MOTORRAD testet Kamera-Warnsystem zum Nachrüsten

Kamerasystem Ride Vision 2 Pro im Langzeittest
:
Abstands- und Totwinkelwarner zum Nachrüsten

16.000 Kilometer war das Nachrüst-Kamerasystem Ride Vision 2 Pro mit der Harley-Davidson Pan America durch Europa unterwegs. Alle Testeindrücke und Montagehinweise exklusiv bei MOTORRAD.

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Die Idee ist so gut wie die Umsetzung: Hochmoderne Kameratechnik einsetzen, um das Motorradfahren sicherer zu machen. Dafür steht das Ride Vision 2 Pro. 2 Kameras zeichnen nach vorn und hinten auf, warnen vor zu geringem Abstand oder drohenden Kollisionen und informieren über Gefahren im toten Winkel. Über 16.000 Kilometer war das aktuelle System mit den neuesten Upgrades bei MOTORRAD im Test.

RIDE VISION 2 1:43 Min.

Was kann das Ride Vision 2?

Mit 2 Kameras deckt das Ride Vision primär 5 Funktionen ab: Abstandswarner, Totwinkelwarner, Überholwarnsystem, Kollisionswarner sowie eine Art Dashcam. Am häufigsten werden die Funktionen des Abstandswarners und die des Totwinkelwarners abgerufen.

Abstandswarner per Kamera

Der Abstandswarner warnt in Rot nach Sensibilitätsstufe (3 Stufen). Der Algorithmus berücksichtigt dabei ab Brems- und Beschleunigungsverhalten des vorausfahrenden Fahrzeugs und bremst, in Abhängigkeit davon, mal früher oder mal später. Dazu später mehr.

Totwinkelwarner am Motorrad

Der Totwinkelwarner und das Überholwarnsystem arbeiten und warnen im Prinzip gleich. Befindet sich ein Auto oder Motorrad im toten Winkel, erfolgt eine optische Warnung in Orange – egal, ob man gerade selbst zum Überholen ansetzt oder überholt wird.

Kollisionswarner von Ride Vision

Der Kollisionswarner trägt seine Funktion und Eskalationsstufe bereits im Namen. Aus einem steten Leuchten der Warn-LED wird ein hektisches Blinken. Allerdings braucht es dazu einen sehr hohen Geschwindigkeitsunterschied zwischen sich und dem vorausfahrenden Fahrzeug. Außerdem warnt das System wirklich nur dann, wenn es keinerlei Bremssversuche vom Piloten feststellen kann.

© Ride Vision
Ride Vision Kollisionswarner für Motorradfahrer

Dashcam auf dem Motorrad

Im allgemeinen Funktionsumfang des Ride Vision 2 ist auch eine Dashcam-Funktion enthalten. Während der Fahrt zeichnen beide Kameras auf und verbinden das Video mit einer Art Fahrtenbuch. Beides wird lokal gespeichert. Die Kapazität zur Videoaufzeichnung ist auf rund 8 GB Datenvolumen begrenzt. Ist der Speicher voll, werden Videoaufzeichnungen automatisch überschrieben, was in der Praxis nach circa 3 Stunden Videoaufzeichnung der Fall ist.

Nach jeder Fahrt wird die Route nach GPS angezeigt, sowie einige Parameter, wie beispielsweise die Durchschnittsgeschwindigkeit, Schräglagen und der Top-Speed sowie die Anzahl der registrierten Warnungen. Wobei keiner dieser Parameter im Video zu sehen ist.
Der Vollständigkeit halber erwähnen wir an dieser Stelle: In Deutschland sind Dashcams zwar nicht ausdrücklich verboten, aber sie dürfen nicht permanent eingeschaltet sein, sondern nur, um anlassbezogen konkrete Situationen zu filmen. Wer hierbei gegen geltende Datenschutzverordnungen verstößt, riskiert ein Bußgeld.

Pro-Version kann mehr

Die Pro-Version des Ride Vision 2 bietet mehr Funktionen der Software. Mehr Komfort beim Übertragen der Daten bietet die Bluetooth-Verbindung, die die Wlan-Funktion ergänzt. Weiterhin bietet das Upgrade dauerhaftes Speichern eines Fahrvideos, wenn ein Unfall registriert wird. Diese Aufzeichnung wird dann auch nicht überschrieben. Zusätzlich werden die Fahrdaten automatisch an die App übertragen und es ist ein Video-Editor integriert.

© Kymco
Kymco-Patent für Sicherheit-Systeme Erster Roller mit Radar von Kymco

Ride Vision 2 Pro in der Praxis getestet

Die Warnungen über die optionalen Spiegel erfolgen sicher und vor allem nachvollziehbar. Es ist also immer klar, warum das System entweder in Orange oder in Rot warnt. Sehr zuverlässig arbeiten der Totwinkelwarner und die Überholwarnung. Sobald ein Objekt im Spiegel nicht mehr sichtbar ist, warnt das Ride Vision. Das ist gut.

