Ähnlich dem geheimnisvollen Helden will sich das neue Yamaha Deutschland-Team unter Führung von Udo Mark aus dem Nichts zum Erfolg in der Supersport 600-WM katapultieren.
Ähnlich dem geheimnisvollen Helden will sich das neue Yamaha Deutschland-Team unter Führung von Udo Mark aus dem Nichts zum Erfolg in der Supersport 600-WM katapultieren.
Überraschende Auftritte aus dem Unbekannten im Stile des sagenumwobenen Zorro, die dann auch noch von Erfolg gekrönt werden, sind im internationalen Rennsport eher selten und ohne ganz erheblichen Aufwand völlig undenkbar.
Deshalb verläßt sich Ex-Rennfahrer Udo Mark bei seiner neuen Aufgabe als Teamchef des ebenfalls völlig neuen Yamaha Deutschland-Racing Teams für die 1999 erstmals ausgetragene Supersport 600-Weltmeisterschaft auch mehr auf seinen Hang zum Perfektionismus denn auf mystisch-magische Eingabe. »Wir mußten die Teamstruktur vom Nullpunkt aufbauen, die Yamaha R6 sind brandneu. Und die bisherige Weltserie ist zur vollwertigen WM gewachsen«, erklärt der mehrfache deutsche Meister und Europameister bei den Superbikes, »das ist natürlich ganz schön viel auf einmal, aber auch eine hervorragende Chance.«
Diese nutzen sollen die beiden Supersport-erprobten Fahrer Jörg Teuchert und Christian Kellner. Der 28jährige Teuchert ist deutscher Supersport 600-Meister 1997 und 1998 und war erklärter Wunschfahrer von Yamahas Europazentrale in Amsterdam. »Der Anstoß für das Team kam von Yamaha Europe«, erinnert sich Udo Mark, »die Japaner wollten neben dem bestehenden Team des italienischen Importeurs Belgarda noch zwei weitere werksunterstützte Mannschaften in die neue WM schicken.« So fiel die Wahl auf die Niederlassungen in den Niederlanden und Deutschland. Der deutsche Importeur verpflichtete den soeben vom aktiven Rennsport zurückgetretenen Udo Mark als Teamchef, und der brachte gleich den 27jährigen Christian Kellner, 1995 deutscher 125er Meister, von seinem bisherigen Arbeitgeber Suzuki mit.
»Aber die Verpflichtung von erfolgversprechenden Fahrern und einer schlagkräftigen Mechanikertruppe ist nur das eine«, so Mark. »Als ich meinen neuen Job bei Yamaha Deutschland angetreten habe, traf ich zwar auf hochmotivierte Partner im Management und hervorragend geeignete, sehr großzügige Räumlichkeiten. Die aber waren bis auf Schreibtisch und Telefon weitgehend leer.« Das war im vergangenen Herbst. Inzwischen ist der Laden bestens organisiert. Mit Teamchef und den Fahrern arbeiten Ex-Rennfahrer René Schmidt und Ralf Bilke als Fahrwerkstechniker sowie Motorenspezialist Marcus Eschenbacher zum Beispiel an modulartig angeordneten Arbeitsplätzen. »Großer Vorteil ist«, doziert Logistiker Mark, »daß die Jungs Werkzeug, Ersatzteile, alles was sie brauchen, zu Hause in den gleichen Arbeitsschränken finden wie bei Testfahrten im Truck oder bei den Rennen in der Box. Alles paßt zusammen und ist immer und überall am gleichen Platz.«
Auch die technische Hardware zeigt sich von der feinsten Seite. Insgesamt fünf Yamaha R6, das derzeit wohl extremste 600er Motorrad, stehen in der Werks-Kit-Version für die Angreifer Teuchert und Kellner bereit, weitergehend veredelt mit Technoflex-Fahrwerken und PVM-Bremsen.Die Maschinen, ansonsten von einem sehr engen Regelkorsett in Seriennähe gehalten, machten bei ersten Testfahrten im südspanischen Cartagena einen sehr guten Eindruck. Sowohl Teuchert wie auch Kellner waren mit Rundenzeiten von 1.38,8 Minuten knapp zwei Sekunden schneller als etwa Kellner selbst im vergangenen November beim EM-Finale auf einer Suzuki. Von ihren neuen Kollegen aus der Supersport-WM war lediglich Ducati-Werksfahrer Paolo Casoli schneller. Die übrige WM-Prominenz brauchte sämtlich mehr als 1.39 Minuten. »Diese Zeiten, vor allem auch in der von beiden Fahrern vorgelegten Konstanz, sind sehr vielversprechend«, prophezeit der Teamchef, »sie sind ihre besten Zeiten im Lauf einer 20-Runden-Rennsimulation mit Standard-Reifen und nicht auf die Strecke angepaßtem Serien-Getriebe gefahren. Außerdem werden die Unterschiede in der Supersport-Klasse sehr gering sein, weil die erlaubten Maßnahmen zur Leistungssteigerung sich auf wenige sehr feine Arbeiten am Zylinderkopf beschränken.«
Bei der Leistungsangabe für die 175 Kilogramm schweren Renn-R6 hält sich Udo Mark merklich zurück: »Wir haben bei 15500 Touren acht bis zehn PS mehr als die Serienmaschine.« Der Grund für die etwas vage Aussage liegt möglicherweise in der Diskrepanz zwischen der offiziellen Yamaha-Angabe von 120 PS für die serienmäßige R6 und den verbliebenen 108 PS, die nicht nur von den MOTORRAD-Testern ermittelt wurden.
