Triebwerk, das den Vergleich mit der Konkurrenz nicht zu scheuen braucht.
Bremsen und Co.
Zu den Bremsen: Auch hier brilliert die Blade. Knackiger, stabiler Druckpunkt, beste Transparenz, hervorragender Biss und fabelhafte Dosierbarkeit; die Stopper der Fireblade lassen keine Wünsche offen. Die Anlage der Zehner überzeugt ebenfalls, sie reicht indes nicht ganz an die sagenhafte Performance der Honda-Beißer heran. Bei maximaler Verzögerung lupft die Honda aufgrund ihrer frontlastigen Gewichtsverteilung ab und an ihr Hinterrad. Bleibt es am Boden, verhindert die perfekt abgestimmte Anti-Hopping-Kupplung Bremsstempeln und gestattet feinste Anbremsdrifts. Sie arbeitet neuerdings mit zwei statt mit einer schiefen Ebene; heißt: Im Schiebebetrieb trennt sie wie gehabt die Reibscheiben leicht. Unter Zug unterstützt die zweite Rampe die Kupplungsfedern beim Zusammenpressen der Beläge. Diese sehr clevere Erfindung gestattet extrem weiche Federn, was wiederum nur geringe Bedienkräfte am Hebel nötig macht.
Der von der Bordelektronik justierte Lenkungsdämpfer der Fireblade arbeitet nach demselben Prinzip wie an der Vorgängerin, jedoch wesentlich straffer. Bei normaler Fahrt ist keine Dämpfung zu spüren, bei abrupten vertikalen Bewegungen des Lenkers beruhigt der Dämpfer die Front wesentlich effektiver als vorher. Das erlaubt volle Brause selbst über schlimmste Holperstrecken. Wheelie-Spezialisten aufgemerkt: Mit steigender Geschwindigkeit und Drehzahl lassen sich die Lenkstummel kaum noch bewegen. Die Zehner ist, wie vom letzten Modelljahr her bekannt, mit einem hochwertigen Öhlins-Lenkungsdämpfer ausgestattet. Er arbeitet konventionell, ist vielfach einstellbar und verhindert Lenkerschlagen wirkungsvoll. Der Tag neigt sich zum Ende hin, der Zauber bleibt: Bis weit in die Nacht hinein schwärmen die Tester von der Magie der supersportlichen Tausender.
Fazit:
Die Honda Fireblade gewinnt diesen Vergleich. Sie überzeugt in fast jeder Hinsicht, ihre kleinen Schwächen trüben das positive Gesamtbild nicht. Die ZX-10R ist nah an der Blade dran, erreicht deren Perfektion jedoch nicht ganz. Dafür sieht sie viel aggressiver aus als die Jedermanns-Liebling-Honda. Auch so kann man Sportfahrer-Herzen erobern.
Messungen
Über weite Teile des Drehzahlbereichs ragt die Kurve der Fireblade über jene der ZX-10R. In Zahlen ausgedrückt: Die Honda presst bei gleicher Drehzahl bis zu 12 PS und 11 Nm mehr auf die Prüfstandsrolle als die Ninja. Darüber hinaus ist die Blade federleicht und kurz übersetzt. Beim Fahren spürt der Pilot diesen Verbund sehr deutlich, die Honda feuert brutal los. Eindeutig zu spüren ist auch ihr Durchhänger zwischen 3500/min und 4500/min (Anzeige des Drehzahlmessers). Wenn es der Treiber auf der Feuerklinge eilig hat, sollte er diesen Bereich meiden. Die Zehner entfaltet ihre Leistung angenehm linear, ihr Schub birgt keine bösen Überraschungen. Beim Durchzug im letzten Gang von 50 auf 150 km/h nimmt die Blade der Grünen 1,5 Sekunden ab, beim Spurt von 0 auf 200 km/h liegen beide nahezu gleichauf.
Daten Honda CBR 1000 RR Fireblade

