Preisgünstige Tourenstiefel im Vergleichstest
Wie wasserdicht und hochwertig sind günstige Motorradstiefel?

Nicht nur junge Einsteiger halten beim Stiefelkauf ihr Geld gern zusammen. Im Laden finden sich denn auch für nur rund 100 Euro angeblich vollwertige Tourenstiefel, die bei Regenfahrten dicht halten sollen. Zu viel versprochen?

Wie wasserdicht und hochwertig sind günstige Motorradstiefel?
Foto: MPS-Fotostudio

Wasserdicht - so steht es geschrieben. Für den Käufer heißt das: Mit diesem Stiefel kann ich auf Tour gehen, und wenn es regnet, ist mir das egal, ich fahre trockenen Fußes einfach weiter. Kommen wir zum Preis. Wenn die magische Grenze von 100 Euro nicht überschritten wird, scheint das auf Gehirn und Verstand des Kunden seltsame Reize auszuüben und Stimmen flüstern ein: „kaufen, kaufen, kaufen, jetzt sofort, sofort, sofoort!“ In der Tat: Selbst Schüler mit normal dotiertem Ferienjob müssen für solche neuen Botten nur gut einen Tag lang knechten.

Bei Besserverdienenden erzeugen die Subhundert-Offerten spontane Mitnahmeeffekte. So weit so gut. Glaubt man den Aussagen von Händlern und Verkäufern, dann sind Günstigstiefel starke Bestseller. Werden auch häufig online bestellt, ohne Anprobe und Fachberatung. Wie gesagt, bei dem Preis wird nicht lange gefackelt. Ein Fehler? Schließlich gehören Stiefel zu den wichtigsten Ausrüstungsgegen-ständen für Motorradfahrer. Grund genug, dass MOTORRAD den maßgeblichen Superangeboten etwas stärker auf den Zahn fühlt - also ab zum Test!

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Erste Erkenntnis bei der Auswahl der Kandidaten: Mal abgesehen von windigen E-Bay-Verkäufern oder Supermarkt-Discountern finden sich auf dem Markt nur wenige Anbieter, die dieses Segment bedienen. Die großen Filialketten sind darunter, altgediente Ausrüster wie IXS oder Modeka, die ein gutes Fachhändlernetz bedienen, sowie kleinere Anbieter, die offenbar einen guten Draht zu fernöstlichen Produktionsstätten haben und deshalb diese Sparangebote im Programm führen. Draußen bleiben mussten Anbieter, die ihre günstigsten Offerten etwas über der 100-Euro-Grenze ansetzen. Qualitativ bewegen sich diese Stiefel auf ähnlichem Niveau, und es ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Anbieter beim Preis dahingehend in die Trickkiste greift, dass sich ein 129-Euro-Artikel als Jetzt-nur-noch-99-Euro-Sonderangebot besser verkaufen lässt. Hinzu kamen einige Testabsagen („Lieferschwierigkeiten“, „dieses Produkt nehmen wir demnächst aus dem Programm“, „nee, lieber nicht“). Kurzum: Am Ende besaßen nur überschaubare sechs Wettbewerber den Mumm, sich von MOTORRAD auf den Prüfstein stellen zu lassen. Erfrischend ehrlich die Aussage eines Anbieters (Name der Redaktion bekannt), der gerne teilgenommen hätte, aber die angeforderten Testgrößen nicht termingerecht heranschaffen konnte: „Wissen Sie, in dieser Preisklasse ist es eigentlich unmöglich, komplett wasserdichte Stiefel herzustellen. Ich verkaufe die Teile äußerst ungerne, weil ich weiß, die bringens nicht, aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht sprechen die verkauften Stückzahlen eine andere Sprache.“ Weitere Recherchen bei Branchenkennern führten zu einem ähnlichen Schluss.

Die Realität ist, dass man für so wenig Geld nicht viel erwarten darf, zumindest nicht, was Wasserdichtigkeit angeht. Die Reklamationen halten sich aber in Grenzen. Wie kommt das? Ganz einfach, auch hier muss man Händler- und Verkäufereinschätzungen Glauben schenken: Viele Motorradfahrer rücken nur bei Schönwetter aus, fahren kaum mehr als 200 Kilometer am Stück. Wollen aber beim Niedrigbudget-Stiefelkauf das Komplettpaket für alle Eventualitäten, die sie bei ihrem Schmalspur-Touring allerdings nie erleben werden. So wirken die Stiefel wie Reisegepäckversicherungen: vermitteln ein gutes, sicheres Gefühl, im Ernstfall regulieren sie aber nur unzureichend den Schaden. Und kurze Regenschauer stecken selbst undichte Membranstiefel gut weg, denn auch normale Lederstiefel weichen ja nicht sofort durch. Bei offenbar relativ wenigen Beanstandungen lohnt sich das Geschäft mit schlappen Schlappen wohl.

