Begegnungen von Zwei- und Vierradfahrern sind vielfach geprägt von Misstrauen, Unverständnis und fehlendem Wissen um die Sichtweise des anderen. Vorschläge für ein besseres Miteinander.
Begegnungen von Zwei- und Vierradfahrern sind vielfach geprägt von Misstrauen, Unverständnis und fehlendem Wissen um die Sichtweise des anderen. Vorschläge für ein besseres Miteinander.
Nicolas Streblow: Das ist statistisch recht eindeutig. Meistens liegt die Schuld auf der Seite des Autofahrers. Bei Zusammenstößen eines Motorrads mit einem weiteren Verkehrsteilnehmer ist in 80 Prozent der Fälle ein Pkw-Fahrer der Hauptschuldige. Betrachtet man die Kollisionen zwischen Pkw- und Motorradfahrer mit Personenschaden, so ist in zwei Drittel der Fälle der Pkw-Lenker für das Zustandekommen des Unfalls verantwortlich. Die Gründe sind dabei vielschichtig. Motorisierte Zweiräder werden von anderen Verkehrsteilnehmern oft nicht oder zumindest nicht richtig wahrgenommen. Häufig wird ein Motorrad aufgrund seiner schmalen Silhouette schlicht übersehen, oder es verschwindet für kurze Zeit hinter einem Laternenmast oder der A-Säule des Autos. Das reicht für einen Crash schon aus.
Jens Dralle: Wenn man sich die beiden Verkehrsteilnehmer genauer anschaut, entdecke ich einen grundlegenden Unterschied. Ich bin fest davon überzeugt, dass die wenigsten Motorradfahrer auf ihr Zweirad steigen, weil sie es müssen. Bei Pkw-Fahrern sieht das ganz anders aus. Für viele Menschen dient das Auto lediglich als Fortbewegungsmittel. Das hat zur Folge, dass sich Autofahrer leichter ablenken lassen, zum Beispiel durch das Smartphone. Das führt im schlimmsten Fall zu Unfällen. Hinzu kommt die Unsicherheit. Autofahrer tun sich zunehmend schwer mit der Abschätzung der Dimensionen ihres Fahrzeugs und mit der Geschwindigkeit anderer Verkehrsteilnehmer. Ich merke das zum Beispiel auf der Autobahn. Dort fädeln viele Menschen wahnsinnig verunsichert ein. Da fehlt das Gefühl für den fließenden Verkehr. Außerdem werden die Fahrzeugmaße immer größer. Wenn ich mit einem Kombi an einer Rechtsabbieger-Kreuzung stehe, links von mir aber ein SUV die Sicht versperrt und auf der Vorfahrtsstraße noch ein Motorradfahrer dazwischenkommt, kann es schnell gefährlich werden.
Streblow: Die Hauptursache für Alleinunfälle bei Motorradfahrern ist das Verlassen der Kurve. Das kann bei Gegenverkehr dann natürlich gleich doppelt brenzlig werden. Es geht in diesen Fällen nicht um eine zu hohe Geschwindigkeit, sondern um das mangelnde Fahrvermögen des jeweiligen Fahrers. Ein Motorrad fährt man mit dem ganzen Körper, über Lenkimpuls und Blickführung. Das heißt, ein Motorradfahrer muss da hinschauen, wo er hinfahren möchte. Ein Fortbewegungsmittel, das durch den eigenen Körpereinsatz gelenkt wird, fährt immer dahin, wo der Fahrer hinschaut. Die größte Gefahr bei Motorradfahrern besteht also dann, wenn der Blick am Fahrbahnrand kleben bleibt, anstatt überwiegend zum Kurvenausgang zu schauen. In Kurven sollten Biker wenn irgend möglich immer die dynamische Sicherheitslinie fahren. Die Linkskurve am rechten Fahrbahnrand anfahren und spät reinziehen. Dann kann ich weit in die Kurve reinschauen und bin mit dem Kopf ganz auf meiner Seite. So kann ich den Kurvenausgang und eventuellen Gegenverkehr früher sehen und werde auch selbst früher gesehen. Rechtskurven gilt es, an der Mittellinie anzufahren und dann bis zum Kurvenausgang rechts auf meine Seite zu wechseln. So entgehe ich der Gefahr, auf die Gegenfahrbahn getragen zu werden. Die wenigsten Motorradfahrer stürzen in einer Kurve, weil sie wirklich zu schnell sind, sondern weil ihre Blickführung schlecht ist und sie sich nicht trauen, mehr Schräglage einzunehmen. Für Außenstehende sieht ein Motorradfahrer, der mit 35 Grad Schräglage weit weg von jedem Grenzbereich im normalen Landstraßentempo um die Kurve fährt, zwar spektakulär aus. Doch das ist kein Wagemut, sondern physikalische Notwendigkeit.
