Und da war es wieder soweit! Beim Herausbeschleunigen auf die lange Gerade steht die Karre quer, beginnt spektakulär einen fetten schwarzen Balken auf den Asphalt zu radieren, verwandelt sich dann schlagartig in einen Kampfjet mit Fehlfunktion und entledigt sich ihres Piloten mittels Schleudersitz. Aus der Vogelperspektive kann bereits im Flug mit der Berechung der Reparaturkosten begonnen werden, sofern man sich an die Flugphase noch erinnert. Doch egal, wie glücklich sich die Maschine ablegt, 1500 Euro sind selbst bei zaghafter Kontaktaufnahme mit dem Boden immer drin. Ganz zu schweigen von den Schmerzen, die der Pilot nach der meist sehr harten Erdung zu ertragen hat.
Glaubt man den Herstellern von nachrüstbaren Traktionskontrollen (ab hier nur noch TC genannt), können diese Systeme klassische Highsider-Stürze verhindern. Diese Stürze werden zu 95 Prozent vom Fahrer selbst verursacht, da er mit dem Haftungsverlust des Hinterrads und dem damit verbundenen Ausbrechen des Hecks in der Regel als Reflex das Gas schnell zudreht. Dadurch entfällt am Hinterrad die Beschleunigungskraft, die in Verbindung mit der abreißenden Seitenhaftung das Ausbrechen des Reifens (Sliden) verursacht. Durch die nun sinkende Beschleunigungskraft baut der Hinterreifen wieder Seitenführungskraft (Grip in Schräglage) auf. Dies erfolgt, genauso wie das Schließen der Drosselklappen, schlagartig. Dabei stellt sich das Motorrad mit dem oben beschriebenen Effekt katapultartig auf. Der überraschte Pilot wird per Highsider in die Höhe geworfen und sehr oft vom Motorrad geschleudert. Um genau dies zu verhindern, muss die Reduzierung der Beschleunigungskraft in dieser Fahrsituation sanft erfolgen. Entweder per Gashand mit dem übernatürlichen Fahrtalent eines MotoGP-Piloten oder per Computer. Jetzt kommen die Traktionskontrollsysteme (TC) und ihre Eingriffe in die Motorsteuerung ins Spiel.
Funktionsweisen

Momentan gibt es zwei unterschiedliche Arbeitsprinzipien auf dem Markt. Das eine beschränkt sich auf die Überwachung des Hinterrads im Verhältnis zu verschiedenen Motor-Parametern, das zweite agiert mit Radsensoren. Es erkennt unterschiedliche Radgeschwindigkeiten an Vorder- und Hinterrad, bewertet diese und greift bei der Diagnostizierung von Schlupf am Hinterrad entsprechend ein.
Das Bazzaz-System fokussiert auf die Überwachung des Hinterrads. Anhand von Drehzahl, Gangstufe, Gasgriffstellung und Drehzahlanstieg erkennt der hinterlegte Algorithmus ein unnatürlich starkes Ansteigen der Hinterraddrehzahl und den Slide.
IRC und Grip One verfügen dagegen über extra Radsensoren, die jeweils die Vorder- und die Hinterraddrehzahl erfassen. Ihre Steuergeräte vergleichen diese Werte permanent miteinander und reagieren, wenn die Hinterraddrehzahl überproportional zur Vorderraddrehzahl ansteigt. Ist dies der Fall, kommt es bei allen drei Systemen zum Regeleingriff. Wie genau dieser von statten geht, ist bei allen ein gut gehütetes Geheimnis. Relativ sicher ist allerdings, das zunächst die Zündung ausgesetzt oder der Frühzündwinkel zurückgenommen wird und erst später die Spritzufuhr für einige Millisekunden gekappt wird. So wird zumindest bei anderen, serienmäßig angebotenen Traktionskontrollsystemen vorgegangen.
Kosten & Anbau

