Fahrtest Yamaha Tracer 9 GT+
Alles-Tourer mit Radar und smarter Bremse

Keine Sorge, hier geht es nicht um dröge Grammatik der Vorvergangenheit. Sondern um zukunftsweisende Top-Technik in einem begeisternden Motorrad mit Brems-Assistent, Abstands-Tempomat und Kombi-Bremse.

In diesem Artikel:
  • Bekannte Radartechnik aus Schwaben
  • Radar in der Stadt
  • Neue Kommandozentrale
  • Neue Kombibremse von Yamaha
  • Weltpremiere Bremsassistent
  • Besser sitzen, besser Touren
  • Verstellbare Fußrasten ab Werk
  • Toller Triple
  • Elektronik vollzählig
  • Komfortabler Kurvenwusseler
  • Tugend-Tourer von Yamaha
  • Fazit

Sardinien! Grandiose Landschaft trifft auf tausende Kurven. Wir fahren hier die neue Yamaha Tracer 9 GT+. Das Topmodell des Touring-Alltags-Cross-Over-Feuerzeugs (neben Basis-Tracer 9 und GT-Version) fackelt mit famosem 890-cm3-Dreizylinder ein Technik- und Ausstattungs-Feuerwerk ab. Die +-Version ist die erste Yamaha mit selbsttätig regelndem Abstands-Tempomaten (ACC).

Bekannte Radartechnik aus Schwaben

Er basiert auf Radar-Sensorik von Bosch. Sie sitzt dezent als 200 Gramm leichte "Black Box" in der markanten Front und nutzt Wellen im Mikrowellenbereich. Unsichtbar tastet das System zwischen vorzuwählenden 30 und 160 Kilometern pro Stunde den Bereich vor dir ab. Und hält dabei selbsttätig Abstand zum Vordermann oder zur Vorderfrau ein. Vier Distanzen sind wählbar, von einer bis zwei Sekunden. Bei Tempo 100 hält die Maschine also präzise 27,7 bis 55,5 Meter Abstand.

Motorrad-Neuheiten

Radar in der Stadt

Oder die Hälfte davon in der Stadt: Wie von Zauberhand gesteuert passt sich die Yamaha der niedrigeren Geschwindigkeit des Vordermanns an. Und beschleunigt am Ortsausgang wieder von allein. Funktioniert klasse, das System bleibt sogar beim Hoch- oder Runterschalten aktiv, beschleunigt beim Durchfahren von Kurven nicht weiter und gibt beim Überholen mit gesetztem Blinker stärker Gas. Entspannt, aber nicht autonom: Sinkt das Tempo auf 30 bis 25 km/h, etwa bei einem stehenden Hindernis, schlägt das Cockpit wild blinkend Alarm: Zeit einzugreifen!

Neue Kommandozentrale

Exklusiv trägt die Tracer "Plus" trägt ein einteiliges, sieben Zoll großes TFT-Dashboard mit drei Anzeige-Modi. Basis- und GT-Version haben zweigeteilte Instrumente. Dazu gibt es eine neue linke Lenkerarmatur mit Joystick und Taste für den ACC-Abstand. 200 Meter weit reicht das Abtasten der Fahrbahn; es blendet Gegenverkehr oder einen stark versetzt fahrenden Vordermann bei zickzack in der Gruppe aus. Zum Reduzieren der Geschwindigkeit nutzt der Regelkreis zunächst die Motorbremse, schließt also die Drosselklappen, passt Zündung und Einspritzung daran an.

Neue Kombibremse von Yamaha

Reicht dies nicht aus, aktiviert ACC die Bremsen – und zwar alle drei Scheiben. Dafür besitzt die "+" exklusiv eine Kombibremse samt neuem Hydroblock von Bosch fürs Kurven-ABS.
Er verteilt automatisch den Bremsdruck auf Vorder- und Hinterrad. Power-Plus an Elektronik: Die 6-Achsen-IMU passt sogar die Dämpfung in Echtzeit an, lässt die Front beim Bremsen nicht zu weit abtauchen: Die prima ansprechende Upside-down-Gabel und das ebenfalls fein arbeitende Zentralfederbein von KYB dämpfen semi-aktiv. Sie machen ihre Sache richtig gut.

Weltpremiere Bremsassistent

Als Weltpremiere ist sogar eine Bremsunterstützung an Bord: Bremst der Fahrer zu zaghaft, um eine Kollision zu vermeiden, wird dies vom Radar erkennt. Dann verstärkt der Zentralrechner den Bremsdruck vorn/hinten. Gespürt habe ich dabei die zusätzliche Bremsunterstützung von bis zu 0,3 g Erdbeschleunigung aber nicht wirklich. Zu stark selbst gebremst? Oder arbeitet die Elektronik einfach unmerklich? Mit oder ohne ACC: Die Kombibremse ist bei eingeschalteter "Brake Control" stets aktiv. Nur wer sie ausschaltet, bekommt getrennte Bremsen vorn/hinten, dann jedoch ohne schräglagenabhängig arbeitendes ABS.