Dralle: Dieser besagte "Wagemut" wird ja auch oft dem Autofahrer vorgeworfen. Wenn ich eine Kurve fahre, so wie ich sie fahren kann, denken die Leute, ich wäre wahnsinnig. Aber das bin ich nicht. Ich habe das Kurvenfahren gelernt. Ich habe Spaß daran und übertrete dabei kein Tempolimit. Ich weiß, was ich unter den herrschenden Bedingungen mit dem Auto machen kann. Diese Praxiserfahrung hat aber nicht jeder. Und so ist es auch bei Motorradfahrern. Biker müssen gleichzeitig aber auch wissen, dass die Rundumsicht des Pkw-Fahrers auch in der Kurve durch die A-Säule eingeschränkt ist. Um Unfälle zu vermeiden, sei daher beiden Seiten geraten, in Kurven lieber zu viel als zu wenig Abstand zum Mittelstreifen zu halten. Die Kurve zu schneiden ist ohnehin tabu.
Wenn das Thema "Geschwindigkeit" in der Kurve kein Problem darstellt, wie sieht das dann auf der Geraden aus?Dralle: Überhöhte Geschwindigkeit ist ein Thema, das sowohl Auto- als auch Motorradfahrer betrifft. Ich habe aber das Gefühl, dass dieses Problem zumindest bei Autofahrern tendenziell rückläufig ist. Vor fünf Jahren passierte es noch relativ häufig, dass es auch bei höherem Tempo den ein oder anderen Drängler gab, der auf der Autobahn von hinten angeflogen kam und vorbeiwollte. Das hat ab-, die Schusseligkeit dagegen zugenommen. Was mich erschüttert, ist aber dieses offensichtliche Nicht-abschätzen-Können der Geschwindigkeit und des nachfolgenden Verkehrs. Dieses sorglose Wechseln der Spur. Oft grundlos. Ohne zu blinken. Die kommen dann mit Tempo 100 von der ganz rechten auf die linke Spur und checken nebenbei am besten noch irgendwelche Social-Media-Apps. Ja, auch ich telefoniere während des Autofahrens. Aber wenn ich das tue, dann mit Freisprecheinrichtung auf der rechten Fahrbahn unter Einhaltung der Richtgeschwindigkeit. Bei Motorradfahrern ist das Thema Geschwindigkeit dagegen sicherlich präsenter. Biker sind in der Regel auf der Straße, weil sie es möchten. Deswegen sind sie meiner Meinung nach auch tendenziell ambitionierter unterwegs. Das heißt, wir erleben im Freizeitverkehr eine Diskrepanz hinsichtlich der Motivation für das jeweilige Fahren. Ein bisschen mehr Gelassenheit und Toleranz gegenüber den Zielen anderer, mit denen ich mir jetzt aber gerade zufälligerweise die Straße teilen muss, würden das "Problem" schon verringern.