Doch was, wenn der Membranschuh komplett versagt? Etwa bei starkem Gewitterregen auf langen Autobahnetappen? Reklamiert der Kunde nach so einem Desaster, bekommt er in der Regel innerhalb der Garantiezeit anstandslos Ersatz oder das Geld zurück, hat aber neben einer eventuell auf Tour zugezogenen Erkältung zusätzlich den Ärger. Schuld ist übrigens selten die Membran selbst, sondern deren nachlässige Verarbeitung und mangelhafte Abdichtung an Problemzonen wie der Ferse oder dem Übergang von der Sohle zum Schaft. Wenn die (Billig-)Produktion ohne große Sorgfalt und Qualitätsprüfung arbeitet, ist die Versagerquote extrem hoch, wie sich in diesem Test zeigte. Fakt ist, kein einziges Modell der 100-Euro-Klasse passierte einwandfrei den nicht mal übermäßig harten MOTORRAD-Nässetest. Zum Schluss noch ein paar versöhnliche Worte: In Sachen Sicherheit, teilweise auch beim Tragekomfort, der Ausstattung oder Verarbeitung, sind die Stiefel ordentlich, keine Top-Ware, aber ihren Preis wert. Würde nicht „wasserdicht“ draufstehen (bei IXS: „wasserresistent“), könnten sie zumindest Schönwetter-Touristen glücklich machen. Auf ehrliche Weise.

Bullson Solid

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Bullson Solid.

Anbieter
Hein Gericke, Telefon 0211/98989, www.heingericke.de; Preis: 79,95 Euro; Größen: 36 bis 47

Plus
Bequemer Einstieg, einfache Handhabung durch gut zu bedienende Reißverschlüsse und Klettleisten, flauschiges Futter, gute Klimatisierung durch 3D-Meshgewebe; knackiger, aber superkomfortabler Sitz mit klasse Abstreifschutz; gut zu Fuß

Minus
Alle vier Testmuster im Nässetest mit äußerst bescheidenem Resultat, Undichtigkeiten scheinen weniger Ausnahme, sondern eher serienmäßig zu sein

Fazit
Nach den Fahrversuchen noch mit Abstand Testers Liebling, bot der super sitzende Solid dann im Nässetest alles andere als eine solide Leistung: sehr wasserscheu!

MOTORRAD-Urteil: befriedigend

Drive Touring Comfort-2

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Drive Touring Comfort-2.

Anbieter
Polo, Telefon 02165/8440300, www.polo-motorrad.de; Preis: 99,95 Euro; Größen: 36 bis 48

Plus
3D-Meshgewebe als Futter sorgt für prima Fußklima, geschmeidiges Leder; guter Rastenhalt durch griffige Gummisohlen; vergleichsweise abstreifsicher

Minus
Gehkomfort bescheiden, in Fahrt geringer Halt, Füße rutschen beim Bremsen und Schalten hin und her, wenig Feedback, auf Dauer Scheuerstellen; Reißverschlüsse sehr hakig; bis auf ein Testmuster alle Stiefel nach wenigen Minuten undicht

Fazit
Bei Regen geht man baden, und auf Langstrecke nerven Druck- und Scheuerstellen. Gutes Leder, ausreichende Sicherheit, aber insgesamt bietet der Drive zu wenig.

MOTORRAD-Urteil: ausreichend

GC Traveller

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GC Traveller.

Anbieter
GC Bikewear, Telefon 05931/886163, www.grandcanyonbikes.de; Preis: 99 Euro; Größen: 38 bis 47

Plus
Vergleichsweise steife Konstruktion, enge Passform mit hohem Schaft, integrierte Knöchelprotektoren, in der Summe gute Sicherheitsausstattung; hoher Tragekomfort in Fahrt, beim -Gehen ordentlich; angenehme Klimatisierung

Minus
Reißverschlüsse hakig, und die Zusatzlasche riss im Test, widerspenstige Abdeck-Klett-leis-ten; Fersenhalt nur mäßig; kleine Schwächen im Nässetest

Fazit
Zwar auch nicht ganz dicht, dafür aber bequem, sicher und sehr ordentlich geschustert - damit kann man gut auf Tour gehen. Für den Preis ein fairer Gegenwert.

MOTORRAD-Urteil: gut

IXS Pacific

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IXS Pacific.

Anbieter
IXS, Telefon 07631/18040, www.ixs.de; Preis: 99,95 Euro; Größen: 35 bis 48

Plus
Beste Größenbandbreite im Vergleich, Angebot für extrem kleine und große Füße; sehr guter Rastenhalt; komfortables Einsteigen, einfache Handhabung

Minus
Relativ kurzer Schaft für Tourenstiefel, geringe Stabilität, Füße beim Bremsen und Schalten mit schwacher Führung, sperriges und kantiges Abrollen bei kleineren Fußmärschen; im Befülltest Komplettausfall, beim Tauchbad trauriges Resultat

Fazit
Durch Größenvielfalt und Preis mag der Pacific Kaufinteresse wecken. Doch als Tourenstiefel für alle Wetter ist der fast komplett Undichte denkbar ungeeignet.