Besser sitzen, besser Touren

Gigantisch gut fährt die 900er. Kompakt sitzt man auf der langstreckentauglichen, zweigeteilten Komfort-Sitzbank: "Ihre überarbeitete Form und Schaumstoffdichte bieten eine bessere Unterstützung für lange Fahrtage und das lederähnliche Material, die Prägung und die Nähte geben der besseren Funktion noch eine hochwertigere Erscheinung", heißt es dazu in Yamahas Pressetext-Lyrik. Fakt ist: Man hält es prima im höhenverstellbaren Sattel aus – aufrecht und nah am breiten Lenker, hinter der großen, ohne Werkzeug höhenverstellbaren Scheibe. Kleine Fahrer/innen bekommen bei 810 Millimeter Sitzhöhe beide Fußsohlen auf die Erde, lange Kerls stellen den Sitz besser15 Millimeter höher.

Verstellbare Fußrasten ab Werk

Zudem sind die Fußrasten um je 15 Millimeter nach oben oder unten zu verstellen. Das ergibt nicht nur rein ergonomisch Sinn, denn die tolle Tracer (zu Deutsch: Leuchtspur) zieht so vertrauenerweckend ihre Bahn, dass sie bald in fast jeder Kurve sinnigerweise funkensprühend tatsächlich eine Leuchtspur hinter sich herzieht. Prima liegt der an der "+" schwarz gehaltene, hohe und konisch zulaufende Lenker zur Hand. Wer noch mehr Abstand von ihm benötigt, bitte sehr: Durch Umdrehen der Lenkerklemmen kommt er neun Millimeter weiter nach vorn und noch weitere vier Millimeter nach oben.

Toller Triple

Für entspannten Fahrgenuss sorgt allein schon der begeisternde Triple: knurrig-röchelnd, charakterstark, smooth. Zwar gibt das hoch informative Cockpit Empfehlungen zum hoch- wie runterschalten. Drehzahlen sind diesem ebenso elastischen wie oben heraus spritzigem 119-PS-Triple schnuppe. Er läuft bei 40 km/h im sechsten Gang rund, dreht bei 100 km/h rund 4.000-mal. Und nervt nie mit zu derben Vibrationen: Weniger rappelig im Drehzahlkeller als jeder (V-)Twin, emotionaler als die meisten Vierzylinder. Klasse.

Elektronik vollzählig

Mit an Bord sind vier Fahrmodi: Sport, Street, Rain und Custom. Gut passt der Street-Modus mit einer direkten, aber nicht zu stürmischen Gasannahme. Unter Sport fallen Lastwechselreaktionen stärker, im Regenmodus sanfter aus. Dafür geht der zögerlicher ans Gas. Die Regelschwellen von Traktionskontrolle, "Lift"- und "Slide-Control sind an den jeweiligen Fahrmodus gekoppelt.

Der Quickshifter/Blipper arbeitet etwas knochig-harsch. Er ignoriert mitunter mal den einen oder anderen Schaltbefehl. Lässt dafür Runterschalten bei voll gespanntem Hahn zu – falls es beim Überholen mal droht, eng zu werden. Auf 220 Kurven-Kilometern nimmt sich der sparsame Triple 4,9 laut Bordcomputer Liter im Schnitt.

Komfortabler Kurvenwusseler

Komfortabel und doch frech fährt die Tracer, stabil plus agil. Sie sticht sportlich verwegen in die Ecken, präzise und knackig. Herrlich. Bridgestone BT 32 "J" bieten heftig guten Grip bis zur Reifenkante. Innovativ ist das oben platzierte Kurvenlicht. Es leuchtet jeweils auf der Innenseite. Merkwürdig wirkt, dass die Hauptscheinwerfer unten sitzen und Abblendlicht allein auf der rechten Seite leuchtet; Fernlicht wird links zugeschaltet.

Tugend-Tourer von Yamaha

Für Touring-Tugenden sorgen Heizgriffe, Hauptständer, USB-Ladebuchse, 30-Liter-Koffer. Edel wirkt der Zweifarb-Lack in zwei Varianten, jeweils mit Zierstreifen. Yamaha-typisch blaue Felgen (übrigens in "Spinforged"-Schmiedetechnik) trägt allerdings bloß die Version in "Icon Performance", nicht die von uns gefahrene Farb-Kombination "Power Grey".

Smartphone-Konnektivität gibt es, Ehrensache. Über die Yamaha MyRide App lässt sich aufs Smartphone und somit auf Musik, Wetterinformationen, Anrufe und Benachrichtigungen zugreifen. Sofern man ein separates Bluetooth-Hedset mit erwirbt. Praktischerweise lässt sich das Handy per USB-Ladebuchse im Cockpitbereich gleich aufladen. Moderne Zeiten eben. Dazu zählt optionale Garmin-Navigation samt deren Anzeige im knackscharfen, kontrastreichen und auskunftsfreudigen Cockpit.

223/230 Kilogramm soll die Yamaha Tracer 9 GT+ ohne/mit Koffer wiegen. Das seien drei Kilos mehr als die 2.000 Euro günstigere GT: Die "+" kommt für 16.899 Euro im Juni zum Händler. Sie ist ein großer Wurf, und für einen top ausgestatteten Sport-Tourer noch nicht einmal zu teuer.

Fazit

Wer auf Offraos-Attitüde verzichten kann, also keine Reise-Enduro braucht oder will, sollte Yamahas tollen Dreizylinder unbedingt in die engere Wahl ziehen. Als eine Maschine für alle(s) – außer Rennstrecke.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023