Streblow: Motorräder beschleunigen meist viel besser als Autos. Sie können gefährlichen Situationen manchmal regelrecht davonfahren. Oftmals behält man aber durch Bremsen und Abstandhalten am besten selbst die Kontrolle über eine Situation. Wenn ich einen vor mir sehe, der komische Dinge macht und den ich nicht einschätzen kann, dann sollte ich besser langsam machen. Ich nehme mich zurück, halte ein bisschen mehr Abstand und lasse mehr Platz zwischen mir und den anderen. Wenn frei ist, bin ich dann schnell weg. Es wäre schön, wenn manche Motorradfahrer mal darüber nachdenken würden, welchen Eindruck sie bei anderen mit ihrem Verhalten hinterlassen. Ich war vor ein paar Wochen auf dem Weg von Frankfurt ins Ruhrgebiet, als auf der Landstraße von hinten eine Gruppe Motorradfahrer angeschossen kam. Die haben an Stellen überholt, an denen ich im Leben nicht darüber nachgedacht hätte. Schon gar nicht mit einer Kolonne. Haben sich rücksichtslos dazwischen gedrängt. Die waren nicht nur schnell, sondern auch laut. Genau die Kategorie, über die alle Autofahrer (und Anwohner) zu Recht schimpfen, egal, ob sie auf dem Motorrad oder im Auto sitzen. Beide Seiten wären also gut damit beraten, das eigene Ego bisweilen etwas einzubremsen und aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Streblow: Überall, wo Autos potenziell umdrehen wollen oder beim Ausparken rückwärts in die Straße ragen, haben wir gleich ein doppeltes Problem. Zum einen, weil B- und C-Säule im Auto oder irgendein Verkehrsschild den Motorradfahrer verdecken. Zum anderen, weil man als Autofahrer die Geschwindigkeit des Zweirads schlecht einschätzen kann. Wenn irgendwo eine Situation entsteht, in der Autofahrer ausparken, dann düse ich als Motorradfahrer nicht einfach daran vorbei, weil ich Vorfahrt habe. Ich muss bremsbereit sein. Ich muss mich sichtbar machen, etwa durch den Wechsel auf die linke Seite meines Fahrstreifens, kombiniert mit einem leichten Bremsnicken. Alles, was Bewegung in die Silhouette bringt, steigert die Aufmerksamkeit. Jedwede Art von Änderung des Einfallswinkels vom Scheinwerfer in das Blickfeld des Autofahrers erhöht dessen Wahrnehmung und verbessert die Chance, gesehen zu werden.
Dralle: Speziell beim Wendevorgang sollten Autofahrer den Kopf besser drei- als zweimal drehen. Wenn auch nur in der Ferne ein Motorrad zu sehen ist, auf jeden Fall warten. Es fällt Autofahrern schwer, richtig einzuschätzen, wie schnell ein Motorrad wirklich fährt und wann es meinen Standpunkt passiert. Wenn dagegen ein Motorradfahrer feststellt, dass vor ihm ein Autofahrer wenden will, die Geschwindigkeit verringert und die Lenkung einschlägt, sollte er von sich aus die Initiative ergreifen und auf sich aufmerksam machen. Unter anderem hierfür haben auch Motorräder eine Hupe, deren Benutzung in unseren Breiten zu Unrecht eher verpönt ist. Hier kann sie helfen. Ist das in den Köpfen beider Verkehrsteilnehmer erst einmal verankert, dann habe ich schon beide Seiten für die Situation sensibilisiert.
Streblow: Ich glaube gar nicht mal, dass die Situation zu spät erkannt wird. Vielmehr können sich die wenigsten deren Auswirkung vorstellen. Jetzt kommt das Bremsen ins Spiel. Auch wenn ein Biker die Bremsleuchten eines Pkw erkennt, weiß er möglicherweise nicht, wie schnell das Auto tatsächlich an Geschwindigkeit verliert. Das Potenzial, Geschwindigkeit abzubauen, ist bei einem Pkw viel höher als bei einem Motorrad. Autos bremsen deutlich besser als Motorräder, stehen im Schnitt bei 100 km/h etwa fünf Meter früher, also auf 35 statt auf 40 Metern. Die Aufprallgeschwindigkeit beträgt somit mindestens 30 km/h. Bei einem älteren Motorrad ohne ABS werden leicht auch 50 Meter Bremsweg benötigt, da knallt man dann mit 50 km/h ins Heck. Das sind die reinen Bremswege. Nehmen wir die Reaktionszeit hinzu, so hat man ohne ausreichend Abstand keine Chance. Wir dürfen nicht vergessen, dass weit über die Hälfte der Motorräder kein ABS besitzen. Motorradfahrer sind auch deshalb gut beraten, nicht mittig hinter einem Auto herzufahren, sondern links versetzt. Der Autofahrer sollte wissen, dass der Motorradfahrer in dieser Situation nicht vorbei, sondern über den linken Spiegel besser gesehen werden will. Das verbessert auch die Sicht am Auto vorbei, vor allem bei SUVs und Vans, und erhöht die Chance, eine mögliche Vollbremsung frühzeitig zu erkennen.