Hier ist die Bazzaz-TC, bedingt durch den Verzicht auf zusätzliche Radsensoren, klar im Vorteil. Sie ist dank des motorradspezifischen Kabelbaums, am einfachsten, weil per Plug and Play einzubauen. Die Anleitung ist in gutem Englisch verfasst und klar bebildert, der Kabelbaum eindeutig beschriftet, und der deutsche Importeur legt zusätzlich ein "Einbau- und Prüfprotokoll" auf Deutsch mit bei. Wer seine Bazzaz-TC nicht beim Fachhändler oder im Ausland bezieht, muss auf dieses Protokoll verzichten. Die Bazzaz-TC hat einen weiteren, sehr großen Vorteil gegenüber den beiden Mitbewerbern. Zum einen bietet es serienmäßig einen hervorragenden Schaltautomat, zum anderen ist es ein komplettes Motormanagement-System. Es bietet alle wichtigen Funktionen, die beispielsweise ein Power-Commander von Dynojet auch hat, und es lässt sich ein "Auto-Mapping-Modul" anschließen, welches während der Fahrt via Lambda-Sonde das Einspritz-Mapping unter Realbedingungen optimiert. Das Bazzaz-Steuergerät kostet 1099 Euro, unbedingt mitgekauft werden sollte der Map-Schalter für 179 Euro und die Cockpit-LEDs für 99 Euro, die das Regeln der TC optisch anzeigen. Für einen Einbau der Bazzaz, deren Abstimmung und eine ausführliche Einführung werden nochmals 400 Euro fällig. Macht um die 1750 Euro für das komplette, sinnvolle Paket.
Bei Grip One kostet die Hardware 1059 Euro, sinnvolle LEDs zum Sichtbarmachen des Regelns nochmals 129 Euro. Der Kabelbaum des Systems ist markenspezifisch, der deutsche Importeur legt eine Bedienungs- und Anbauanleitung in Deutsch mit bei. Leider sind momentan noch keine fahrzeugspezifischen Radsensorhalterungen verfügbar, was den Anbauaufwand deutlich erhöht und verteuert. Solange die Sensorhalter nicht erhältlich sind, muss für den Einbau einer Grip One zirka 600 Euro veranschlagt werden. Fahrbereit eingebaut und eingestellt, sind ungefähr 1750 Euro fällig.
Das Schnäppchen, zumindest auf den ersten Blick, ist die IRC Power Slide Control. Zurzeit noch ohne deutschen Importeur kann sie bei www.dragobike.com im Netz für 750 Euro plus Versand bezogen werden. Dafür erhält der Kunde einen Elektrobausatz mit einer vor Übersetzungsfehlern strotzenden, englischen Anbauanleitung, die stellenweise alles andere als eindeutig und verständlich ist. In der Werkstatt werden deshalb geschätzte 800 Euro Einbaukosten fällig. Fehlende Halter für Radsensoren und das selbst zu bauende "Cockpit" kosten viel Zeit und damit Geld. Support ist momentan nur per E-Mail oder Telefon direkt aus Italien erhältlich, was im Falle von Komplikationen nervig wird.
Funktionstest