MOTORRAD-Urteil: ausreichend

Modeka Most

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Modeka Most.

Anbieter
Modeka Biker Wear, Telefon 02521/85030, www.modeka.de; Preis: 99,90 Euro; Größen: 37 bis 46

Plus
Sehr ordentlich verarbeitet, gute Sicherheitsausstattung mit festem, großflächigem Schienbeinschutz; Grip auf der Raste gut, direkte Rückmeldung

Minus
Drückt am Spann, bei Schalt- und Bremsvorgängen starke Druckstellen an Knöcheln, nur geringer Fersenhalt; schon kurze Fußwege schmerzhaft; zähe Abdeckleisten, Reißverschlüsse schwergängig, in der Handhabung wenig komfortabel

Fazit
Sieger beim Nässetest, wenngleich nicht zu hundert Prozent dicht. Doch die sperrige Passform und nervige Druckstellen erweisen sich als Lustkiller.

MOTORRAD-Urteil: befriedigend

Probiker Street III

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Probiker Street III.

Anbieter
Louis, Telefon 040/73419360, www.louis.de; Preis: 99,95 Euro; Größen: 38 bis 47

Plus
Rastenhalt durch griffige Gummimischung und leichten Absatz prima; Verarbeitung sauber und ordentlich, solides Leder; ordentlicher Schienbeinschutz

Minus
Einstieg beschwerlich, sehr eng; gewöhnungsbedürftiges Gefühl beim Gehen; geringer Wasser-eintritt beim Nässetest bei zwei von vier Testmustern; partielle Druckstellen, zum Beispiel an Ferse; schwammiges Gefühl beim Schalten und Bremsen

Fazit
Guter Rastenhalt, eine solide Verarbeitung sowie ein im Vergleich akzeptabler Nässeschutz. Wegen des geringes Tragekomforts trotzdem kein gutes Ergebnis.

MOTORRAD-Urteil: befriedigend

Endwertung

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Die Endwertungstabelle.

Fazit
Mit Bullson, Drive und IXS sind bei Regen Fahrpausen angeraten, anspruchsvolle Touristen sollten ihr Geld besser sparen. Schade, genügend Potenzial haben die Stiefel, speziell der Bullson sitzt top am Fuß, aber mieses Abschneiden beim Nässetest vereitelt ein besseres Resultat. Die weniger wasserscheuen Modeka und Probiker können aufgrund mäßiger Passform nicht als gut befunden werden, und so gewinnt der GC als Einäugiger unter Blinden den Vergleich. Immerhin: Sicher genug sind alle Kandidaten.

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Alpinestars Hydro Sport.

Als Referenzen liefen ein Mittelklasse-Tourenstiefel und ein Modell der preislichen Oberklasse außer Konkurrenz im selben Punkteraster (siehe Endwertungstabelle) mit, um besser ausloten zu können, was die 100-Euro-Teile wirklich leisten. Aber da sich die meisten Preiskracher nun kaum empfehlen lassen, werden die Produkte aus höheren Preisligen automatisch zur Konkurrenz. Der Hydro Sport vom italienischen Stiefelexperten Alpinestars, Telefon 00 39/04 23/52 86 (Italien), www.alpinestars.com, positioniert sich als schlankes Sporttouringmodell mit hauseigener Klimamembran und kostet rund doppelt so viel wie die Low-Budget-Testkandidaten (199,95 Euro). Für den rustikalen Voll-Tourer mit Gore-Tex-Membran vom niederbayerischen Edelschuster Daytona, Telefon 0 87 21/9 64 40, www.daytona.de, müssen sogar 349,95 Euro hingeblättert werden. Autsch, Geizkragen & Co beißen sich jetzt vielleicht auf die Lippe, aber wer ernsthafte Motorradtouren vorhat und dabei eine gute Zeit haben will, sollte diese Alternativen anprobieren und lieber noch etwas weitersparen.


Alpinestars Hydro Sport
Eine sehr ordentliche Verarbeitung (vier Punkte), erstklassiges Fahrgefühl (26 Punkte), angenehm auch auf Tour zu Fuß (acht Punkte) sowie eine einfache Handhabung (sieben Punkte) und satter Sitz (Sicherheit: 13 Punkte) können überzeugen. Leichte Schwächen beim Nässetest (25 Punkte) verhindern die Note „sehr gut“.

MOTORRAD-Urteil: gut

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Daytona Traveller GTX.

Daytona Traveller GTX
Hält absolut dicht (30 Punkte), äußerst komfortabel in Fahrt, trotzdem mit Eins-a-Feedback auf der Raste (28 Punkte), gut zu Fuß (acht Punkte), sehr sicher (14 Punkte) und solide Handhabung (sechs Punkte) machen den robusten Traveller GTX zum Redaktionsliebling und perfekten Touren-Buddy.

MOTORRAD-Urteil: sehr gut


Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023