Dralle: Stichwort ABS. Oftmals ist es ja auch leider so, dass sich Verkehrsteilnehmer immer häufiger auf ihre Assistenzsysteme verlassen. Diese Assistenten darf man aber nicht verteufeln. Wir hatten es vom rückwärts Ausparken. Für diese Situationen gibt es inzwischen aufpreispflichtige Helfer. Der Querverkehrsassistent zum Beispiel signalisiert mir im Display und mit Warntönen, ob von links oder rechts Gefahr droht. Im Zweifelsfall bremst das System sogar schon selbst. Assistenzsysteme für das teilautonome Fahren funktionieren inzwischen sehr verlässlich. Aber nur bei niedrigen Geschwindigkeiten im Stop-and-go-Bereich. Ein Assistenzsystem, das sagt ja schon der Name, soll dem Fahrer assistieren. Es nimmt ihm aber nicht die Verantwortung ab. Das vergessen viele Leute, wie man ja an den skurrilen Unfällen mit diversen Autopiloten bereits sehen kann. In der Folge fahren einige unkonzentriert, und es kommt zu Unfällen.
Streblow: Ja, wenn sich beide Verkehrsteilnehmer eine Chance geben. Ich sollte als Motorradfahrer zum Beispiel nicht auf einer vierspurigen Straße neben einem Auto herfahren, wo der Autofahrer mich im toten Winkel gar nicht sehen kann. Ein plötzlicher Spurwechsel erwischt mich kalt, also lieber entweder vorbeifahren oder dahinter bleiben, aber nicht daneben. Auch beim Linksabbiegen unterschätzen viele Pkw-Fahrer die Geschwindigkeit von Motorrädern. Wenn ein Motorradfahrer mit 100 statt der erlaubten 70 km/h auf eine Einmündung zufährt, dann legt er 100 Meter nicht in fünf, sondern in gut drei Sekunden zurück. Das ist für einen langsamen Fahrer in der wartepflichtigen Straße nicht einzuschätzen. 100 Meter erscheinen viel, da zieht so mancher noch raus. Auch der Stand der Sonne beeinflusst die Sichtverhältnisse. Wenn ich vor mir einen langen Schatten habe, so habe ich hinter mir die Sonne. Mein Gegenverkehr sieht mich also deutlich schlechter. Darauf muss ich mich als Motorradfahrer einstellen. Wenn Autos im Querverkehr sind oder gar aus dem Gegenverkehr direkt vor dem Motorrad links abbiegen wollen, müssen Biker bremsbereit sein, das Tempolimit auf gar keinen Fall überschreiten und damit rechnen, dass der Autofahrer sie gar nicht wahrnimmt oder das Motorrad, etwa hinter der A-Säule, komplett verschwindet. Kollisionen mit Linksabbiegern im Gegenverkehr gehören zu den häufigsten Begegnungsunfällen! Auch hier kann ich wieder durch leichte Schlangenlinien und Bremsnicken auf mich aufmerksam machen und sollte egal in welcher Situation im Zweifel lieber einmal mehr bremsen.
Dralle: Ich finde, dass vor allem Autofahrer wieder lernen sollten, bewusster Auto zu fahren. Sie müssen wissen, wie sie mit den Assistenzsystemen korrekt umzugehen haben, wenn denn welche vorhanden sind. Die Technik wird ihnen häufig aber viel zu selten erklärt. Privatkunden kaufen sich in der Regel einen jungen Gebrauchten. Ob sie dabei eine perfekte Einweisung erhalten, bezweifle ich stark. Das wäre aber wichtig, denn ein Pkw ist zu einem komplexen Gerät geworden. Es bedarf eines bewussten Umgangs mit der Technik, denn die entbindet mich als Autofahrer in keinem Fall von der Pflicht, zum Beispiel richtig zu bremsen oder Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen. Wenn ich unsicher bin, fahre ich lieber langsamer. Ich bin am Ende immer noch derjenige mit den Füßen auf den Pedalen und den Händen am Lenkrad – sprich, derjenige mit der Verantwortung für mein Tun.