Abstandwarner gewöhnungsbedürftig

Die beiden Funktionen, die die vordere Kamera des Ride Vision 2 erlaubt, sind erst nach einiger Gewöhnung zu genießen. Erst nach mehreren Kilometern wird klar: Das System unterscheidet die vorausfahrenden Fahrzeuge. Es warnt vor Lkw und Bussen deutlich früher, also vor Pkw. Der Grund: Durch den hohen Aufbau dieser Fahrzeuge ist der Verkehrsraum davor nur schwer einzusehen, was das Überholen erschwert. Beim Auto ist das einfacher möglich. Und man errät es: Vorausfahrende Motorräder erkennt das System zwar, warnt allerdings nicht, wenn man länger direkt hinter einem Kraftrad hinterherfährt. Das übliche Versetztfahren mit sich ändernden Abständen nimmt Ride Vision nur sehr spät als Gefahr wahr, was erfreulich praxistauglich ist.

Das Radarsystem der Kawasaki Ninja H2 SX SE 3:03 Min.

Abstandswarner fehlt Eskalation

Wird der Totwinkelwarner des Ride Vision noch als sinnvolles Komfortfeature wahrgenommen, scheint eine fehlende Konsequenz der beiden vorderen Funktionen – Abstands- und Kollisionswarner – unvermeidbar. Denn das System warnt nur optisch: Dauerhaft leuchten rote LED im Spiegel auf, bis das System wieder einen sicheren Abstand misst. Es folgen keine weiteren Eskalationsstufen, wie etwa eine akustische oder haptische Warnstufe, oder gar ein Bremseingriff, wenn die Geschwindigkeit nicht angepasst wird. Sprich: Das System lässt einen im Zweifel auf das rollende Hindernis auffahren. Bei einem Nachrüst-System hier mehr zu erwarten, dürfte aber auch wenig realistisch sein, denn dazu bedürfte es Lautsprecher oder eine Verbindung zu einem Kommunikationssystem im Helm, zusätzliche Griffe, die vibrieren können und für die Bremsfunktion noch tiefere Eingriffe am Fahrzeug selbst.

Stimmen aus dem Test

Über 16.000 Kilometer war das Ride Vision 2 auf dem Dauertester Harley-Davidson Pan America 1250 S im Einsatz, viele verschiedene Tester trugen ihre Eindrücke zusammen. Tägliches Pendeln, lange Autobahntouren, selbst eine lange Tour in die Pyrenäen und auf die Isle of Man stehen im Fahrtenbuch. Viel Lob erhält der Totwinkelwarner, der gerade auf den langen, monotonen Etappen ein zusätzliches Sicherheitsnetz aufspannt. Der britische Linksverkehr tat der Funktion keinen Abbruch.
Kein Lob gab's für die vorderen Warnfunktionen, also Abstands- und Kollisionswarner. Moniert wurden nicht nachvollziehbare Warnungen ohne echten Nutzen und allen Fahren fehlte es an den bereits erwähnten Eskalationsstufen. Der ärgste Fall eines unzufriedenen Testers, hatte das Stilllegen des Systems zu Folge, "um Ruhe zu haben".

© Yamaha
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Montage an einem modernen Motorrad

Die Montage des Ride Vision 2 an der Harley-Davidson Pan America war nicht einfach. Zum Einen liegt der im Grunde einzig mögliche Platz für das Hauptgerät im Heck der Harley, während die Batterie vorn unter dem Motor liegt. Es muss also ein langes Kabel konfektioniert werden, mit entsprechenden Verbindungen. Zum Anderen ein Stück daran anknüpfend ist der nötige Anschluss an ein geschaltetes Plus. Leider oder zum Glück ist der Kabelbaum der Harley sehr effizient gebaut, mit kaum überflüssigen Kabellängen. Und daran möchte das Ride Vision per Stromdieb angeschlossen werden, was noch nie eine gute Art war, ein zusätzliches Gerät an Bord zu versorgen.
Der Kabelbaum für die Leitungen an die Kameras, das GPS und die Leuchteinheiten sind hochwertig, mit stabilen Steckern, die selbst nach vielfachem Öffnen keine Ermüdung zeigen.
Interessant bei der Montage des Geschwindigkeitssensors am Rad vorn: Der Abstand zu den Bolzen der Bremsscheibe sollte höher sein als gewohnt, da der Sensor sonst ein Dauersignal meldet und das System nicht funktioniert. Sprich ein frei drehbares Vorderrad zur Montage und Justage hilft.

Wie viel kostet das Ride Vision 2 Pro?

Das System mit LED-Spiegeln kostet 899 Euro, mit LED-Indikatoren liegt der Preis bei 769 Euro. Das nachrüst-Kamerasystem ist also kein Schnäppchen, für Tech-Freak aber ein großartiges Spielzeug, das Motorradfahrten sicherer machen kann. Die dazugehörige App gibt es sowohl für Android- als auch für iOS-Geräte.

User-Umfrage

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Fazit

Die Technik hinter dem Ride Vision ist großartig. Die von den beiden Kameras erkannten Verkehrssituationen werden von einer schnellen und guten Software analysiert und in einen Kontext gesetzt. Große Fahrzeuge werden deutlich früher angezeigt, da sie die Sicht nach vorn verhindern, Autos etwas später und Motorräder nur, wenn wirklich die Gefahr des Auffahrens besteht. Allerdings ohne weitere Eskalationsstufen wie beispielsweise akustische oder haptische Warnsignale, was ein Nachrüst-System bauartbedingt aber auch nicht leisten kann. Der Totwinkelwarner hingegen ist ein exzellentes Feature. Die Montage an modernen Motorrädern bitte nur von sehr fähigen Händen vornehmen lassen, denn die Murks-Quelle kann ergiebig sprudeln.

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