Als sicherlich mehr als ausreichend bewerten die beiden Fahrer die Leistungsausbeute des hochdrehenden Reihenvierzylinders. »Das neue Motorrad ist meiner alten Yamaha Thundercat, mit der ich immerhin zweimal die DM gewonnen habe, in allen Belangen überlegen«, freut sich Jörg Teuchert, »die Sitzposition ist wie auf einem richtigen Rennmotorrad und dennoch viel entspannter als mit der alten Maschine. Auch im Fahrverhalten ist die R6 sehr viel handlicher. Die Thundercat war wirklich kein schlechtes Motorrad und hatte einen Super-Motor. Aber gegen die R6 ist sie schon Heavy Metall.«
Auch Christian Kellner, die letzten beiden Jahre auf Suzuki GSX-R 600 unterwegs, ist voll des Lobes: »Kein Vergleich. Alles geht so viel leichter und ist weniger Arbeit. Die R6 ist ein richtiges Rennmotorrad.« Ein wenig getrübt ist Kellners Freude über das wundervolle neue Gerät aber dennoch. Auf den ersten Listen der für die Supersport 600-WM akzeptierten Stammfahrer fehlte sein Name. Die genauen Gründe blieben im Dunkeln der Gedankenwindungen der Gewaltigen des Weltmotorradsportverbandes FIM. Denn einige auch von der Papierform deutlich schwächere Fahrer wurden dem mit nur drei von zwölf absolvierten Rennen immerhin 22. der Gesamtwertung des Vorjahres vorgezogen. »Die Gründe interessieren mich nicht«, blickt Udo Mark nach vorn, »entscheidend ist, daß wir den Christian da noch reinkriegen.« Und der Optimismus scheint berechtigt, denn inzwischen liegt dem Yamaha Deutschland-Team zwar nur eine mündliche Zusage vor, aber immerhin von Maurizio Flammini persönlich, dem Besitzer der Agentur, welche die Superbike- und Supersport 600-WM veranstaltet.
Die erste Supersport 600-WM-Saison wird also am 28. März im südafrikanischen Kyalami mit dem kompletten Yamaha Deutschland-Racing-Team beginnen. Und die Chancen? »Schwer zu sagen«, sind sich Jörg Teuchert und Christian Kellner einig, »es gibt mehr als zehn potentielle Siegfahrer, und zu denen zählen wir uns auch.« Und wie sagte der Teamchef: »Wir sind zwar Neulinge, aber das kann auch ein Vorteil sein.« Siehe den Kollegen Zorro, von dem auch keiner weiß, wer er ist und woher er kommt.
Die Supersport 600-Klasse ist langsam gewachsen. Europameisterschaft, offene Europameisterschaft, Weltserie hießen die mehr oder weniger phantasievollen Bezeichnungen für die internationale Rennserie mit 600er Vierzylinder oder 750er Zweizylinder-Maschinen, die sich nur durch von den Reglementshütern streng überwachtes Feintuning von den jeweiligen Serienversionen unterscheiden.Dennoch ist das Interesse der Hersteller an die Klasse stetig gestiegen. Und so war der letzte Schritt zur offiziellen Weltmeisterschaft parallel zur Superbike-WM nur logisch. Alle wichtigen Marken sind mit werksunterstützten Teams dabei. Suzuki-Corona-Alstare mit Weltserie-Gesamtsieger Fabrizio Pirovano und Stéphane Chambon, Yamaha mit dem Belgarda-Team, Fahrer sind Piergiorgio Bontempi und Massimo Meregalli, sowie dem neuen deutschen Team mit Jörg Teuchert und Christian Kellner, Ducati mit dem Meister von 1997, Paolo Casoli, Castrol-Honda mit Pere Riba und dem Jungstar James Toseland und nicht zuletzt Kawasaki mit Teamchef Harald Eckl und Fahrer Iain MacPherson.Die Termine: 28. März Kyalami/Südafrika, 2. Mai Donington Park/England, 16. Mai Albacete/Spanien, 30. Mai Monza/Italien, 13. Juni Nürburgring, 27. Juni Misano/Italien, 11. Juli Laguna Seca/USA, 1. August Brands Hatch/England, 29. August A1-Ring/Österreich, 5. September Assen/Niederlande, 12. September Hockenheim.