Bleiben wir doch einmal bei den Assistenzsystemen: Welche sind im Zusammenspiel von Auto- und Motorrad am effektivsten?Dralle: Das allerwichtigste Assistenzsystem sitzt zwischen den Ohren des Fahrers, und zwar immer bei beiden Verkehrsteilnehmern. Erst dann kommen die technischen Hilfsmittel. Das Auto selbst bietet über die moderne Fahrwerkstechnik bis rein in die Lenkung schon optimale Bedingungen, um im Ernstfall reagieren zu können. ABS und ESP sind eigentlich Standard. Mit Sicherheit helfen auch der Abstandsregelautomat und der Totwinkelassistent mit Piepsern, Lichtchen und dem Warndreieck im Außenspiegel. Die Systeme funktionieren aber nicht bei allen Wetterbedingungen. Bei starkem Regen oder Schneefall kann die Kamera hinter der Windschutzscheibe ausfallen. Das wichtigste Assistenzsystem für mich sind daher die Scheinwerfer. Wenn es an die Konfiguration eines neuen Fahrzeugs geht, würde ich jedem raten, bei der Lichtausstattung nicht zu sparen. Die Hersteller bieten inzwischen tolle Scheinwerfersysteme an. Die sind in der Lage, Fahrbahn und Schilder auch unter Berücksichtigung von vorausfahrendem oder entgegenkommendem Verkehr wirklich optimal auszuleuchten. In Verbindung mit Nachtsichtsystemen erkennt man als Fahrer auch Fußgänger besser. Aber noch mal: Die Technik entbindet mich nicht von meinen Pflichten als Autofahrer.
Streblow: Das ist der Punkt. Auch im Motorradbereich ist jedes Hilfsmittel nett, aber eben ein Hilfsmittel. Im Idealfall fährt man aber so, als hätte man keine. ABS und Antischlupfregelung sind Notfallsysteme, die bei Fehlbedienung oder im Schreck Schlimmeres verhindern. Sobald ein Motorradfahrer aber ein Assistenzsystem spürt, hat er den Fehler bereits gemacht und ist jenseits der physikalischen Grenzen unterwegs. Ein Motorrad hat zwar hinten eine Antriebsschlupfregelung, aber nicht vorn. Wenn es rutschig ist, kann ich schon bei geringer Schräglage ohne jeden Bremsvorgang trotzdem wegrutschen. Das muss man vorher fühlen. Dieses Gespür ist für einen Motorradfahrer noch einmal viel wichtiger als für den Autofahrer. Es führt aber manchmal auch dazu, dass die Leute sehr fokussiert unterwegs sind und gerne mal ausblenden, dass auch noch andere um sie herum sind. Motorradfahrer sollten daher alle Assistenzsysteme am besten bei einem Fahrtraining einmal ausprobieren, um zu wissen, wie deren Eingreifen wirkt und wo ihre Grenzen sind.
Können Fahr- und Sicherheitstrainings also wirklich weiterhelfen, sicherer und rücksichtsvoller auf der Straße unterwegs zu sein?Streblow: Unbedingt. Auto- und Motorradfahrer müssen ein Gespür dafür bekommen, wo an ihrem Fahrzeug die Grenzen sind. Das lernt man nur bei einem Fahrsicherheitstraining. Jemand, der die Grenzen nicht kennenlernen will, weil er sich vornimmt, diese niemals zu überschreiten, wird fürchterlich überrascht, ja regelrecht erschrocken sein, wenn er diese doch einmal erreicht. Dann wird er erst recht einen Fehler machen. Das halte ich für fahrlässig. Ich muss als Fahrer wissen, was mein Fahrzeug wann macht und wie ich mich darauf einrichten kann. Außerdem geht es ja nicht nur um Extremsituationen. Die Teilnehmer erhalten auch wertvolle Tipps zu Fahrzeugbeherrschung und richtigem Verhalten im Verkehr. Das beginnt mit Gleichgewichtstraining, der richtigen Fahrlinie, der bereits erwähnten Blickführung und dem Training der möglichen und erforderlichen Schräglage. Diese über einen bewussten Lenkimpuls einzuleiten, auch das lernt man bei einem Fahrsicherheitstraining. Ein wichtiger Bestandteil des Trainings ist auch das richtige Bremsen, ein Thema, bei dem viele Teilnehmer eines Sicherheitstrainings enorme Fortschritte in kurzer Zeit machen.
Dralle: Ja, das ist bei den Autotrainings sehr ähnlich. Viele glauben, schon Hunderte von Vollbremsungen gemacht zu haben. Die meisten haben jedoch keinen blassen Schimmer davon, was eine Vollbremsung wirklich ist. Sie erschrecken, wenn dann das Bremspedal pulsiert, und denken, sie machen etwas kaputt. Mit solchen Situationen werden die Teilnehmer konfrontiert, und die Aufmerksamkeit wird geschult. Das ist letztendlich das Entscheidende.
