Von MOTORRAD fast plattgemacht, noch bevor’s die Firma gab, verkauft Touratech heute vom Schwarzwald aus weltweit Zubehör für Reisebikes. Der deutsche Zubehör-Riese im Firmenporträt.
Von MOTORRAD fast plattgemacht, noch bevor’s die Firma gab, verkauft Touratech heute vom Schwarzwald aus weltweit Zubehör für Reisebikes. Der deutsche Zubehör-Riese im Firmenporträt.
Drei-Wochen-Bart, die Hände tief in den Taschen verwaschener Jeans, das T-Shirt lose darüber und um den Hals einen großen Silberanhänger mit den Umrissen Afrikas – den CEO (Wirtschaftsneusprech für Chef bzw. Geschäftsführer) einer millionenschweren Aktiengesellschaft stellt man sich anders vor. Doch die Krawattenwelt ist der einzige Erdteil, den Touratech-Gründer Herbert Schwarz bisher erfolgreich gemieden hat. Lässig schlendert er durchs Großraumbüro seiner Firmenverwaltung, untergebracht im nachträglich eingezogenen Obergeschoss einer 2007 zugekauften ehemaligen Tennishalle, 3000 Quadratmeter groß.
Darunter sind Shop und Lager der Firma, dahinter in weiteren Gebäuden Entwicklung, Versand und natürlich die Produktion mit all ihren automatisierten Abkant- und Biegemaschinen, computergesteuerten Laserschneidern und Schweißrobotern. Überall wuseln Mitarbeiter in schwarzen T-Shirts, drinnen wie draußen stehen jede Menge Motorräder rum, meist Enduros. Das Firmengelände platzt aus allen Nähten. 2016 ist der Umzug in eine neue, größere Halle geplant. Der Betrieb brummt.
„Ich bin jedes Jahr fünf Wochen für die Firma mit dem Motorrad unterwegs, Minimum, und dann noch mal vier Wochen mit den Kindern.“ Der Betrieb brummt so sehr, dass sich Schwarz, Jahrgang 1960, solche scheinbare Extravaganz locker leisten kann. Nicht finanziell gesehen, denn er ist bis heute am liebsten mit Zelt und Schlafsack unterwegs. Aber zeitlich. „Ich habe so ein cooles Team, meine Mitarbeiter machen das möglich“, sagt er mit einem jungenhaften Grinsen. 300 Leute arbeiten in Niedereschach im Südschwarzwald für ihn und seinen Kompagnon Jochen Schanz.
Und im Rest der Welt kommen noch mal 150 dazu. Die Anfänge aber waren eine One-Man-Freizeit-Show: Neben seiner Ausbildung zum Elektroniker ertüftelte sich Schwarz ein paar Alukoffer. Angeregt von einem Kumpel, der sich aus Aluprofilen und Sperrholz Transportkisten für Musikinstrumente selbst baute, hatte Herbert bald den Bogen raus, wie man auf ähnliche Weise zu robusten Gepäckboxen fürs Reisemotorrad kam. Und er verfasste für einen Koffer-Workshop auf einem Travellertreffen eine Bauanleitung: 17 Seiten, maschinengetippt, mit Fotos und Skizzen illustriert, 50-mal kopiert.
Eine der Kopien fand den Weg zu MOTORRAD und wurde 1989 im Reisemagazin MOTORRAD Touren vorgestellt. Mit dem Zusatz: „Der in 7735 Dauchingen ansässige Tüftler bietet die Bauanleitungen zum Preis von drei Mark an.“ Erfahren hat Herbert Schwarz erst davon, als ihm die ersten Bestellungen in den Briefkasten flatterten: „Das hat mich fertiggemacht, und war auch mit mir nicht abgesprochen.
Rund 200 Bestellungen kamen, jede hat mich für Kopien und Porto rund fünf Mark gekostet. Habe ich also 400 Mark draufgelegt.“ So hatte MOTORRAD Touratech schon an den Rand des Ruins gebracht, bevor es die Firma überhaupt gab. Denn gegründet wurde sie ein Jahr später. Mit dem IMO 200T, einem selbst entwickelten Motorrad-Bordcomputer, wollte Schwarz das Geld wieder einspielen.
Also meldete er 1990 ein Gewerbe an – die Geburt der Firma. Das Ziel, 100 IMOs zu verkaufen, war nach drei Jahren erreicht. Doch die karge Gründerzeit war wichtig für Touratech. Denn währenddessen bastelte Schwarz weiter an einem Tripmaster, einer Zeltlampe und an seinen Koffern. Dabei entstand der Bauplan für die Zega-Cases. Und die sind heute der Grundstock für den seither rasch und immer weiter wachsenden Betrieb.
Ein Vierteljahrhundert später ist das Thema Alukoffer heißer denn je: BMW und KTM lassen die Transportkisten für ihre Adventure-Modelle bei Touratech produzieren. Pro Jahr verarbeitet die 1999 zur Aktiengesellschaft gewordene Firma 200 Tonnen Edelstahl und 280 weitere Tonnen Stahl zu über 7000 Zubehörteilen. Der Katalog ist von zwölf Seiten 1995 auf heute 1924 Seiten gewachsen, gedruckt in fünf Sprachen. Über 40 Importeure vertreiben die Motorradteile aus dem Schwarzwald auf fünf Kontinenten. Und zur letzten Mitarbeiter-Weihnachtsfeier in Niedereschach ließ sich Herbert Schwarz per Skype zuschalten. Aus Neuseeland, wo er gerade fünf Wochen Motorrad fuhr und Fernweh-Produkte testete. Bis er Heimweh hatte.
Erstes eigenes Produkt unter der Marke:
Motorradcomputer IMO 200T im Jahr 1990
Anzahl der Produkte heute:
über 7000
Bestseller – das erfolgreichste Produkt:
Alukoffer der Zega-Familie
Der Flop der Firmengeschichte:
Hinterer Spritzschutz für die BMW R 1200 GS bis 2013. Grund: nirgendwo anzubringen.
Teuerstes Produkt:
ReVamp-Komplettumbau-Kit für BMW R 850/ 1100 GS und R 1150 GS/Adv. (3169 Euro)
Billigstes Produkt:
Arno-Spannriemen (2,90 Euro)
Anteil der in Deutschland gefertigten Produkte:
zirka 90 Prozent
Auslandsstandorte:
Mit über 40 Importeuren weltweit auf jedem Erdteil vertreten
Mitarbeiter in der Entwicklung:
10 (ohne Entwicklungswerkstatt)
Anzahl der Mitarbeiter in Deutschland/weltweit:
300/450
Umsatz 2013/2014:
32 Millionen Euro