Antrieb:
Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 131 kW (178 PS) bei 12000/min*, 112 Nm bei 8500/min*, 1000 cm3, Bohrung/Hub 76,0/55,1 mm, Verdichtungsverhältnis 12,3:1, Zünd-/Einspritzanlage, 46-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Anti-Hopping-Ölbad-Kupplung, Sechsganggetriebe, G-Kat
Fahrwerk:
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,8 Grad, Nachlauf: 96 mm, Radstand: 1410 mm. Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe, Federweg vorn/hinten: 120/135 mm
Räder und Bremsen:
Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/50 ZR 17. Erstbereifung: Bridgestone BT 015 F, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten
Maße und Gewicht:
Länge/Breite/Höhe: 2090/830/1130 mm, Sitz-/Lenkerhöhe: 815/860 mm,Lenkerbreite: 650 mm, 200 kg vollgetankt, v./h.: 52,5/47,5 %
Hinterradleistung im letzten Gang: 123,8 kW (168 PS) bei 259 km/h
Fahrleistungen:
Beschleunigung 0100/150/200 km/h: 3,3/5,2/7,5 s
Durchzug 50100/100150 km/h: 4,5/3,6 s
Höchstgeschwindigkeit: 293 km/h*
Verbrauch:
Kraftstoffart: Super, Durchschnittstestverbrauch: 7,5 Liter/100 km, Tankinhalt: 17,7 Liter, Reichweite: 236 km
Preis: 13760 Euro (zzgl. Nk)
Daten Kawasaki ZX-10R

Antrieb:
Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 138 kW (188 PS) bei 12500/min*, 113 Nm bei 8700/min*, 998 cm3, Bohrung/Hub 76,0/55,0 mm, Verdichtungsverhältnis 12,9:1, Zünd-/Einspritzanlage, 43-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Anti-Hopping-Ölbad-Kupplung, Sechsganggetriebe, G-Kat
Fahrwerk:
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 64,5 Grad, Nachlauf: 110 mm, Radstand: 1415 mm. Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe (High- und Lowspeed). Federweg vorn/hinten: 120/125 mm
Räder und Bremsen:
Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17. Erstbereifung: Pirelli Diablo Corsa III, vorn N. 310-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten
Maße und Gewicht:
Länge/Breite/Höhe: 2120/840/1130 mm, Sitz-/Lenkerhöhe: 820/860 mm, Lenkerbreite: 650 mm, 208 kg vollgetankt, v./h.: 50,7/49,3 %
Hinterradleistung im letzten Gang: 124 kW (169 PS) bei 275 km/h
Fahrleistungen:
Beschleunigung 0100/150/200 km/h: 3,2/5,2/7,6 s
Durchzug 50100/100150 km/h: 5,4/4,2 s
Höchstgeschwindigkeit: 298 km/h*
Verbrauch: Kraftstoffart: Super, Durchschnittstestverbrauch: 8,2 Liter/100 km
Tankinhalt: 17 Liter, Reichweite: 207 km
Preis: 13545 Euro (zzgl. Nk)
Bewertung

Honda Fireblade
Antrieb
Trotz ihrer Unzulänglichkeiten Durchhänger, Lastwechsel, rauer Motorlauf räumt die Fireblade die volle Sternenpracht ab. Warum? Probefahren und verstehen!
Fahrwerk
Sportlich-straff gedämpfte und sensibel ansprechende Federelemente, leichtfüßiges Handling und bestechende Bremsen: Die Honda vereint sämtliche Tugenden.
Ergonomie
Dünn gepolsterter Sitz, enger Kniewinkel, stark Vorderrad-orientiert: Nie geriet die Sitzposition auf einer Honda so sportlich. Trotzdem ist die Blade bequem.
Fahrspaß
Ballern auf der neuen Fireblade gehört zum Besten, was Sportfahrern passieren kann. Antrieb, Handling, Fahrwerk: Bei ihr stimmt einfach alles.
Urteil
Die Blade räumt fast die volle Punktzahl ab und gewinnt diesen Vergleich verdient. Nach heutigen Maßstäben gibt es kein besseres Großserien-Sportmotorrad.
Platz 1 / 19 Punkte
Kawasaki ZX-10R
Antrieb
Das Triebwerk der ZX-10R ist ultrastark und entfaltet seine Leistung sehr linear. Seine Performance erreicht dennoch nicht ganz das Niveau der Fireblade.
Fahrwerk
Die Gabel arbeitet hervorragend, das Federbein baut aufgrund seiner Härte viel Grip auf. Die Handlichkeit der Zehner überzeugt ebenso wie ihre guten Bremsen.
Ergonomie
Lenkerbreite und -höhe, Sitzhöhe und die Distanzen des ergonomischen Dreiecks aus Rasten, Bank und Lenker sind fast identisch mit denen der Honda.
Fahrspaß
Mit der Zehner zu zwiebeln macht echt an. Speziell die spielerische Handlichkeit begeistert; das Power-Triebwerk schießt dich grinsend in den Orbit.
Urteil
Die ZX-10R ist ein fabelhaftes Paket. An die Perfektion der Honda reicht es zwar nicht heran, aber das kann und wird Fans der Grünen ziemlich egal sein.
Platz 2 / 17 Punkte