PS rückte den Nachrüstsystemen im Contidrom bei Hannover auf vier mit Continental RaceAttack Street-Reifen bestückten Italienerinnen aus: zwei Aprilia RSV4 Factory mit einem Bazzaz- und Grip One-System sowie einer Ducati 1098 ebenfalls mit Bazzaz und schließlich einer IRC-bestückten Ducati 1198. Die Wahl dieser straßenzugelassenen Sportreifen fiel aufgrund der Überlegung, dass Reifen mit einem normalen Grip-Niveau (also keine Hypersport-Pellen oder Slicks) von den Superbikes schnell überfordert werden und somit die TCs früh in ihren Arbeitsmodus kommen. Grundsätzlich eine richtige Überlegung, die allerdings folgende Problematik mit sich bringt. Die Seitenhaftung eines Straßenreifens ist begrenzt. Nicht nur beim Herausbeschleunigen, wofür es ja TC-Systeme gibt, sondern bereits beim Hineinfahren in Kurven, wenn Lastspitzen wie Bodenwellen auf sie wirken. Oder in maximaler Schräglage, wenn das Motorbremsmoment auf sie wirkt. In diesen Fällen sind Rutscher und Stürze auch mit TC möglich, da sie in diesen Situationen nicht arbeiten. Da das Contidrom die Straßenpellen schnell überforderte, waren die Testfahrten riskant und mit vielen Rutschern versehen. Ein Wechsel auf haftfreudigere Slicks war logistisch nicht möglich.
Trotz dieser nicht optimalen Testbedingungen lassen sich die TC-Systeme beurteilen. So offenbaren alle Systeme im niedrigen Geschwindigkeitsbereich (unterhalb 60 km/h) in tiefen Gängen mit diesen Reifen Schwächen. Harte Beschleunigung im ersten oder zweiten Gang hat zur Folge, dass alle Hinterräder ins Driften geraten. Der Seitenhaftungsverlust tritt schneller und stärker ein, als die TCs regeln. Wer diese Fahrsituation für unrealistisch hält, der sollte mal bei Regen aus einer Spitzkehre heraus beschleunigen.
Bei höheren Geschwindigkeiten in milderen Schräglagen dagegen tritt dieses Problem nicht mehr auf. So regelt die Bazzaz-TC weich, und der Regelbereich ist mittels Lenkerschalter gut einzustellen. Es kann die Sensibilität während der Fahrt verändert werden, wodurch der Lerneffekt für den Fahrer hervorragend, da nachvollziehbar wird. Sie eignet sich für Hobby-Racer wie Hardcore-Brenner gleichermaßen.

Das Grip One-System ist in der mildesten, also der am frühesten eingreifenden Stufe immer noch eine Nummer zu heiß für Hobby-Racer. Es lässt ordentliche Driftwinkel zu, bevor es eingreift, was den Hobby-Piloten eher verunsichert als motiviert. Selbst Profi-Racer Christian Kellner brauchte eine Weile, bis er sich sicher war, dass die Grip One tatsächlich aktiviert ist. Ein Verstellen der Regelschwelle war während der Fahrt leider nicht möglich.
Ganz anders reagiert die IRC-TC. Das System regelte selbst in der heißesten Stufe noch vehement. Veränderungen der Radumfänge im Steuergerät brachten keine Besserung, so dass sowohl der Hobby-Racer wie der Profi-Brenner von der IRC-TC langsamer, statt schneller gemacht wurden. Die Regeleingriffe aller drei Systeme erfolgten weich und teils kaum spürbar, was als sehr gut beurteilt werden muss. Die Sensitivität der Systeme, also die Regelschwelle und das damit verbundene Eingreifen dagegen ist sowohl bei Grip One als auch bei IRC noch verbesserungswürdig. Während Grip One die Regeleingriffe etwas früher beginnen lassen und einen Lenkerschalter mit mehr als zwei unterschiedlichen Intensitäten anbieten sollte, dürfen die IRC-Entwickler die Regelschwelle ruhig etwas anheben.
Erkenntnis
Nachrüstsysteme machen nicht unsterblich, sondern sind Fahrassistenten, die in bestimmten Situationen helfen. Wegen des rasanten Entwicklungstempos wird PS in Zukunft weitere Tests mit Slicks und Regenreifen fahren.
Fazit: Bazzaz hat momentan die praxisgerechteste nachrüstbare Traktionskontrolle im Angebot. Tolle Austattung, gutes Regelverhalten und Support durch den Importeur spricht für sie. Grip One ist auf einem guten Weg, auch hier stimmt die Peripherie. Allerdings regelt sie für Hobby-Fahrer zu spät, was eher verunsichert als hilft. Dreht der Pilot vor der TC das Gas zu, sind Highsider möglich. Das IRC-System muss noch reifen, vor allem der Anbau ist eine Katastrophe und ohne Importeur und Support nicht zu empfehlen.
Bazzaz Traction Control