Was kann sonst noch die Sicherheit für beide Verkehrsteilnehmer auf der Straße erhöhen?Streblow: Das Licht haben wir bereits angesprochen. Das ist definitiv vor allem bei Motorrädern extrem wichtig. Moderne Motorräder mit Tagfahrlicht sollten das "richtige" Licht einschalten, um zwischen den ganzen Autos mit Tagfahrlicht nicht optisch unterzugehen. Auch mit der Kleidung können Motorradfahrer Akzente setzen. Viele Anbieter haben Neonfarben im Angebot. Leuchtende Klamotten, ein roter oder weißer Helm erhöhen die Sichtbarkeit. Eine Warnweste ist da nicht der Weisheit letzter Schluss, die sollte man sich für den Ernstfall aufheben, dann lieber einen Helm in Neonfarbe tragen.
Dralle: Der Reifen ist meiner Meinung nach das wichtigste Sicherheitsextra eines jeden Autos, unabhängig von Alter und Ausstattung. Gerade bei Nässe stellt sich heraus, wie groß die Qualitätsunterschiede auf dem Markt sind. Viele unterschätzen das. Gerade Fahrer, die ohnehin schon unsicher sind, sollten daher bei der Reifenwahl nicht knausrig sein.
Welchen Tipp würdet ihr dem jeweils anderen Verkehrsteilnehmer zum Abschluss noch mit auf den Weg geben?Streblow: Der Feind ist der Schreck, denn er lähmt. Um aktionsfähig zu bleiben, müssen Verkehrsteilnehmer aufmerksam und geübt sein, um auf möglichst viele Ereignisse adäquat reagieren zu können. Es ist egal, ob man mit dem Auto oder dem Motorrad unterwegs ist, man sollte immer mit dem Fehlverhalten der anderen rechnen. Der siebte Sinn ist keine Hexerei, sondern entsteht durch Mit- und Vorausdenken. Jeder sollte auf der Straße sein Bewusstsein schärfen und bewusst achtsam fahren. Dabei fängt man am besten bei sich selbst an, denn ich kann zunächst nur an mir etwas verändern. Allein mit dieser Einstellung kommen wir schon einen großen Schritt weiter.
Dralle: Als Verkehrsteilnehmer sollte ich nie erwarten, dass andere für mich mitdenken und meine Fehler ausbaden. Ich darf auch nicht erwarten, dass die Infrastruktur besser wird. Für alle Beteiligten im Straßenverkehr heißt das: Vorausschauend und vorausahnend fahren. Ich muss das Potenzial meines Gefährts kennen und mir klar sein, was ich kann und was nicht. Im Zweifelsfall sollte sich jeder lieber noch einmal für ein Sicherheitstraining anmelden.
1. Besser dreimal nachschauen: Motorräder sind schmal und beschleunigen schnell. Auch wenn sie mit korrektem Tempo fahren, sind sie schneller da als gedacht und können leicht übersehen werden. Ziehen Sie an einer Kreuzung nicht vor einem herannahenden Motorrad raus. Wenn es vorbei ist, wird es Sie in den seltensten Fällen behindern.
2. Abstand in Kurven: Wenn ein Motorrad – besonders bei Nässe – langsam in eine Kurve fährt, halten Sie ausreichend Abstand. Der vielleicht vorsichtige Kandidat vor Ihnen wird sonst nur noch unsicherer, garantiert aber nicht schneller.
3. Partnerschaftlichkeit: Motorradfahrer sind heutzutage im Schnitt knapp 45 Jahre alt und meist keine jungen Wilden, die es in die Schranken zu weisen gilt. Zeigen Sie den Respekt, den Sie auch erwarten.
1. Machen Sie sich vor Gefahrensituationen bemerkbar: Schon leichte Ausweich- oder Lenkbewegungen erhöhen die Aufmerksamkeit des Pkw-Fahrers.
2. Beharren Sie nicht auf Ihre eigene Vorfahrt: Gehen Sie rechtzeitig vom Gas und bleiben Sie bremsbereit. Rechnen Sie damit, dass niemand mit Ihnen rechnet.
3. Kalkulieren Sie die Fehler anderer mit ein: Fahren Sie immer vorausschauend, um nicht das Nachsehen zu haben.