Bezug: www.tractioncontrol.de, Tel. 0 58 41/97 40 40
Basispreis: 1099 Euro
Sinnvolles Zubehör: Lenkerschalter für zwei Mappings und der Einstellung der Regelintensität während der Fahrt für 179 Euro; LEDs zur Anzeige der Regelung für 99 Euro.
max. Punkte | erreichte Punkte | Anbau-/ Bedienungsanleitung | 5 | 4 |
Anbauaufwand | 5 | 5 | Preis ohne Einbau | 5 | 3 |
Einbauzeit/Kosten | 5 | 4 | Funktionsweise TC | 10 | 7 |
Einstellbereich TC | 10 | 8 | Ergebnis: | 40 | 31 |
Fazit:
Dem Bazzaz-System ist momentan sein Entwicklungs- und Vertriebsvorspung in Deutschland deutlich anzumerken. Der einfachste Anbau, die beste Ausstattung (inklusive "Power-Commander"-Funktion und Schaltautomat), guter Support vom Importeur und die durchdachteste Handhabung machen es zum System der Wahl. Die Regeleigenschaften der Traktionskontrolle sind bei Motorrädern mit Ganganzeige auf hohem Niveau, der Einstellbereich praxisgerecht.
IRC Power Slide Control

Bezug: www.dragobike.com, Tel. 00 39/3 38/1 10 39 92
Basispreis: 750 Euro
Sinnvolles Zubehör: IRC bietet kein weiteres Zubehör an. Es wird zur Zeit aber eine komplexere "Pro"-Version mit GPS-Tracker und Speed-Limiter entwickelt.
max. Punkte | erreichte Punkte | Anbau-/ Bedienungsanleitung | 5 | 1 |
Anbauaufwand | 5 | 1 | Preis ohne Einbau | 5 | 5 |
Einbauzeit/Kosten | 5 | 2 | Funktionsweise TC | 10 | 6 |
Einstellbereich TC | 10 | 3 | Ergebnis: | 40 | 18 |
Fazit:
Die IRC Power Slide Control steckt noch in den Kinderschuhen. Der Anbau des Systems ist fummelig, die Anleitung dazu ein Grauen in schlechtem Englisch. Die Lenkerbedienung erinnert an einen ElektroBausatz der 1980er-Jahre. Ohne deutschen Ansprechpartner ist das System trotz des Preises momentan nicht zu empfehlen. Die Traktionskontrolle greift viel zu früh ein und regelt den Vortrieb ab, während die Launch-Control ganz ordentlich arbeitete.
Grip One Traction Control

Bezug: www.micronsystems.de, Tel. 09 11/93 67 40
Basispreis: 1059 Euro
Sinnvolles Zubehör: Die "Remote Control" mit LEDs zur Anzeige der Regelung für 129 Euro. Mit ihr lassen sich während der Fahrt zwei unterschiedliche Regelintensitäten einstellen.
max. Punkte | erreichte Punkte | Anbau-/ Bedienungsanleitung | 5 | 3 |
Anbauaufwand | 5 | 3 | Preis ohne Einbau | 5 | 3 |
Einbauzeit/Kosten | 5 | 3 | Funktionsweise TC | 10 | 7 |
Einstellbereich TC | 10 | 4 | Ergebnis: | 40 | 23 |
Fazit:
Grip One ist in Sachen Verarbeitung und Handhabung gut dabei. Allerdings nerven fehlende Halterungen für die Radsensoren und erhöhen die Anbaukosten beim Händler. Die vom deutschen Importeur mitgelieferte Anbauanleitung ist gut, das Einrichten der Grundeinstellung einfach. Allerdings regelt die Grip One für Hobbyfahrer zu spät, lässt deutliche Slides zu, was erschrecken kann. Durch früheres Eingreifen würden Piloten sanfter ans Limit herangeführt.